Leitsatz (amtlich)

Beiträge für einen nur teilweise mit einer Ausfallzeit belegten Kalendermonat sind nicht "während einer anzurechnenden Ausfallzeit" entrichtet.

 

Normenkette

AVG § 32 Abs 7 S 2 Fassung: 1985-06-05; RVO § 1255 Abs 7 S 2 Fassung: 1985-06-05; AVG § 32 Abs 7 S 2 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1255 Abs 7 S 2 Fassung: 1965-06-09

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 13.02.1985; Aktenzeichen L 13 An 178/84)

SG München (Entscheidung vom 13.12.1983; Aktenzeichen S 2 An 394/83)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob bei der Rentenberechnung der Monat Oktober 1949 wegen der bis zum 18. Oktober dauernden Hochschulausbildung als Ausfallzeit oder ob er wegen des für Oktober entrichteten freiwilligen Beitrags als Beitragszeit zu berücksichtigen ist.

Der Kläger hat während seiner Hochschulausbildung vom 7. November 1946 bis zum 18. Oktober 1949 Beiträge, zuletzt solche der Klasse II, entrichtet. Die Beklagte gewährte ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) aufgrund eines Versicherungsfalles vom 29. Mai 1981 (Bescheid vom 29. September 1981). Dem Widerspruch des Klägers half die Beklagte in verschiedenen Bescheiden teilweise ab ua unter Festlegung des Versicherungsfalles auf den 31. Dezember 1980, wobei sie den Monat Oktober 1949 als Beitragszeit mit der Werteinheit 1,02 berücksichtigte, während sie der Hochschulausbildung den Wert von 8,33 zugrundelegte; soweit der Kläger auch den Monat Oktober 1949 als Ausfallzeit bewertet haben wollte, blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 1983).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, den Monat Oktober 1949 als Ausfallzeit bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Klägers zu berücksichtigen (Urteil vom 13. Dezember 1983). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 13. Februar 1985). Die Anwendung des § 32 Abs 7 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) sei durch den Wortlaut, den Normzweck und die Entstehungsgeschichte gerechtfertigt. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, daß der Versicherte während einer Ausfallzeit in der Regel nur niedrigere Beiträge entrichten konnte, und habe deshalb die Nichtberücksichtigung der Beiträge angeordnet. Das müsse auch für einen nur teilweise mit einer Ausfallzeit belegten Monat beim Zusammentreffen mit einem freiwilligen Beitrag gelten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 32 Abs 7 Satz 2 AVG. Für Pflichtbeiträge am Beginn oder Ende einer in einem Kalendermonat beginnenden oder endenden Ausfallzeit habe die Entscheidung des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Mai 1973 (SozR Nr 13 zu § 1255 Reichsversicherungsordnung -RVO-) bereits bestätigt, daß diese Beiträge nicht "während" der Ausfallzeit entrichtet seien.

Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision der Beklagten waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der in seiner Auslegung hier streitige § 32 Abs 7 Satz 2 AVG ist nach Erlaß der vorinstanzlichen Urteile durch Art 3 Nr 2 Buchst b des Rentenanpassungsgesetzes (RAG) 1985 vom 5. Juni 1985 mit Wirkung vom 1. Juli 1985 (aaO Art 11) geändert worden. Zum Übergangsrecht bestimmt § 12b Abs 5 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) idF des RAG 1985, daß ua § 32 Abs 7 Satz 2 des AVG in der vom 1. Juli 1985 an geltenden Fassung auch für Versicherungsfälle vor diesem Zeitpunkt gilt, sofern nicht über einen Anspruch eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen worden ist. Damit ist § 32 Abs 7 Satz 2 AVG idF durch das RAG 1985 hier in der Revisionsinstanz anzuwenden; hierbei kommt es jedoch nach wie vor darauf an, ob der für Oktober 1949 freiwillig entrichtete Beitrag "während einer anzurechnenden Ausfallzeit" entrichtet worden ist. Die Vorinstanzen haben das zu Unrecht bejaht.

Der das Zusammentreffen von Beiträgen mit einer Ausfallzeit regelnde § 32 Abs 7 Satz 2 AVG ist durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 eingefügt worden. Die Einbeziehung des Anpassungsgeldes durch das Gesetz zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) und anderer Gesetze vom 22. Dezember 1971 ist hier ohne Bedeutung, desgleichen die mit dem RAG 1985 erfolgte Einschränkung, daß die im Gesetz umschriebenen Beiträge nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn dies für den Versicherten günstiger ist (vgl hierzu BVerfGE 63, 119 ff), da das hier unzweifelhaft der Fall ist. Die Vorschrift ermöglicht es weder idF des RVÄndG noch idF des RAG 1985, einen Beitrag unberücksichtigt zu lassen, der für einen Kalendermonat entrichtet wurde, der nur teilweise mit einer Ausfallzeit belegt ist.

Nach § 32 Abs 7 Satz 2 AVG idF des RVÄndG bleiben Beiträge unberücksichtigt, die "während" einer Ausfallzeit entrichtet wurden. Maßgebend ist dabei nicht der - gerade bei freiwilligen Beiträgen oft zufällige - Zeitpunkt der Beitragsentrichtung, sondern die durch die Beiträge belegte Beitragszeit. Diese muß innerhalb der Ausfallzeit liegen. Daran fehlt es, wenn ein Monat (Grenzmonat) nur teilweise mit einer Ausfallzeit und voll mit einem freiwillig entrichteten Beitrag belegt ist. In diesem Fall ist der Beitrag nicht insgesamt "während der Ausfallzeit" entrichtet, weil ein Teil der mit dem Beitrag belegten Zeit aus der Ausfallzeit herausfällt. Zwar werden nach § 36 Abs 4 AVG Kalendermonate, die nur teilweise mit einer Ausfallzeit belegt sind, voll angerechnet. Jedoch kommt es nach dem Gesetzeswortlaut auf die anrechenbare Ausfallzeit, und nicht auf die deswegen anzurechnenden Kalendermonate an. Das ist nach der Rechtsprechung für Pflichtbeiträge anerkannt (vgl dazu § 27 Abs 2 AVG); Pflichtbeiträge, die bei einem teilweise mit einer Ausfallzeit belegten Kalendermonat für eine in diesem Monat vor Beginn der Ausfallzeit verrichtete Beschäftigung entrichtet sind, erfüllen nicht die Voraussetzungen des der hier auszulegenden Vorschrift entsprechenden § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO (SozR Nr 13 zu § 1255 RVO; BSGE 54, 125, 129 = SozR 2200 § 1255 Nr 16; SozR 2200 § 1255 Nr 9).

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. § 32 Abs 7 Satz 2 dient der Beseitigung aufgetretener Härten bei der Bewertung an sich beitragsloser, aber dennoch mit Beiträgen belegter Zeiten. Er soll ein Absinken des für die persönliche Bemessungsgrundlage maßgebenden Vomhundertsatzes vermeiden (BT-Drucks IV/3233 auf S 4 f) und die Rentenberechtigten vor den Nachteilen bewahren, die ihnen unter Umständen aus einer Rentenberechnung allein aufgrund der geleisteten Beiträge entstehen würden. Dabei war primär an die Arbeitslosen der frühen Dreißiger Jahre mit den zur Erhaltung ihrer Rentenanwartschaft erforderlichen niedrigsten Beiträgen gedacht, ebenso aber auch an die Pflichtbeiträge der Berliner Studenten. Ihnen sollten nicht erhebliche Rentenminderungen durch Anrechnung der niedrigen Beiträge anstelle der demgegenüber günstigeren Berücksichtigung als Ausfallzeit entstehen (Gellhorn, BABl 1965, 588, 591). Die Vorschrift dient damit dem Schutz der Versicherten, die während einer Ausfallzeit bedingt durch in der Ausfallzeit gegebene Verhältnisse allenfalls zu niedrigen Beiträgen imstande waren. Diese mit der Ausfallzeit verknüpfte typische Situation ist jedoch auf die Dauer der Ausfallzeit begrenzt. Die Vorschrift kann daher auch von ihrem Sinn her nicht auf Beiträge Anwendung finden, die für Zeiten vor dem Beginn oder nach dem Ende der Ausfallzeit entrichtet sind; dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um Pflicht- oder freiwillige Beiträge handelt und ob die Beitragszeit ganz oder nur zum Teil außerhalb der Ausfallzeit liegt.

Diese Auslegung wird von der Neufassung der Vorschrift durch das RAG 1985 bestätigt, was sich insbesondere aus der dazu gegebenen amtlichen Begründung ergibt. Der § 32 Abs 7 Satz 2 AVG idF des RAG 1985 unterscheidet zwischen Beiträgen, die (Buchst a) während einer anzurechnenden Ausfallzeit, und solchen (Buchst b), die für Kalendermonate, die auch mit einer anzurechnenden Ausfallzeit belegt sind, entrichtet worden sind. Der Buchst b läßt es nur unter den dort genannten, hier nicht gegebenen Voraussetzungen für die Nichtberücksichtigung des Beitrags genügen, daß der Kalendermonat nur teilweise mit einer Ausfallzeit belegt ist. Wenn das schon nach dem Buchst a, der in seiner Formulierung der bisherigen Fassung entspricht, ausreichen würde, hätte es des Buchst b nicht bedurft. Die erst bei der Ausschußberatung beschlossene Aufteilung in die Buchst a und b soll demgegenüber zum Buchst a gerade verdeutlichen, daß bei einer Aufeinanderfolge von Beitragszeiten und Ausfallzeiten (oder umgekehrt) in einem Kalendermonat - entsprechend der durch die Rechtsprechung des BSG bestätigten Praxis der Rentenversicherungsträger - für diesen Kalendermonat grundsätzlich keine Vergleichsberechnung durchzuführen ist (vgl zu der entsprechenden Änderung des § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO BT-Drucks 10/3243 auf S 24 zu Nr 2).

Auf die Revision der Beklagten waren daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1664283

BSGE, 242

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