Leitsatz (amtlich)
Die Regelung des ZVALG § 12 Abs 1 S 1 Buchst c, die für alle landwirtschaftlichen Arbeitnehmer die Gewährung der Ausgleichsleistung von der Vollendung des 50. Lebensjahres vor dem 1972-07-01 abhängig macht, verstößt nicht gegen GG Art 3 Abs 1.
Normenkette
ZVALG § 12 Abs. 1 S. 1 Buchst. a Fassung: 1974-07-31, S. 2 Fassung: 1974-07-31; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
SG Stade (Entscheidung vom 26.04.1977; Aktenzeichen S 10 ZLW 4/77) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 26. April 1977 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der am 16. Mai 1923 geborene Kläger war von April 1944 bis August 1969 rentenversicherungspflichtig als Landarbeiter beschäftigt; ab Januar 1972 bezieht er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Seinen Antrag auf Gewährung von Ausgleichsleistungen nach dem Gesetz über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft (ZVALG) vom 31. Juli 1974 (BGBl I 1660) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Mai 1975 ab, weil die Voraussetzung des § 12 Abs 1 Satz 1 Buchst c ZVALG (Vollendung des 50. Lebensjahres vor dem 1. Juli 1972) nicht erfüllt sei. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 1976).
Die Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Urteil vom 26. April 1977 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Nach den in § 12 Abs 1 Satz 1 ZVALG beschriebenen Anspruchsvoraussetzungen für die Ausgleichsleistung müsse der Leistungsberechtigte ein Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, nach dem 40. Lebensjahr mindestens 180 Kalendermonate als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sein und am 1.Juli 1972 das 50. Lebensjahr vollendet haben (Satz 1 Buchst. c). Durch diese Altersschranke werde zweierlei erreicht. Zum einen würden nur ältere landwirtschaftliche Arbeitnehmer berücksichtigt, die der Gesetzgeber finanziell als besonders schutzwürdig ansehe, zum anderen könnten die Leistungen nach dem ZVALG zu einem zukünftigen Zeitpunkt auslaufen. Deshalb bestehe für die Empfänger einer Rente wegen EU, für die die Wartezeit anders als für die Altersrentner dann als erfüllt gelte, wenn sie in den letzten 25 Jahren vor Beginn dieser Rente mindestens 180 Kalendermonate eine Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer ausgeübt hätten (§ 12 Abs 1 Satz 2 ZVALG), die Altersgrenze in Satz 1 Buchst c gleichwohl. Daß eine Ausnahme für Frührentner im ZVALG nicht vorgesehen sei, verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG), denn es sei nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber Versicherte willkürlich von der Ausgleichsleistung ausgeschlossen habe. Die Abhängigkeit von Stichtag und Alter sei sachlich berechtigt.
Das SG hat nachträglich durch Beschluß die Revision zugelassen; der Kläger hat sie eingelegt. Er beantragt,
das Urteil des SG Stade sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm die Ausgleichsleistung nach dem ZVALG zu gewähren.
Zur Begründung meint er, bei der Gesetzesauslegung des SG werde wesentlich Gleiches ungleich behandelt. Das ZVALG müsse in Zusammenhang mit dem Tarifvertrag über eine Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft vom 20. November 1973 gesehen werden. Der Gesetzgeber habe allen, die nach dem Tarifvertrag keinen Anspruch auf Beihilfe hätten, aber aufgrund ihrer geringen Rentenansprüche genauso einer Zusatzversorgung bedürften, einen Ausgleich schaffen wollen. In den Genuß der Ausgleichsleistung kämen nun aber die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer nicht, die - wie er - erwerbsunfähig geworden, aber erst nach dem 1. Juli 1922 geboren seien. Damit verhindere der Stichtag, der für den nahtlosen Übergang von der einen Leistung zur anderen gedacht sei, gerade diesen Übergang.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Eine Ausgleichsleistung nach dem ZVALG steht ihm nicht zu, weil er am 1. Juli 1972 das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte (§ 12 Abs 1 Satz 1 Buchst c ZVALG). Dieses Erfordernis ist nicht nur für die ehemaligen landwirtschaftlichen Arbeitnehmer vorgesehen, die aus der gesetzlichen Rentenversicherung ein Altersruhegeld erhalten und nach Vollendung des 40. Lebensjahres mindestens 180 Kalendermonate als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer beschäftigt waren (§ 12 Abs 1 Satz 1 Buchst a und b ZVALG); es besteht nach dem eindeutigen Wortlaut von § 12 Abs 1 Satz 2 ZVALG ferner für die Empfänger einer Rente wegen EU, die die Wartezeit auch dann erfüllen, wenn sie die geforderten mindestens 180 Kalendermonate der Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer in den letzten 25 Jahren vor Beginn der EU-Rente zurückgelegt haben.
