Leitsatz (amtlich)

Die in § 12 Abs 1 S 1 Buchst b ZVALG für die Wartezeit von 180 Kalendermonaten bestimmte "Rahmenfrist" ist nicht verfassungswidrig.

 

Normenkette

ZVALG § 12 Abs. 1 S. 1 Buchst. b Fassung: 1974-07-31; ZVALG § 12 Abs. 1 S. 1 Buchst. b Fassung: 1980-08-18; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Fassung: 1949-05-23, Art. 20

 

Verfahrensgang

SG Bayreuth (Entscheidung vom 28.10.1981; Aktenzeichen S 5 ZLw 1/80)

 

Tatbestand

Der im Mai 1908 geborene Kläger war von 1923 bis Februar 1954 mit einer kriegsbedingten Unterbrechung im zweiten Weltkrieg als landwirtschaftlicher Arbeiter rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Danach übte er keine versicherungspflichtige Tätigkeit mehr aus, entrichtete aber freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter. Für die Zeit ab 1. Juli 1972 erhielt er Rente wegen Berufsunfähigkeit, ab 1. Juni 1973 bezieht er Altersruhegeld.

Seinen Antrag auf Ausgleichsleistung nach dem Gesetz über die Errichtung einer Zusatzversorgungskasse für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft (ZVALG) lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 26. März 1980; Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 1980). Seine Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 28. Oktober 1981). Das SG meint, der Kläger erfülle nicht die im ZVALG geforderte Wartezeit von 180 Monaten. Auf diese seien von der versicherungspflichtigen Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer nur die in die Zeit ab Mai 1948 fallenden 70 Kalendermonate anrechenbar. Die Wartezeit müsse nach § 12 Abs 1 ZVALG in seiner ursprünglichen Fassung nach Vollendung des 40. Lebensjahres und nach der ab 1. Juli 1979 geltenden Fassung in den letzten 25 Jahren vor Beginn des Altersruhegeldes erfüllt werden. Darum könnten die zuvor zurückgelegten Zeiten einer rentenversicherungspflichtigen landwirtschaftlichen Beschäftigung oder einer Ersatzzeit nicht berücksichtigt werden, ebensowenig wie die freiwilligen Beiträge zur Rentenversicherung. Die gesetzliche Regelung verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Die vom Gesetzgeber gewollte Erfassung der älteren landwirtschaftlichen Arbeitnehmer, die sich nach ihrem 40. Lebensjahr noch durch eine mindestens 15-jährige Tätigkeit eine Altersversicherung aufgebaut haben, erscheine durchaus sachgerecht.

Mit der zugelassenen Sprungrevision rügt der Kläger Verletzung der Art 3, 14 und 20 GG. Da er als landwirtschaftlicher Arbeiter 372 Kalendermonate Pflichtbeitrags- und Ersatzzeiten zurückgelegt habe, sei er ein "ehemaliger langjähriger Landarbeiter", den der Gesetzgeber durch das ZVALG habe begünstigen wollen. Wenn der Gesetzgeber die Wartezeit von 180 Kalendermonaten nur innerhalb der letzten 25 Jahre vor Beginn eines Altersruhegeldes anerkenne, so sei diese Begrenzung willkürlich. Sie verstoße zugleich gegen Art 14 GG, da die begehrte Zusatzleistung Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung voraussetze und auf dieser beruhe. Zugleich verstoße die geforderte Wartezeiterfüllung innerhalb einer bestimmten Rahmenfrist gegen das Gebot sozialer Gerechtigkeit.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Ausgleichsleistung nach dem ZVALG seit 1. Juli 1978 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Ausgleichsleistung; er erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 12 Abs 1 Satz 1 Buchst b ZVALG. Das gilt sowohl für die ursprüngliche Fassung dieser Vorschrift im Gesetz vom 31. Juli 1974 (§ 12 aF) als auch für die ab dem 1. Juli 1979 geltende Fassung durch Art 2 § 34 Nr 3 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - -SGB X- vom 18. August 1980. Beide Vorschriften verlangen kumulativ neben dem Bezug des Altersruhegeldes oder einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und der Vollendung des 50. Lebensjahres am 1. Juli 1972 eine näher umschriebene rentenversicherungspflichtige Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer. Diese mußte nach § 12 aF nach Vollendung des 40. Lebensjahres oder in den letzten 25 Jahren vor Beginn einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mindestens 180 Kalendermonate lang ausgeübt worden sein. Nach § 12 nF muß diese Tätigkeit in die letzten 25 Jahre vor Beginn des Altersruhegeldes oder der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit fallen. Die Gesetzesänderung ist damit nur für die Fälle bedeutsam, in denen ein vorgezogenes oder flexibles Altersruhegeld bezogen wurde (vgl. hierzu Erfahrungsbericht BT-Drucks 8/712 auf Seite 11), was beim Kläger nicht der Fall ist. In seinem Fall beginnt nach beiden Gesetzesfassungen die für die Wartezeiterfüllung vorgesehene Rahmenfrist mit Mai 1948, so daß von der Zeit seiner Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer nur 70 Kalendermonate anrechenbar sind, wie schon das SG, von der Revision nicht angegriffen, zutreffend ausgeführt hat.

Eine Gesetzesauslegung, die im Falle des Klägers auf die Einhaltung der Rahmenfrist verzichtet, ist nicht möglich. Die Revision meint zu Unrecht, der Gesetzgeber habe offensichtlich übersehen, daß es unter den zwischen Juli 1907 und Juli 1922 geborenen Versicherten Landarbeiter geben könne, die sowohl wegen des Stichtages "1. Juli 1972" als auch wegen des Wartezeitbeginns weder Beihilfe nach dem Tarifvertrag noch Ausgleichsleistung nach dem ZVALG erhalten könnten. Ihre Argumentation beruht auf dem Gedanken, der Gesetzgeber habe a l l e n ehemaligen langjährigen Landarbeitern einen Ausgleich schaffen wollen, die keinen tariflichen Beihilfeanspruch hätten. Ein solcher Wille des Gesetzgebers kann jedoch weder hinsichtlich der in § 12 ZVALG getroffenen Stichtagsregelung (s hierzu SozR 5866 § 12 Nr 2) noch hinsichtlich der Rahmenfrist angenommen werden. Soweit der Anspruch auf die Ausgleichsleistung bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen allein an der Rahmenfrist für die Wartezeiterfüllung scheitert, handelt es sich immer um langjährige Landarbeiter, die weder Beihilfe nach dem Tarifvertrag noch die Ausgleichsleistung erhalten. Der Gesetzgeber hat trotz Hinweises auf die Lage der (gleich dem Kläger) lediglich in einem jüngeren Lebensalter in der Landwirtschaft Beschäftigten an der Rahmenfrist festgehalten (vgl BT-Drucks 8/712 auf Seite 11). Auch enthält das Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte seit dem Neuregelungsgesetz vom 3. Juli 1961 in § 26, seit der Fassung vom 14. September 1965 in § 33 eine vergleichbare Rahmenfrist. All das schließt eine - letztlich die Rahmenfrist negierende - Auslegung, wie sie dem Kläger vorschwebt, aus.

2. Die Rahmenfrist des § 12 Abs 1 Satz 1 Buchst b ZVALG ist nicht verfassungswidrig. Sie verstößt insbesondere nicht gegen die vom Kläger angeführten Art 3, 14 und 20 GG.

Hiervon scheidet der Art 14 GG, der im Rahmen seiner Anwendbarkeit als speziellere Grundrechtsnorm für den Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes keinen Raum mehr lassen würde (vgl BVerfGE 59, 128, 156 mwN), von vornherein aus, weil das Gesetz die bekämpfte Einschränkung von Anfang an enthielt und Rechte auf Ausgleichsleistungen überhaupt nur aufgrund des ZVALG entstehen konnten, so daß dem Kläger niemals eine Anwartschaft oder ein Anspruch auf die Ausgleichsleistung zu günstigeren Voraussetzungen eingeräumt war, in die der Gesetzgeber enteignend hätte eingreifen können. Überdies beruht die Ausgleichsleistung anders als die Renten der Sozialversicherung nicht auf eigenen Beiträgen, sondern auf staatlicher Gewährung; sie kann daher nicht den Schutz der Eigentumsgarantie genießen (vgl zum Rentenanspruch BVerfGE 53, 257, 289 ff; 55, 114, 131). Dem steht nicht entgegen, daß der Anspruch auf Ausgleichsleistung einen Rentenanspruch voraussetzt und als dessen Ergänzung ausgestaltet ist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwar die Minderbewertung "staatlich gewährter" Ausbildungs-Ausfallzeiten an Art 14 GG gemessen, da bei Anwendung des Art 14 GG die einzelnen Elemente des Rentenanspruchs nicht losgelöst voneinander behandelt werden könnten, als seien sie selbständige Ansprüche (BVerfGE 58, 81, 109); der Anspruch auf Ausgleichsleistung ist jedoch im Verhältnis zum Rentenanspruch ein selbständiger Anspruch, der sich zudem gegen einen anderen Leistungsträger richtet.

Prüfungsmaßstab ist damit der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Aufgrund dieser Verfassungsvorschrift darf der Gesetzgeber wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich behandeln. Dabei kommt ihm allerdings eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu. Welche Sachverhaltselemente so wesentlich sind, daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, hat regelmäßig er zu entscheiden. Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit ist er namentlich weitgehend frei in der Abgrenzung des begünstigten Personenkreises. Eine Abgrenzung ist mit dem Gleichheitssatz vereinbar, wenn vernünftige Gründe für sie bestehen und der Gesetzgeber willkürliche Privilegierungen und Diskriminierungen vermeidet (BVerfGE 51, 295, 300 f mwN). Ob er dabei zugleich die gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, ist von der Rechtsprechung nicht zu prüfen (BVerfGE 38, 154, 166 mwN).

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die vom Kläger, aber auch von der Beklagten beanstandete Regelung als mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar. Die Gesetzesmaterialien (vgl insbesondere BT-Drucks 7/1342) lassen zwar nicht erkennen, auf welchen Erwägungen des Gesetzgebers die Rahmenfrist beruht. Der Senat hat jedoch mehrfach schon darauf hingewiesen (SozR 5866 § 12 Nrn 2 bis 4), daß das ZVALG mit den tariflichen Vereinbarungen über Beihilfen an die ab 1. Juli 1972 (noch) versicherungspflichtig beschäftigten landwirtschaftlichen Arbeitnehmer im Zusammenhang steht. Der Gesetzgeber wollte ergänzend hierzu eine sogenannte uralte bzw alte Last (SozR aaO Nr 2) übernehmen, wofür ihm eine vernünftige Mittelbegrenzung zugestanden werden muß. Von daher ist es einleuchtend, daß er seine Leistungen - auch in Erkenntnis damit verbundener "Härten" - nur solchen früheren landwirtschaftlichen Arbeitnehmern zuwendet, deren berufliche und wirtschaftliche Lage in immerhin den letzten 25 Jahren vor dem Rentenbeginn wesentlich von der versicherungspflichtigen Beschäftigung als landwirtschaftlicher Arbeitnehmer geprägt gewesen ist. Das genügt bei den allein aus staatlichen Mitteln fließenden Zuwendungen bereits als sachlicher Grund für die hier streitige Regelung. Des weiteren wird in dem von der Bundesregierung dem Bundestag erteilten Erfahrungsbericht (BT-Drucks 8/712 auf Seite 11) zwar mitgeteilt, daß die Rahmenfrist des § 12 Abs 1 ZVALG von Antragstellern, die lediglich in einem jüngeren Lebensalter in der Landwirtschaft tätig waren, als Härte angesehen werde; die Bundesregierung hat diese Meinung jedoch nicht geteilt; nach ihrer Auffassung wird die Rentenerwartung von Arbeitnehmern, die die landwirtschaftliche Beschäftigung schon in jüngeren Jahren aufgegeben haben, in der Regel nicht entscheidend durch die Lohnbedingungen der Landwirtschaft beeinträchtigt. Dabei ist nicht verkannt worden, daß nach der Rentenformel ein Verdienst unabhängig davon die Rentenhöhe beeinflußt, ob er in der ersten oder in der zweiten Hälfte des Arbeitslebens erzielt wurde. Es wird aber dem Umstand Rechnung getragen, daß in der Regel in der zweiten Hälfte die höheren Verdienste erzielt werden. Im übrigen wollte der Gesetzgeber neben dem Lohnrückstand auch den Nachteil ausgleichen, daß landwirtschaftliche Arbeitnehmer im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit bisher neben dem Lohn gewährte Naturalleistungen einbüßen (BT-Drucks 7/1342 auf S 8 unter A I Abs 1 am Ende und nochmals I letzter Absatz am Ende), was für die schon früher Ausgeschiedenen in der Regel nicht zutrifft. Das sind bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise ebenfalls sachlich einleuchtende Gründe für die getroffene Differenzierung, die nicht auch noch alle abweichend gelagerten Einzelfälle berücksichtigen mußte. Ob der Beklagten darin zuzustimmen ist, daß andere Lösungen, etwa das Erfordernis einer überwiegenden versicherungspflichtigen Tätigkeit in der Landwirtschaft oder eine Halbbelegung der gesamten Versicherungszeit mit landwirtschaftlicher versicherungspflichtiger Tätigkeit zweckmäßiger gewesen wären, kann dahinstehen. Der Art 3 GG fordert nicht die zweckmäßigste Lösung, er wehrt nur einer unsachlichen, dh willkürlichen Regelung (vgl BVerfGE 51, 287, 300 mwN).

Der § 12 ZVALG verstößt auch nicht insoweit gegen den Gleichheitssatz, als er eine freiwillige Beitragsleistung nicht genügen läßt, auch nicht, wenn der Antragsteller in dieser Zeit in der Landwirtschaft - nicht versicherungspflichtig - tätig war. Denn das Gesetz will nicht alle in der Landwirtschaft Tätigen begünstigen, sondern nur diejenigen, die als Arbeitnehmer nach Maßgabe des Tarifvertrages über eine Zusatzversorgung vom 20. November 1973 (der dem Erfahrungsbericht zum ZVALG, BT-Drucks 8/712, als Anhang 10.1 beigefügt ist) versichert worden wären, wenn der Tarifvertrag früher in Kraft getreten wäre (vgl. hierzu SozR 5866 § 12 Nr 3 auf Bl 9).

Die geprüfte Regelung verletzt schließlich nicht das Sozialstaatsprinzip. Dieses darf nicht dahin ausgelegt werden, daß mit seiner Hilfe Regelungen, deren Anwendung in bestimmten Fällen zu Härten oder Unbilligkeiten führt, modifiziert werden könnten (vgl BVerfGE 59, 287, 301 mwN).

Die Revision des Klägers war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BSGE, 166

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge