Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit eines rechtswidrigen Prozeßvergleichs. Vergleich aufgrund eines ärztlichen Gutachtens. kein Irrtum. Befugnis der Verwaltungsbehörde zum Vergleichsabschluß
Leitsatz (redaktionell)
1. Daraus, daß der Versorgungsträger verpflichtet ist, einen ohne Zweifel unrichtigen Verwaltungsakt zu berichtigen (vergleiche BSG 1959-03-05 8 RV 607/57 = BVBl 1959, 15), kann nicht geschlossen werden, daß jeder Vergleich die stillschweigende Vereinbarung eines Rücktrittsvorbehalts nach BGB § 346 für den Fall enthält, daß sich die Regelung später als unrichtig erweist. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Denn der Prozeßvergleich ist nicht nur ein - öffentlich-rechtlicher - Vertrag, sondern zugleich eine Prozeßhandlung, die grundsätzlich nur bei einem tatsächlichen vorbehaltenen Widerruf rückgängig gemacht und nicht einmal durch im Ergebnis übereinstimmende Erklärungen der Beteiligten, am Vergleich nicht mehr festhalten zu wollen, wirksam beseitigt werden kann (vergleiche BSG 1963-04-26 2 RU 228/59 = BSGE 19, 112, 115, 116).
2. Ein Vergleich, der der materiellen Rechtslage nicht entspricht, ist ebenso wie ein Verwaltungsakt zwar rechtswidrig, aber grundsätzlich nicht nichtig. Der Versorgungsträger ist auch befugt, einen rechtswidrigen Vergleich abzuschließen (vergleiche BSG 1967-04-25 11 RA 138/66 = BSGE 26, 210, 211).
3. Das Fehlen des Genehmigungsvermerks "vorgelesen und genehmigt" beeinträchtigt die Wirksamkeit eines Prozeßvergleichs nicht.
4. Zur Frage der Anfechtung des Vergleichs wegen Irrtums nach BGB § 119.
5. Es ist weder ein Irrtum über die Person des Erklärungsgegners oder über die Rechtsnatur des Geschäfts noch über den Gegenstand des Geschäfts erkennbar, wenn der Beklagte ein ärztliches Gutachten offensichtlich für überzeugend gehalten und daraufhin sein Vergleichsangebot in Kenntnis des damals bekannten Sachverhalts "nach nochmaliger Abwägung der ärztlichen Sachlage unter Würdigung der erhobenen Befunde" sowie in vollem Bewußtsein, der aus seiner Erklärung entstehenden Rechtsfolgen abgegeben hat.
6. Hat das SG durch Urteil die Wirksamkeit eines Vergleichs bejaht und festgestellt, daß das Klageverfahren beendet sei, so ist die Berufung zulässig, wenn das SG, falls der Vergleich nicht zustande gekommen wäre, im Urteil hätte entscheiden müssen, ob eine Gesundheitsstörung mit einer Schädigung iS des BVG ursächlich zusammenhängt (SGG § 150 Nr 3).
7. Ein Verwaltungsakt ist - ebenso wie ein Vergleich - welcher der materiellen Rechtslage nicht entspricht, zwar rechtswidrig, aber grundsätzlich nicht nichtig, gleichviel, ob die Rechtswidrigkeit auf einer unrichtigen Beurteilung tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen für dessen Erlaß oder Abschluß beruht (vergleiche BSG 1967-04-27 4 RJ 69/65 = BSGE 26, 221).
8. Für die Frage, ob die Versorgungsbehörde befugt war, einen Vergleich abzuschließen, kommt es nicht darauf an, ob der Verwaltungsakt rechtswidrige Leistungen zugesprochen hat, sondern allein darauf, ob die Verwaltung zuständig und befugt war, Bescheide auf einer unrichtigen Beurteilung tatsächlicher oder rechtlicher mit einem derartigen Inhalt allgemein zu erlassen, dh ob sie den Anspruch so hätten regeln "können", nicht ob sie im Einzelfall eine solche Regelung hätte treffen "dürfen" (vergleiche BSG 1967-04-25 11 RA 138/66 = BSGE 26, 210, 211).