Daß der Fall des nach dem 30. Juni 1922 geborenen EU-Rentners vom ZVALG nicht erfaßt worden ist, macht das Gesetz nicht lückenhaft. Wie aus den Materialien hervorgeht (BT-Drucks 7/2066), hat der Gesetzgeber ihn sehr wohl gesehen; der Abgeordnete Wolf hatte in seinem Bericht zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung (aaO unter I.Allg.) das Absinken des Lebensstandards der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer "im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit" gleichermaßen herausgestellt, ohne bei den EU-Rentnern nach Lebensjahren zu differenzieren. Offenbar ist der Ausnahmefall des am 1. Juli 1972 noch nicht fünfzigjährigen Frührentners bei der Schaffung des ZVALG aber nicht für regelungsbedürftig gehalten worden. Dies mag sich hauptsächlich damit erklären, daß die nach dem 30. Juni 1922 geborenen landwirtschaftlichen Arbeitnehmer im allgemeinen noch einen Anspruch auf ausreichende Beihilfen nach dem Tarifvertrag über eine Zusatzversorgung der Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft vom 20. November 1973, für allgemein verbindlich erklärt mit Wirkung vom 1. Juli 1972 (Bundesanzeiger Nr 14 vom 22. Januar 1974), erwerben können. Von einer "planwidrigen Unvollständigkeit" des Gesetzes kann jedenfalls nicht gesprochen werden; auch im Erfahrungsbericht der Bundesregierung zur Ausführung des ZVALG (BT-Drucks 8/712) ist unter den "Anregungen zur Änderung des Gesetzes" eine Änderung des Stichtages für EU-Rentner nicht erwogen worden.
Wenn somit nach § 12 Abs 1 Satz 2 iVm Satz 1 Buchst c ZVALG das am 1. Juli 1972 erreichte Lebensalter für alle (ehemaligen) landwirtschaftlichen Arbeitnehmer maßgebend ist und damit auch für alle EU-Rentner, so verstößt das nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Der Gleichheitssatz nötigt den Gesetzgeber nicht, bei einer neuen gesetzlichen Maßnahme auf die Einführung von Terminen zu verzichten, die die zeitliche Geltung regeln (BVerfGE 19,145 f); trifft der Gesetzgeber eine Stichtagsregelung, so muß sie allerdings überhaupt und in der Wahl ihres Zeitpunktes am Sachverhalt orientiert sein. Wenn sie diesen Anforderungen entspricht, dann ist sie sachlich vertretbar; Härten, die jeder Stichtagsregelung innewohnen, müssen dann hingenommen werden (BVerfGE 3, 148; 29, 299 unter Hinweis auf 13, 28; 24, 228).
Hiernach steht der in § 12 Abs 1 Satz 1 Buchst c iVm Satz 2 ZVALG getroffenen Regelung Art 3 Abs 1 GG nicht entgegen. Sie ist sachlich einleuchtend, denn durch die Forderung der Vollendung des 50. Lebensjahres bis zum 30. Juni 1972 werden die Bereiche der neuartigen Zusatzversorgung für landwirtschaftliche Arbeitnehmer generell gegeneinander abgegrenzt. Hierdurch werden von der tariflichen Vereinbarung die bei Inkrafttreten des Tarifvertrages (1. Juli 1972) im Erwerbsleben stehenden Arbeitnehmer erfaßt, die allein mit Beschäftigungszeiten nach dem Stichtag bis zur Altersgrenze von 65 Jahren noch die Wartezeit von mindestens 180 Kalendermonaten für die tariflichen Beihilfen (nach § 9 Abs 1 des Tarifvertrages) erreichen können; für die staatliche Ausgleichsleistung kommen die rentenberechtigten Arbeitnehmer in Betracht, denen aus Altersgründen allein mit Beschäftigungszeiten nach dem Juni 1972 die Erfüllung der Wartezeit für die Erlangung der Beihilfe in der Regel nicht mehr möglich wäre. Eine Abgrenzung nach diesen Kriterien ist sachentsprechend, zumal die Mittel für die Ausgleichsleistungen nach dem ZVALG von der Allgemeinheit aufgebracht werden. Das verlangt für die vom Staat übernommene sog. "uralte" und "alte" Last eine vernünftige Mittelbegrenzung, die wiederum die Überschaubarkeit der nach dem ZVALG leistungsberechtigten Personenkreise von Rentnern und alten Arbeitnehmern voraussetzt.
Belegen diese Gesichtspunkte hinlänglich, daß die Einführung der Altersgrenze von 50 Jahren zum gewählten Zeitpunkt verfassungsgemäß ist, so ist dem Kläger allerdings zuzugestehen, daß hierdurch im Einzelfall Härten auftreten können. Ihm ist indessen nicht zu folgen, wenn er deshalb den Willen des Gesetzgebers dahin versteht, er habe allen Personen einen Ausgleich schaffen wollen, die keinen tariflichen Beihilfeanspruch hätten, aber von der sozialen Lage her wegen ihrer geringen Rentenansprüche einer Zusatzversorgung bedürften. Ein solches Ziel verfolgt das als "flankierende Maßnahme" neben dem Tarifvertrag geschaffene ZVALG erkennbar nicht. Nach seinem Sinn und Zweck soll es finanzielle Nachteile älterer landwirtschaftlicher Arbeitnehmer nur für eine Übergangszeit ausgleichen, die bis zum Hineinwachsen aller im Erwerbsleben stehenden Arbeitnehmer in den Tarifvertrag begrenzt ist. Dies ist nur mit einer - unvermeidliche Härten mit sich bringenden - Stichtagsregelung zu erreichen, die einzuführen der gesetzgeberische Spielraum erlaubte.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen