Leitsatz (redaktionell)
Die Neufassung der DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 5 Abs 1 vom 1968-02-28 beinhaltet keine zur Neufeststellung des Schadensausgleichs ermächtigende wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des BVG § 62 Abs 1 (Anschluß an BSG 1970-03-17 9 RV 260/69 = SozR Nr 40 zu § 62 BVG).
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3 Fassung: 1966-12-28, § 40a Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, § 62 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, § 30 Abs. 3 DV § 5 Abs 1 Fassung: 1968-02-28, § 30 Abs 3 u 4 DV § 13 Abs. 1 Fassung: 1968-02-28
Tenor
Die Sprungrevision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 11. Juni 1969 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Mit Bescheid vom 3. November 1966 bewilligte das Versorgungsamt (VersorgA) E der Klägerin als Witwe des im Jahre 1945 verstorbenen selbständigen Landwirts W M (M.) einen Schadensausgleich nach § 40 a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Der Berechnung dieses Schadensausgleichs legte es nach § 5 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (1964) die Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) zugrunde. Es berücksichtigte hierbei, daß M. eine landwirtschaftliche Lehre durchgemacht und daß er zwei Winterhalbjahre eine landwirtschaftliche (Winter-) Fachschule (in K, Kreis F) besucht hat. Den Besuch dieser Schule setzte es nach § 5 Abs. 1 DVO "dem erfolgreichen Besuch einer Mittelschule" gleich.
Mit Bescheid vom 7. November 1968 stellte das VersorgA den Anspruch der Klägerin neu fest; es bewilligte der Klägerin vom 1. Januar 1967 an nur noch einen geringeren Schadensausgleich, den es nach einem Vergleichseinkommen der Besoldungsgruppe A 7 BBesG berechnete. Diese Neufeststellung stützte es auf § 62 Abs. 1 BVG. Dazu wies es darauf hin, daß nach der Neufassung der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (durch die VO vom 28. Februar 1968) der Besuch einer landwirtschaftlichen Schule, wie der des M., nicht mehr dem Abschluß einer Mittelschule gleichgesetzt werden könne, weil es sich nicht um eine allgemeinbildende Schule gehandelt habe, diese Schule vielmehr nur auf einen bestimmten Beruf vorbereitet habe. Die Gewährung eines Schadensausgleichs unter Zugrundelegung eines Durchschnittseinkommens nach der Bes. Gruppe A 11 sei daher (vom 1. Januar 1967 an) nicht mehr gerechtfertigt; das Durchschnittseinkommen sei gemäß § 5 Abs. 1 DVO nach der Bes. Gruppe A 7 (selbständig Tätige mit Volksschulbildung und abgeschlossener Berufsausbildung) zu bemessen.
Den Widerspruch der Klägerin wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Nordrhein-Westfalen zurück (Bescheid vom 13. Januar 1969).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Duisburg mit Urteil vom 11. Juni 1969 entschieden:
"Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheids vom 7. November 1968 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 1969 verurteilt, der Klägerin den Schadensausgleich zur Witwenrente weiterhin unter Berücksichtigung eines Vergleichseinkommens ihres verstorbenen Ehemannes in Höhe des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 11 des Bundesbesoldungsgesetzes zu gewähren und die außergerichtlichen Kosten zu tragen. Die Berufung wird zugelassen".
Das SG hat ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Der Beklagte sei nicht berechtigt, unter Bezugnahme auf § 62 Abs. 1 BVG und unter Berufung auf die Neufassung der Durchführungsvorschriften zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG den Schadensausgleich der Klägerin zu ihrem Nachteil neu festzustellen. Die Auffassung, daß ein zweisemestriger Besuch einer Landwirtschaftsschule dem Realschulabschluß gleichzusetzen sei, sei bereits früher - vor der Neufassung der Durchführungsvorschriften - auf Bedenken der Gerichte gestoßen.
Der Beklagte hat fristgemäß und formgerecht Revision unter Übergehung des Berufungsverfahrens (Sprungrevision) eingelegt. Die Erklärung der Einwilligung der Klägerin hat er beigefügt.
Er beantragt,
das Urteil des SG Duisburg vom 11. Juni 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des SG Duisburg aufzuheben und den Rechtsstreit an das SG Duisburg oder das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Der Beklagte rügt, das Landessozialgericht (LSG) habe die Verfahrensvorschriften der §§ 103, 128, 136 Abs. 1 Nr. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie der materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 30, 40 a und 62 BVG und 5, 13 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (idF vom 28. Februar 1968) verletzt. Durch die Neufassung des § 5 Abs. 1 in der DVO 68 sei der Begriff "der gleichwertigen Schulausbildung" i. S. des § 5 Abs. 1 DVO "in intensiver Weise derart interpretiert worden, daß er einer Auslegung, wie sie in den rechtsverbindlichen Bewilligungsbescheiden zugrunde gelegt worden sei, nunmehr nicht mehr fähig sei". Der Besuch von Wintersemestern einer Landwirtschaftsschule könne somit seit der Neufassung des § 5 Abs. 1 DVO 68 Mittelschulabschluß nicht mehr gleichgesetzt werden. Die Neufeststellung des Schadensausgleichs - nach einem geringen Vergleichseinkommen - sei mit Rücksicht auf diese Änderung der rechtlichen Verhältnisse nach § 62 Abs. 1 BVG gerechtfertigt; sie sei dies auch nach der Übergangsvorschrift des § 13 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 (68).
Die Klägerin beantragt,
die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Die Sprungrevision des Beklagten ist zulässig (§§ 161, 164, 166); sie ist jedoch sachlich nicht gerechtfertigt.
Angefochten ist der Bescheid des Beklagten vom 7. November 1968 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 1969). Mit diesem Bescheid hat der Beklagte den Bescheid über die Bewilligung eines Schadensausgleichs vom 3. November 1966 insoweit zurückgenommen, als er der Klägerin einen nach der Besoldungsgruppe A 11 BBesG zu ermittelnden Schadensausgleich gewährt hat; er hat der Klägerin vom 1. Januar 1967 an nur noch einen Schadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 7 BBesG und damit einen Schadensausgleich mit einem geringeren Zahlbetrag bewilligt; diese "Neufeststellung" hat er auf § 62 BVG gestützt. Das SG hat diese Neufeststellung zu Recht für rechtswidrig gehalten.
Der Beklagte bezeichnet zwar auch Verfahrensvorschriften als verletzt (§§ 103, 128, 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG). Diese Verfahrensrügen greifen jedoch nicht durch. Das Vorbringen des Beklagten richtet sich ausschließlich gegen den sachlichen Inhalt des angefochtenen Urteils; es ist weder dargetan, daß das SG nicht die für seine Entscheidung rechtserheblichen Tatsachen festgestellt, noch daß es diese Tatsachen gesetzwidrig gewürdigt, noch daß es seine Entscheidung unzureichend begründet hat. Mängel des Verfahrens liegen insoweit auch nicht vor.
Die Angriffe der Revision beziehen sich auf rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das SG, sie treten dessen Rechtsauffassung entgegen, die "Neufeststellung" des Anspruchs der Klägerin auf Schadensausgleich könne nicht auf § 62 Abs. 1 SGG gestützt werden; diese Rechtsauffassung des SG trifft jedoch zu.
Die Ermächtigung zur Neufeststellung eines Anspruchs auf Versorgung nach § 62 Abs. 1 BVG erfordert eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung des Anspruchs maßgebend gewesen sind. Auch die wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse, wie die Änderung der Anspruchsgrundlagen durch Gesetz oder Verordnung, kann die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 BVG erfüllen (BSG 10, 202; Urteil vom 12. Oktober 1960 (BVBl 1961, 146)). Im vorliegenden Fall haben sich jedoch die rechtlichen Verhältnisse, die für die Feststellung des Anspruchs der Klägerin auf den Schadensausgleich maßgebend gewesen sind, nicht wesentlich geändert; durch die Neufassung der Durchführungsvorschriften zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (durch die VO vom 28. Februar 1968 ist, entgegen der Auffassung des Beklagten, eine solche Änderung nicht eingetreten. Schon vor der Neufassung der Durchführungsvorschriften zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (mit der Ergänzung des § 5 Abs. 1 durch Satz 4) war rechtens, daß der Besuch einer "im wesentlichen nur Berufs- und Fachwissen vermittelnden Schule" das Zuordnungsmerkmal einer "dem Mittelschulabschluß gleichwertigen Schulausbildung" grundsätzlich nicht erfüllt, daß vielmehr eine (andere) Schulausbildung nur dann als eine dem Abschluß der Mittelschule gleichwertige Schulausbildung im Sinne des § 5 Abs. 1 DVO anzusehen ist, wenn sie der Hebung der allgemeinen Bildung gedient und zu einem (gegenüber der Volksschulausbildung höheren) allgemeinen Bildungsgrad geführt hat, der dem des Mittelschulabschlusses gleichwertig ist (BSG, Urt. v. 26.11.1968 - SozR Nr. 3 zu § 5 zur DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 v. 30.7.1964 -; Urt. v. 16.7.1968 - SozR Nr. 1 zu § 5 zur DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG v. 30.7.1961 -; Urt. v. 28.11.1967 - 8 RV 409/66 -).
Diese Rechtsauffassung kann sich zwar nicht auf den eindeutigen Wortlaut einer Vorschrift stützen; sie beruht vielmehr auf der Auslegung des Begriffs "gleichwertige Schulausbildung" i. S. des § 5 Abs. 1 DVO aus seinem Zweck und Sinnzusammenhang (vgl. hierzu Urt. des BSG v. 17.3.1970 - 9 RV 260/69 - das zur Veröffentlichung bestimmt ist). Der Umstand, daß dieser Begriff "auslegungsfähig" und "auslegungsbedürftig" ist, ändert aber nichts daran, "daß er für die Rechtsprechung bindend festgelegt worden ist" und dies auch für die Zeit vor der Neufassung der Durchführungsvorschriften (68) und ohne daß es erst noch einer "authentischen Interpretation" bedurfte. Die Neufassung der Durchführungsvorschriften hat die rechtliche Grundlage des Anspruchs der Klägerin nicht berührt. Die Ergänzung des § 5 Abs. 1 durch Satz 4 läßt zwar erkennen, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch der Besuch einer in erster Linie der Fachausbildung dienenden Schule wie ein Mittelschulabschluß zu werten ist, nämlich dann, wenn diese "andere Schulbildung" für den Bildungsgang zum "Berufsziel" (für eine bestimmte Laufbahn oder ein bestimmtes Studium) dem Mittelschulabschluß gleichwertig ist (vgl. Urt. v. 26.11.1968 aaO); damit wird jedoch grundsätzlich an dem Erfordernis festgehalten, daß die "andere Schulausbildung" einen dem Mittelschulabschluß entsprechenden höheren Grad der Allgemeinbildung vermittelt haben muß. Die Ergänzungsvorschrift des § 5 Abs. 1 S. 4 DVO 1968 ist für die Regelung des Anspruchs der Klägerin ohne Bedeutung. Eine Schulausbildung, wie M. sie durch den Besuch der landwirtschaftlichen Fachschule in zwei Winterhalbjahren gehabt hat, fällt weder vor noch nach der Ergänzung des § 5 Abs. 1 DVO unter den Begriff der gleichwertigen Schulausbildung (Urt. des BSG vom 18.6.1969 - 8 RV 809/67 -). Die Ergänzung des § 5 Abs. 1 enthält nach Ansicht des Senats keine "authentische Interpretation" des Begriffs der "gleichwertigen Schulausbildung"; sie läßt zwar Rückschlüsse darauf zu, wie dieser Begriff auch für die Zeit vor der Neufassung von dem Verordnungsgeber aufgefaßt wird, nämlich in dem Sinne, daß grundsätzlich eine allgemeinbildende Schule gemeint ist; sie erleichtert insofern die Auslegung dieses Begriffs - gegenüber der Vorschrift in der früheren Fassung ohne die Ergänzung -, darin kann aber keine wesentliche Änderung der Verhältnisse i. S. des § 62 Abs. 1 BVG erblickt werden.
Wenn der Beklagte bei Erlaß des Bewilligungsbescheides den Begriff der gleichwertigen Schulausbildung so ausgelegt hat, daß darunter stets auch "nur Berufs- und Fachwissen vermittelnde Schulen" fallen und deshalb den Besuch einer Landwirtschaftsschule in zwei Winterhalbjahren dem Mittelschulabschluß gleichgesetzt hat, so ist er insoweit von einer unrichtigen Rechtsauffassung ausgegangen. Er hat damit einen von Anfang an unrichtigen Verwaltungsakt erlassen. Dieser Verwaltungsakt ist nicht, wie es eine Neufeststellung nach § 62 Abs. 1 BVG voraussetzt, erst nachträglich durch eine wesentliche Änderung der (rechtlichen) Verhältnisse unrichtig geworden. Daran würde nichts ändern, wenn sich der Beklagte bei seiner (damaligen) Auslegung des Begriffs der gleichwertigen Schulausbildung "nicht völlig neben einer verständigen Interpretation befunden hätte" und seine Auffassung "nicht schlechterdings mit dem Inhalt der Vorschrift unvereinbar wäre". Auch wenn über die Auslegung des Begriffs zunächst - berechtigte - Zweifel und Meinungsverschiedenheiten aufkommen konnten und die Ergänzung des § 5 Abs. 1 durch die Neufassung der Durchführungsvorschriften als "zusätzliches Argument" zur Klärung beigetragen und zu einer "einheitlichen Auffassung" geführt hat, so liegt darin ebensowenig eine wesentliche Änderung i. S. des § 62 Abs. 1 BVG wie in der Klärung der streitigen Rechtsfrage durch die Rechtsprechung. Die Auslegung des Begriffs mag zwar vor der Neufassung "schwieriger" gewesen sein, weil der Wille des Verordnungsgebers noch nicht so deutlich zum Ausdruck gebracht war, wie er sich aus der späteren Vorschrift ergibt. Das ändert jedoch nichts daran, daß der Begriff auch schon vor der Neufassung für die Verwaltung und die Rechtsprechung bindend festgelegt war. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von den vom Bundessozialgericht (BSG) in dem Urteil vom 28. Juli 1959 (BSG 10, 202) und vom 12. Oktober 1960 (BVBl 1961 S. 146) entschiedenen Fällen, auf die sich der Beklagte zu Unrecht bezieht. In diesen Fällen ist die Anwendung des § 62 Abs. 1 BVG bejaht worden, weil "normative Neuregelungen" erfolgt waren, die die zunächst (bewußt) unbestimmt gelassene (und nur durch Verwaltungsvorschriften geregelte) Höhe eines Anspruchs (auf Erstattung der Kosten für Wäscheverschleiß) oder Bewertung (des in Sachbezügen bestehenden sonstigen Einkommens) nunmehr ("ziffern- oder rechnungsmäßig") festgelegt haben. Um eine Präzisierung und Konkretisierung in diesem Sinne handelt es sich im vorliegenden Fall nicht.
Die Neufeststellung des Schadensausgleichs durch den angefochtenen Bescheid findet danach in § 62 Abs. 1 BVG keine Stütze. Sie findet auch keine Rechtfertigung in § 13 Abs. 1 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4, weil der Anspruch der Klägerin durch die DVO 68 "keine Änderung erfahren hat;" die Ergänzung des § 5 Abs. 1 DVO hat die rechtlichen Grundlagen, nach denen der Anspruch der Klägerin zu beurteilen war, nicht berührt.
Das SG hat danach im Ergebnis zutreffend entschieden.
Die Sprungrevision des Beklagten ist unbegründet; sie war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen