Leitsatz (redaktionell)

1. Vergleichsrente auch dann, wenn die Anwartschaft 1956 deswegen nicht erhalten war, weil für 1956 erst nachträglich (1957) Beiträge entrichtet wurden, wenn aus der bis 1956 geleisteten freiwilligen Beitragsleistung der Wille zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft ersichtlich ist und mindestens jährlich 26 Wochenbeiträge entrichtet wurden.

2. Den Entwertungsdaten darf man nicht den allein entscheidenden Wert beilegen. Im wahren Interesse des Versicherten liegt es, auf jeden Fall sicherzustellen, daß mit den entrichteten Beiträgen für die Vergangenheit, soweit dies nach RVO § 1442 aF noch möglich ist, aber auch für das laufende Jahr soviel Beiträge zu verwerten, daß keine Anwartschaftslücke entsteht.

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 42 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1442 Fassung: 1937-12-21

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. April 1960 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die am ... 1906 geborene Klägerin war während der Jahre 1922/23 versicherungspflichtig beschäftigt; es wurden für sie Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet. Später setzte sie die Versicherung freiwillig fort; sie entrichtete in der Zeit von 1950 bis 1957 für die Jahre ab 1949 insgesamt 286 Wochenbeiträge, und zwar

für das Jahr 1949 im Jahre 1950 26 Wochenbeiträge,

für das Jahr 1950 im Jahre 1952 26 Wochenbeiträge,

für das Jahr 1951 im Jahre 1952 26 Wochenbeiträge,

für das Jahr 1952 im Jahre 1953 52 Wochenbeiträge,

für das Jahr 1953 im Jahre 1954 26 Wochenbeiträge,

für das Jahr 1953 im Jahre 1955 26 Wochenbeiträge,

für das Jahr 1954 im Jahre 1955 4 Wochenbeiträge,

für das Jahr 1954 im Jahre 1956 52 Wochenbeiträge,

für das Jahr 1955 im Jahre 1956 18 Wochenbeiträge und

für das Jahr 1956 im Jahre 1957 30 Wochenbeiträge.

Auf ihren Rentenantrag vom 17. Mai 1957 hat die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 10. Mai 1958 für die Zeit vom 1. Mai 1957 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von monatlich 3,50 DM gewährt.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat den Standpunkt vertreten, daß sie nach Maßgabe des Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) die Voraussetzungen für eine Berechnung ihrer Rente nach altem Recht erfülle, weil die Anwartschaft beim Übergang vom alten zum neuen Recht erhalten gewesen sei.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 22. Juli 1959 abgewiesen. Die von der Klägerin begehrte Vergleichsberechnung setze entgegen der Meinung der Beklagten nicht voraus, daß die Anwartschaft aus sämtlichen vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen zu diesem Zeitpunkt erhalten gewesen sei. Trotzdem sei die Anwartschaft jedoch nicht erhalten gewesen, weil die erst im Jahre 1957 für das Jahr 1956 entrichteten Beiträge hierbei nicht berücksichtigt werden könnten.

Auf die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 13. April 1960 das Urteil des Sozialgerichts dahin abgeändert, daß die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Mai 1960 verurteilt wird, die der Klägerin gewährte Rente nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften über die Zusammensetzung und die Berechnung der Renten einschließlich des Sonderzuschusses des Art. 2 § 36 Abs. 1 ArVNG aus den bis zum 31. Dezember 1956 zurückgelegten Versicherungszeiten zu berechnen und zu gewähren; es hat die Revision zugelassen.

Die Voraussetzungen des Art. 2 § 42 ArVNG für die Berechnung der Rente nach altem Recht seien gegeben. Keiner näheren Darlegung bedürfe es angesichts der Höhe des von der Beklagten nach neuem Recht festgesetzten Rentenzahlbetrages darüber, daß eine Berechnung der Rente nach den bisher geltenden Vorschriften für die Klägerin günstiger wäre. Da der Versicherungsfall bereits während des ersten Kalenderjahres nach dem Inkrafttreten des ArVNG eingetreten sei, hätten für die Zeit vom 1. Januar 1957 an Beiträge nicht entrichtet zu werden brauchen. Auch sei die Anwartschaft am 31. Dezember 1956 erhalten gewesen. Es komme nicht darauf an, ob die Anwartschaft aus sämtlichen vor dem 1. Januar 1957 jemals entrichteten Beiträgen zu diesem Zeitpunkt erhalten gewesen sei. Die für die Klägerin während der Jahre 1922/23 geleisteten Pflichtbeiträge hätten deshalb außer Betracht bleiben können. Von Bedeutung seien insoweit vielmehr allein die freiwilligen Beiträge, welche die Klägerin in der Zeit von November 1950 bis Ende 1956 für die Jahre ab 1949 entrichtet habe, gewesen. Aus diesen Beiträgen sei die Anwartschaft nach Maßgabe der bis zum 31. Dezember 1956 in Geltung gewesenen Vorschriften im Zeitpunkt des Übergangs vom alten zum neuen Recht erhalten gewesen. Sie hätten ihrer Zahl nach genügt, um für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis zum 31. Dezember 1956 für jedes Kalenderjahr, wie dies nach § 1264 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der damals geltenden Fassung zur Anwartschaftserhaltung erforderlich gewesen sei, jeweils mindestens 26 Wochenbeiträge zu entrichten.

Bei der Frage, für welche Zeiten ein Versicherter freiwillige Beiträge entrichtet habe, sei zu prüfen, für welche Zeiten er die Beiträge habe entrichten wollen. Bei der Erforschung dieses Willens sei im Zweifelsfalle von der Annahme auszugehen, daß der Versicherte mit seiner Beitragsleistung ein vernünftiges Ziel verfolge, d. h. eine zweckmäßige und sachgerechte Beitragsentrichtung beabsichtige. Unter der Herrschaft des alten Rechts werde er daher darauf bedacht gewesen sein, sich mit seinen Beitragsleistungen die Erhaltung der Anwartschaft zu sichern. Hierbei dürfte die Bedeutung der Entwertungsdaten nicht überbewertet werden. Der in der vorliegenden Streitsache noch anzuwendende § 1431 RVO aF schreibe nicht einmal zwingend vor, daß als Tag der Entwertung ein bestimmtes Datum anzugeben sei. Nach der genannten Vorschrift "solle" dies nur geschehen. Es werde lediglich eine Entwertung an sich verlangt. Die Entwertungsdaten als solche hätten also keinen beitragsrechtlichen Eigenwert. Sie kämen nur als Hilfsmittel zu Feststellungen darüber in Betracht, für welche Zeiten die von einem Versicherten entrichteten Beiträge seinem Willen nach gelten sollten. Für Feststellungen hierüber seien die angegebenen Entwertungsdaten jedoch nicht allein von Bedeutung. Entwertungsdaten, die wegen Abänderungen bzw. Überschreibungen ihrem Schriftbilde nach unklar seien und deshalb von vornherein kaum als geeignet erscheinen könnten, Klarheit darüber zu verschaffen, für welche Zeiten die von einem Versicherten geleisteten Beiträge seinem Willen nach gelten sollten, müßten in ihrer Bedeutung neben dem hier zu beachtenden zentralen Leitgedanken, nach welchem im Zweifelsfalle anzunehmen sei, daß der Versicherte eine vernünftige und sachgerechte Beitragsverwendung beabsichtigt habe und deshalb unter der Herrschaft des alten Rechts in erster Linie darauf bedacht gewesen sein werde, mit seinen Beitragsleistungen stets die Erhaltung der Anwartschaft sicherzustellen, sogar gänzlich zurücktreten.

Dies gelte angesichts der Abänderungen bzw Überschreibungen, welche bei den Entwertungsdaten auf den in die Quittungskarte Nr. 2 eingeklebten Beitragsmarken festzustellen seien, auch für den vorliegenden Fall. Auf einer ganzen Anzahl dieser Beitragsmarken seien auf "1952" lautende Entwertungsdaten in "1953" und mit "1952" angegebene Entwertungsdaten in "1953" umgeändert worden. Die hiermit verbundenen Unklarheiten verböten es, insoweit den Ausdruck einer schriftlich unzweideutig niedergelegten Äußerung darüber anzunehmen, für welche Jahre die Klägerin die betreffenden Beiträge seinerzeit zu entrichten beabsichtigt habe.

Es müsse daher angenommen werden, daß es der Klägerin auch bei der Verwendung der in die Quittungskarte Nr. 2 geklebten Beitragsmarken in erster Linie um die Erhaltung der Anwartschaft gegangen sei und sie deshalb - um sich möglichst vollkommen gegen Gefahren eines Erlöschens der Anwartschaft abzusichern - von den im Jahre 1953 geklebten 52 Beitragsmarken nur 26 im Wege der Nachentrichtung für 1952, die übrigen 26 Beitragsmarken jedoch schon für das damals laufende Kalenderjahr 1953 habe verwenden wollen. Das entspreche im übrigen allein auch dem sich aus den Beitragsleistungen der Vorjahre ergebenden Beitragsbild, nach welchem die Klägerin bis dahin ebenfalls für jedes Jahr nicht mehr als 26 Beiträge entrichtet habe. Auch in den Jahren 1954/55/56 seien von der Klägerin stets mindestens 26 Wochenbeiträge geleistet worden. Daß sie wenigstens 26 der in jedem dieser Jahre entrichteten Beiträge auch für jedes dieser Jahre verwenden wollte, läßt sich trotz gegenteiliger Entwertungsdaten auf den entsprechenden Beitragsmarken ebenfalls zweifelsfrei feststellen. Die Entwertungsdaten besagten nur scheinbar etwas anderes; die Klägerin habe stets den Willen zu einer dem § 1264 RVO aF entsprechenden fortlaufenden Beitragsentrichtung gehabt. Daß die hier in Betracht zu ziehenden Entwertungsdaten gleichwohl auf "1953", "1954" und "1955" lauteten und nicht, wie es dem eigentlichen Willen der Klägerin entsprochen hätte, bei mindestens jeweils 26 Beitrags-Wochenmarken auf "1954", "1955" und "1956", lasse sich lediglich als eine Auswirkung der alten Unklarheiten erklären, die sich aus den Abänderungen bzw. Überschreibungen der Entwertungsdaten auf den im Jahre 1953 verwendeten Beitragsmarken bei den späteren Beitragsleistungen ganz offensichtlich selbst für die Klägerin ergeben hätten. Die Klägerin habe daher - ihrem tatsächlichen Willen entsprechend - seit 1950 für jedes Jahr ab 1949 vor dem Ablauf des Jahres 1956 jeweils wenigstens 26 Wochenbeiträge entrichtet. Somit sei die Anwartschaft aus den von ihr bis Ende 1956 geleisteten Beiträgen im Zeitpunkt des Übergangs vom alten zum neuen Recht erhalten gewesen.

Es sei nach Art. 2 § 42 ArVNG nicht erforderlich, daß aus diesen Beiträgen die Wartezeit erfüllt sei. Der Wortlaut des Art. 2 § 42 ArVNG biete für eine solche Ansicht keine Stütze; auch spreche der Sinn und Zweck des Art. 2 § 42 ArVNG nicht für eine solche Annahme. Es genüge also, wenn diese Wartezeit, wie hier, bei Eintritt des Versicherungsfalles erfüllt sei.

Gegen dieses ihr am 13. April 1960 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 19. September 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht am 22. September 1960, - unter Stellung eines Revisionsantrages - Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 17. Oktober 1960, eingegangen am 20. Oktober 1960, begründet.

Sie rügt die unrichtige Anwendung des Art. 2 § 42 ArVNG. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei die Anwartschaft am 31. Dezember 1956 nicht erhalten gewesen. Nach § 1264 RVO aF hätten zur Erhaltung der Anwartschaft aus den entrichteten Beiträgen für jedes Jahr 26 Wochenbeiträge entrichtet werden müssen. Für die Beantwortung der Frage, für welches Jahr ein Versicherter Beiträge entrichtet habe, sei maßgebend, für welches Jahr er die Beiträge habe entrichten wollen. Für die Feststellung des Willens sei in erster Linie maßgeblich, welche Entwertung der Versicherte vorgenommen habe. Die Entwertung brauche allerdings nicht allein ausschlaggebend zu sein, insbesondere dann nicht, wenn aus anderen Umständen des Einzelfalles auf einen anderen Willen des Versicherten geschlossen werden könne. Die Versicherte habe regelmäßig Beiträge für zurückliegende Zeiten entwertet. Durch die rückblickend übersehbare Form der Beitragsentrichtung habe die Versicherte eindeutig ihren Willen zum Ausdruck gebracht, nur im Rahmen der Ausnahmevorschrift des § 1442 RVO aF Beiträge zu entrichten. Daraus ergebe sich weiter der Wille der Versicherten, die zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft erforderlichen Beiträge erst dann zu entrichten, wenn der Zeitraum, für den die Entrichtung erfolgen solle, verstrichen sei. Dies beweise einmal die Entwertung. Nach Auffassung des LSG seien die Entwertungsdaten wegen "Abänderungen bzw. Überschreibungen ihrem Schriftbild nach selbst unklar". Entgegen dieser Auffassung seien aber bei den hier angesprochenen Marken in Quittungskarte Nr. 2 für den Willen des Versicherten nicht die überschriebenen, sondern die darübergeschriebenen Jahresentwertungsdaten maßgebend. Die Klägerin habe für die Jahre 1949 - 1951 je 26, für die Jahre 1952 - 1954 je 52 und für die Jahre 1955 und 1956 wieder je 26 Beiträge entrichtet. Das LSG meine, aus der Beitragsleistung für die Jahre 1949 bis 1951 ergebe sich, daß von den im Jahre 1953 für das Jahr 1952 entwerteten Wochenbeiträgen nach dem Willen der Versicherten nur 26 für das Jahr 1952 und die übrigen 26 Wochenbeiträge für das Jahr 1953 entrichtet werden sollten. Weiterhin seien in den Jahren 1954/55/56 stets mindestens 26 Wochenbeiträge entrichtet worden, wovon trotz entgegenstehender Entwertungsdaten doch wenigstens je 26 Wochenbeiträge für diese Jahre entrichtet wären. Maßgebend sei aber die Absicht, die der Verwender der Beitragsmarken zur Zeit der Beitragsleistung hatte. Zur Zeit der Beitragsleistung habe die Versicherte jedoch nicht die Absicht gehabt, die Beiträge in der vom LSG angenommenen Form zu entrichten.

Da außer den für die Zeit von 1949 an entrichteten Beiträgen keine weiteren Beiträge auf die Wartezeit anrechenbar gewesen seien, hätte die Klägerin zudem bemüht sein müssen, die Wartezeit für die Versichertenrente durch vermehrte Beitragsleistung zu erfüllen. Sie habe daher für die Jahre 1952 bis 1954 jährlich je 52 Wochenbeiträge entrichtet. Für die Zeit ab 1955 hätten dann wieder je 26 Wochenbeiträge genügt, die die Klägerin im Rahmen des § 1442 RVO auch entrichtet habe. Durch die Entrichtung von vier Wochenbeiträgen für 1955 und 26 Wochenbeiträgen für 1956 im Jahre 1957 habe die Klägerin eindeutig gezeigt, daß erst durch diese Beitragsentrichtung die nach § 1264 RVO aF für 1955 und 1956 erforderliche Beitragsleistung erfolgen sollte.

Beiträge, die nach dem 31. Dezember 1956 entrichtet worden seien, könnten einen Anspruch auf Berechnung der Renten nach Art. 2 § 42 ArVNG nicht begründen (Urteil des BSG vom 1. Juli 1959). Durch Art. 2 § 42 ArVNG sollte keine neue Anwartschaftsvorschrift geschaffen werden; die Vergünstigung solle nur denjenigen zukommen, deren Anwartschaft am 1. Januar 1957 gemäß § 1264 RVO aF erhalten gewesen sei.

Sie beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 13. April 1960 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im übrigen sei das Revisionsgericht an die Tatsachenfeststellung des Berufungsgerichts, daß sie nach ihrem Willen seit 1950 für jedes Jahr ab 1949 vor dem Ablauf des Jahres 1956 jeweils 26 Wochenbeiträge entrichtet habe, nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden. Zudem müßten die im Jahre 1957 für das Jahr 1956 entrichteten Beiträge auch noch berücksichtigt werden. Die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) halte sie nicht für zutreffend. In seiner Entscheidung vom 1. Juli 1959 habe das BSG seine Untersuchung zudem nur darauf gerichtet, was der Gesetzgeber gewollt habe. Neben dieser Frage stehe aber noch die andere, was er habe wollen dürfen. Man müsse sich dabei vor Augen halten, daß der Gesetzgeber durch das Gesetz vom 23. Februar 1957 Anwartschaften auf Mindestrente, die bis dahin nach geltendem Recht durch "nachträgliche" Zahlungen erhalten waren, rückwirkend beseitige. Diese Rückwirkung sei grundgesetzwidrig.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist statthaft, da das LSG sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht. Sie konnte jedoch keinen Erfolg haben.

Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß die Voraussetzungen des Art. 2 § 42 ArVNG vorliegen und der Klägerin somit die begehrte höhere Rente (sog. Vergleichsrente) zusteht. Da der Versicherungsfall in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1961 eingetreten ist und die sogenannte Vergleichsrente offensichtlich höher ist als die Rente neuen Rechts, kam es entscheidend darauf an, ob die Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten war. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG braucht die Anwartschaft allerdings nicht aus allen vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen erhalten zu sein, sondern es genügt, wenn auch nur aus einem dieser Beiträge (Urt. des erkennenden Senats vom 1. Juli 1959 - BSG 10, 139; SozR SozVers ArVNG Art. 2 § 42 Da 1 Nr. 1) die Anwartschaft erhalten war. Auch braucht die Wartezeit aus diesen Beiträgen zu diesem Zeitpunkt nicht erfüllt zu sein (Urt. des erkennenden Senats v. 20. September 1961, SozR SozVers ArVNG Art. 2 § 42 Aa 2 Nr. 3). Bei der Prüfung, ob die Anwartschaft in diesem Sinne erhalten war, sind nur die bis zu diesem Zeitpunkt entrichteten, nicht aber die später für einen vor dem 1. Januar 1957 liegenden Zeitpunkt nachentrichteten Beiträge zu berücksichtigen, wie der erkennende Senat ebenfalls bereits entschieden hat (BSG 10, 139). Nach alledem können für diese Frage also weder die in den Jahren 1922 und 1923 entrichteten Beiträge - da es an dem nach § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) erforderlichen Überbrückungsbeitrag für die Zeit vom 1. Januar 1923 bis zum 30. November 1948 mangelt - noch die im Jahre 1957 für das Jahr 1956 nachentrichteten Beiträge berücksichtigt werden. Entscheidend ist also, da die Halbdeckung offensichtlich nicht gegeben ist, ob die Anwartschaft aus den von 1950 bis 1956 entrichteten Beiträgen nach § 1264 RVO aF erhalten ist. Nach dieser Vorschrift müssen für jedes Kalenderjahr mindestens 26 Wochenbeiträge entrichtet sein. Da die Anwartschaft aus den für die Jahre 1922 und 1923 entrichteten Beiträgen erloschen ist, hat die Versicherung nach § 1264 Abs. 1, 2. Halbsatz RVO aF mit dem Jahr 1949 neu begonnen.

Wenn man die Entwertungsdaten auf den Beitragsmarken der einzelnen Quittungskarten als allein ausschlaggebend ansehen würde, müßte man, da die im Jahre 1957 für das Jahr 1956 entrichteten Beiträge bei Anwendung des Art. 2 § 42 ArVNG nicht berücksichtigt werden können, zu dem Ergebnis kommen, daß am 31. Dezember 1956 aus keinem Beitrag die Anwartschaft erhalten war. Denn dann wären für 1956 überhaupt keine Beiträge zu berücksichtigen. Wie aber das Reichsversicherungsamt in ständiger Rechtsprechung erkannt hat (vgl. ERVA 1915, 768) und wie auch der erkennende Senat bereits entschieden hat (BSG 6, 140), darf man den Entwertungsdaten nicht den allein entscheidenden Wert beilegen. Man wird vielmehr annehmen müssen, daß der Versicherte - wenn er sich überhaupt über die Bedeutung der Entwertungsdaten klar gewesen ist - in erster Linie die Marken für die Zeiträume verwertet wissen wollte, deren Belegung für ihn versicherungstechnisch am günstigsten war. Bei der Erforschung dieses wahren Willens des Versicherten kann nur von den Umständen, die zur Zeit der tatsächlichen Verwertung überschaubar waren, ausgegangen werden. Von den Voraussetzungen des Art. 2 § 42 ArVNG konnte aber insbesondere damals noch nichts bekannt sein.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts, welches der wahre Wille des Versicherten gewesen ist, ist nicht, wie die Klägerin meint, eine Tatsachenfeststellung, sondern soweit es sich um die Verwertung eines allgemeinen Auslegungsgrundsatzes handelt, eine Rechtsanwendung, die der vollen Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt. Wenn daher der erkennende Senat insoweit auch nicht nach § 163 SGG an die Entscheidung des Berufungsgerichts gebunden ist, wie die Klägerin rechtsirrtümlich meint, so ist er doch im Ergebnis zu derselben Auffassung gelangt wie das Berufungsgericht.

Unter der Herrschaft des alten Rechts ging das Interesse des Versicherten, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, in erster Linie dahin, die Anwartschaft zu erhalten. Allerdings kann dies uneingeschränkt nur dann gelten, wenn die Wartezeit bereits erfüllt war. Solange dies dagegen noch nicht der Fall war, kann der Wunsch nach Anwartschaftserhaltung nicht allein als ausschlaggebend angesehen werden. Es muß vielmehr daneben auch der verständliche Wunsch des Versicherten, baldmöglichst die Wartezeit zu erfüllen, berücksichtigt werden. Dennoch steht auch in diesen Fällen das Bestreben, auf keinen Fall einen Anwartschaftsverlust aus den bereits entrichteten Beiträgen eintreten zu lassen, im Vordergrund. Dies nicht nur deshalb, weil - wenn auch nur in Ausnahmefällen - nach §§ 1263 a RVO aF, 1252 RVO (Fiktion der Erfüllung der Wartezeit) die versicherungstechnischen Voraussetzungen erfüllt wären, wenn auch nur aus einem Beitrag im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles die Anwartschaft erhalten wäre, sondern auch deshalb, weil eine einmal entstehende Anwartschaftslücke, falls die Nachentrichtungsfrist des § 1442 RVO aF ohne Beitragsentrichtung verstreichen würde, nicht mehr geschlossen werden könnte. Sicherlich wäre der Versicherte rechtlich noch in der Lage innerhalb dieser Frist durch Nachentrichtung von Beiträgen eine entstandene Anwartschaftslücke rückwirkend zu schließen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Versicherte der Rentenversicherung der Arbeiter, der in der Regel in bescheidenen finanziellen Verhältnissen lebt, nicht immer mit der erforderlichen Sicherheit voraussehen kann, ob er auch in den folgenden Jahren noch finanziell in der Lage sein wird, für das laufende Jahr die für die Schließung der Anwartschaftslücke erforderlichen 26 Wochenbeiträge nachzuentrichten. In seinem wahren Interesse liegt es daher, auf jeden Fall sicherzustellen, daß mit den entrichteten Beiträgen für die Vergangenheit, soweit dies nach § 1442 RVO aF noch möglich ist, aber auch für das laufende Jahr soviel Beiträge zu verwerten, daß keine Anwartschaftslücke entsteht. Dies ist für den Versicherten wichtiger, als die vorausgegangenen Jahre möglichst voll mit Beiträgen zu belegen.

Davon ausgehend, muß man annehmen, daß der wahre Wille der Klägerin dahin ging, von den im Jahre 1953, den Verwertungsdaten nach für das Jahr 1952 entrichteten 52 Beiträgen nur 26 für das Jahr 1952, die restlichen 26 aber für das Jahr 1953 zu entrichten. Die im Jahre 1954, den Entwertungsdaten nach für das Jahr 1953 entrichteten 26 Beiträge sind danach für das laufende Jahr der Entrichtung, d. h. für das Jahr 1954 zu berücksichtigen. Die im Jahre 1955, den Entwertungsdaten nach für das Jahr 1953 entrichteten 26 Beiträge sind für das laufende Kalenderjahr 1955 zu verwerten. Die im Jahre 1955, den Entwertungsdaten nach für das Jahr 1954 entrichteten vier Beiträge verbleiben für das Jahr 1954, da kein Anlaß besteht, diese für ein anderes Jahr zu berücksichtigen. Von den im Jahre 1956, nach den Entwertungsdaten für die Jahre 1954 und 1955 entrichteten 70 Beiträgen sind 22 noch für das Jahr 1954, 22 noch für das Jahr 1955 und 26 für das laufende Kalenderjahr 1956 zu berücksichtigen. Die im Jahre 1957, den Entwertungsdaten nach für das Jahr 1956 entrichteten 30 Wochenbeiträge können im Rahmen der Prüfung, ob die Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 im Sinne des Art. 2 § 42 ArVNG erhalten war, zwar überhaupt nicht berücksichtigt werden, wie bereits ausgeführt wurde. Im übrigen aber sind sie in Höhe von 26 Wochenbeiträgen für das Jahr 1956 und, da bei voller Belegung eines Kalenderjahres die überschüssigen Beiträge für das folgende Kalenderjahr zu berücksichtigen sind, in Höhe von vier Wochenbeiträgen für das Jahr 1957 zu verwerten. Für das Jahr 1957 mußte in Abweichung von den aufgestellten Grundsätzen von einer Verwertung von 26 Beiträgen abgesehen werden, weil angenommen werden muß, daß die Klägerin angesichts des bevorstehenden Rentenantrags keinesfalls mehr Beiträge für das Jahr 1957 entrichten wollte als bis zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles noch wirksam verwertet werden konnten.

Die nach Art. 2 § 42 ArVNG erforderlichen neun Beitragsmonate für jedes zwischen dem 1. Januar 1957 und dem Jahr des Eintritts des Versicherungsfalls liegende Kalenderjahr brauchten hier nicht entrichtet zu werden, weil der Versicherungsfall bereits im Jahre 1957 eingetreten ist.

Der 12. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 1. Juli 1959 (BSG 15, 261) entschieden, daß die Vergleichsrente nur dann gewährt werden könne, wenn im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles die Wartezeit aus denjenigen Beiträgen, aus denen die Anwartschaft zum 31. Dezember 1956 erhalten war, und den nach diesem Zeitpunkt entrichteten Beiträgen erfüllt war. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob dem zugestimmt werden kann, da selbst bei Anwendung dieser Grundsätze die Wartezeit erfüllt wäre. Denn aus den von 1949 bis 1956 entrichteten Beiträgen, aus denen die Anwartschaft, wie nachgewiesen, zum 31. Dezember 1956 erhalten war, und den im Jahre 1957 entrichteten Beiträgen sind 60 Monate mit Beiträgen belegt.

Da die Entscheidung des Berufungsgerichts somit im Ergebnis zutreffend war, mußte die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324457

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