Leitsatz (redaktionell)
Abgrenzung der Ansprüche auf Krankengeld und auf Übergangsgeld der UV; Ersatzanspruch nach RVO § 1504 Abs 1: 1. Übersteigt das Krankengeld das Übergangsgeld der gesetzlichen UV, so fällt bei berufsgenossenschaftlicher Heilbehandlung der Anspruch gegen den Träger der KV nur in Höhe des Übergangsgeldes weg (RVO § 565 Abs 2 S 2); der Krankengeld-Spitzbetrag ist neben dem Übergangsgeld als Leistung der KV zu zahlen.
Der im Falle berufsgenossenschaftlicher Heilbehandlung neben dem Übergangsgeld gezahlte Krankengeld-Spitzbetrag (RVO § 565 Abs 2 S 2) ist der KK nach RVO § 1504 Abs 1 zu ersetzen.
Normenkette
RVO § 565 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1963-04-30, § 183 Abs. 6 Fassung: 1974-08-07, § 1504 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 03.11.1976; Aktenzeichen S 6 U 356/75) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 3. November 1976 wird zurückgewiesen.
Tatbestand
Der bei der Klägerin gegen Krankheit und bei der Beklagten gegen Arbeitsunfall versicherte selbständige Unternehmer Kurt P (P.) erlitt am 25. Juni 1975 einen Arbeitsunfall, wegen dessen Folgen er bis zum 24. August 1975 arbeitsunfähig war. Die Beklagte nahm P. in berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung und gewährte ihm für die Dauer der ersten sechs Wochen nach dem Unfall (26. Juni bis 6. August 1975) Übergangsgeld in Höhe von täglich 36,- DM. Dabei ging sie von einem durch die Satzung bestimmten Jahresarbeitsverdienst von 16.200,- DM aus. Mit Schreiben vom 6. August 1975 teilte sie der Klägerin mit, die Klägerin solle von Beginn der 7. Woche an (7. August 1975) Übergangsgeld in Höhe von 36,- DM täglich auszahlen.
Die Klägerin machte einen Ersatzanspruch für die Zeit vom 7. bis 24. August 1975 in Höhe von 1.039,40 DM geltend, dem sie ein tägliches Krankengeld von 56,- DM zugrunde legte. Die Beklagte lehnte den Ersatzanspruch insoweit ab, als er den Betrag von 36,- DM pro Kalendertag überstieg.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 3. November 1976 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Ersatz in Höhe von weiteren 360,- DM zu leisten. Es hat ausgeführt: Bestehe ein Leistungsanspruch des Verletzten gegenüber seiner Krankenversicherung nach den Vorschriften dieser Versicherung, so habe die Beklagte auch im Wege des Ersatzanspruches insoweit für die von der Klägerin erbrachten höheren Leistungen aufzukommen. Wegen der Regelung in § 565 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei § 183 Abs. 6 RVO nicht anwendbar.
Das SG hat im Urteil die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat mit Zustimmung der Klägerin dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie trägt vor: Übernehme nach einem Arbeitsunfall der Träger der Unfallversicherung die Heilbehandlung und die Zahlung der während der Heilbehandlung zu gewährenden Geldleistungen, fielen Ansprüche gegen den Träger der Krankenversicherung insoweit weg und würden durch die Ansprüche nach den §§ 557 bis 564 RVO ersetzt. Dem Versicherten sei in diesem Fall Übergangsgeld zu gewähren. Solange aber Übergangsgeld bezogen werde, ruhe der Anspruch auf Krankengeld. Da der Gesetzgeber keinerlei Einschränkungen gemacht habe, könne unter "Ruhen" im Sinne des § 183 Abs. 6 RVO nur ein Ruhen in vollem Umfange verstanden werden. Seit dem Rehabilitations-Angleichungsgesetz bestehe in der Rentenversicherung eine ähnliche Regelung. Diese Regelung entspreche voll und ganz der in § 183 Abs. 6 RVO. Der Gesetzgeber habe also im Interesse der mit dem Gesetz angestrebten Vereinheitlichung der Leistungen zur Rehabilitation auch für die Betreuten ungünstigere Lösungen in Kauf genommen. Es könne auch nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, daß der Unfallversicherungsträger nach einem Versicherungsfall Barleistungen erbringen müsse, die in keiner Weise mit dem von ihm beitragsmäßig übernommenen Versicherungs- und Leistungsrisiko in Einklang zu bringen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Nach den tatsächlichen Feststellungen des SG war der Verletzte P. wegen der Folgen des Arbeitsunfalles über die sechste Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus bis zum 24. August 1975 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte hat gemäß § 1504 RVO die Kosten mit Ausnahme der Krankenpflege zu erstatten, die der Klägerin in dieser nach dem 18. Tag nach dem Arbeitsunfall liegenden Zeit entstanden sind.
Die Klägerin hatte im Rahmen ihrer Vorleistungspflicht (s. § 565 Abs. 1 RVO) ihrem Mitglied P. während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit Krankengeld zu zahlen. Die Beklagte hatte P. jedoch nach dem Arbeitsunfall in berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung genommen. Damit hatte sie P. gemäß § 565 Abs. 2 Satz 1 RVO nicht nur Heilbehandlung zu gewähren, sondern auch die während dieser Zeit zu gewährenden Geldleistungen zu erbringen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl., S. 562 d; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 565 Anm. 5 Buchst. c - jeweils mit weiteren Nachweisen). P. hatte demnach für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit wegen der Folgen des Arbeitsunfalles Anspruch auf Übergangsgeld. Nach § 565 Abs. 2 Satz 2 RVO entfielen die Ansprüche des P. gegen die Klägerin insoweit, als die Beklagte die Gewährung der Heilbehandlung und die Zahlung von Übergangsgeld übernommen hatte. Gemäß Nr. 3.2. der gemeinsamen Erläuterungen i. d. F. vom 29. April 1975 zur Verwaltungsvereinbarung über die Berechnung und Auszahlung des Übergangsgeldes vom 28. Juni 1963 i. d. F. der 7. Änderungsvereinbarung vom 30. Januar 1973 (abgedruckt bei Lauterbach aaO § 560 Anm. 28) wartete die Klägerin die Mitteilung der Beklagten vom 6. August 1975 ab, bevor sie an den bei ihr nur freiwillig versicherten P. Übergangsgeld entsprechend der Verwaltungsvereinbarung zahlte. Für die Zeit der Zahlung von Übergangsgeld fiel nach § 565 Abs. 2 Satz 2 RVO der Anspruch des P. gegen die Klägerin nur insoweit weg, als die Beklagte Übergangsgeld zahlte. Ein darüber hinausgehender Anspruch gegen die Klägerin auf den Restbetrag eines höheren Krankengeldes blieb nach dieser Vorschrift bestehen.
Nach § 183 Abs. 6 RVO i. d. F. seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) am 1. Oktober 1974 ruht jedoch der Anspruch auf Krankengeld, solange der Versicherte Übergangsgeld bezieht. Diese Vorschrift beschränkt sich nicht mehr wie § 183 Abs. 6 Satz 1 RVO i. d. F. vor Inkrafttreten dieses Gesetzes auf das Übergangsgeld aus der Rentenversicherung, sondern erfaßt auch das Übergangsgeld aus der Unfallversicherung. Dies folgt auch aus der Änderung des § 560 Abs. 2 RVO, die nicht verständlich wäre, wenn § 183 Abs. 6 RVO nicht für das Übergangsgeld aus der Unfallversicherung gelten würde. Die amtliche Begründung zur Änderung des § 560 Abs. 2 RVO (BT-Drucks. 7/1237, hier S. 67 zu § 21 Nr. 38 Buchst. b) bestätigt insoweit diese Auslegung. Nach wohl einhelliger Auffassung ruht das Krankengeld bei Bezug von Übergangsgeld unabhängig davon, ob dieses höher oder niedriger als das Krankengeld ist (s. Brackmann aaO S. 397; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 183 Anm. 10 Buchst. c; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl., § 183 Anm. 18; Marburger, Die Sozialversicherung 1975, 37, 39). Daraus wird zum Teil geschlossen, auch während einer berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung ruhe stets ein an sich verbliebener sog. Krankengeldspitzbetrag (so Peters aaO; Jung/Preuß, Rehabilitation, 2. Aufl. 1975, S. 232; vgl. auch die Besprechung der Spitzenverbände der Krankenversicherung und der Unfallversicherung vom 29. April 1975 in: Die Leistungen 1975, 274). Die Gegenmeinung, die Krankenkasse habe in diesen Fällen weiterhin den sog. Krankengeldspitzbetrag zu zahlen und die Berufsgenossenschaft habe ihr diesen Betrag im Rahmen des § 1504 RVO zu ersetzen, wird von Podzun (Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 415 S. 13) und Strecker (Die Sozialversicherung 1974, 321, 322) vertreten. Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften ist der Auffassung, daß der Träger der Unfallversicherung einen gezahlten Krankengeldspitzbetrag der Krankenkasse jedenfalls zu ersetzen habe (Rundschreiben VB 109/75 vom 25. Juni 1975).
Es spricht vieles dafür, bei Übernahme des Versicherten in berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung § 565 Abs. 2 Satz 2 RVO, der nach § 5 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (aaO) unberührt bleibt, nach seinem Wortlaut und der Gesetzessystematik als die speziellere Vorschrift gegenüber § 183 Abs. 6 RVO anzusehen. Die Zahlung des Krankengeldspitzbetrages rechtfertigt sich, wie der Senat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten und den Beteiligten abschriftlich zugesandten Urteil vom 9. Dezember 1976 (2 RU 39/76) bereits entschieden hat, jedenfalls insbesondere nach Sinn und Zweck des § 565 RVO. An dieser Entscheidung hält der Senat auch nach erneuter Prüfung seiner Rechtsauffassung fest. Zahlt der Träger der Krankenversicherung im Rahmen seiner unverändert bestehenden Vorleistungspflicht gemäß § 565 Abs. 1 RVO Krankengeld, so wird dem Verletzten - sofern die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind - daneben weiterhin ein Übergangsgeldspitzbetrag gezahlt. Dieser Spitzbetrag führt nach § 560 Abs. 2 RVO nicht zum Ruhen des Krankengeldes. Es erbringen insoweit unverändert zwei Sozialversicherungsträger Leistungen, und es werden insofern weiterhin Aufstockungsbeträge gezahlt, so daß die Einheit des Leistungsträgers im Verhältnis Kranken- und Unfallversicherungsträger doch nicht so konsequent durchgeführt ist, wie die Beklagte meint. Die Neufassung des § 560 Abs. 2 RVO soll u. a. vermeiden, daß der Versicherte geringere Geldleistungen erhält, weil er nach dem Arbeitsunfall aufgrund der Entscheidung des Unfallversicherungsträgers nicht in berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung übernommen, sondern in kassenärztlicher Behandlung geblieben ist. Ohne die Regelung in § 560 Abs. 2 RVO würde der Übergangsgeldspitzbetrag aber zum Ruhen des höheren Krankengeldes führen. Für die Beklagte ist dies nicht ersichtlich. Solange der Verletzte jedoch in kassenärztlicher Behandlung steht, hat er Anspruch auf Leistungen gegen die Krankenkasse. Insoweit bestehen nach § 565 Abs. 2 Satz 2 RVO keine Ansprüche gegen den Unfallversicherungsträger. Soweit das Übergangsgeld höher als das Krankengeld ist, hat der Träger der Unfallversicherung dem Verletzten den sog. Übergangsgeldspitzbetrag zu zahlen. Da also in diesen Fällen Übergangsgeld, wenn auch in Höhe des sog. Spitzbetrages gezahlt wird, würde dieser Teil des Übergangsgeldes zum Ruhen des gesamten Krankengeldanspruches führen. Dieses Ergebnis soll § 560 Abs. 2 RVO vermeiden, wie auch die Entstehungsgeschichte (s. BT-Drucks. 7/1237) dieser Vorschrift zeigt, da in Verbindung mit ihr, wie auch die Beklagte selbst aufgezeigt hat (s. S. 2 des Schriftsatzes vom 25. Februar 1977, letzter Absatz), nicht nur auf § 165 Abs. 1 Nr. 4 und § 1227 Abs. 1 Nr. 8 a RVO, sondern auch auf § 183 Abs. 6 RVO verwiesen wird. Es ist aber gleichfalls kein Grund ersichtlich (s. insoweit auch Lauterbach aaO § 565 Anm. 6), den Verletzten schlechter zu stellen, wenn er - wieder aufgrund der Entscheidung des Unfallversicherungsträgers - nicht in kassenärztlicher Krankenbehandlung bleibt, sondern in berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung genommen wird. Eine dem § 560 Abs. 2 RVO entsprechende ausdrückliche Klarstellung im Gesetz ist insoweit wohl unterblieben, weil der Gesetzgeber davon ausging, daß wegen der unterschiedlichen Jahresarbeitsverdienstgrenzen in der Unfall- und Krankenversicherung zwar das Krankengeld niedriger, nicht aber höher als das Übergangsgeld aus der Unfallversicherung sein könne (s. auch BSG SozR 4100 § 158 Nr. 1 - am Ende; Herrmann, Die Leistungen 1975, 1, 2; Hutterer, Die Leistungen 1975, 353, 356). Der zum Ausgleich einer sonst eintretenden Schlechterstellung des Verletzten gezahlte Krankengeldspitzbetrag ist demnach der Krankenkasse von dem Träger der Unfallversicherung nach § 1504 RVO zu ersetzen (ebenso Podzun aaO; Strecker aaO; Hutterer aaO S. 357; Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften aaO; a. A. Peters aaO). Damit wird insoweit die bisherige Regelung, wie vom Gesetzgeber grundsätzlich beabsichtigt (s. BT-Drucks. 7/1237, hier S. 64 zu § 21 Nr. 8), beibehalten. Entgegen der Auffassung der Beklagten scheidet ihre Ersatzpflicht hinsichtlich des Krankengeldspitzbetrages auch nicht aus, weil sie Leistungen aus der Unfallversicherung in dieser Höhe nicht hat erbringen müssen (vgl. u. a. BSGE 32, 166, 167; 33, 69, 70; BSG SozR Nr. 8 zu § 1504 RVO). Die Beklagte meint, gegen die Auffassung des Senats spreche, daß das hier allein in Betracht kommende Unternehmer-Versicherungsverhältnis geprägt sei von der Freiwilligkeit und diese Versicherten daher die Höhe der Versicherungsleistungen selbst bestimmen könnten. Es ist jedoch zu beachten, daß es schon nicht in der Entscheidung des Unternehmers liegt, ob er in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert oder freiwillig versichert ist (s. § 543 RVO). Ebenso ist zu berücksichtigen, daß nicht alle freiwillig versicherten Unternehmer kraft Satzung Einfluß auf die Bestimmung der Höhe ihres Jahresarbeitsverdienstes haben. Demgegenüber kann der Versicherungsträger die Höhe und Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes in der Satzung so bestimmen, daß insoweit die Höhe der insgesamt für den auch in einer gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Unternehmer aufzubringenden Leistungen von entsprechend berechneten Beiträgen gedeckt wird.
Eine Kostenentscheidung entfällt (s. § 193 Abs. 4 SGG).
Fundstellen