Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung des SGG § 146 auf Übergangsgeld

 

Leitsatz (amtlich)

Das vorgezogene Übergangsgeld nach § 1241d Abs 1 S 2 RVO idF des RehaAnglG hat auch der die Maßnahme der Rehabilitation durchführende Versicherungsträger zu zahlen (Abgrenzung zu BSG 1970-04-22 12 RJ 36/65 = SozR Nr 19 zu § 1241 RVO und BSG 1972-02-29 4 RJ 163/71 = SozR Nr 33 zu § 1241 RVO).

 

Orientierungssatz

SGG § 146 ist auf das Übergangsgeld nach den §§ 1240 ff RVO idF des RehaAnglG nicht mehr entsprechend anzuwenden (vgl BSG vom 1978-04-27 11 RA 39/77 = SozR 1500 § 146 Nr 8).

 

Normenkette

RVO § 1237b Abs 1 Nr 1 Fassung: 1974-08-07, § 1241d Abs 1 S 2 Fassung: 1974-08-07; SGG § 146 Fassung: 1958-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 21.03.1980; Aktenzeichen III JBf 52/79)

SG Hamburg (Entscheidung vom 29.03.1979; Aktenzeichen 17 J 927/76)

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten noch, ob dem Kläger vorgezogenes Übergangsgeld gemäß § 1241 d Abs 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Zeit vom 1. November 1975 bis zum 3. August 1976 zusteht.

Der Kläger ist gelernter Rohrschlosser. Nach verschiedenen anderen Tätigkeiten arbeitete er von März 1974 bis März 1975 wieder in seinem erlernten Beruf. Im Februar 1975 beantragte er bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Landesversicherungsanstalt (LVA) Freie und Hansestadt Hamburg berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation. Gewährt wurde ihm eine Umschulung zum Informationselektroniker, die am 4. August 1976 begann. Die Maßnahme wurde jedoch am 27. Juli 1977 abgebrochen und der Kläger statt dessen vom 28. Juli 1977 bis zum 19. Januar 1979 mit Erfolg zum Güteprüfer ausgebildet. Übergangsgeld erhielt er von der LVA Hamburg für die Zeit vom 4. August 1976 bis zum 2. März 1979. Seit dem 1. Mai 1979 ist er bei einem Amtsgericht als Angestellter in der Vergütungsgruppe IX b des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) beschäftigt.

Den am 12. November 1975 vom Kläger gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. März 1976 ab, weil der Kläger nicht berufs- oder erwerbsunfähig sei. Die Zuständigkeit der Beklagten für Rentenansprüche des Klägers beruht auf dessen Beitragsleistung zur französischen Rentenversicherung. Das Vorverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. September 1976). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. März 1979). Mit seiner dagegen gerichteten Berufung hat der Kläger von der Beklagten für die Zeit vom 1. November 1975 bis zum 3. August 1976 Übergangsgeld und ab 3. März 1979 Rente wegen Berufsunfähigkeit begehrt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 21. Mai 1980). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne die geltend gemachten Leistungen nicht beanspruchen, weil er nicht berufsunfähig iS des § 1246 Abs 2 RVO sei. Seine "bisherige Berufstätigkeit" sei allenfalls in die Gruppe der Facharbeiter einzustufen. Er müsse sich auf seine jetzige Tätigkeit - auch für die Zeit, bevor er sie aufgenommen habe - und auf eine Tätigkeit als Hausmeister in Schulen und Verwaltungen verweisen lassen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 1241 d Abs 1 RVO. Das LSG habe Sinn und Zweck dieser Vorschrift verkannt. Sie erfordere keine Zumutbarkeitsprüfung iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO. Das für das vorgezogene Übergangsgeld erforderliche Tatbestandsmerkmal des "Rentenantrages" beziehe sich nur auf den Beginn dieser Leistung. Das LSG gehe davon aus, für die jetzige Tätigkeit des Klägers als Angestellter nach BAT IX b hätten seine körperlichen Kräfte in der Zeit vom 1. November 1975 bis zum 3. August 1976 ausgereicht. Er habe sich deshalb auch damals darauf verweisen lassen müssen. Diese Feststellungen beruhten offenbar auf einer Gerichtskunde, die weder den Beteiligten mitgeteilt noch zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sei. Auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs könne die angefochtene Entscheidung beruhen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil des LSG sowie das Urteil des SG

aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen

Bescheide zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. November 1975

bis zum 3. August 1976 Übergangsgeld nach § 1241 d Abs 1 Satz 2 RVO

zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Seien die Merkmale der §§ 1246, 1247 RVO nicht erfüllt, so dürfe Übergangsgeld für die Zeit vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme nicht gezahlt werden. Das LSG habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt, denn es habe sich auf die Aussagen von Sachverständigen gestützt. Im übrigen sei eine Verwaltungsentscheidung bislang nur über den Rentenantrag des Klägers getroffen worden, nicht dagegen zum vorgezogenen Übergangsgeld.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muß.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein noch der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Übergangsgeld. Insoweit war die Berufung nicht durch § 146 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen, denn diese Vorschrift ist auf das Übergangsgeld nach den §§ 1240 ff RVO idF des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881) nicht mehr entsprechend anzuwenden (vgl Bundessozialgericht -BSG- Urteil des 11. Senats vom 27. April 1978 in SozR 1500 § 146 Nr 8).

Das LSG hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Beklagte im angefochtenen Verwaltungsakt vom 18. März 1976 nicht nur über die vom Kläger beantragte Rente entschieden hat, sondern auch über das vorgezogene Übergangsgeld (§ 1241 d Abs 1 Satz 2 RVO). Im Tatbestand seines Urteils hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe den Rentenantrag abgelehnt. Nach den Entscheidungsgründen des Berufungsgerichts kann der Kläger "die geltend gemachten Leistungen nicht beanspruchen". Zwar würde das einen entsprechenden Verwaltungsakt hinsichtlich des Übergangsgeldes voraussetzen, für den sprechen kann, daß die Beklagte sich rügelos auf das geforderte Übergangsgeld in der Vorinstanz eingelassen hat. Ob sie aber tatsächlich über das Übergangsgeld befunden hat, läßt sich dem Urteil des LSG nicht entnehmen. Wegen des Wortlauts einer Willenserklärung und des inneren Willens der Verwaltung ist das BSG an die Feststellungen des Tatsachengerichts gebunden, sofern diese nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen werden (§ 163 SGG; vgl BSG in SozR 1500 § 163 Nr 2 mwN). Hat die Beklagte keine Verwaltungsentscheidung zum vorgezogenen Übergangsgeld getroffen, so ist die diesbezügliche Anfechtungsklage mangels eines entsprechenden Verwaltungsaktes unzulässig (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG wird daher vorab zu entscheiden haben, ob der Bescheid vom 18. März 1976 auch das Übergangsgeld umfaßt.

Hat die Beklagte im angefochtenen Verwaltungsakt neben dem Anspruch auf Rente auch denjenigen auf Gewährung des vorgezogenen Übergangsgeldes abgelehnt, so hat sie insoweit als unzuständiger Versicherungsträger entschieden.

Während der berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation ist dem Betreuten Übergangsgeld zu gewähren (§ 1240 Satz 1 RVO). Diese Leistung hat der Kläger für die Zeit ab 4. August 1976 von der die Umschulung durchführenden LVA Hamburg erhalten. Das Übergangsgeld für die Zeit vorher begehrt er nun nicht von der LVA Hamburg, sondern von der Beklagten. Nach § 1241 d Abs 1 Satz 1 RVO ist das Übergangsgeld vom Beginn der Maßnahme zur Rehabilitation an zu gewähren. Lediglich dann, wenn vorher ein Antrag auf Rente ua wegen Berufsunfähigkeit gestellt worden ist, beginnt das Übergangsgeld nach Satz 2 dieser Vorschrift mit dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zu zahlen gewesen wäre. Bis zum Inkrafttreten des RehaAnglG am 1. Oktober 1974 war die Regelung des § 1241 d Abs 1 Satz 2 RVO in § 1241 Abs 1 Satz 2 RVO aF enthalten. Zu dieser Vorschrift hat das BSG entschieden, das vorgezogene Übergangsgeld habe der für die Gewährung der entsprechenden Renten zuständige Träger der Rentenversicherung auch dann zu zahlen, wenn Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit von einem anderen Träger der Rentenversicherung durchgeführt würden (Urteile des 12. Senats vom 22. April 1970 und des 4. Senats vom 29. Februar 1972 in SozR Nrn 19 und 33 zu § 1241 RVO).

Inzwischen hat sich aber die Rechtslage durch das RehaAnglG geändert. Während das Übergangsgeld vor dem 1. Oktober 1974 zur sozialen Betreuung bei Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit gehörte (§ 1237 Abs 1 und 4 a RVO aF), fällt es nun unter die ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation (§ 1237 b Abs 1 Nr 1 RVO). Das BSG hat in der Entscheidung vom 22. April 1970 (aaO) die Zahlung des Übergangsgeldes durch den für die Rentenzahlung zuständigen Versicherungsträger mit der engen Verknüpfung der in § 1241 Abs 1 Satz 2 RVO aF genannten Rentenformen mit dem vorgezogenen Übergangsgeld und im Urteil vom 19. Februar 1972 (aaO) zusätzlich mit einer aus dem Sachzusammenhang folgenden Zuständigkeit begründet. In anderem Zusammenhang - zur Frage der entsprechenden Anwendung des § 146 SGG auf Übergangsgeld - hat der 11. Senat des BSG im Urteil vom 27. April 1978 (aaO) nunmehr einen rentenähnlichen Charakter des Übergangsgeldes in der Ausgestaltung durch das RehaAnglG im Gegensatz zu der die Zeit vor dem 1. Oktober 1974 betreffenden Rechtsprechung des 12. und des 4. Senate (SozR Nr 11 zu § 146 SGG und Nr 48 zu § 150 SGG) verneint. Die hierfür vom 11. Senat des BSG angeführten Gründe treffen auch im vorliegenden Fall zu.

Von entscheidender Bedeutung für die Beantwortung der Frage nach der Zuständigkeit für die Gewährung des vorgezogenen Übergangsgeldes ist der Grundsatz der einheitlichen Trägerschaft bei der Rehabilitation, von der der Gesetzgeber in Ä 5 Abs 2 Satz 1 RehaAnglG nunmehr ausgeht. Danach hat jeder Träger im Rahmen seiner Zuständigkeit die nach Lage des Einzelfalles erforderlichen Leistungen so vollständig und umfassend zu erbringen, daß Leistungen eines anderen Trägers nicht erforderlich werden. Es muß sichergestellt sein, daß der jeweils zuständige Träger der Rehabilitation vom Anfang bis zum Abschluß des Verfahrens zuständig und damit verantwortlich bleibt (so die Begründung des Entwurfs zu § 5 Abs 2 RehaAnglG, BT-Drucks 7/1237, wodurch ein Wechsel in der Trägerschaft möglichst ausgeschlossen werden soll. Deshalb besteht nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 12. September 1978 in BSGE 47, 47, 49 = SozR 2200 § 1237 Nr 9) Anspruch auf ergänzende, unselbständige Leistungen zur Rehabilitation nur gegen den Versicherungsträger, der eine selbständige Leistung der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation durchführt. Selbst wenn ein unzuständiger Versicherungsträger solche Maßnahmen eingeleitet hat, besteht der Anspruch des Versicherten nur gegen diesen Träger.

Da es sich beim vorgezogenen Übergangsgeld ebenfalls um eine ergänzende, unselbständige Leistung zur Rehabilitation handelt (§ 1237 b RVO), kann sich auch dieser Anspruch nur gegen den Träger der Rehabilitation richten, der die Maßnahme selbst durchführt. Im Falle des Klägers ist das nicht die Beklagte, sondern die LVA Hamburg. Das entspricht im übrigen für die Zeit ab 1. Januar 1976 der "Vereinbarung über die Zuständigkeit der Träger der Rentenversicherung untereinander für Leistungen zur Rehabilitation vom 1. August 1975.

Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht von den Urteilen des 12. und des 4. Senats vom 22. April 1970 und 29. Februar 1972 (aaO) ab, weil es sich dort um Übergangsgelder aus der Zeit vor dem RehaAnglG gehandelt hat (vgl Urteil des 11. Senats vom 27. April 1978 aaO).

Auch die Revision geht davon aus, die Vorstellung vom rentenähnlichen Charakter des Übergangsgeldes lasse sich seit dem RehaAnglG nicht mehr aufrechterhalten. Ob man - wie der Kläger meint - daraus folgern kann, daß das vorgezogene Übergangsgeld keine Zumutbarkeitsprüfung iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO erfordert, muß hier unentschieden bleiben. Dem Senat ist es verwehrt, in der Sache selbst Stellung zu nehmen. Umfaßt der angefochtene Bescheid der Beklagten auch die Ablehnung des vorgezogenen Übergangsgeldes, dann leidet das Berufungsverfahren an einem in der Revisionsinstanz fortwirkenden prozessualen Mangel. Die LVA Hamburg hätte notwendig zu dem Rechtsstreit beigeladen werden müssen, denn es hat sich im Verfahren ergeben, daß bei der Ablehnung des Anspruchs gegen die Beklagte die LVA Hamburg als leistungspflichtig in Betracht kommt (§ 75 Abs 2 2. Fall SGG). Die unterlassene notwendige Beiladung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl zuletzt in SozR 1500 § 75 Nr 37) bei der zulässigen Revision von Amts wegen zu berücksichtigen. Im Revisionsverfahren kann die Beiladung nicht nachgeholt werden (§ 168 SGG).

Sollte das LSG - nach Beiladung der LVA Hamburg - eine Verurteilung des beigeladenen Versicherungsträgers in Erwägung ziehen, so wird es die Rechtsprechung des BSG zu § 75 Abs 5 SGG (vgl BSGE 49, 143 = SozR 5090 § 6 Nr 4; SozR 1500 § 75 Nr 38) zu berücksichtigen haben.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659606

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