Leitsatz (amtlich)

Der Zeitraum, für den die Bundesanstalt für Arbeit rückständige Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten hat, entspricht dem Konkursausfallgeldzeitraum des § 141b AFG. Erfaßt sind daher auch Zeiten eines dem jeweils letzten Arbeitsverhältnis vorausgehenden Arbeitsverhältnisses bei demselben Arbeitgeber, soweit es in den Dreimonatszeitraum hineinreicht (Weiterführung von BSG 23.10.1984 10 RAr 12/83 = SozR 4100 § 141b Nr 33).

 

Normenkette

AFG § 141b Abs 1, § 141n Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 28.02.1986; Aktenzeichen L 6 Ar 75/85)

SG Speyer (Entscheidung vom 21.05.1985; Aktenzeichen S 3 Ar 390/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte an die Klägerin Beiträge nach § 141n des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) auch dann für den vollen Konkursausfallgeld(Kaug)-Zeitraum zu entrichten hat, wenn ein zwischen dem Arbeitnehmer und demselben Arbeitgeber bestehendes Arbeitsverhältnis nach Beginn des Kaug-Zeitraums beendet wurde und noch vor dessen Ablauf erneut begründet worden ist.

Bei dem Bauunternehmen Pin K waren als Arbeitnehmer der Bauwerker Sch und der Baggerführer T bis zum 25. Februar 1984 beschäftigt (das Arbeitsverhältnis endete durch eine Kündigung des Arbeitgebers wegen Arbeitsmangels). Nach einem zwischenzeitlichen Leistungsbezug wegen Arbeitslosigkeit waren beide erneut bei P. beschäftigt, und zwar vom 19. März bis 11. Mai 1984 bzw vom 2. April bis 14. Mai 1984. Über das Vermögen des Arbeitgebers wurde am 17. Mai 1984 das Konkursverfahren eröffnet. Den Antrag der Klägerin auf Entrichtung der rückständigen Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 141n AFG lehnte die Beklagte für die vor dem Beginn der letzten Arbeitsverhältnisse liegenden Beschäftigungszeiten ab.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Beiträge auch für die Zeit vom 12. Februar bzw 15. Februar 1984 bis 25. Februar 1984 zu entrichten. Grundlage der Beitragsentrichtungspflicht seien alle Entgelte, die im Falle ihres Rückstandes einen Kaug-Anspruch auslösen könnten. Deshalb decke sich der Beitragsentrichtungszeitraum für die Beitragsforderungen hinsichtlich eines jeden Arbeitnehmers mit dessen Kaug-Zeitraum. Maßgebend für die zeitliche Zuordnung der Beitragsforderung sei weder ihre Entstehung noch ihre Fälligkeit, sondern die zeitliche Zuordnung des ihr zugrundeliegenden Arbeitsentgeltanspruchs. Daher entspreche der zeitliche Leistungsrahmen der Beitragsentrichtungspflicht nach § 141n AFG dem der Kaug-Anspruchsvoraussetzungen des § 141b AFG. Von dem dreimonatigen Kaug-Zeitraum werde jedoch nicht nur das jeweils letzte Arbeitsverhältnis bei dem insolventen Arbeitgeber erfaßt, denn der Kaug-Versicherungsschutz umfasse jedenfalls auch eine Aufeinanderfolge von Arbeitsverhältnissen bei demselben Arbeitgeber, soweit diese in den maßgeblichen Kaug-Zeitraum fielen.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 141n Abs 1 Satz 1 AFG. Die von dem erkennenden Senat im Urteil vom 23. Oktober 1984 erfolgte Inhaltsbestimmung des Kaug-Zeitraums nach § 141b AFG sei nicht auf die in § 141n AFG getroffene Regelung übertragbar. Der Zweck, die Finanzen der Versicherungsträger abzusichern, entfalle in Fällen der vorliegenden Art, weil für die Arbeitnehmer die ihnen zustehenden Versicherungsleistungen auch ohne Entrichtung der unter § 141n AFG fallenden Beiträge gesichert seien. Im übrigen hätten die hier in Frage stehenden Arbeitnehmer während des vorletzten Arbeitsverhältnisses bei P., welches am 25. Februar 1984 geendet habe, tatsächlich Arbeitsentgelt erhalten.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 28. Februar 1986 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Speyer vom 21. Mai 1985 zurückzuweisen,

hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Klägerin und die Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat sie zu Recht dem Grunde nach verurteilt, die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeitnehmer Sch und T auch für die Zeiten vom 12. bis 25. Februar 1984 und vom 15. bis 25. Februar 1984 zu entrichten.

Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 23. Oktober 1984 - 10 RAr 12/83 - (SozR 4100 § 141b Nr 33) entschieden hat, schützt § 141b AFG den Arbeitnehmer hinsichtlich seines Lohnausfalles nicht nur für die letzten drei Monate des dem Insolvenzereignis vorhergehenden jeweils letzten Arbeitsverhältnisses; der Kaug-Zeitraum umfaßt vielmehr auch ein vorhergehendes Arbeitsverhältnis bei demselben Arbeitgeber, soweit es in den Drei-Monatszeitraum hineinreicht. Der Senat hat diese Abgrenzung aus der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Vorschrift des § 141b AFG hergeleitet und insbesondere den damals erhobenen Einwand für nicht zutreffend erachtet, Ansprüche aus einem früheren Arbeitsverhältnis seien nur deshalb weniger schutzwürdig als diejenigen aus dem letzten Arbeitsverhältnis, weil der Arbeitnehmer trotz bestehender Lohnrückstände wieder eine Arbeit bei seinem säumig gebliebenen bisherigen Arbeitgeber aufgenommen hat.

Dieser Grundsatz, an dem festzuhalten ist, gilt entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht nicht nur für die Kaug-Ansprüche der Arbeitnehmer gemäß § 141b AFG, sondern in gleicher Weise auch für die Beitragsentrichtungsansprüche der Einzugsstelle nach § 141n AFG. Die Kaug-Versicherung hat den Zweck, den Arbeitnehmer für den dreimonatigen Kaug-Zeitraum so zu stellen, wie er bei Erfüllung des vollen Entgeltanspruches (Bruttolohn einschließlich der Beitragsanteile des Arbeitgebers zur gesetzlichen Sozialversicherung des Arbeitnehmers) gestanden hätte. Abweichend von der Abwicklung des Entgeltanspruches in einem vom Arbeitgeber voll erfüllten Arbeitsverhältnis hat der Gesetzgeber jedoch die Ansprüche aus der Kaug-Versicherung geteilt. Der Arbeitnehmer erhält Kaug nur in Höhe seines um die gesetzlichen Abzüge verminderten Arbeitsentgelts (§ 141d Abs 1 AFG). Soweit es sich um die Beiträge für rückständigen Lohn handelt, wird das Kaug-Verfahren unmittelbar zwischen der Beklagten und der Einzugsstelle abgewickelt. Die Beklagte verkennt daher, daß allein schon die Zielsetzung der Kaug-Versicherung die inhaltsgleiche Abgrenzung des Kaug-Zeitraumes in § 141b AFG einerseits und in § 141n AFG andererseits erfordert. Die Vorschrift des § 141n AFG hat, wie die Beklagte selbst zutreffend hervorhebt, vorrangig den Zweck, im Rahmen der Kaug-Versicherung die Finanzen der Sozialversicherungsträger abzusichern (vgl dazu erkennender Senat in SozR 4100 § 141n Nr 6). Auch die beitragsberechtigten Sozialversicherungsträger sollen aus der Kaug-Versicherung die Beiträge für die Entgelte erhalten, die auf den Kaug-Zeitraum entfallen. Andernfalls käme es sowohl zu einer ihrer Zielsetzung nicht entsprechenden Entlastung der Kaug-Versicherung, obwohl diese bereits entsprechende Beiträge in Form der Arbeitgeberumlage (§ 186b AFG) erhalten hat, als auch zu einer Belastung der Sozialversicherungsträger, die - wie die Beklagte zu Recht einräumt - in Fällen dieser Art auch dann leistungspflichtig bleiben, wenn sie keine entsprechenden Beiträge erhalten. Dementsprechend rechtfertigt der Umstand, daß der Arbeitnehmer gegenüber dem Kranken-, Renten- und Arbeitslosen-Versicherungsträger grundsätzlich auch dann leistungsberechtigt bleibt, wenn die Beitragsansprüche dieser Versicherungsträger zwar entstanden, die Beiträge aber gleichwohl nicht entrichtet worden sind, nicht den von der Beklagten gezogenen, sondern nur den gegenteiligen Schluß, daß die Kaug-Versicherung auch zur Beitragsentrichtung gemäß § 141n Abs 1 AFG verpflichtet und auf den Erstattungsanspruch gemäß § 141n Abs 2 Satz 2 AFG beschränkt ist. Deshalb ist es für den Anspruch der Einzugsstelle aus § 141n AFG rechtsunerheblich, ob die betroffenen Arbeitnehmer für Zeiten des Kaug-Zeitraumes Arbeitsentgelt erhalten und deshalb keinen Kaug-Anspruch nach § 141b AFG haben. Nur so kann im übrigen auch die - unerwünschte - Belastung der Konkursmasse mit auf den Kaug-Zeitraum entfallenden Beiträgen vermieden werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.

 

Fundstellen

BB 1987, 976

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