Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 12.11.1976) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. November 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte bei der Berechnung des dem Kläger gezahlten Übergangsgeldes das „Nettoarbeitsentgelt”, auf dessen Höhe das Übergangsgeld begrenzt worden ist, richtig festgesetzt hat.
Der Kläger war seit Februar 1974 arbeitsunfähig krank; er bezog ab 11. April Krankengeld in Höhe von täglich 61,– DM. Vom 22. Oktober bis 19. November 1974 unterzog er sich einem Heilverfahren; hierfür gewährte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 22. November 1974 ein Übergangsgeld von täglich 48,89 DM. Der Berechnung legte sie die in der Höhe unterschiedlichen Arbeitsentgelte des Klägers von November 1973 bis Januar 1974 (2.100,56 DM, 2.738,60 DM, 1.509,52 DM) zugrunde; der angesetzte Betrag entsprach dem durchschnittlichen Tagesnettoverdienst in diesen Monaten.
Demgegenüber berief sich der Kläger darauf, daß der im April 1974 durchgeführte Lohnsteuerjahresausgleich zur Rückzahlung der für 1973 einbehaltenen Lohnsteuer geführt habe. Seine auf Berücksichtigung dieses Ausgleichs gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) ließ dahingestellt, ob die Beklagte bei der Berechnung des Übergangsgeldes auch die – höheren – Entgelte für November und Dezember 1973 habe heranziehen dürfen. Zu Recht habe sie jedenfalls die Lohnsteuerjahresausgleiche für 1973 und 1974 unbeachtet gelassen. Nettoarbeitsentgelt iS des § 182 Abs. 4 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei das um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderte Arbeitsentgelt. Wegen der Lohnersatzfunktion des Übergangsgeldes sollten nur die tatsächlich entfallenen Einkünfte ersetzt werden; dafür spreche auch der Gesichtspunkt der Praktikabilität.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ein höheres Übergangsgeld unter Berücksichtigung des Lohnsteuerjahresausgleichs zu zahlen.
Zur Begründung macht er geltend, bei der Ermittlung des Nettoentgelts könne es nur auf den geschuldeten Steuerbetrag ankommen. Im übrigen sei bei Fälligkeit des Übergangsgeldes der Lohnsteuerjahresausgleich für 1973 bereits durchgeführt gewesen.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet; der Kläger hat keinen Anspruch auf ein höheres Übergangsgeld.
Ausgangspunkt für die Berechnung des Übergangsgeldes ist im vorliegenden Fall § 18 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF des Rehabilitationsangleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974; der für die Berechnung des Krankengeldes maßgebende § 182 Abs. 4 und 5 RVO gilt danach auch für die Berechnung des Übergangsgeldes. Insoweit bestimmt § 182 Abs. 4 Satz 1 RVO, daß das Krankengeld 80 vom Hundert des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn) beträgt und das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen darf.
Zu dem letztgenannten Begriff findet sich keine erläuternde Definition im Gesetz. Soweit ersichtlich, besteht jedoch Einigkeit darüber, daß „Nettoarbeitsentgelt” das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt darstellt und daß seiner Ermittlung der gleiche Zeitraum wie der Ermittlung des Regellohnes zugrunde zu legen ist (vgl. § 18 f Abs. 1 AVG: „das vor der Arbeitsunfähigkeit oder der Maßnahme erzielte, um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt”).
Hierzu bestimmt § 182 Abs. 5 RVO, daß Bemessungszeitraum für die Berechnung des Regellohnes der letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechnete Lohnabrechnungszeitraum ist. Das wäre hier der Januar 1974 gewesen. Die Beklagte hat demgegenüber den Bemessungszeitraum um zwei vorhergehende, für den Kläger günstigere Monate erweitert. Sie beruft sich auf eine Vereinbarung der Rehabilitationsträger vom Juli 1974 über die Ermittlung des Regellohnes bei schwankenden Bezügen. Der Senat kann mit dem LSG dahingestellt lassen, ob und unter welchen Umständen „schwankende Bezüge” eine Erweiterung des Bemessungszeitraumes rechtfertigen können; selbst wenn man nämlich von dem zugrunde gelegten, für den Kläger hier günstigeren Bemessungszeitraum ausgeht, kann er keine Erhöhung des Übergangsgeldes erreichen.
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat bereits mit Urteil vom 23. März 1977 – 4 RJ 177/75 – entschieden, daß bei der Ermittlung des Nettoarbeitsentgelts im zuletzt abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum ein später durchgeführter Lohnsteuerjahresausgleich nicht zu berücksichtigen ist. Dem schließt sich der erkennende Senat im Ergebnis an.
Für diese Auslegung spricht insbesondere, daß das Gesetz auf die tatsächlichen Verhältnisse in dem zuletzt abgerechneten Zeitraum abstellt und daß es mit der Gewährung von Kranken- und Übergangsgeld den in dieser Zeit gegebenen wirtschaftlichen Status aufrechterhalten will. Das schließt es aus, spätere (rückwirkende) Veränderungen im Entgelt und in den Abzügen zu berücksichtigen. Das müßte zudem zu Verzögerungen bei der Anweisung des Kranken- und Übergangsgeldes und zu späteren Neuberechnungen führen, was, wie der 4. Senat zu Recht betont, mit der erstrebten schnellen Entscheidung über diese Leistungen nicht vereinbar wäre.
Bei Lohnsteuererstattungen im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs oder der Einkommensteuerveranlagung treten weitere Bedenken hinzu. Bei diesem Verfahren werden nicht nur die Verhältnisse in dem Bemessungszeitraum des Kranken- bzw. Übergangsgeldes, sondern auch die Verhältnisse in den übrigen Monaten des Jahres, mithin auch erst nach Ende des Bemessungszeitraumes eintretende Umstände berücksichtigt; die Erstattung kann dabei unter Umständen ihren wesentlichen Grund gerade darin haben, daß das nach dem Ablauf des Bemessungszeitraumes gewährte Übergangsgeld lohnsteuerfrei ist. Ferner könnte der Versicherte noch andere Einkünfte als solche aus unselbständiger Arbeit erzielt haben, so daß es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich wäre, die Erstattung anteilmäßig auf das Arbeitsentgelt im maßgebenden Bemessungszeitraum zu beziehen.
Entgegen der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ansicht läßt sich auch nicht darauf abstellen, welche steuerliche Belastung auf den Bemessungszeitraum ohne Rücksicht auf später eintretende Umstände entfallen mußte. Dies scheitert schon daran, daß eine Aufteilung der Steuerschuld auf Teile eines Kalenderjahres dem geltenden Einkommensteuerrecht fremd ist; auch Steuerfreibeträge beziehen sich stets auf ganze Kalenderjahre. Sind die Tatbestände, auf denen sie beruhen, nur in einem Teil eines Jahres erfüllt, so wirkt sich das auf die Höhe des Freibetrages und damit der Steuerschuld für das ganze Jahr aus, ohne daß von einer unterschiedlichen Belastung einzelner Zeiträume gesprochen werden könnte. Eine Berücksichtigung von Freibeträgen, deren Eintragung in die Steuerkarte zur Zeit des Bemessungszeitraumes hätte verlangt werden können, würde damit die Versicherungsträger zur Feststellung fiktiver Steuerschulden nötigen, die sich schwerlich als gesetzliche Bezüge bezeichnen ließen.
Dies hätte nicht nur in besonderem Maße Verzögerungen bei der Auszahlung von Krankengeld und Übergangsgeld zur Folge, sondern würde auch das Übergangs- oder Krankengeld, soweit es durch die Höhe des Nettoentgeltes begrenzt wird, zu den tatsächlichen Bezügen und Abzügen des Versicherten im Bemessungszeitraum nicht mehr sinnvoll in Beziehung bringen; so ermittelte Beträge könnten unter keinem Gesichtspunkt noch als Nettoentgelt bezeichnet werden.
Es kann im weiteren auch nicht darauf ankommen, ob in der Zeit zwischen dem Ablauf des Bemessungszeitraumes und der Fälligkeit bzw. Festsetzung des Übergangsgeldes bereits ein Lohnsteuerjahresausgleich durchgeführt worden ist. Zutreffend hat der 4. Senat schließlich keine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–) darin erblickt, daß Arbeitnehmer mit vorher eingetragenen Freibeträgen anders als solche mit später festgesetzten Steuererstattungen behandelt werden; der Gesetzgeber stellt mit guten Gründen nur auf die im Bemessungszeitraum gegebenen Verhältnisse ab; im übrigen hat es jeder Versicherte in der Hand, von der Möglichkeit des vorherigen Eintrags von Freibeträgen Gebrauch zu machen. Hiernach ist ebensowenig ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen