Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 06.10.1992) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 1992 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Kläger wenden sich gegen ihre Inanspruchnahme auf Zahlung von Beiträgen zur Krankenversicherung und zur Rentenversicherung.
Die beiden Kläger waren zunächst bei der Beigeladenen zu 3) als Gerüstbauer beschäftigt. Ab Dezember 1985 meldeten sie sich arbeitslos und bezogen Arbeitslosengeld (Alg). Im März 1986 meldeten sie sich aus dem Leistungsbezug mit dem Hinweis ab, sie nähmen eine selbständige Tätigkeit auf. Zum 1. März 1986 meldeten sie einen Gewerbebetrieb an, den sie zum 30. Juni 1987 wieder abmeldeten. Zum 1. Juli 1987 nahmen sie erneut eine Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 3) auf.
Aus beschlagnahmten Betriebsunterlagen ergab sich, daß in der Firma der Kläger in der Zeit von März bis November 1986 in 202 Fällen Arbeitslohn in Höhe von insgesamt 78.845,00 DM ausgezahlt worden war, wobei der Arbeitslohn in keinem Fall den Betrag von 410,00 DM monatlich überschritten hatte und in keinem Fall Sozialversicherungsbeiträge abgezogen worden waren. Versuche der Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Kreis Pinneberg (AOK), im Rahmen einer Sonderbetriebsprüfung gemäß § 98 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren (SGB X) Ermittlungen zur Feststellung der Versicherungspflicht bzw -freiheit der in den beschlagnahmten Lohnkonten aufgeführten, nicht angemeldeten angeblichen Aushilfskräfte durchzuführen, scheiterten daran, daß die Kläger nicht erreichbar waren. Die AOK forderte daraufhin mit Bescheid vom 14. September 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Februar 1988 von den Klägern als Arbeitgebern für die Monate März bis November 1986 nach der anhand der Aushilfslohnkonten ermittelten Lohnsumme von 78.845,00 DM pauschal berechnete Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung in Höhe von insgesamt 28.878,40 DM.
Dagegen haben die Kläger Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 11. Dezember 1990 stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) sie auf die Berufungen der AOK und der Beigeladenen zu 3) abgewiesen. Das am 6. Oktober 1992 verkündete Urteil des LSG ist am 7. Mai 1993 von den Richtern unterschrieben zur Geschäftsstelle gegeben und den damaligen Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 19. Mai 1993 zugestellt worden.
Gegen dieses Urteil haben die Kläger Revision eingelegt. Während des Revisionsverfahrens hat eine Vereinigung der Allgemeinen Ortskrankenkassen in Schleswig-Holstein zur Beklagten stattgefunden.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger eine Verletzung des § 551 Nr 7 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie eine Verletzung sachlichen Rechts.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des LSG vom 6. Oktober 1992 aufzuheben und die Berufungen gegen das Urteil des SG vom 11. Dezember 1990 zurückzuweisen,
hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 3) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die übrigen Beigeladenen haben sich in der Sache nicht geäußert und auch keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Kläger ist iS einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung an das Berufungsgericht begründet. Das Urteil des LSG ist nicht mit Gründen versehen.
Nach § 134 Satz 2 SGG soll ein bei der Verkündung noch nicht vollständig schriftlich niedergelegtes Urteil binnen drei Tagen nach der Verkündung in vollständiger Abfassung der Geschäftsstelle übergeben werden. § 551 Nr 7 ZPO, der im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist (§ 202 SGG), enthält die unwiderlegliche Vermutung, daß eine Entscheidung stets auf einer Verletzung des Gesetzes beruht, wenn sie nicht mit Gründen versehen ist. Dann liegt ein unbedingter oder absoluter Revisionsgrund vor. Zwar ist ein solcher nicht schon dann anzunehmen, wenn die Dreitagesfrist des § 134 Satz 2 SGG überschritten ist. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat aber mit Beschluß vom 27. April 1993 (GmSOGB 1/92 – ZIP 1993, 1341) einheitlich für alle Gerichtsbarkeiten entschieden, daß es einen absoluten Revisionsgrund darstellt, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe eines bei Verkündung nicht vollständig abgefaßten Urteils nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Auf eine diesbezügliche Rüge muß das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden. Das gilt auch für Urteile, die bereits vor dem Beschluß des Gemeinsamen Senats verkündet waren. Denn auch der Gemeinsame Senat hat die von ihm entwickelten Grundsätze ohne Vorbehalt auf ein im Januar 1990 verkündetes Urteil angewandt. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Denn selbst wenn der Beschluß des Gemeinsamen Senats im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (≪BSG≫ SozR 3-1750 § 551 Nrn 2 und 3 mwN) wie eine Änderung des Prozeßrechts zu behandeln sein sollte, liegen die Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Grundsatz der sofortigen Geltung von Prozeßrechtsänderungen nicht vor. Die Erwartung der Beteiligten, aufgrund des LSG-Urteils eine sachliche Klärung der streitigen Rechtsfrage durch das Revisionsgericht zu erreichen, ist nämlich keine verfahrensrechtliche Position, die in ihrer Schutzwürdigkeit materiell-rechtlichen Gewährleistungen vergleichbar ist (vgl BVerfGE 63, 343, 359; anders für die Zulässigkeit eines bereits eingelegten Rechtsmittels BVerfG NJW 1993, 1123).
Zwischen der Verkündung des Urteils am 6. Oktober 1992 und der Übergabe des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle am 7. Mai 1993 liegen sieben Monate. Die Überschreitung der Fünfmonatsfrist ist von den Klägern innerhalb der Revisionsbegründungsfrist gerügt worden. Die Rechtsverletzung führt daher zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung, ohne daß der Senat die von der Revision aufgeworfenen Fragen in der Sache zu prüfen hat. Auch für den Fall, daß der Rechtsstreit vom Revisionsgericht in der Sache entschieden werden könnte, ist eine Ausnahme vom Gebot der Zurückverweisung vom Gemeinsamen Senat nicht erwogen worden und auch nach der Rechtsprechung des BSG nicht zulässig; § 170 Abs 1 Satz 2 SGG gilt nicht bei absoluten Revisionsgründen (BSGE 63, 43, 45 = SozR 2200 § 368a Nr 21 mwN).
Der Senat hat der Anregung der Kläger, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen, nicht entsprochen. Ob dieses auch im sozialgerichtlichen Verfahren zulässig ist, wird nicht einheitlich beantwortet (vgl Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl 1993, § 170 RdNr 8). Jedenfalls war für den erkennenden Senat die Aufhebung des angefochtenen Urteils allein wegen dessen verspäteter Absetzung kein ausreichender Grund, die Sache an einen anderen als den nach dem Geschäftsverteilungsplan des LSG zuständigen Senat zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen