Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsarzt. Arbeitnehmer/Selbständiger
Orientierungssatz
Zur Frage, ob eine betriebsärztliche Tätigkeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis oder als selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.
Normenkette
SGB 4 § 7 Abs 1 Fassung: 1976-12-23; AVG § 2 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 1 Fassung: 1957-02-23; ASiG § § 1, 2 Abs 2, § 2 Abs 3, § 3 Abs 1, § 8 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 03.03.1981; Aktenzeichen I KRBf 24/80) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 11.03.1980; Aktenzeichen 21 KR 72/79) |
Tatbestand
Streitig ist die Angestelltenversicherungspflicht eines Betriebsarztes.
Der 1920 geborene Beigeladene zu 2) betreibt eine Kinderpraxis und übt zusätzlich - neben Betriebsarzttätigkeiten für zwei andere Unternehmen - seit dem 1. September 1977 bei der Klägerin die Tätigkeit eines Betriebsarztes gemäß § 3 des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieur und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG) vom 12. Dezember 1973 aus. Der zwischen ihm und der Klägerin geschlossene Vertrag enthält im wesentlichen folgende Bestimmungen:
§ 1 Der Beigeladene zu 2) übernimmt als freier Mitarbeiter der Firma die Aufgabe eines Betriebsarztes nach dem ASiG ... In der Ausübung seiner arbeitsmedizinischen Tätigkeit ist er weisungsfrei und nur dem Gesetz unterworfen. Die Firma stellt dem Betriebsarzt nach Maßgabe des § 2 Abs 2 ASiG das erforderliche Personal sowie Räume, Einrichtungen, Geräte und Mittel zur Verfügung. Der Betriebsarzt ist gegenüber dem ihm zur Verfügung gestellten Personal weisungsbefugt. Die Firma informiert den Betriebsarzt über alle für seine Tätigkeit im Betrieb bedeutsamen Umstände.
§ 2 Dem Betriebsarzt werden die im ASiG, insbesondere in § 3 des ASiG, aufgeführten Aufgaben übertragen. Es werden ihm folgende weitere Aufgaben übertragen: Regeluntersuchungen nach den Vorschriften der UVV Lärm, soweit die Ermächtigung dazu besteht. Der Betriebsarzt unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Er ist darüber hinaus zur unbedingten Verschwiegenheit über alle ihm im Rahmen seiner Tätigkeit zur Kenntnis gelangenden Angelegenheiten der Firma, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, verpflichtet. Die Verschwiegenheitspflicht besteht auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses fort.
Der Betriebsarzt hat die für seine Tätigkeit notwendigen Aufzeichnungen anzufertigen bzw anfertigen zu lassen und diese so aufzubewahren, daß die ärztliche Schweigepflicht gewahrt ist.
Veröffentlichungen, Vorträge ua bedürfen der vorherigen Zustimmung der Firma, soweit dadurch ihre Interessen berührt werden.
§ 3 Der Betriebsarzt verpflichtet sich, regelmäßig in der Firma tätig zu sein (zB Sprechstunden). Diese festen Dienstzeiten werden zwischen der Geschäftsleitung bzw dem Beauftragten der Geschäftsleitung und dem Betriebsarzt vereinbart. Darüber hinaus bestimmt der Betriebsarzt über seine Tätigkeitszeiten in eigener Verantwortung.
Begehungen der Arbeitsstätten erfolgen nach Absprache mit der Geschäftsleitung bzw dem Beauftragten der Geschäftsleitung.
Der Betriebsarzt verpflichtet sich, insgesamt für die Firma die von dem Arbeitssicherheitsgesetz bzw der UVV Betriebsärzte vorgeschriebene Jahreseinsatzzeit tätig zu sein, derzeit ca 450 Stunden pro Jahr.
Sollte sich die vorgeschriebene Jahreseinsatzzeit ändern, gleich aus welchen Gründen, ist die Firma berechtigt, die vorstehend festgelegten regelmäßigen Dienstzeiten dieser Veränderung anzupassen.
Im Fall einer länger dauernden Verhinderung (Urlaub, Krankheit oder ähnliches) bemüht sich der Betriebsarzt gemeinsam mit der Firmenleitung um eine geeignete Vertretung.
Der Betriebsarzt hat der Firma eine voraussehbare Verhinderung rechtzeitig mitzuteilen. Die Kosten der Vertretung trägt der Betriebsarzt.
§ 4+Für seine Tätigkeit in der Firma erhält der Betriebsarzt ein am Monatsende zu zahlendes Pauschalhonorar, mit dem sämtliche Kosten und Leistungen des Betriebsarztes abgedeckt sind. Das Honorar beträgt 3.000,-- DM monatlich. ...
§ 5 Die ärztliche Haftpflichtversicherung für seine Tätigkeit im Betrieb schließt der Betriebsarzt auf seine Kosten ab.
§ 6 Der Betriebsarzt ... wird sich im zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Umfang unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange fortbilden. Die Teilnahme an Weiter- und Fortbildungsveranstaltungen erfolgt im vorherigen Einvernehmen mit der Firma. Für die Zeit einer Weiter- oder Fortbildungsveranstaltung stellt die Firma den Betriebsarzt frei.
§ 7 ... Nach Ablauf der Probezeit (6 Monate) kann das Vertragsverhältnis von beiden Vertragsparteien mit einer Frist von 6 Wochen zum Quartalsende gekündigt werden.
Nach mindestens zehnjährigem Bestehen des Vertragsverhältnisses beträgt die Kündigungsfrist 6 Monate zum Quartalsende. ...
§ 8 ...
Die Beklagte forderte von der Klägerin für den Beigeladenen zu 2) Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten für die Zeit vom 1. September 1977 bis - zunächst - zum 30. September 1978 nach (Bescheide vom 2. August 1977, vom 16. und 18. Oktober 1978 idF der Bescheide vom 16. und 23. Januar 1979). Die dagegen eingelegten Widersprüche wurden zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1979). Auf die Klage hob das Sozialgericht (SG) Hamburg die angefochtenen Bescheide auf (Urteil vom 11. März 1980). Die dagegen eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) Hamburg zurück (Urteil vom 3. März 1981) und führte zur Begründung aus: Die rechtliche Würdigung des Gesamtbildes der Tätigkeit des Beigeladenen zu 2) ergebe, daß dieser als selbständiger freier Mitarbeiter Dienste leiste; schon der grundsätzlichen Auffassung der Beklagten, daß Betriebsärzte wie der Beigeladene zu 2) stets versicherungspflichtig seien, sei zu widersprechen, weil § 2 Abs 3 ASiG den Beteiligten die Macht einräume, die Tätigkeit als abhängige oder selbständige auszugestalten; darüber hinaus trage der Beigeladene zu 2) ein Unternehmerrisiko, weil er, wirtschaftlich gesehen, für den Fall seiner Verhinderung keine Bezahlung erhalte; demgegenüber könnten aus der Abhaltung von Sprechstunden im Betrieb und ihrer zeitlichen Verteilung entsprechend den Bedürfnissen der Klägerin, ferner aus der Bereitstellung von Hilfskräften, Räumlichkeiten und Geräten durch die Klägerin, aus der Vereinbarung einer Kündigungsfrist, aus der Schweigepflicht des Beigeladenen zu 2) und der Zustimmungsbedürftigkeit seiner Veröffentlichungen und Vorträge keine Schlüsse auf eine abhängige Beschäftigung gezogen werden, weil diese Merkmale im Rahmen des ASiG indifferent seien.
Dagegen hat die Beklagte Revision eingelegt; mit ihr rügt sie eine unrichtige Anwendung des § 2 Abs 1 Nr 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG): Der mit dem Beigeladenen zu 2) geschlossene Vertrag und die tatsächlichen Verhältnisse des Falles zeigten, daß eine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin und damit eine abhängige Beschäftigung vorliege.
Die Beklagte und Revisionsklägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom
3. März 1981 aufzuheben und die Klage gegen ihre
Bescheide abzuweisen.
Die Beigeladene zu 1) hat nach Ablauf der Revisionsfrist "Anschlußrevision" mit dem gleichen Antrag eingelegt. Sie schließt sich den Ausführungen der Beklagten an und verweist im übrigen auf die Parallelsache 12 RK 4/81.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene zu 2) war während des Revisionsverfahrens nicht vertreten.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Anschlußrevision der Beigeladenen zu 1) ist unzulässig. Eine Anschlußrevision (§ 556 der Zivilprozeßordnung -ZPO-) ist zwar auch im sozialgerichtlichen Verfahren statthaft (§ 202 SGG iVm § 556 ZPO), jedoch nur als ein Rechtsmittel des Revisionsbeklagten, das ihm die Möglichkeit gibt, sich im Rahmen der Revision - mit eigenen Anträgen, die über einen Zurückweisungsantrag hinausgehen - gegen den Angriff des Revisionsklägers zu wehren. Sie kann deshalb nicht mit einem Antrag eingelegt werden, der das gleiche Ziel hat wie der Antrag des Revisionsklägers (BSGE 19, 265, 266).
Die Revision der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen die angefochtenen Bescheide als rechtswidrig angesehen; denn der Beigeladene zu 2) ist nicht abhängig Beschäftigter der Klägerin.
Ob der Beigeladene zu 2) für die Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig ist, richtet sich nach den dazu von der Rechtsprechung aufgestellten allgemeinen Grundsätzen. Das ASiG enthält insoweit keine besonderen Beurteilungsmaßstäbe, die von denjenigen abweichen, die für sonstige Tätigkeiten gelten. Daß das ASiG neben "als Arbeitnehmer" eingestellten Betriebsärzten ausdrücklich auch "nicht als Arbeitnehmer" eingestellte, dh selbständige Betriebsärzte erwähnt (§ 2 Abs 3, vgl auch § 9 Abs 3), trägt nur dem Umstand Rechnung, daß bei Anwendung der allgemeinen Grundsätze beide Formen der Gestaltung möglich sind.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), insbesondere des erkennenden Senats, setzt ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber voraus (BSGE 20, 6, 8 = SozR Nr 41 zu § 165 RVO; BSGE 35, 20, 21 = SozR Nr 34 zu § 539 RVO; BSGE 38, 53, 57 = SozR 4600 § 56 Nr 1; SozR Nrn 62, 68, 71 und 72 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 1227 Nr 4; vgl ferner die Urteile des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1976 - 12/3 RK 4/75 - USK 76196, vom 1. Dezember 1977 - 12/3/12 RK 39/74 - SozR 2200 § 1227 Nr 8 und vom 13. Juli 1978 - 12 RK 14/78 -). Bei einer Tätigkeit in einem fremden Betrieb ist erforderlich, daß der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem die Zeit, die Dauer, den Ort und die Art der Ausführung umfassenden Weisungsrechts des Arbeitgebers unterliegt (BSGE 13, 196, 197, 201 f = SozR Nr 5 zu § 1 AVG aF; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 1227 Nr 4). Dieses Weisungsrecht kann allerdings - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozeß" verfeinert sein (BSGE 16, 289, 294 = SozR Nr 30 zu § 165 RVO; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR 2200 § 1227 Nr 4; Urteil vom 25. September 1981 - 12 RK 5/80 -, ständige Rechtsprechung). Andererseits sind als Anzeichen für eine selbständige Tätigkeit anzusehen ua die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die Befugnis, die Tätigkeit und die Arbeitszeit im wesentlichen frei zu gestalten (BSGE 13, 196, 201; 16, 289, 293; 35, 20, 21; 38, 53, 57; SozR Nr 68 zu § 165 RVO; SozR Nr 7 zu § 2 AVG = SGb 1973, 274 mit Anm von Bley; SozR 2200 § 1227 Nr 4; BSG USK 76196 und Urteil vom 13. Juli 1978 - 12 RK 14/78 -, ferner BSGE 51, 164, 167).
Ob jemand unter Anwendung der genannten Kriterien als abhängig beschäftigt oder als selbständig tätig zu beurteilen ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen; maßgebend hat stets das Gesamtbild der jeweiligen Arbeitsleistung unter Beachtung der Verkehrsanschauung zu sein (BSGE SozR Nrn 8 und 51 zu § 165 RVO; SozR Nrn 4 und 7 zu § 2 AVG). Bei der Beurteilung des Gesamtbildes ist im übrigen von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen. Die Bestimmungen des Vertrages sind zwar ebenfalls von Bedeutung, jedoch dann unbeachtlich, wenn sie den tatsächlichen Verhältnissen widersprechen (BSGE 51, 164 Leitsatz 1; BSG SozR 2200 § 1227 Nrn 4 und 8).
Das LSG hat diese Grundsätze zutreffend angewandt und ist mit Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß der Beigeladene zu 2) die Betriebsarzttätigkeit für die Klägerin selbständig ausübt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, daß er keinerlei Weisungen der Klägerin unterliegt. Dies ergibt sich, was die fachliche Ausführung seines Auftrags als Betriebsarzt betrifft, schon aus dem Gesetz (§ 8 Abs 1 ASiG) und ist in dem zwischen ihm und der Klägerin geschlossenen Vertrag lediglich bestätigt worden. Diese Weisungsfreiheit bedeutet, daß er als Betriebsarzt frei darüber zu entscheiden hat, ob und welche arbeitsmedizinischen Prüfungen und Untersuchungen vorzunehmen oder welche sonstigen Maßnahmen zu treffen sind, wie die Maßnahmen durchzuführen sind und - innerhalb gewisser, häufig schon aus der Sache selbst (Arbeitszeit des Betriebes uä) sich ergebender Grenzen - auch zu welchem Zeitpunkt sie erfolgen sollen.
Es ist hier nicht zu erörtern, in welchen Fällen und in welchem Umfang der Arbeitgeber einem angestellten Betriebsarzt Weisungen geben könnte, bestimmte Maßnahmen nach einem vorgegebenen Plan und/oder zu von ihm festgelegten Zeiten durchzuführen (vgl hierzu zB Kliesch/Nöthlichs/Wagner, Kommentar zum ASiG, § 8 Anm 4.1); denn der zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 2) geschlossene Vertrag läßt erkennen, daß der Beigeladene auch außerhalb des Einsatzes seiner arbeitsmedizinischen Fachkunde keinen Weisungen unterliegt. Nach dem Vertrage soll er "als freier Mitarbeiter" tätig werden; irgendwelche Weisungsbefugnisse der Klägerin sind nicht vorgesehen. Ein Anhalt, daß die tatsächliche Gestaltung der Beziehungen der vertraglichen Regelung nicht entspricht, hat sich im Verfahren nicht ergeben. Im Widerspruchsbescheid der Beklagten ist vielmehr ausdrücklich das Gegenteil vermerkt.
Der Beklagten ist allerdings einzuräumen, daß auch eine inhaltlich weitgehend weisungsfreie Tätigkeit als abhängige Beschäftigung ausgeübt werden kann; das gilt namentlich dann, wenn mit der weisungsfreien Tätigkeit andere, in das betriebliche Weisungsgefüge einbezogene Aufgaben verbunden sind oder zusätzlich übernommen werden. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) bei einem in seiner ärztlichen Tätigkeit ebenfalls weisungsfreien Chefarzt einen Hinweis auf eine abhängige Beschäftigung darin gesehen, daß er in der Leitung seiner Krankenhausabteilung, also in organisatorisch-verwaltungsmäßiger Hinsicht, insbesondere in der Ausübung von Aufsichtsbefugnissen, dem Weisungsrecht des Vertragspartners unterlag (BAG AP Nr 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche Bl 1276 R). Ähnlich hat der erkennende Senat die Arbeitnehmerstellung eines mit "weisungsfreien" Forschungsaufgaben betrauten Hochschulprofessors damit begründet, daß er hinsichtlich der ihm daneben obliegenden Verwaltungsaufgaben Weisungen unterworfen war (BSG SozR 5750 Art 2 § 46 Nr 5 S 11). Andererseits hat der Senat Lehrbeauftragte, die nicht oder nur sehr lose in die Selbstverwaltung der Hochschule einbezogen waren, ua aus diesem Grunde nicht als abhängig Beschäftigte angesehen (BSG SozR 2200 § 165 Nr 45 S 69). Entsprechendes ist für die auf rein wissenschaftlich-fachliche Aufgaben beschränkte Tätigkeit eines Strahlenphysikers (BAGE 12, 303), eines nebenamtlich als Fleischbeschauer tätigen Tierarztes (BSG SozR Nr 55 zu § 165 RVO), eines Lotsen (BGH AP Nr 1 zu § 611 BGB Lotse), einer Lehrkraft (BSG SozR 2200 § 165 Nr 36) oder von ärztlichen Praxisvertretern (BSGE 10, 41; BSG SozR Nr 14 zu § 165 RVO) angenommen werden. Auch im Falle des Beigeladenen zu 2) sind die von ihm vertraglich übernommenen Aufgaben auf die rein fachliche Tätigkeit als Betriebsarzt beschränkt. Eine Einbindung in die Weisungsstränge der betrieblichen Hierarchie oder eine Verpflichtung, weitere dem Betriebszweck dienende Aufgaben zu übernehmen, ist nicht vorgesehen.
Die völlige Weisungsunabhängigkeit ist im Falle des Beigeladenen zu 2) so bestimmend für das Gesamtbild, daß andere Merkmale, die für eine abhängige Stellung sprechen könnten, demgegenüber zurücktreten. Das gilt vor allem für die "Eingliederung" des Beigeladenen in den Betrieb der Klägerin.
Auch bei Diensten höherer Art, wie sie von Betriebsärzten geleistet werden, kann die Eingliederung des Dienstpflichtigen in einen übergeordneten Betriebsorganismus allerdings ein Hinweis auf eine abhängige Beschäftigung sein; dabei kann dieses Merkmal umso größere Bedeutung gewinnen, je mehr die Erteilung von (fachlichen) Weisungen nach der Art der Aufgabe zurücktritt oder völlig ausgeschlossen ist (BSGE 16, 289, 294). Es kommt dann darauf an, wie eng die Tätigkeit in den Betriebsorganismus eingebunden ist; je enger die Einbindung ist, umso mehr spricht in solchen Fällen für eine abhängige Beschäftigung. Eine gewisse "Einbindung" in den Betrieb kann - und wird in der Regel - zwar auch bei der Tätigkeit eines Betriebsarztes vorliegen, insbesondere wenn er sie nur in den Räumen des Betriebes ausübt, zumal ihm beratende Aufgaben im Zusammenhang mit der Planung, Ausführung und Unterhaltung von Betriebsanlagen, der Beschaffung technischer Arbeitsmittel und Einführung von Arbeitsverfahren oder Arbeitsstoffen, der Gestaltung des Arbeitsrhythmus, der Pausenregelung, der Arbeitsplätze und des Arbeitsablaufs sowie hinsichtlich der Durchführung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung übertragen sind (vgl dazu § 3 Abs 1 und Abs 3 ASiG). Jedoch vermag regelmäßig - und so auch hier - die organisatorische "Einbindung" dieser Aufgaben in einen Betrieb allein noch nicht - jedenfalls nicht ohne weiteres - die Stellung als abhängig Beschäftigter zu begründen, weil bestimmte Teilaufgaben eines Betriebes, vor allem wenn sie eine gehobene spezielle Fachkunde erfordern, auch an selbständig Tätige vergeben werden können; das gilt selbst dann, wenn diese Aufgaben ihrer Art nach nur im Betrieb des Vertragspartners verrichtet werden können. Ob sie selbständig oder abhängig ausgeübt werden, hängt dann davon ab, ob die Gestaltung der gegenseitigen Beziehung dem einzelnen noch einen für eine selbständige Tätigkeit der betreffenden Art typischen und nach der Eigenart des Betriebes möglichen Freiraum läßt. Dabei wird regelmäßig bei Tätigkeiten kaufmännischer oder technischer Art, die dem eigentlichen Produktionszweck dienen, eine selbständige Tätigkeit nur vorliegen, wenn den vertraglichen Risiken des einzelnen auch größere Verdienstchancen und/oder größere Freiheiten in der Gestaltung des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen (BSG SozR 2200 § 1227 Nr 17; zu den anders liegenden Verhältnissen im Bereich der Forschung s BSG SozR 5750 Art 2 § 46 Nr 5 S 12). Für den Bereich betriebsärztlicher Tätigkeit bedeutet dies, daß dem Betriebsarzt hinsichtlich Art, Umfang und Zeit der Durchführung seiner gesetzlich vorgesehenen Aufgaben eine ausreichende Dispositionsfreiheit gegeben sein muß und andere weisungsgebundene Aufgaben ihm nicht übertragen sein dürfen.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Daß dem Beigeladenen zu 2) weitere Aufgaben der genannten Art nicht zugewiesen sind, ist bereits hervorgehoben worden. Was die Frage ausreichender Freiräume betrifft, so enthält allerdings der Vertrag die Bestimmung, daß bestimmte Sprechstunden einzuhalten sind. Damit wird aber lediglich dem Bedürfnis der Betriebsleitung und der Mitarbeiter entsprochen, den Betriebsarzt in bestimmten Zeiten erreichen zu können. Ohne eine enge Kooperation mit der Betriebsleitung und der Belegschaft kann die betriebsärztliche Tätigkeit nicht störungsfrei verlaufen. Die Festlegung von Sprechstunden spräche deshalb nur dann für eine abhängige Beschäftigung, wenn die zeitliche Bindung über das von der Sache her notwendige Maß hinausginge und etwa die gesamte Tätigkeit innerhalb fester "Dienstzeiten" zu verrichten wäre. Das ist hier aber nicht der Fall; denn im Vertrag (§ 3) ist ausdrücklich bestimmt, daß der Beigeladene zu 2) seine über die Sprechstunden hinausgehenden Tätigkeitszeiten eigenverantwortlich bestimmt. Außerdem besteht hinsichtlich der Sprechstunden kein einseitiges Weisungsrecht der Betriebsleitung. Sie müssen vielmehr jeweils nach Umfang und Lage mit dem Beigeladenen zu 2) vereinbart werden. Eine Anordnung von "Überstunden" ist ausgeschlossen. Die weitere Vertragsklausel, daß bei Veränderung der "vorgeschriebenen Jahreseinsatzzeit" die Firma berechtigt ist, die "regelmäßigen Dienstzeiten dieser Veränderung anzupassen", enthält dementsprechend keine Befugnisse zur einseitigen Festlegung, sondern lediglich die Berechtigung, bisherige Vereinbarungen zu kündigen, und eine neue Vereinbarung über Sprechstunden geringeren Umfangs zu verlangen.
Der Beigeladene zu 2) ist im übrigen frei, Zeit und Umfang seines Urlaubs zu bestimmen und im Einvernehmen mit der Firma Fortbildungsveranstaltungen zu besuchen. Diese Befugnis schließt das Recht ein, aus solchen Gründen auch gelegentlich die Sprechstunde ausfallen zu lassen. Dies ist allerdings im Hinblick darauf, daß der Beigeladene zu 2) bei längeren Verhinderungen die Kosten für eine Ersatzkraft selbst tragen muß, für ihn nur dann eine wirkliche Freiheit, wenn die ihm gezahlte Vergütung nicht nur die bei Angestellten sonst anfallenden, hier aber vom Beigeladenen zu 2) zu tragenden Lohnnebenkosten enthält, sondern auch einen angemessenen weiteren Betrag, der ihm erst die Nutzung der ihm zugestandenen Freiheiten ermöglicht. Auch insoweit bestehen hier aber angesichts der Höhe der Vergütung keine Bedenken.
Als ein für eine abhängige Beschäftigung sprechendes Merkmal ist regelmäßig auch die Tätigkeit in den Räumen und mit den Mitteln und dem Personal des Vertragspartners anzusehen (s zB BSG SozR Nr 71 zu § 165 RVO; BSG DAngVers 72, 211). Dieses Merkmal hat indessen bei betriebsärztlicher Tätigkeit ein geringeres Gewicht, weil diese Tätigkeit ihrer Art nach notwendig überwiegend im Betrieb stattfinden muß und das Gesetz darüber hinaus ausdrücklich - auch für den selbständig tätigen Arzt - vorschreibt, daß der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Betriebsärzten, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, Hilfspersonal sowie Räume, Einrichtungen, Geräte und Mittel zur Verfügung zu stellen (§ 2 Abs 2). Entscheidend kann deshalb nur sein, inwieweit der Betriebsarzt bei der Inanspruchnahme von Räumen, Geräten und Personal Einschränkungen unterliegt. Solche Einschränkungen sind aber im Falle des Beigeladenen zu 2) weder vertraglich festgelegt noch bestehen sie tatsächlich. Im Gegenteil enthält der Vertrag ausdrücklich die Bestimmung, daß der Beigeladene zu 2) dem ihm zur Verfügung gestellten Personal gegenüber weisungsbefugt ist. Daraus und aus der ihm gesetzlich garantierten Unabhängigkeit in der Durchführung der betriebsärztlichen Aufgaben ist zu entnehmen, daß die Betriebsleitung in seine Weisungen grundsätzlich nicht eingreifen darf.
Schließlich wird vielfach auch eine feste Vergütung (laufendes Gehalt) als Merkmal eines Beschäftigungsverhältnisses angesehen (s zB BSG SozR Nr 8 zu § 165 RVO; BSG SozR Nr 22 zu § 3 AVG; BSG Urteil vom 12. Oktober 1979 - 12 RK 24/78 -). Das gilt aber nur insoweit, als die Vergütung für den Beschäftigten risikofrei vereinbart ist. Hier ist sie für den Beigeladenen zu 2) jedoch nur (und zwar in § 4 des Vertrages ausdrücklich) als "Pauschalhonorar", dh als pauschale Kostenbegrenzung der betriebsärztlichen Tätigkeit gedacht; denn der Beigeladene zu 2) trägt nach dem Vertrag weitgehend das Risiko des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft. Er hat nämlich für die Kosten einer Ersatzkraft aufzukommen, wenn er durch Krankheit, Urlaub oder auf sonstige Weise längere Zeit an der Ausübung seiner Tätigkeit verhindert ist. Der Senat hat zwar mehrfach ausgesprochen, daß das Überbürden eines bestimmten Risikos allein einen Arbeitnehmer noch nicht zum Selbständigen macht, es sei denn, daß diesem Risiko größere Verdienstchancen oder größere Freiräume gegenüberstehen (BSG SozR 2200 § 1227 Nr 17). Gerade ein Fall der letzteren Art liegt hier jedoch vor, weil - wie dargelegt - dem Beigeladenen zu 2) vielfältige Freiheiten verbleiben, die seine Tätigkeit zu der eines Selbständigen machen.
Demgegenüber können auch weitere Klauseln des Vertrages, insbesondere über dessen Kündigung und über Beschränkungen bei Vorträgen und Veröffentlichungen (§§ 2, 7), das Gesamtbild nicht entscheidend ändern. Eine Kündigungsklausel ist in jedem Dauerschuldverhältnis sinnvoll und meist auch üblich. Beschränkungen der Veröffentlichungspraxis des Betriebsarztes dienen der Sicherung von berechtigten Geheimhaltungsinteressen, die gleichermaßen gegenüber einem im Betrieb selbständig tätigen Arzt bestehen.
Aus diesen Gründen konnte die Revision keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen