Leitsatz (amtlich)
Wird die wegen Verstoßes gegen § 54 SGB 1 fehlerhafte Pfändung und Überweisung einer Rentenforderung durch einen späteren Beschluß des Vollstreckungsgerichts uneingeschränkt aufgehoben, so kann der Vollstreckungsgläubiger auch hinsichtlich der vor der Aufhebung fällig gewordenen Rentenbeträge keine Zahlung mehr an sich verlangen.
Normenkette
SGB 1 § 54 Fassung: 1975-12-11; ZPO §§ 832, 836
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 10.03.1982; Aktenzeichen L 4 An 84/81) |
SG Lübeck (Entscheidung vom 01.09.1981; Aktenzeichen S 7 An 59/81) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Auszahlung gepfändeter und überwiesener Rentenbeträge nach der Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
Die Beigeladene bezieht von der Beklagten Witwenrente in monatlicher Höhe von 380,90 DM ab Januar 1979 und 396,20 DM ab Januar 1980. Auf Antrag der Klägerin erließ das Amtsgericht (AG) Hamburg am 9. Februar 1979 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, mit dem wegen einer der Klägerin (Gläubigerin) zustehenden titulierten Forderung in Höhe von 1.086,-- DM zuzüglich Zinsen und Kosten die "Kriegswitwenrente in Höhe von monatlich 147,-- DM" gepfändet und überwiesen wurde. Der Beschluß wurde der Beklagten (Drittschuldnerin) noch im Februar 1979 zugestellt, die jedoch keine Zahlungen an die Klägerin leistete, die Rentenzahlung an die Beigeladene allerdings mit Ablauf des Monats April 1980 einstellte. Auf die im März 1980 von der Beklagten erhobene Erinnerung hob das AG Hamburg durch Beschluß vom 29. August 1980 den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß mit der Maßgabe auf, daß der Aufhebungsbeschluß erst mit seiner Rechtskraft wirksam werde. Zur Begründung führte das Gericht aus, daß der Zugriff auf die Rente gegen "§ 54 SGB" - gemeint: § 54 Sozialgesetzbuch, Allg Teil (SGB I) - verstoße, da die von der Beigeladenen bezogene Sozialhilfe erhöht werden müßte, wenn die Witwenrente im Wege der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise an die Klägerin zu zahlen wäre. Mit der Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses sei der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß nicht mehr existent mit der Folge, daß die Witwenrente ohne Einschränkung an die Beigeladene auszuzahlen sei. So gesehen wirke die Aufhebungsentscheidung ex nunc. Über die Frage, ob die Beklagte aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses für die Vergangenheit die beschlagnahmte Rente an die Klägerin auszukehren habe, sei nicht zu entscheiden; es solle jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß von Anfang an fehlerhaft gewesen sei.
Im November 1980 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Auszahlung der vom 9. Februar 1979 bis 29. August 1980 angefallenen Rentenbeträge. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 3. Dezember 1980 ab; aus dem aufgehobenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß könnten keine Rechte mehr hergeleitet werden.
Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos. Nach der Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) wäre die Beklagte zu Zahlungen an die Klägerin allenfalls dann verpflichtet, wenn der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß lediglich mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben worden wäre; dem Aufhebungsbeschluß sei jedoch nicht zu entnehmen, ob die Aufhebung rückwirkend erfolgt sei oder nicht; wäre eine Entscheidung hierzu ergangen, hätte der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß wegen der von Anfang an bestehenden Rechtswidrigkeit mit rückwirkender Kraft aufgehoben werden müssen. Selbst bei bloßer Aufhebung für die Zukunft könne jedoch die Klägerin die Beklagte nicht auf Zahlung in Anspruch nehmen, weil sie damit gegen Treu und Glauben verstoßen würde; sie würde eine formelle Rechtsposition ausnutzen, die sie nur habe erlangen können, weil das Vollstreckungsgericht bei Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses § 54 SGB I nicht berücksichtigt habe.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin, das LSG habe verkannt, daß einer Aufhebung von Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen im Erinnerungsverfahren keine Rückwirkung zukomme. Auch bei einem Verstoß gegen § 54 SGB I sei ein solcher Beschluß nicht nichtig, sondern nur anfechtbar und damit bis zu seiner Aufhebung wirksam. Bei seinen Ausführungen zu Treu und Glauben habe das LSG übersehen, daß die bloße Fehlerhaftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung die Berufung darauf grundsätzlich nicht ausschließe; besondere Umstände, bei deren Vorliegen etwas anderes gelten könnte, seien hier nicht gegeben.
Die Klägerin beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie den angefochtenen Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit vom 9. November 1979 bis zur Verbindlichkeit des Beschlusses des Amtsgerichts Hamburg vom 29. August 1980 gemäß dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 9. Februar 1979 die Ansprüche der Beigeladenen aus der Hinterbliebenenrente in Höhe des geltend gemachten Schuldtitels an die Klägerin auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Als Grundlage für das Begehren der Klägerin kommt allein der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 9. Februar 1979 in Betracht, durch den der Rentenanspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte in Höhe von monatlich 147,-- DM gepfändet und der Klägerin zur Einziehung überwiesen worden war. Ein solcher Beschluß versetzt den Gläubiger in die Lage, vom Drittschuldner die Auszahlung der gepfändeten Forderung zu verlangen (BGHZ 82, 28, 31). Durch seine Aufhebung im Erinnerungsverfahren wurde jedoch der Beschluß vom 9. Februar 1979 mit der Wirkung beseitigt (vgl BGHZ 66, 394 f), daß aus ihm jedenfalls fortan Rechte nicht mehr hergeleitet werden konnten. Dabei kann unterstellt werden, daß der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß bis zur Aufhebung zwar fehlerhaft, aber dennoch wirksam gewesen ist (BGHZ 30, 173, 175, MDR 1980, 1016). Denn auch in diesem Falle hat der Aufhebungsbeschluß von seinem Wirksamwerden an der Klägerin die Befugnis genommen, sich aus der zunächst gepfändeten Forderung zu befriedigen. Durch den Aufhebungsbeschluß ist der frühere Pfändungs- und Überweisungsbeschluß uneingeschränkt, dh hinsichtlich aller Rentenbeträge, auf die er sich erstreckt hatte (§ 832 der Zivilprozeßordnung -ZPO-), aufgehoben worden; insoweit ist der Klägerin keine Rechtsposition mehr verblieben. Daß das Vollstreckungsgericht eine solche uneingeschränkte Aufhebung gewollt hat, ergibt sich neben dem Entscheidungssatz aus der Begründung, daß der Vollstreckungsakt von Anfang an fehlerhaft gewesen sei.
Daß aus einem "ex nunc" wirkenden Aufhebungsbeschluß nicht gefolgert werden kann, er lasse in der Vergangenheit begründete Rechtspositionen unberührt, wird vollends deutlich, wenn die gepfändete Forderung nicht, wie hier, wiederkehrende Leistungen, sondern eine einmalige Leistung zum Gegenstand hat. Es kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, daß der Gläubiger eine gepfändete und überwiesene Forderung auf eine einmalige Leistung nicht mehr einziehen darf, sobald der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß aufgehoben ist; die Aufhebung hätte sonst keinerlei Wirkung, der Vollstreckungsschuldner bliebe ungeschützt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum für einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen etwas anderes gelten sollte, wenn der Aufhebungsbeschluß keine Einschränkungen auf bestimmte Einzelforderungen enthält. Daß allein diese Betrachtungsweise dem Willen des Gesetzgebers entspricht, wird durch § 836 Abs 2 ZPO bestätigt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Überweisungsbeschluß, "auch wenn er mit Unrecht erlassen ist", zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber so lange als rechtsbeständig, bis er aufgehoben wird und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt. Das bedeutet, daß der Drittschuldner bis dahin durch eine Leistung an den Gläubiger befreit wird. Im Gegenschluß folgt daraus, daß der Drittschuldner danach nicht mehr mit befreiender Wirkung an den Gläubiger zahlen kann; damit wäre es unvereinbar, wenn der Gläubiger auch nach der Aufhebung noch Zahlung an sich verlangen könnte.
Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG).
Fundstellen