Normenkette
SGG § 101 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; BGB § 346 Fassung: 1896-08-18, § 779 Abs. 1 Fassung: 1896-08-18, § 119 Abs. 1 Fassung: 1896-08-18, Abs. 2 Fassung: 1896-08-18, § 142 Fassung: 1896-08-18; SGG § 150 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03, § 122 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 41 Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Oktober 1971 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Der 1909 geborene Kläger bezieht seit 1. November 1950 wegen Versteifung des linken Fußes in Fehlstellung Verschmächtigung und Durchblutungsstörungen am linken Unterschenkel (später wurde hinzugefügt: "nach Sprungbeinverletzung") ferner wegen mäßiger Linksverbiegung der Wirbelsäule mit beginnenden Veränderungen am 4. Lendenwirbel Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H.. Der Kläger beantragte eine höhere MdE, hatte aber im Verwaltungsverfahren keinen Erfolg. Im sozialgerichtlichen Verfahren begehrte er u.a. auch die Feststellung, daß Spreizfußdeformierung rechts als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen sei.
Mit Schriftsatz vom 25. Februar 1958 an das Sozialgericht (SG) machte der Beklagte einen Vergleichsvorschlag dahin, daß neben einer anderen Bezeichnung der Schäden am linken Fuß und Unterschenkel auch "Spreizfußdeformierung rechts als Folge der fehlerhaften Überlastung" im Sinne der Entstehung anerkannt werde und statt der Wirbelsäulenveränderungen folgende Leidensbezeichnung gelten sollte: "beginnende degenerative Veränderung einer anlagebedingten Falschgelenkbildung zwischen dem Querfortsatz des 5. Lendenwirbels und dem Beckenkamm links, die eine Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung darstelle. Die Höhe der MdE (60 v.H) sollte unverändert bleiben.
Diesen Vergleichsvorschlag hat der Kläger laut Sitzungsniederschrift vom 16. Mai 1958 angenommen und seine Klage zurückgezogen. Der Beklagte hat den Vergleich sodann mit Ausführungsbescheid vom 7. Juli 1958 vollzogen.
Mit Schriftsatz vom 16. Januar 1968 vertrat das Landesversorgungsamt Nordrhein die Auffassung, daß der Vergleich vom 16. Mai 1958 unwirksam sei, weshalb es die Fortsetzung des Gerichtsverfahrens beantragte. Dies sei erforderlich, weil zweifelsfrei feststehe, daß die Leiden (Versteifung des linken Fußgelenks und der Fußwurzelgelenke mit Fehlstellung des Fußes, Durchblutungsstörungen des linken Unterschenkels, Spreizfußdeformierung rechts) nur im Sinne der Verschlimmerung Schädigungsfolgen seien und die Anerkennung der degenerativen Veränderung beim 5. Lendenwirbel nicht aufrechterhalten werden könne. Der Grad der MdE betrage nur 40 v.H.. Das Landesversorgungsamt sei seinerzeit (im Jahre 1958) nicht zum Vergleichsabschluß befugt gewesen, weshalb der Vergleich entweder nie wirksam geworden oder durch Rücktritt oder Anfechtung rechtsunwirksam geworden sei. Der Sachverhalt berechtige außerdem die Verwaltung, einen Bescheid nach § 41 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG) zu erlassen. Einen solchen Berichtigungsbescheid hat das Versorgungsamt am 23. Januar 1968 erteilt und unter Änderung der Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 40 v.H. bewilligt. Das dagegen erhobene Klageverfahren ist bis zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits vom SG ausgesetzt worden. Das SG hat durch Urteil vom 22. April 1970 festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 16. Mai 1958 erledigt sei. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 7. Oktober 1971 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat zur Zulässigkeit des Rechtsmittels ausgeführt, da der Klaganspruch auf die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen gerichtet gewesen sei, sei damit auch der Kausalzusammenhang streitig und die Berufung nicht ausgeschlossen (§ 150 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Vergleich vom 16. Mai 1958 sei wirksam, das Fehlen des Vermerks "v.u.g." im Sitzungsprotokoll sei unwesentlich (SozR SGG § 101 Nr. 12). Die beteiligten seien befugt, Vergleiche abzuschließen, soweit sie über den Streitgegenstand rechtlich verfügen könnten (SozR SGG § 101 Nr. 8 u. 9). Ein Irrtum der nach späterer medizinischer Erkenntnis bemerkt worden sei, könne nicht zur Unwirksamkeit des Vergleichs (§ 779 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) führen. Es liege allenfalls ein Motivirrtum vor, der nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB berechtige. Auch die Voraussetzungen des § 119 Abs. 2 BGB (Irrtum über wesentliche Eigenschaften) lägen nicht vor. Auch ein (einseitiger) Rücktritt vom Vergleich sei entgegen Haueisen (DOK 1967 S. 305, NJW 1969 S. 122) nicht möglich. Die §§ 275 ff, 323 bis 326 BGB, die den Rücktritt von einem Vertrag ermöglichten, seien auf "Leistungsstörungen" abgestellt und könnten nicht als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens auf das öffentliche Recht übertragen werden. Der gerichtliche Vergleich könne nicht einem Verwaltungsakt gleichgesetzt werden (BSG in SozR SGG § 101 Nr. 4). Da der Vergleich den Rechtsstreit nach alledem wirksam beendet habe, habe der Berichtigungsbescheid vom 23. Januar 1968 nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 96 SGG werden können.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte:
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1.) |
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Das LSG habe § 101 SGG und § 779 BGB dadurch verletzt, daß das SG nur die Willenserklärung des Klägers protokolliert habe, nicht aber die Erklärung beider Vergleichs-(Vertrags-)partner. Die Niederschrift enthalte auch nicht den Genehmigungsvermerk (v.u.g.). Sonach liege ein prozeßbeendender Vergleich nicht vor. |
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2.) |
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Das LSG habe ferner § 119 Abs. 2 BGB unrichtig angewandt. Die Ursache eines Leidens sei im Rechtsverkehr eine wesentliche Eigenschaft der "Sache" im Sinne dieser Vorschrift, wenn es sich um die Anerkennung einer Schädigungsfolge handle. Bei richtiger Einschätzung dieser Eigenschaft hätte das LSG den Prozeßvergleich nach § 142 BGB als von Anfang an nichtig ansehen müssen. |
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3.) |
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Überdies sei auch der von ihm erklärte Rücktritt vom Vergleich zulässig, da die Verwaltung in einem Bescheid nicht wirksam auf eine später sich ergebende Berichtigungsmöglichkeit (§ 41 VerwVG) verzichten könne. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5. März 1959 - 8 RV 607/57 - sei die Berichtigung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes nicht in das Ermessen der Verwaltung gestellt (BVBl 1959 S. 150). Da die Verwaltung nicht auf eine Berichtigung ihrer Bescheide verzichten könne - andernfalls sei der Verwaltungsakt nichtig - enthalte jeder Vergleich die stillschweigende Vereinbarung eines Rücktrittsvorbehalts (§ 346 BGB) für den Fall, daß sich die Regelung als zweifelsfrei unrichtig erweise. |
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4.) |
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Der alte Rechtsstreit hätte, auch wenn man nur einen außergerichtlichen Vergleich annehme, infolge der Unwirksamkeit des Vergleichs fortgesetzt werden müssen. |
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 7. Oktober 1971 und des Urteils des SG Aachen vom 22. April 1970 festzustellen, daß der Rechtsstreit vor dem SG Aachen - 7 (6) KOV 1715/56 - durch Vergleich vom 16. Mai 1958 nicht beendet worden ist, und die Klage abzuweisen;
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft; der Beklagte hat sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet; sie ist daher zulässig (§ 164 SGG); sachlich konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.
Zunächst war auch ohne Rüge zu prüfen, ob die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zulässig war; denn ein etwaiger dahingehender Verfahrensmangel ist in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (BSG 15, 67). Nachdem der Beklagte die Unwirksamkeit des zwischen den Beteiligten abgeschlossenen Prozeßvergleichs vom 16. Mai 1958 geltend gemacht hat, war das für beendet gehaltene Verfahren wieder fortzusetzen (BSG 7, 279). Mit Urteil vom 22. April 1970 hat das SG festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den am 16. Mai 1958 geschlossenen Vergleich erledigt ist. Obwohl das SG die Berufung als unzulässig erachtet hat, ist sie doch zulässig, weil davon ausgegangen werden muß, daß zwischen den Beteiligten der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit schädigenden Vorgängen i.S. des BVG streitig gewesen ist (§ 150 Nr. 3 SGG). Durch den vom Beklagten für unwirksam gehaltenen Vergleich hat dieser u.a. auch ein neues Versorgungsleiden als Schädigungsfolge anerkannt, nämlich eine "Spreizfußdeformierung rechts als Folge der fehlerhaften Überlastung". Aus diesem 1958 angebotenen Vergleichsvorschlag ergibt sich, daß zwischen den Beteiligten im Klageverfahren auch der ursächliche Zusammenhang streitig war. Dieses Leiden, d.h. Beschwerden wegen Überlastung des rechten Beines und Fußes sowie die Bildung eines Spreizfußes, hat der Kläger mit dem Klageschriftsatz vom 8. Februar 1956 gerichtlich geltend gemacht; damit ist es Streitgegenstand der anhängigen Klage geworden. Wäre der Vergleich nicht zustande gekommen, so hätte das SG im Urteil entscheiden müssen, ob dieses Leiden mit einer Schädigung i.S. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ursächlich zusammenhängt (§ 150 Nr. 3 SGG). Das Berufungsgericht hat danach mit Recht die Berufung als zulässig angesehen, weil sie nicht nur die Höhe der MdE (80 v.H. anstatt 60 v.H.) betraf (§ 148 Nr. 3 SGG).
Was die Wirksamkeit des Vergleichs vom 16. Mai 1958 betrifft, so bemängelt der Beklagte zunächst, daß im Protokoll vom 16. Mai 1958 nur die Willenserklärung des Klägers erfaßt sei. Diese Behauptung trifft jedoch nicht zu. Der Kläger hat das schriftliche Vergleichsangebot des Beklagten laut Sitzungsprotokoll vom 16. Mai 1958 angenommen und die Klage zurückgezogen. Aus dem protokollierten Wortlaut ergibt sich sonach, daß der Beklagte ein Vergleichsangebot gemacht hat, das vom Kläger angenommen worden ist. Damit liegen "zusammenstimmende" Willenserklärungen vor, wie sie ein Vertrag und Vergleich voraussetzt (vgl. §§ 779, 145 BGB, Palandt, Komm. zum BGB, 23. Aufl. Anm. 1 vor § 145 BGB). Auch das gerügte Fehlen des Genehmigungsvermerks "v.u.g." beeinträchtigte die Wirksamkeit des Prozeßvergleichs nicht. Denn der Genehmigungsvermerk ist für den Abschluß eines Prozeßvergleichs im sozialgerichtlichen Verfahren nicht unbedingt erforderlich (vgl. BSG in SozR SGG § 122 Nr. 8), denn abweichend von § 162 Zivilprozeßordnung (ZPO) schreibt § 122 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGG vor, daß die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung und die Anträge in die Niederschrift aufzunehmen und daß nur die "Aussagen" eines Zeugen usw. diesem vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen sind. Die von Joachim für Arbeitsgerichtsstreitigkeiten vertretene Auffassung, daß das Fehlen des Genehmigungsvermerks im Protokoll nicht zur Beendigung des anhängigen Rechtsstreits führe (vgl. Der Betriebsberater 1960, Heft 25 S. 987), kann für das sozialgerichtliche Verfahren keine Geltung beanspruchen. Das LSG ist daher mit Recht von einem Prozeßvergleich und nicht nur von einem allenfalls geschlossenen außergerichtlichen Vergleich ausgegangen. Das Berufungsgericht hat mithin weder § 101 Abs. 1 SGG noch - in diesem Zusammenhang - § 779 BGB verletzt.
Das Berufungsgericht hat auch entgegen der Ansicht der Revision geprüft, ob eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB wegen Irrtums über eine wesentliche Eigenschaft einer Sache durchgreift. Palandt weist aaO Anm. 4a zu § 119 BGB zutreffend darauf hin, daß ein Irrtum über wesentliche Eigenschaften der Person oder Sache als Irrtum über den Erklärungsinhalt anzusehen ist. Die Ausführungen des LSG, die dartun, weshalb der Beklagte einem Irrtum über "Eigenschaften der Sache" - nämlich allenfalls über das Gutachten des Dr. E - nicht erlegen ist und sich daher auch nicht im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB geirrt haben könne, werden durch das Revisionsvorbringen nicht stichhaltig widerlegt. Auch wenn man mit dem Beklagten unterstellt, daß die Ursache eines Leidens im Rechtsverkehr eine wesentliche Eigenschaft sei, wenn es sich um die Anerkennung einer Schädigungsfolge handelt, so ist doch nicht ersichtlich, daß sich der Beklagte bei Abgabe seines Vergleichsangebots in einem Irrtum über den Erklärungsinhalt befunden hätte. Es ist weder ein Irrtum über die Person des Erklärungsgegners oder über die Rechtsnatur des Geschäfts noch über den Gegenstand des Geschäfts erkennbar (vgl. Palandt aaO Anm. 3 zu § 119 BGB). Der Beklagte hat vielmehr damals das Gutachten des Dr. E offensichtlich für überzeugend gehalten und daraufhin sein Vergleichsangebot vom 25. Februar 1958 in Kenntnis des damals bekannten Sachverhalts - und zwar, wie er 1958 selbst erklärte "nach nochmaliger Abwägung der ärztlichen Sachlage unter Würdigung der erhobenen Befunde" sowie in vollem Bewußtsein, der aus seiner Erklärung entstehenden Rechtsfolgen abgegeben. Wenn er nach späteren weiteren Ermittlungen und erneuten Begutachtungen zu einem anderen Ergebnis gelangte, so ist damit allenfalls die Unrichtigkeit der früheren Anerkennung dargetan, nicht aber kann festgestellt werden, daß sich der Beklagte 1958 in einem Irrtum befunden habe, der zur Anfechtung der abgegebenen Willenserklärung berechtigt. Im übrigen ist die Feststellung des LSG, der Beklagte habe nicht einmal behauptet, daß das Gutachten des Dr. E objektiv falsch sei, von der Revision nicht angegriffen worden.
Schließlich hält sich der Beklagte zum Rücktritt von dem Vergleich deshalb für berechtigt, weil er durch den Vergleich nicht stärker gebunden werden dürfe als durch einen Verwaltungsakt, bei dem auf die Berichtigungsmöglichkeit nicht verzichtet werden könne. Zu Unrecht beruft sich hierbei der Beklagte auf die Entscheidung des BSG vom 5. März 1959 - 8 RV 607/57 - (BVBl 1959 S. 150). Denn wenn der Versorgungsträger, wie dort ausgesprochen wurde, nicht bloß berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, einen ohne Zweifel unrichtigen Verwaltungsakt zu berichtigen (nach § 30 Abs. 4 KBLG bzw. § 41 VerwVG), so kann daraus nicht geschlossen werden, daß jeder Vergleich die stillschweigende Vereinbarung eines Rücktrittsvorbehalts nach § 346 BGB für den Fall enthalte, daß sich die Regelung später als unrichtig erweise. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Denn der Prozeßvergleich ist nicht nur ein - öffentlich rechtlicher - Vertrag, sondern zugleich eine Prozeßhandlung, die grundsätzlich nur bei einem tatsächlich vorbehaltenen Widerruf rückgängig gemacht und - wie das BSG bereits entschieden hat - nicht einmal durch im Ergebnis übereinstimmende Erklärungen der Beteiligten, am Vergleich nicht mehr festhalten zu wollen, wirksam beseitigt werden kann (vgl. BSG 19, 112, 115, 116). Dafür, daß der Vergleich etwa von vornherein nichtig gewesen sei, besteht kein Anhalt. Insbesondere ist ein Verwaltungsakt, - ebenso wie ein Vergleich - der der materiellen Rechtslage nicht entspricht, zwar rechtswidrig, aber grundsätzlich nicht nichtig, gleichviel, ob die Rechtswidrigkeit auf einer unrichtigen Beurteilung tatsächlicher oder rechtlicher Voraussetzungen für dessen Erlaß oder Abschluß beruht (BSG 26, 211). Der Beklagte war auch befugt, den Vergleich vom 16. Mai 1958 abzuschließen. Denn insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Verwaltungsakt rechtswidrige Leistungen zugesprochen hat, sondern allein darauf, ob die Verwaltung zuständig und befugt war, Bescheide mit einem derartigen Inhalt allgemein zu erlassen, d.h. ob sie den Anspruch so hätte regeln "können", nicht ob sie im Einzelfall eine solche Regelung hätte treffen "dürfen" (vgl. BSG 26, 210, 211). Daß ersteres hier der Fall war, kann nicht bezweifelt werden.
Das LSG hat mithin den Prozeßvergleich vom 16. Mai 1958 mit zutreffender Begründung für rechtswirksam gehalten. Der Berichtigungsbescheid des Beklagten vom 23. Januar 1968 ist nicht Gegenstand des Verfahrens geworden (§ 96 SGG), weil das frühere Verfahren bereits 1958 wirksam beendet worden ist. Insoweit ist das vor dem SG anhängige Klageverfahren - das ausgesetzt worden ist - nun fortzuführen. Nach alledem hat das LSG ohne Rechtsirrtum die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Die Revision des Beklagten war daher ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen