Leitsatz (amtlich)

"Gebrauchsunfähig" iS des § 3 S 1 Buchst c der DV § 31 Abs 5 BVG vom 1961-04-17 idF der ÄndV DV § 31 Abs 5 BVG vom 1964-07-17 bzw § 3 Abs 1 Nr 3 der DV § 31 Abs 5 BVG vom 1961-04-17 idF der ÄndV.DV § 31 Abs 5 BVG vom 1969-08-19 ist eine Hand (oder ein Fuß) nur dann, wenn sie völlig gebrauchsunfähig ist, dh wenn ihr Zustand dem Fehlen einer Hand gleichkommt.

 

Normenkette

BVG § 31 Abs. 5 Fassung: 1964-02-21, Abs. 5 Fassung: 1966-12-28, Abs. 5 DV § 3 S. 1 Buchst. c Fassung: 1964-07-17, Abs. 5 DV § 3 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1969-08-19

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 11. Januar 1968 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Versorgungsbehörde erkannte bei dem Kläger mit Bescheid vom 12. November 1951 als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) an: Zahlreiche Stecksplitter an der linken Schulter, am linken Arm und linken Bein, Totalversteifung des linken Ellenbogengelenks in stumpfwinkliger Stellung und des linken Unterarms in ungünstiger Außendrehstellung, Streckschwäche des linken Handgelenks und der linken Finger, Teilverrenkung des linken Daumengrundgelenks nach Speichennervenverletzung, chronische Osteomyelitis der linken Elle nach Ellenbogengelenkschußbruch mit Stecksplittern im Knochen und der Umgebung, Verlust des linken Unterschenkels im unteren Drittel, Gefühls- und Durchblutungsstörungen am Unterschenkelstumpf, Bewegungseinschränkung und verbildende Entartung im linken Kniegelenk, Stecksplitter im linken Bein, Überlastungsschaden am rechten Fuß, ausgedehnte Blutaderentzündung am rechten Fuß.

Wegen dieser Schädigungsfolgen bezieht der Kläger eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H.

Mit Bescheid vom 1. August 1963 gewährte die Versorgungsbehörde dem Kläger für die Zeit vom 1. Juni 1960 an die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe I. Im Februar 1965 stellte der Kläger den Antrag, ihm nach dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85 - 2. NGG -) die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II zu gewähren. Zur Berechnung der für die Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage erforderlichen Punkte bewertete die Versorgungsbehörde die MdE für die einzelnen Schädigungsfolgen wie folgt: Für den linken Arm 60 v. H., für das linke Bein 60 v. H., für das rechte Bein 40 v. H. Sie berechnete demzufolge für den Arm und das linke Bein je 60 und für das rechte Bein 20 Punkte. Wegen des Zusammentreffens von Schädigungsfolgen an beiden Beinen gewährte die Versorgungsbehörde weitere 10 Punkte, so daß sich insgesamt 150 Punkte ergaben. Da die erforderliche Gesamtpunktzahl von 160 Punkten nicht erreicht wurde, lehnte sie den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 11. Mai 1965 ab. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 1965).

Das Sozialgericht (SG) hat Prof. Dr. G gehört, der in seinem Gutachten vom 31. Januar 1966 ausgeführt hat, daß der Kläger durch die Erhaltung der Beweglichkeit des linken Handgelenks, insbesondere der Greiffunktion und der taktilen Gnosis der Finger, wesentlich besser gestellt sei als bei einem Totalverlust dieser Hand.

Das SG hat mit Urteil vom 28. Juni 1966 die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat erneut Prof. Dr. G gehört. Dieser hat in seinem Gutachten vom 27. Februar 1967 ausgeführt, daß der Zustand des Klägers günstiger sei als der eines Beschädigten, der den linken Arm verloren habe und mit einer funktionstüchtigen Prothese ausgestattet sei. Auch durch die Veränderungen am linken Schulter- und Ellenbogengelenk könne nicht von einer Gebrauchsunfähigkeit der linken Hand gesprochen werden.

Das LSG hat mit Urteil vom 11. Januar 1968 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Stuttgart vom 28. Juni 1966 zurückgewiesen.

In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dem Antrag des Klägers auf Erhöhung der Schwerstbeschädigtenzulage stehe die Bindungswirkung des Bescheides vom 1. August 1963 nicht entgegen, weil durch die Neufassung des 2. NOG eine Neufestsetzung dieser Leistung gemäß Art. 6 § 1 Abs. 1 des 2. NOG zulässig sei. Der Kläger habe aber keinen Anspruch auf die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II. Zutreffend sei das SG davon ausgegangen, daß die Punktzahl nach der für die einzelnen Schädigungsfolgen zu ermittelnden MdE zu errechnen ist. Die Versorgungsbehörde habe unter Berücksichtigung der anerkannten Schädigungsfolgen eine Punktzahl von 140 errechnet und diese wegen des Zusammentreffens von Schädigungsfolgen an beiden Beinen gem. § 3 Buchst. a der Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs. 5 BVG vom 17. April 1961 (BGBl I 453) idF vom 17. Juli 1964 (BGBl I 489 - DVO 1964 -) um weitere 10 Punkte erhöht. Diese Berechnung habe der Kläger nicht angegriffen, sondern nur bemängelt, daß die Versorgungsbehörde die Gesamtpunktzahl nicht nach § 3 Buchst. c letzter Halbs. der DVO 1964 um weitere 20 Punkte erhöht habe; denn nach seiner Auffassung sei die linke Hand gebrauchsunfähig. Die linke Hand des Klägers sei jedoch nicht gebrauchsunfähig i. S. des § 3 Buchst. c der DVO 1964. Der Begriff "Gebrauchsunfähigkeit" sei nach dem Sinn und Zweck der Schwerstbeschädigtenzulage, ihrem System nach Punkten und aus dem Wortlaut der DVO selbst auszulegen. Nach näheren Ausführungen hierzu ist das LSG sodann zu der Ansicht gelangt, eine "Gebrauchsunfähigkeit" bedeute, daß die Gliedmaßen - wie bei ihrem völligen Fehlen - für einen Gebrauch völlig unfähig sein müßten. Wenn der Verordnungsgeber unter Gebrauchsunfähigkeit nicht eine mit dem totalen Verlust von Gliedmaßen gleichzusetzende völlige Gebrauchsunfähigkeit verstanden wissen wollte, so hätte er dies durch zusätzliche Worte wie "weitgehend", "überwiegend", "nahezu", "fast völlig" "praktisch" oder ähnlich zum Ausdruck bringen können. Insoweit müsse auf § 3 Buchst. e der DVO 1964 verwiesen werden, der entsprechende Zusätze enthalte. Sei aber unter Gebrauchsunfähigkeit i. S. des § 3 Buchst. c der DVO 1964 eine dem Fehlen von Gliedmaßen gleichzusetzende Unfähigkeit zum Gebrauch zu verstehen, so könne der Kläger keine zusätzliche Punktzahl nach dieser Vorschrift bei der Berechnung der Schwerstbeschädigtenzulage verlangen. Es träfe zwar zu, daß die Funktionsfähigkeit der linken Hand des Klägers weitgehend eingeschränkt sei, er sei aber noch in der Lage, mit seiner Hand gewisse, im täglichen Leben erforderliche und wirtschaftlich ins Gewicht fallende Funktionen auszuüben. Streckung und Beugung des linken Handgelenkes seien ausreichend vorhanden, und die Streckung sowie Beugung der Langfinger sei weitgehend möglich; die Beweglichkeit des linken Daumens sei zwar erheblich eingeschränkt; durch die relativ gute Beweglichkeit der Langfinger seien aber der Faustschluß und die Greiffähigkeit der Finger im wesentlichen erhalten geblieben. Zwischen dem Daumen und Zeigefinger sowie Mittelfinger sei ein Flachgriff und zwischen Daumen und Ringfinger sowie Kleinfinger sei ein Spitzgriff möglich. Die grobe Kraft sei dabei als gut zu bezeichnen. Infolge der noch vorhandenen Greif- und Haltefunktion der Finger und der beim Kläger noch bestehenden Fähigkeit, die Gegenstände mit der linken Hand bei geschlossenen Augen zu erkennen, könne nicht davon ausgegangen werden, daß die linke Hand des Klägers völlig gebrauchsunfähig sei.

Ebenso sei die Meinung des Klägers nicht zutreffend, bei ihm liege eine Gebrauchsunfähigkeit des gesamten linken Armes vor. Diese Auffassung werde durch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. G widerlegt. Die Beweglichkeit des linken Armes sei im Schultergelenk endgradig eingeschränkt. Der linke Oberarm sei gut beweglich und als Stütze zu gebrauchen; zwischen dem linken Oberarm und dem Körper könnten Gegenstände gehalten werden. Das gleiche gelte auch für den linken Unterarm. Der durch die Versteifung des linken Ellenbogengelenks eingetretene Funktionsausfall könne durch die im wesentlichen erhaltene Beweglichkeit im linken Schultergelenk zumindest teilweise ausgeglichen werden. Die Greif- und Haltefunktionen der Finger des Klägers seien in einem größeren Umfange als bei einem Prothesenträger erhalten geblieben. Dabei sei, wie Prof. Dr. G ausgeführt habe, von entscheidender Bedeutung, daß beim Kläger keine schwerwiegenden Gefühlsstörungen in den Fingern links nachgewiesen werden könnten. Der Zustand sei daher besser als beim Verlust des linken Armes. Demnach seien die Voraussetzungen des § 3 Buchst. c der DVO 1964 nicht erfüllt, so daß auch die Punktzahl nicht um weitere 20 Punkte erhöht werden könne. Bei einer Gesamtpunktzahl von 150 Punkten stehe dem Kläger aber keine Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II zu.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen dieses, ihm am 2. Februar 1968 zugestellte Urteil mit einem am 15. Februar beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 2. Mai 1968 mit einem am 17. April 1968 beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom 16. April 1968 begründet.

Er beantragt,

1.) unter Aufhebung des Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 11. Januar 1968 und des Urteils des SG Stuttgart vom 28. Juni 1966 sowie des Bescheides des Versorgungsamts S vom 11. Mai 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 1965 den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Januar 1964 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe II gem. § 31 Abs. 5 BVG zu gewähren;

2.) den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Klage-, Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

In seiner Revisionsbegründung rügt der Kläger eine Verletzung des § 3 Buchst. c der DVO 1964 zu § 31 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG und trägt hierzu insbesondere vor, der Wortlaut des § 3 Buchst. c der DVO 1964 könne entgegen der Auffassung des LSG nicht dahin ausgelegt werden, daß die Worte "Fehlen" und "Gebrauchsunfähigkeit" von Gliedmaßen ihrem Sinngehalt nach als gleichrangige Tatbestandsmerkmale zu verstehen seien. Unter "Gebrauchsunfähigkeit" von Gliedmaßen sei nicht eine dem totalen Verlust von Gliedmaßen gleichzusetzende Gebrauchsunfähigkeit zu verstehen. Wenn auch der Sachverständige Prof. Dr. G beim Kläger in medizinischem Sinne eine volle Gebrauchsunfähigkeit der linken Hand noch nicht angenommen habe, so schließe dies nicht aus, daß die Gebrauchsfähigkeit der linken Hand gleich Null sei, weil deren Funktionseinheit gestört und dadurch dem Kläger die Fähigkeit genommen worden sei, die Hand nutzbringend im täglichen Geschehensablauf sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich zu benutzen. Als gebrauchsunfähig i. S. des § 3 Buchst. c der DVO 1964 müsse eine Hand dann angesehen werden, wenn sie keiner vernünftigen Funktion mehr fähig sei. Im übrigen wird auf die Revisionsbegründung vom 16. April 1968 verwiesen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 11. Januar 1968 als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil materiell-rechtlich für zutreffend.

Zur Darstellung des Vorbringens des Beklagten wird auf die Revisionserwiderung vom 18. Juni 1968 verwiesen.

Die durch Zulassung gem. § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist somit zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.

Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf eine Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II hat. Dieser Anspruch richtet sich im vorliegenden Fall nach § 31 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG i. V. m. der hierzu erlassenen DVO 1964; denn der Kläger hat die Erhöhung der ihm bisher gewährten Schwerstbeschädigtenzulage ausdrücklich aufgrund des 2. NOG begehrt. Nach § 31 Abs. 5 BVG idF des 2. NOG erhalten erwerbsunfähige Beschädigte, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, eine nach fünf Stufen abgestufte monatliche Schwerstbeschädigtenzulage. Die Bundesregierung hat aufgrund der ihr in § 31 Abs. 5 letzter Satz BVG erteilten Ermächtigung in der DVO 1964 den Personenkreis, der durch eine Schädigungsfolge außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis V näher bestimmt. Nach § 5 der DVO 1964 wird Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II bei mindestens 160 Punkten gewährt.

Nach den insoweit nicht angegriffenen und daher für den Senat gem. § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG ergeben die bei dem Kläger anerkannten Schädigungsfolgen unter Berücksichtigung des Zusammentreffens von Schädigungsfolgen an beiden Beinen (§§ 2 und 3 Buchst. a der DVO 1964) insgesamt 150 Punkte. Die Auffassung des Klägers, zu diesen Punkten müßten weitere 20 Punkte wegen einer durch die Schädigungsfolgen bedingten Gebrauchsunfähigkeit seiner linken Hand hinzugerechnet werden, geht jedoch fehl. Nach § 3 Buchst. c der DVO 1964 ist die nach § 2 der DVO 1964 ermittelte Punktzahl um 20 Punkte zu erhöhen, wenn eine Hand und ein ganzer Fuß fehlen oder gebrauchsunfähig sind. Da dem Kläger zwar ein ganzer Fuß, nicht aber eine Hand fehlt, könnte die Punktzahl nach § 3 Buchst. c der DVO 1964 also nur dann um 20 Punkte erhöht werden, wenn seine linke Hand "gebrauchsunfähig" ist. Das ist hier nicht der Fall.

Das LSG hat den Begriff "gebrauchsunfähig" i. S. des § 3 Buchst. c der DVO 1964 zutreffend dahin ausgelegt, daß darunter nur die völlige, dem Fehlen einer Hand oder eines Fußes gleichzusetzende Gebrauchsunfähigkeit zu verstehen ist. Dies ergibt schon die wörtliche Interpretation von "gebrauchsunfähig"; denn damit wird zum Ausdruck gebracht, daß die Fähigkeit, die Hand oder den Fuß zu gebrauchen, verloren gegangen ist. Eine Hand oder ein Fuß ist dann gebrauchsfähig, wenn die Funktionen dieser Gliedmaßen entweder völlig oder doch zumindest noch in einem solchen Umfang vorhanden sind, daß die Ausübung einzelner Funktionen möglich ist. Die Gebrauchsunfähigkeit - als Gegensatz zur Gebrauchsfähigkeit - schließt folglich - neben der völligen Funktionstüchtigkeit - aus, daß die bezeichneten Gliedmaßen auch nur teilweise funktionsfähig geblieben sind. Diese Auslegung, daß unter "gebrauchsunfähig" i. S. des § 3 Buchst. c der DVO 1964 nur die "völlige" Gebrauchsunfähigkeit zu verstehen ist, ergibt sich auch aus dem Zusammenhang, in dem dieses Wort in der bezeichneten Vorschrift steht. Der Zuschlag von 20 Punkten wird nämlich nur dann gewährt, wenn eine Hand und ein ganzer Fuß "fehlen oder gebrauchsunfähig sind". Die Gebrauchsunfähigkeit soll also im Rahmen dieser Bestimmung ebenso bewertet werden, wie das Fehlen der Hand oder des Fußes. Werden aber Fehlen und Gebrauchsunfähigkeit in § 3 Buchst. c der DVO 1964 als gleichwertige Ausfallserscheinungen angesehen, die zu einer Erhöhung der Punktbewertung in dem gleichen Umfange berechtigen, so muß daraus geschlossen werden, daß mit "gebrauchsunfähig" eine dem Fehlen von Hand oder Fuß gleichzusetzende, also völlige Gebrauchsunfähigkeit dieser Gliedmaßen bezeichnet werden sollte. Diese vom Senat gezogene Folgerung ergibt sich auch aus der geschichtlichen Entwicklung der DVO zu § 31 Abs. 5 BVG. Vor Inkrafttreten der DVO 1964 war in der Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs. 5 BVG vom 17. April 1961 (BGBl I 453; DVO 1961) in § 3 Buchst. b eine Erhöhung der nach § 2 ermittelten Punktzahl um 20 Punkte vorgesehen, wenn Schädigungsfolgen an beiden Armen zusammentreffen, jedoch eine Erhöhung um 40 Punkte bestimmt, wenn beide Hände "fehlen". Der 8. Senat des BSG hat hierzu in seiner Entscheidung vom 18. August 1966 (BSG in SozR DVO zu § 31 Abs. 5 BVG Nr. 3) ausgeführt, daß die "praktische Gebrauchsunfähigkeit", die durch eine schwere Schädigung beider Hände hervorgerufen wird, nicht dem "Fehlen" beider Hände gleichkommt. Der Buchst. c des § 3 der DVO 1964, in dem das Fehlen und die Gebrauchsunfähigkeit einer Hand oder eines ganzen Fußes zur Erhöhung der Punktzahl führt, ist erst mit der DVO vom 17. April 1964 eingefügt worden, so daß also insoweit ein neuer Tatbestand von der DVO erfaßt wird. Stand aber nach der DVO 1961 die "praktische Gebrauchsunfähigkeit" eines Körpergliedes nicht dem Fehlen dieses Gliedes gleich, so kann bei der jetzigen Fassung des § 3 Buchst. c der DVO 1964, in welchem die Worte "gebrauchsunfähig" und "fehlen" gleichwertig nebeneinanderstehen, nicht angenommen werden, daß unter "gebrauchsunfähig" auch eine nur teilweise Gebrauchsunfähigkeit zu verstehen ist; andernfalls hätte der Verordnungsgeber in dieser Beziehung einen erläuternden Zusatz beigefügt. In diesem Zusammenhang hat das LSG zutreffend auf § 3 Buchst. e der DVO 1964 hingewiesen.

Nach § 3 Buchst. e der DVO 1964 wird die Punktzahl um 30 Punkte erhöht, wenn Blindheit mit Ausfall oder "nahezu völligem Ausfall" eines oder mehrerer weiterer Sinnesorgane zusammentrifft. Die Unterscheidung zwischen "Ausfall" und "nahezu völligem Ausfall" in § 3 Buchst. e der DVO 1964 zeigt, daß der Verordnungsgeber bei der Erhöhung der Punktzahl im Rahmen des § 3 zwischen einer totalen und einer teilweisen Unfähigkeit, Organe zu gebrauchen, unterschieden wissen wollte. Hat der Verordnungsgeber aber in § 3 Buchst. e der DVO 1964 neben dem (völligen) "Ausfall" den "nahezu völligen Ausfall" besonders erwähnt und beide Ausfallserscheinungen hinsichtlich ihrer Bewertung gleichgesetzt, so wäre es unverständlich, wenn unter "gebrauchsunfähig" in § 3 Buchst. c der DVO 1964 nicht nur die völlige, sondern auch eine teilweise oder "nahezu völlige" Gebrauchsunfähigkeit fallen sollte, ohne daß ein dem § 3 Buchst. e der DVO 1964 entsprechender Zusatz ("nahezu völlig") dem Wort "gebrauchsunfähig" beigefügt wurde. Demnach ist davon auszugehen, daß unter "gebrauchsunfähig" i. S. des § 3 Buchst. c der DVO 1964 eine dem Fehlen einer Hand oder eines ganzen Fußes gleichzusetzende, also völlige Gebrauchsunfähigkeit zu verstehen ist. Gleiches gilt auch seit dem Inkrafttreten der Zweiten Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs. 5 BVG vom 19. August 1969 (BGBl I 1352; DVO 1969). Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 der DVO 1969 ist die nach § 2 ermittelte Punktzahl um 20 Punkte zu erhöhen, wenn eine Hand und ein ganzer Fuß fehlen oder gebrauchsunfähig sind. Da dieser Wortlaut mit dem des § 3 Buchst. c der DVO 1964 wörtlich übereinstimmt und auch sonst aus der neugefaßten DVO 1969 keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, daß hinsichtlich des Wortes "Gebrauchsunfähigkeit" etwas anderes als zuvor gelten soll, muß auch für die Bestimmung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 DVO 1969 gleiches wie für § 3 Buchst. c der DVO 1964 gelten.

Ist also davon auszugehen, daß unter "gebrauchsunfähig" i. S. des § 3 Buchst. c der DVO 1964 und § 3 Abs. 1 Nr. 3 der DVO 1969 die dem totalen Verlust der Hand oder des Fußes gleichstehende völlige Gebrauchsunfähigkeit zu verstehen ist, so hat der Kläger keinen Anspruch auf Erhöhung der Punktzahl von 150 Punkten um weitere 20 Punkte.

Nach den Feststellungen des LSG ist der Kläger noch in der Lage, mit seiner Hand gewisse, im täglichen Leben erforderliche und wirtschaftlich ins Gewicht fallende Funktionen auszuüben. Streckung und Beugung des linken Handgelenks des Klägers sind ausreichend vorhanden, die Streckung und Beugung der linken Langfinger ist weitgehend möglich. Durch die relativ gute Beweglichkeit der Langfinger sind der Faustschluß und die Greiffähigkeit der Finger trotz erheblicher Einschränkung der Beweglichkeit des linken Daumens erhalten geblieben. Zwischen dem Daumen und Zeigefinger sowie Mittelfinger ist der Flachgriff und zwischen dem Daumen und Ringfinger sowie Kleinfinger ist ein Spitzgriff möglich. Ebenso ist die Fähigkeit erhalten geblieben, mit der linken Hand bei geschlossenen Augen Gegenstände zu erkennen. Das LSG hat ferner festgestellt, daß der Kläger bei nur endgradiger Einschränkung der Beweglichkeit des linken Schultergelenks den linken Oberarm gut bewegen und als Stütze gebrauchen kann. Zwischen dem linken Oberarm und der linken Körperhälfte können Gegenstände gehalten werden. Soweit der Kläger hierzu die Meinung vertritt, seine linke Hand sei durch die vorhandenen Schädigungen in ihrer Gebrauchsfähigkeit so weit herabgesetzt, daß diese "gleich Null" sei, will er sich offenbar gegen die vom LSG vertretene Auffassung wenden, daß seine Hand nicht völlig gebrauchsunfähig i. S. des § 3 Buchst. c der DVO 1964 und des § 3 Abs. 1 Nr. 3 der DVO 1969 ist. Soweit er sich damit gegen die Beweiswürdigung des LSG wendet, also eine Verletzung des § 128 SGG durch das LSG hinsichtlich der oben wiedergegebenen Feststellungen rügen will, greift diese Rüge nicht durch; denn insoweit nimmt er nur eine eigene, von der des LSG abweichende Beweiswürdigung vor, ohne durch Angabe von Tatsachen und Beweismitteln i. S. des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG dargetan zu haben, daß das LSG bei der Würdigung des Gutachtens von Prof. Dr. G zwingend zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen. Soweit der Kläger aber meinen sollte, daß die Gebrauchsfähigkeit einer Hand, die "gleich Null" ist, als "gebrauchsunfähig" angesehen werden muß, so kann dahinstehen, ob dieser verschiedene Wortgebrauch und die Gleichsetzung beider Worte zutreffend sind; jedenfalls ist die linke Hand des Klägers nach den nicht wirksam angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) gerade nicht gebrauchsunfähig. Wenn das LSG also bei den dem Kläger verbliebenen Möglichkeiten des Gebrauchs der linken Hand zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die linke Hand des Klägers nicht völlig gebrauchsunfähig ist, so ist dies nicht zu beanstanden. Dem Kläger sind noch zum Teil nicht unerhebliche Funktionen verblieben, die er mit der linken Hand ausüben kann, so daß er insoweit günstiger gestellt ist als ein Beschädigter, der die linke Hand verloren hat. Ist die linke Hand des Klägers aber nicht gebrauchsunfähig i. S. des § 3 Buchst. c DVO 1964 bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 3 der DVO 1969, so kann die für die anerkannten Schädigungsfolgen errechnete Punktzahl von 150 Punkten nicht erhöht werden. Da somit die Zahl von 160 Punkten vom Kläger nicht erreicht wird, steht ihm nicht die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II zu.

Das LSG hat somit zutreffend den angefochtenen Bescheid, mit dem die Gewährung der Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II abgelehnt worden ist, als rechtmäßig angesehen. Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2285158

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge