Leitsatz (amtlich)
Die versicherungspflichtigen Hinterbliebenen eines Rentners (RVO § 165 Abs 1 Nr 4), der mangels eines Antrags nach KVdRG Art 2 § 1 Abs 1 bis zu seinem Tode Mitglied der bis zum Inkrafttreten des KVdRG zuständigen AOK geblieben ist, gehören der AOK auch dann als Mitglied an, wenn der Rentner während des letzten Beschäftigungsverhältnisses oder zuletzt vor Stellung des Rentenantrages Mitglied einer IKK gewesen ist.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1957-07-27, § 250 Abs. 5 Fassung: 1956-06-12; KVdRG Art. 2 § 1 Abs. 1 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. September 1961 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Beigeladenen die etwa entstandenen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der frühere Ehemann der beigeladenen Rentnerin Katharina A hatte vom 1. Mai 1940 an von der Landesversicherungsanstalt Westfalen Rente bezogen. Daher war er auf Grund des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 bei der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) gegen Krankheit versichert gewesen. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) am 1. August 1956 hätte er sich auf Grund des Art. 2 § 1 dieses Gesetzes für die Mitgliedschaft bei der Klägerin entscheiden können, weil er während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages mehr als 52 Wochen Mitglied der klagenden Innungskrankenkasse (IKK) gewesen war. Er erklärte jedoch am 10. September 1956, Mitglied der Beklagten bleiben zu wollen. Am 10. April 1959 ist er gestorben.
Als seine Ehefrau, die Beigeladene, nach seinem Tode Hinterbliebenenrente beantragte, übersandte das Versicherungsamt ihre Anmeldung zur Krankenversicherung (KrV) an die Beklagte, Diese stellte sich jedoch in dem der Beigeladenen unter dem 30. April 1959 erteilten und mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid auf den Standpunkt, daß nicht sie, die AOK, sondern die IKK - die Klägerin - nach § 250 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zuständig sei, weil der verstorbene Ehemann während seines letzten Beschäftigungsverhältnisses nicht bei ihr, sondern bei der Klägerin versichert gewesen sei. Die Beigeladene erhob hiergegen keinen Widerspruch.
Die klagende IKK ist dagegen der Meinung, die beklagte AOK sei zuständig, weil der Versicherte, von dem die Beigeladene ihren Rentenanspruch herleite, bis zu seinem Tode dieser Krankenkasse als Mitglied angehört habe.
Die Klägerin hat deshalb Anfang Juli 1959 Klage erhoben und beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte der für die Rentner-Krankenversicherung der Beigeladenen zuständige Versicherungsträger ist.
Mit Urteil vom 25. April 1961 hat das Sozialgericht (SG) Duisburg der Klage stattgegeben. Es geht davon aus, der der Beigeladenen erteilte Bescheid der Beklagten vom 30. April 1959 stehe der Klage nicht entgegen, weil die Klägerin an jenem Verwaltungsverfahren nicht beteiligt gewesen sei. Das SG hält die beklagte AOK zur Durchführung der KrV für verpflichtet, weil dem Gesetz zu entnehmen sei, daß die Mitgliedschaft der Hinterbliebenen eines Rentners der Mitgliedschaft des Rentners folge.
Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung ist vom Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen durch Urteil vom 5. September 1961 zurückgewiesen worden. Das Berufungsgericht billigt zunächst die Auffassung, daß der Bescheid der Beklagten vom 30. April 1959 der Klage nicht entgegenstehe. In diesem Bescheid lehne die Beklagte die Durchführung der KrV der Beigeladenen ab und verweise sie an die Klägerin als die Kasse, bei der der verstorbene Ehemann zuletzt vor Stellung seines Rentenantrages auf Grund seiner Beschäftigung versichert gewesen sei. Hätte dieser Bescheid Bestand und stünde damit ein für allemal fest, daß die Beklagte nicht zuständig sei, so könnte dadurch das Rechtsschutzinteresse für die Klage entfallen, weil mit ihr gerade das erstrebt werde, was die Beklagte in dem Bescheid vom 30. April 1959 abgelehnt habe. Das SG habe jedoch zutreffend ausgeführt, daß jener Bescheid nicht gegen die Klägerin wirke, weil sie an dem Verwaltungsverfahren, in dem die Beklagte über ihre Zuständigkeit entschieden habe, nicht beteiligt gewesen sei. Dieser Verwaltungsakt entspreche auch nicht der Rechtslage und belaste deshalb die Beigeladene. Infolgedessen ergebe sich aus Art. 20 des Grundgesetzes (GG) für die Beklagte die Pflicht, den Bescheid aufzuheben (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band, 7. Aufl. § 12 S. 209; Wolff, Grundriß des Verwaltungsrechts, § 51 Abschn. IV). Mindestens könne sich die Beklagte der Klägerin gegenüber nicht mehr auf den Bescheid berufen (vgl. BSG 7, 152, 156). Das ergebe sich auch daraus, daß die Zuständigkeitsvorschriften in erster Linie dem staatlichen Interesse dienten (Forsthoff aaO S. 214) und es damit unvereinbar wäre, wenn als Folge bindend gewordener Verwaltungsakte ein negativer Kompetenzkonflikt eintrete.
Auch in der Zuständigkeitsfrage folgt das Berufungsgericht dem SG. Wäre der verstorbene Ehemann erst unter der Geltung des KVdR Rentner geworden, so unterläge es allerdings keinem Zweifel, daß er nach § 250 Abs. 5 RVO Mitglied der Klägerin geblieben wäre und daß nach seinem Tode seine Ehefrau gleichfalls die Mitgliedschaft der Klägerin erworben hätte (§ 250 Abs. 5 letzter Halbsatz). Dieselbe Wirkung wäre eingetreten, wenn der verstorbene Ehemann sich 1956 für die Klägerin entschieden hätte. Beide Alternativen lägen jedoch nicht vor. Deshalb richte sich entgegen der Auffassung der Beklagten die Mitgliedschaft der Beigeladenen nicht nach § 250 Abs. 5 RVO. Die Anwendung dieser Vorschrift setze voraus, daß zunächst der Ehemann als Rentner Mitglied der Klägerin geworden sei, was jedoch für diesen gerade nicht zutreffe, weil er auf Grund des Art. 2 § 1 KVdR und der von ihm getroffenen Wahl Mitglied der AOK geblieben sei. In § 235 Abs. 3, § 243 Abs. 2, § 245 Abs. 5 und § 250 Abs. 5 RVO kehre ständig der Satz wieder, daß die für den Personenkreis des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO geltende Zuständigkeitsvorschrift auch für deren Hinterbliebene gelte. Auch Schmatz/Pöhler (Die Rentner-Krankenversicherung S. 59) betonten, daß sich die Kassenzuständigkeit für die versicherungspflichtigen rentenberechtigten Hinterbliebenen nach der Kassenzuständigkeit der Personen richte, von der die Hinterbliebenen ihre Rentenberechtigung ableiten. Dieselbe Meinung vertrete das aus Anlaß des Inkrafttretens des KVdR herausgegebene "Amtliche Merkblatt" unter Ziff. 3 (abgedruckt bei Jantz, Krankenversicherung der Rentner, S. A 11). Deshalb sei die Beigeladene, wie ihr verstorbener Ehemann, Mitglied der Beklagten. Diese Lösung habe zudem den Vorteil für die Hinterbliebene, daß sie in der Obhut der Kasse verbleibe, die für sie schon bisher auf Grund der Vorschriften über die Familienhilfe eingetreten sei.
Dagegen hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt mit dem Antrage,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. September 1961 und des Urteils des SG Duisburg vom 25. April 1961 die Klage abzuweisen.
Gerügt wird unrichtige Anwendung des § 250 RVO. Die Beigeladene falle, wie das LSG zutreffend festgestellt habe, unter den in § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO bezeichneten Personenkreis. Ihr verstorbener Ehemann sei während seines letzten Beschäftigungsverhältnisses bei der beklagten IKK versichert gewesen. Mithin sei der Tatbestand des § 250 Abs. 5 RVO erfüllt. Demgegenüber seien allerdings die Vorinstanzen der Auffassung, die fragliche Regelung sei unvollständig und bedürfe deshalb der Ergänzung bzw. Modifizierung durch den Grundsatz, die Versicherung der Hinterbliebenen folge stets der Versicherung des verstorbenen Rentners. Wäre das richtig, so bestimme allerdings die für den verstorbenen Ehemann (ausnahmsweise - vgl. Art. 2 § 1 KVdR -) begründete Zuständigkeit der AOK auch die für seine hinterbliebene Ehefrau zuständige Kasse. Es erscheine jedoch fraglich, ob ein solches Motiv ohne weiteres eine rechtliche Kopplung herstelle. Der Hinweis des LSG auf die mit § 250 Abs. 5 RVO gleichlautenden Vorschriften (§ 235 Abs. 3, § 243 Abs. 2 und § 245 Abs. 5 RVO) greife nicht durch, weil schon aus der Natur der Sache folge, daß unmittelbar im Anschluß an die die Rentner betreffenden Dinge die gleichen Gegenstände für die Hinterbliebenen der Rentner zu regeln gewesen seien. Der Schluß, es handele sich bei dieser Aufeinanderfolge um eine rechtliche Kopplung, sei also nicht zwingend. Der vom LSG angenommene Grundsatz hätte daher nur dann seine Berechtigung, wenn ein Kassenwechsel für die Hinterbliebenen mit Gefahren oder einschneidenden Nachteilen verbunden wäre. Das sei jedoch nicht der Fall. Dann aber bestehe kein zwingender Grund, ein Gesetz (§ 250 Abs. 5 RVO) anders auszulegen, als sich aus seinem Wortlaut ergebe.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.
Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.
II
Die Revision der Beklagten kann keinen Erfolg haben. Der nach § 55 Abs. 1 SGG zulässigen Feststellungsklage der IKK gegen die AOK haben die Vorinstanzen zu Recht stattgegeben.
Dabei haben sowohl das SG als auch das LSG aus zutreffenden Erwägungen angenommen, daß der Bescheid der beklagten AOK vom 30. April 1959 dem Klagebegehren nicht entgegensteht. Dieser Bescheid konnte, weil er von der Beigeladenen nicht angefochten worden ist, allenfalls ihr gegenüber eine bindende Wirkung nach § 77 SGG erlangen. Das galt aber nicht gegenüber der Klägerin, da der genannte Verwaltungsakt nur gegenüber der Beigeladenen ergangen ist, zumal die beklagte AOK gar nicht berechtigt gewesen wäre, gegenüber der ihr gleichgeordneten Klägerin durch Verwaltungsakt zu entscheiden.
In der Sache selbst haben die Vorinstanzen zu Recht die Beklagte für die KrV der beigeladenen Rentnerin als zuständig angesehen. Zwar gehören nach § 250 Abs. 5 RVO in die IKK u. a. die in § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO bezeichneten Versicherten, die während des letzten Beschäftigungsverhältnisses Mitglieder nach Abs. 2 Satz 1 waren, und dies gilt auch für ihre nach § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO versicherten Hinterbliebenen, wozu die Beigeladene gehört. Bei einer rein wörtlichen Auslegung, wie sie die Beklagte vertritt, würde hiernach allerdings die Beigeladene zur IKK gehören, weil ihr Ehemann vor Stellung des Rentenantrags bei dieser Kasse versichert gewesen war.
Nach der amtlichen Begründung für die Neuregelung der KVdR (BT-Drucks. Nr. 1234 - 2. Wahlperiode - S. 9 und 12) sollten die Rentner jedoch auch an ihrem Lebensabend möglichst von derselben Kasse betreut werden, der sie schon bisher angehört und an die sie ihre Beiträge entrichtet haben. Aus diesem Grundgedanken ist mit Recht gefolgert worden, daß bei Hinterbliebenen nach § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO die Zuständigkeit der Betriebskrankenkassen, der Innungskrankenkassen und der besonderen Ortskrankenkassen, die nach dem Personenprinzip ausgerichtet sind, sich immer nach dem Verstorbenen richtet, aus dessen Mitgliedschaft zur Rentenversicherung die Hinterbliebenenrente fließt (vgl. Peters, Handbuch der KrV § 243 RVO Anm. 2, § 245 RVO Anm. 9 b, § 250 RVO Anm. 11 f, § 235 RVO Anm. 4 d; Brackmann, Handbuch der SozVers Bd. II S. 450 b II letzter Absatz, 450 c, d, und e). Mit diesem Grundgedanken stünde es im Widerspruch, wenn man für den Hinterbliebenen eines für den Fall der Krankheit versicherten Rentners, der von dem Antragsrecht nach Art. 2 § 1 Abs. 1 Satz 1 KVdR keinen Gebrauch gemacht und deshalb die Mitgliedschaft bei der nach § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse bis zu seinem Tode festgesetzt hat, von § 250 Abs. 5 RVO ausgehen wollte. Bei seiner Anwendung würde die Beigeladene gerade nicht Mitglied derjenigen Kasse bleiben, die schon bisher zur Leistung der Familienhilfe verpflichtet war, sondern Mitglied der IKK werden, der ihr Ehemann zwar früher einmal angehört hat, zu der er aber nach Inkrafttreten des KVdR nicht übertreten wollte. Somit gehört die beigeladene Rentnerin zur beklagten AOK. Die Vorinstanzen haben deshalb zu Recht die beklagte AOK als die für die Versicherung der Beigeladenen zuständige Krankenkasse angesehen.
Die Revision ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen