Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage. Nutzungen des Mündelvermögens
Leitsatz (amtlich)
1. Die von einem wegen Geistesschwäche Entmündigten erhobene Klage auf Zahlung einer Rentenleistung ist nur mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zulässig - Zum Alleinvertretungsrecht eines von mehreren Mitvormündern.
2. Der Vormund eines wegen Geistesschwäche entmündigten Rentenbeziehers bedarf zur Entgegennahme der monatlichen Rentenzahlbeträge nicht der Genehmigung des Gegenvormunds bzw des Vormundschaftsgerichts.
Orientierungssatz
1. Die auf die nochmalige Zahlung der Rentenbeträge gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) zulässig.
2. Die aufgrund eines Rentenanspruchs (Stammrecht) zu erbringenden monatlichen Einzelleistungen sind Nutzungen des Mündelvermögens. Daß der Rentenanspruch seine Grundlage im öffentlichen Recht hat, rechtfertigt es nicht, die einzelnen Rentenzahlungen nicht als Nutzungen des Mündelvermögens anzusehen.
3. Nutzungen des Mündelvermögens darf der Vormund ohne Genehmigung des Gegenvormundes bzw des Vormundschaftsgerichtes auch dann annehmen, wenn sie den Betrag von 300 DM übersteigen.
Normenkette
RVO § 1297 Fassung: 1957-02-23; BGB § 99 Abs 2 Fassung: 1896-08-18, § 100 Fassung: 1896-08-18, § 1812 Fassung: 1896-08-18, § 1813 Abs 1 Nr 4 Fassung: 1896-08-18, § 1812 Abs 1 S 1 Fassung: 1896-08-18; SGG § 54 Abs 4 Fassung: 1953-09-03, § 71; BGB §§ 107, 1797
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine nochmalige Auszahlung des Altersruhegeldes für die Zeit vom 1. Oktober 1974 bis 30. April 1975, nachdem ihr früherer Mitvormund die an ihn geleisteten Rentenzahlungen veruntreut hat.
Die im Jahre 1906 geborene Klägerin ist wegen Geistesschwäche entmündigt. Als Vormund wurde die Beigeladene berufen. Seit 1972 bezieht die Klägerin von der Beklagten Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Dieses wurde zunächst dem Vormund ausgezahlt. Am 25. Januar 1973 wurde der Rechtsbeistand G (im folgenden: G.) zum Mitvormund bestellt und durch Beschluß des Amtsgerichts H vom 30. April 1974 sein Wirkungskreis auf die gesamte Vermögensverwaltung für die Klägerin erweitert. Mit Einverständnis der Beigeladenen zahlte die Beklagte vom 1. Oktober 1974 bis 30. April 1975 die monatlichen Rentenbeträge von jeweils 474,-- DM (insgesamt 3.318,-- DM) an G. auf ein von ihm angegebenes Konto. Mit Beschluß vom 18. März 1975 hob das Amtsgericht H die Mitvormundschaft G's auf. Daraufhin stellte die Beklagte die Rentenzahlung auf das von G. angegebene Konto zum 30. April 1975 ein.
Durch Beschluß des Amtsgerichts vom 16. Mai 1975 wurde erneut eine Mitvormundschaft eingerichtet und mit dem Wirkungskreis der Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten des Mündels unter Ausschluß des Vormundes der jetzige Mitvormund der Klägerin bestellt. Er verlangte mit Schreiben vom 19. Februar 1976 von der Beklagten die nochmalige Zahlung eines Betrages von 3.318,-- DM, weil der frühere Mitvormund G. die für die Klägerin empfangenen Rentenzahlungen veruntreut habe und zur Entgegennahme der von der Beklagten geleisteten Beträge nicht befugt gewesen sei. Die Beklagte lehnte eine nochmalige Zahlung mit Bescheid vom 25. März 1976 ab.
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage, welche es als reine Leistungsklage für zulässig erachtet hat, abgewiesen (Urteil vom 19. Juli 1979). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß auch die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 25. März 1976 abgewiesen wird (Urteil vom 30. April 1980; Breithaupt 1981, 893). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt:
Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf eine nochmalige Zahlung der Rente für die Monate Oktober 1974 bis April 1975 nicht zu. G. sei zum Empfang der Rentenleistungen berechtigt gewesen und deshalb die Beklagte von ihrer Leistungspflicht gegenüber der Klägerin frei geworden. Gemäß § 1812 Abs 1 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) könne ein Vormund bei Fehlen eines Gegenvormunds zwar grundsätzlich nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts eine geschuldete Leistung für den Mündel annehmen. Bei Entgegennahme einzelner monatlicher Rentenzahlungen bedürfe er jedoch dieser Genehmigung nicht. Insoweit gelte die Ausnahmeregelung des § 1813 Abs 1 Nr 4 BGB. Rentenzahlungen aus der Sozialversicherung seien wie Einzelansprüche aus Leibrentenverträgen oder Reallasten als Rechtsfrüchte (§ 99 Abs 2 BGB) und mithin als Nutzung des Mündelvermögens zu erachten. Daher sei die Einziehung dieser Leistungen durch den Vormund auch dann genehmigungsfrei, wenn der Wert des Rentenzahlbetrags den in § 1813 Abs 1 Nr 2 BGB festgesetzten Betrag von 300,-- DM übersteige. Diese Auslegung stimme mit dem Normzweck des § 1813 Abs 1 BGB überein. Danach seien Ausnahmen von dem Genehmigungserfordernis für weniger bedeutsame Leistungen insbesondere dann zugelassen, wenn sie dem Unterhalt des Mündels zu dienen bestimmt seien. Der öffentlich-rechtliche Charakter der Einzelansprüche auf Altersruhegeld schließe jedenfalls die entsprechende Anwendung des § 1813 Abs 1 Nr 4 BGB nicht aus. Auch die Anfechtungsklage der Klägerin sei unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 25. März 1976 sei in entsprechender Anwendung des § 96 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in den Rechtsstreit einzubeziehen. Er sei, worüber das SG nicht entschieden habe, rechtmäßig und deswegen die Klage auch insoweit abzuweisen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung des § 1813 BGB. Es widerspreche dem Schutzzweck des Vormundschaftsrechts, § 1813 BGB auf die Empfangnahme von Rentenzahlungen jedenfalls im Betrage über 300,-- DM anzuwenden. Dies lasse sich auch aus § 1813 Abs 1 Nr 2 BGB ersehen. Danach sei nur die Entgegennahme vergleichsweise geringer Beträge genehmigungsfrei. Daraus sei zu folgern, daß ein Vormund für die Entgegennahme von Zahlungen von über 300,-- DM grundsätzlich und ohne Rücksicht auf die Bedeutung der Leistung im Einzelfall der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfe. Selbst einer analogen Anwendung des § 1813 BGB auf Sozialversicherungsrenten stehe im übrigen der öffentlich-rechtliche Charakter dieser Leistungen entgegen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. April 1980
und des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juli 1979 aufzuheben und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. März 1976 zu
verurteilen, ihr (Klägerin) zu Händen ihres Mitvormundes 3.118,-- DM nebst 4 vH Zinsen seit dem 1. Januar 1978 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der öffentlich-rechtliche Charakter der Sozialversicherungsrenten schließe die Anwendbarkeit zivilrechtlicher Vorschriften nicht aus. Es sei daher sachgerecht, Rentenzahlungen aus der Sozialversicherung bei entmündigten Rentenberechtigten entsprechend dem für Leibrenten geltenden § 1813 Abs 1 Nr 4 BGB zu behandeln.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an und ist wie diese der Meinung, der Schutzgedanke des § 1813 BGB schließe es aus, Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung als Nutzungen im Sinne des § 1813 Abs 1 Nr 4 BGB anzusehen. Angesichts der Bedeutung dieser Leistungen für den Mündel sei es nicht gerechtfertigt, auf eine Kontrolle des Vormundes zu verzichten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zulässig.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren wirksam durch ihren Mitvormund als Prozeßbevollmächtigten vertreten (§ 166 Abs 1 SGG). Zwar hat sich dieser als Vertreter seines Mündels selbst zu dessen Prozeßbevollmächtigten bestellt. Dem steht jedoch das grundsätzliche Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) nicht entgegen. Die Übernahme einer Prozeßvertretung für den Mündel ist die Erfüllung einer im Amt des Vormundes begründeten Verbindlichkeit. Hierfür ist nach § 181, 2. Halbs BGB das Selbstkontrahieren gestattet. Die Wahrnehmung einer Vormundschaft durch einen Rechtsanwalt steht daher dessen Übernahme einer Prozeßvertretung für den Mündel nicht entgegen (allgemeine Meinung: Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 2. Aufl 1981, RdNr 4 zu § 166; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 39. Aufl 1981 RdNr 3 zu § 78).
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Bei einer zulässigen Revision hat vor der eigentlichen Sachentscheidung das Bundessozialgericht (BSG) auch ohne ausdrückliche Rüge eines Beteiligten von Amts wegen nachzuprüfen, ob das Verfahren der Vorinstanzen einen in der Revisionsinstanz fortwirkenden Verstoß gegen verfahrensrechtliche Grundsätze aufweist, welche im öffentlichen Interesse zu beachten sind und bei deren Verletzung das Vordergericht nicht in der Sache selbst hat entscheiden dürfen. Zu diesen unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen gehört die Zulässigkeit der Klage (BSGE 16, 21, 23; 49, 163, 165 = SozR 1500 § 87 Nr 6 S 6). Im vorliegenden Rechtsstreit ist die Klage zulässig gewesen.
Zur Zulässigkeit der Klage und damit ebenfalls zu den von Amts wegen nachzuprüfenden Prozeßvoraussetzungen zählt die Prozeßfähigkeit des Klägers (BSGE 2, 245, 253). Diese bestimmt sich im sozialgerichtlichen verfahren nach § 71 SGG. Nach § 71 Abs 1 SGG ist ein Beteiligter prozeßfähig, soweit er sich durch Verträge verpflichten kann. Wie allgemein im Prozeßrecht (vgl § 52 der Zivilprozeßordnung -ZPO-; § 62 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-) richtet sich auch im sozialgerichtlichen verfahren die Prozeßfähigkeit grundsätzlich - wenngleich nicht ausschließlich - nach der bürgerlich-rechtlichen Geschäftsfähigkeit. Als wegen Geistesschwäche Entmündigte steht die Klägerin in Ansehung ihrer Geschäftsfähigkeit einem Minderjährigen gleich, der das siebente Lebensjahr vollendet hat (§ 114 BGB). Dieser ist nach Maßgabe der §§ 107 ff BGB in der Geschäftsfähigkeit und dementsprechend in seiner Prozeßfähigkeit beschränkt (§ 106 BGB). Zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, bedarf er der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (§ 107 BGB). Das gilt auch für die Geltendmachung des Rentenzahlungsanspruchs der Klägerin. Hierdurch erlangt sie nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil. Die Geltendmachung des Rentenzahlungsanspruchs bringt diesen zum Erlöschen (§ 362 BGB). Sie stellt demgemäß eine Verfügung über den Leistungsanspruch dar; die Einziehung einer Forderung ist nicht nur rechtlich vorteilhaft (Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 40. Aufl 1981, Anm 2 zu § 107). Die von einem wegen Geistesschwäche Entmündigten erhobene Klage auf Zahlung einer Rentenleistung ist somit nur bei Vorliegen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters wirksam. Diese Einwilligung liegt hier vor. Zwar ist sie durch schlüssiges Handeln in Form der Klageerhebung nur durch den Mitvormund der Klägerin und nicht auch durch die Beigeladene als Vormund erteilt worden. Indes hat es einer Einwilligung der Beigeladenen nicht bedurft. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ist neben der Beigeladenen zum Mitvormund bestellt worden. Grundsätzlich führen mehrere Vormünder die Vormundschaft gemeinschaftlich (§ 1797 Abs 1 Satz 1 BGB). Das Vormundschaftsgericht kann jedoch die Führung der Vormundschaft unter mehrere Vormünder nach bestimmten Wirkungskreisen verteilen. Dann führt jeder Vormund innerhalb des ihm überwiesenen Wirkungskreises die Vormundschaft selbständig (§ 1797 Abs 2 BGB). Er hat insoweit die Stellung eines Einzelvormundes und das Recht zur alleinigen Vertretung des Mündels (Zagst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 5, 1978, § 1797, RdNr 10). Das gilt auch für den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin. Er ist durch Beschluß des Amtsgerichts H vom 16. Mai 1975 zum Mitvormund der Klägerin mit dem Wirkungskreis der Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten unter Ausschluß des Vormundes bestellt worden. Bei der Wahrnehmung dieser Angelegenheiten ist er demnach zur alleinigen Vertretung der Klägerin berechtigt. Zur Wahrnehmung der Vermögensangelegenheiten gehört auch die Führung von Rechtsstreitigkeiten vermögensrechtlicher Art. Der vorliegende Rechtsstreit um die Auszahlung von Rentenbeträgen ist eine solche Streitigkeit. Demgemäß ist die Wirksamkeit der Klageerhebung nicht von einer Einwilligung der Beigeladenen abhängig gewesen.
Die auf die nochmalige Zahlung der Rentenbeträge gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) zulässig. Dies hat das LSG im Ergebnis zu Recht erkannt. In der Begründung kann ihm allerdings insbesondere insoweit nicht gefolgt werden, als der Bescheid der Beklagten vom 25. März 1976 gemäß § 96 Abs 1 SGG in das Verfahren einbezogen worden sein soll. Die Klägerin hat zunächst eine reine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) erhoben. Sie ist im Zeitpunkt ihrer Erhebung zulässig gewesen. Zwar ist die reine Leistungsklage vorwiegend für Fälle vorgesehen, in denen sich der gegen den beklagten Leistungsträger erhobene Anspruch aus dem Gesetz ergibt und - insbesondere deshalb, weil die Beteiligten zueinander im Verhältnis der Gleichordnung stehen - ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Darüber hinaus ist die unmittelbare Leistungsklage aber auch dann der geeignete Weg zum Rechtsschutz, wenn das Leistungsbegehren seine Grundlage in einem Verwaltungsakt hat, der bindend und dessen Rechtmäßigkeit als solche unter den Beteiligten nicht streitig ist (BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 § 54 Nr 40 S 23). Dementsprechend hat die Klägerin ihren Anspruch auf Auszahlung des ihr durch Bescheid vom 12. Januar 1972 bewilligten Altersruhegeldes für die Monate Oktober 1974 bis April 1975 zulässigerweise mit der reinen Leistungsklage geltend machen dürfen. Erst nach Erhebung dieser Klage hat die Beklagte durch ihren Bescheid vom 25. März 1976 die begehrte Zahlung abgelehnt. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz nunmehr auch diesen Bescheid angefochten und ist damit von der reinen Leistungsklage zur kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage übergegangen. Darin liegt eine Klageänderung im Sinne des § 99 SGG (BSG SozR 5910 § 90 Nr 2 S 3; 4100 § 141 n Nr 1 S 5). Sie darf noch in der Berufungsinstanz vorgenommen werden und ist vorliegend schon deswegen zulässig, weil sich die anderen Beteiligten auf die abgeänderte Klage eingelassen haben und deswegen ihre Einwilligung in die Klageänderung anzunehmen ist (§ 99 Abs 2 SGG). Allein deswegen und nicht mit der vom LSG gegebenen Begründung ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. Ihr hat auch ein Vorverfahren nicht vorauszugehen brauchen. Die von der Klägerin beanspruchten Rentenbeträge sind Leistungen, auf die in Rechtsanspruch besteht (§ 78 Abs 2 Satz 1 SGG). Insgesamt sind die Voraussetzungen für den Erlaß eines Sachurteils erfüllt. In der Sache selbst ist der von der Klägerin erhobene Anspruch nicht begründet. Die Klägerin kann eine (nochmalige) Auszahlung der Altersruhegeldbeträge für die Monate Oktober 1974 bis April 1975 nicht verlangen.
Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 1248 Abs 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit dem bindenden Bescheid über die Bewilligung des Altersruhegeldes vom 12. Januar 1972. Nach § 1248 Abs 5 RVO erhält der Versicherte Altersruhegeld, der das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit erfüllt hat. Die Leistung ist der Klägerin mit dem Bescheid vom 12. Januar 1972 bewilligt worden. Mit der Bewilligung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist grundsätzlich die Verpflichtung zu ihrer Auszahlung verbunden. Zwar ist dies in dieser Deutlichkeit nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Vielmehr regeln §§ 1296 bis 1298 RVO lediglich einzelne Modalitäten der Rentenauszahlung (vgl nunmehr auch §§ 41 ff des Sozialgesetzbuchs, Erstes Buch, Allgemeiner Teil -SGB 1- vom 11. Dezember 1975 - BGBl I S 3015-, die allerdings erst am 1. Januar 1976 in Kraft getreten und deswegen auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar sind). Auch §§ 1315 ff RVO enthalten lediglich Einzelregelungen von Fällen, in denen Renten oder Teile von ihnen ruhen und deswegen nicht ausgezahlt werden können. Indes liegt allen diesen Vorschriften notwendigerweise der Gedanke zugrunde, daß bewilligte Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend ihrer Funktion als Lohnersatz und damit als für den Lebensunterhalt des Berechtigten erforderliche Leistungen auch tatsächlich auszuzahlen sind.
Die Beklagte ist ihrer Verpflichtung zur Auszahlung des der der Klägerin für die Monate Oktober 1974 bis April 1975 zustehenden Altersruhegeldes nachgekommen. Sie hat diese Verpflichtung durch die Überweisung der Beträge an den früheren Mitvormund G. erfüllt. Eigenständige sozialversicherungsrechtliche Vorschriften, welche die Empfangszuständigkeit bei Rentenleistungen im allgemeinen sowie bei Rentenleistungen für Entmündigte im besonderen normieren, sind nicht vorhanden. Das Sozialversicherungsrecht ist insofern lückenhaft. Diese Lücke ist durch Heranziehung der einschlägigen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zu schließen. Dies rechtfertigt sich zum einen daraus, daß die Übertragung von Vermögenswerten einen zentralen Regelungsgegenstand des bürgerlichen Rechts bildet, dessen Einzelbestimmungen auch für Vermögensübertragungen kraft öffentlichen Rechts Leitbild sind. Deswegen sind auf öffentlich-rechtliche Leistungsverhältnisse die im Privatrecht geltenden Bestimmungen entsprechend anwendbar (Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, 9. Aufl, Band 1, 1974, § 44, Abs 3; Forsthoff, Verwaltungsrecht, 10. Aufl, 1973, § 22, Abs 1). Zum anderen bezwecken speziell die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften des Vormundschaftsrechts eine umfassende Regelung des Personenstatus des Entmündigten. Als statusrechtliche Bestimmungen, die der Regelung des elterlichen Sorgerechts nachgebildet sind ( Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 3. Aufl 1980, § 65 Abs 2), normieren sie über den Kreis der dem bürgerlichen Recht unterstehenden Rechtsverhältnisses hinaus die personenrechtliche Stellung des Entmündigten innerhalb der gesamten Rechtsordnung. Demgemäß richtet sich die Empfangszuständigkeit bei Rentenleistungen für einen Entmündigten nach den für die Empfangnahme zivilrechtlicher Leistungen maßgeblichen Bestimmungen des Vormundschaftsrechtes.
Nach § 1812 Abs 1 Satz 1 BGB kann der Vormund ua über eine Forderung oder über ein anderes Recht, kraft dessen der Mündel eine Leistung verlangen kann, nur mit Genehmigung des Gegenvormundes verfügen, sofern nicht nach §§ 1819 bis 1822 BGB die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist. Ist ein Gegenvormund nicht vorhanden, so tritt an die Stelle der Genehmigung des Gegenvormundes die Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes, sofern nicht die Vormundschaft von mehreren Vormündern gemeinschaftlich geführt wird (§ 1812 Abs 3 BGB). Die Voraussetzungen letzterer Vorschrift waren während des hier maßgebenden Zeitraums von Oktober 1974 bis April 1975 erfüllt. Weder ist ein Gegenvormund vorhanden gewesen noch die Vormundschaft von mehreren Vormündern gemeinschaftlich geführt worden. G. ist durch Beschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 6. Februar 1973 zum Mitvormund mit dem zunächst begrenzten Wirkungskreis der Wahrnehmung der Interessen der Klägerin an dem Nachlaß ihres verstorbenen Ehemannes einschließlich einer eventuellen Erbauseinandersetzung unter Ausschluß des Vormundes bestellt worden. Durch Beschluß vom 30. April 1974 ist der Wirkungskreis der Mitvormundschaft auf die gesamte Vermögensverwaltung erweitert worden. Innerhalb dieses Wirkungskreises hat damit - ebenso wie aus den bereits dargelegten Gründen nunmehr der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin - damals auch G. die Stellung eines Einzelvormundes und das Recht zur alleinigen Vertretung der Klägerin gehabt (§ 1797 Abs 2 BGB). Gemäß § 1812 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 BGB hat er über eine Forderung der Klägerin oder über ein Recht, kraft dessen sie eine Leistung verlangen kann, grundsätzlich nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts verfügen können.
Die Entgegennahme der Rentenleistungen für die Monate Oktober 1974 bis April 1975 hat indes diesem Genehmigungserfordernis nicht unterlegen. Der Vormund bedarf ua nicht der Genehmigung des Gegenvormundes bzw - sofern ein solcher nicht vorhanden ist - des Vormundschaftsgerichtes zur Annahme einer geschuldeten Leistung, wenn der Anspruch nicht mehr als dreihundert Deutsche Mark beträgt (§ 1813 Abs 1 Nr 2 BGB) oder wenn der Anspruch zu den Nutzungen des Mündelvermögens gehört (§ 1813 Abs 1 Nr 4 BGB). Letztere Ausnahmevorschrift greift hier ein.
Die aufgrund eines Rentenanspruchs zu erbringenden monatlichen Einzelleistungen (§ 1297 RVO) sind Nutzungen des Mündelvermögens. Der Begriff der Nutzungen im Sinne des § 1813 Abs 1 Nr 4 BGB bestimmt sich nach § 100 BGB (Zagstm aaO, § 1813, RdNr 7) . Hiernach gehören zu den Nutzungen ua die Früchte eines Rechts. Das sind nach § 99 Abs 2 BGB die Erträge, welche das Recht seiner Bestimmung gemäß gewährt. Diese Erträge müssen Sachen oder Rechte sein, welche selbständig und als eigener Leistungsgegenstand neben dem Stammrecht bestehen, aus dem sie hervorgegangen sind. Es muß sich um Teilleistungen handeln, die im Rechtsverkehr als etwas von dem Stammrecht Verschiedenes angesehen werden (Soergel-Baur, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl, Band 1, 1978, § 99, RdNr 10; Staudinger-Dilcher, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. aufl 1980, § 99 RdNr 10). Das gilt zB für die einzelnen Leistungen aufgrund eines Leibrentenvertrages; sie sind Nutzungen des Leibrentenrechts (RGZ 67, 204, 210; 68, 340, 343; 80, 208, 209). Die hiernach für den Begriff der Rechtsfrucht wesentliche Unterscheidung zwischen Stammrecht und dem Anspruch auf Einzelleistungen, die das Stammrecht "vermöge seines Bestehens aus sich selbst hervorbringt" (RGZ 80, 208, 209), trifft auch für Rentenleistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu. Das entspricht allgemeiner Auffassung und ist vom BSG wiederholt ausgesprochen worden. So hat zB der Große Senat des BSG in seinem Beschluß zur Verjährung von Rentenansprüchen vom 21. Dezember 1971 (BSGE 34, 1, 4, 11 = SozR Nr 24 zu § 29 RVO) zwischen dem Anspruch auf Versicherungsleistungen schlechthin, dh dem als solches unverjährbaren "Recht auf Rente" einerseits, und dem der Verjährung unterliegenden Anspruch auf die einzelnen (monatlichen) Rentenleistungen andererseits unterschieden (vgl auch BSGE 21, 162 = SozR Nr 4 zu § 29 RVO; BSG SozR Nr 5 zu § 29 RVO). Nach dem Urteil des BSG vom 26. April 1979 (BSG SozR 2200 § 119 Nr 1 S 4) betreffen Ansprüche, die nach § 119 Abs 2 RVO in seiner bis zum 31. Dezember 1975 gültigen Fassung mit Genehmigung des Versicherungsamts haben übertragen werden können, nur die einzelnen Zahlungsansprüche, nicht aber das Rentenstammrecht. Dem LSG ist demnach darin beizupflichten, daß die einzelnen monatlichen Rentenzahlungen im Bereich der Sozialversicherung als Rechtsfrüchte gemäß § 99 Abs 2 BGB und damit als Nutzungen im Sinne der §§ 100, 1813 Abs 1 Nr 4 BGB anzusehen sind. Die Auffassung der Klägerin, Rentenansprüche im Rahmen gesetzlicher Sozialversicherungsbestimmungen könnten nicht unter dem Aspekt zivilrechtlicher Vorschriften gesehen werden, vermag der Senat nicht zu teilen. Dem Umstand, daß derartige Rentenansprüche ihre Grundlage im öffentlichen Recht haben, kann im Rahmen des § 100 BGB und speziell bei der Frage, ob es sich um Rechtsfrüchte im Sinne des § 99 Abs 2 BGB handelt, keine maßgebende Bedeutung beigemessen werden. Vielmehr ist hierfür unbeschadet ihrer Rechtsgrundlage in erster Linie entscheidend, daß sie Einzelansprüche aufgrund eines Stammrechts darstellen. Ebensowenig besteht ein zwingender Grund dafür, die Bezugnahme auf § 100 BGB und über ihn auf § 99 Abs 2 BGB in § 1813 Abs 1 Nr 4 BGB auf im Zivilrecht begründete Rechtsfrüchte zu beschränken und die auf öffentlichem Recht beruhenden Nutzungen, jedenfalls soweit es dabei um laufende Geldleistungen aufgrund eines Rentenstammrechts geht, von dieser Bezugnahme auszunehmen. Wie ausgeführt, bezwecken die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften des Vormundschaftsrechts eine umfassende Regelung des Personenstatus des Entmündigten. Dies muß, sofern nicht hierfür besondere Vorschriften bestehen, auch für den Bereich des öffentlichen Rechts gelten. Dann aber ist es sachlich nicht gerechtfertigt, im Rahmen des § 1813 Abs 1 Nr 4 BGB zwischen zivilrechtlichen Nutzungen einerseits und Geldleistungsansprüchen aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rechtsposition andererseits zu unterscheiden und die Annahme letzterer Leistungen stets als eine Verfügung anzusehen, welche nach § 1812 BGB der Genehmigung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts bedarf.
Der frühere Mitvormund G. ist somit ohne eine solche Genehmigung zur Entgegennahme der der Klägerin für die Monate Oktober 1974 bis April 1975 zustehenden Rentenleistungen befugt gewesen und die Beklagte durch die Zahlungen an ihn von ihrer Leistungspflicht befreit worden. § 1813 Abs 1 Nr 2 BGB steht dem nicht entgegen. Dabei kann auf sich beruhen, ob bei Rentenleistungen unter dem "Anspruch" im Sinne des § 1813 Abs 1 Nr 2 BGB der monatliche Rentenzahlbetrag (so Tannen SozVers 1955, 218) oder der gesamte Rentenanspruch mit Einschluß der noch fällig werdenden Zahlungen zu verstehen ist (so Schachtner SozVers 1955, 352). Im Rahmen des § 1813 Abs 1 Nr 4 BGB ist diese Frage ohne Belang. Nutzungen des Mündelvermögens darf der Vormund ohne Genehmigung des Gegenvormundes bzw des Vormundschaftsgerichtes auch dann annehmen, wenn sie den Betrag von 300,-- DN übersteigen (Zagst, aaO, § 1813 RdNr 7; Palandt-Diederichsen, aaO, § 1813, Anm 2 zu Z 4).
Das Urteil des LSG trifft nach alledem zu. Dies führt zur Zurückweisung der Revision der Klägerin.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen