Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Berufung
Orientierungssatz
Werden mit einer Klage zwei verschiedene Ansprüche geltend gemacht, so ist die Zulässigkeit der Berufung für beide Ansprüche gesondert zu prüfen (Anschluß an BSG 1957-03-15 9 RV 62/54 = BSGE 5, 34).
Normenkette
SGG § 150 Nr. 1, §§ 144, 148 Nr. 1
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 31.08.1954) |
Tenor
1. Das Urteil des Landessozialgerichts 31. August 1954 wird wie folgt geändert:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Versorgungsgerichts Berlin vom 2. November 1953 wird insoweit, als über den Hinterbliebenenanspruch der Klägerin entschieden hat, zurückgewiesen. Im übrigen wird die Berufung der Klägerin verworfen.
2. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der am 5. März 1951 verstorbene Ehemann der Klägerin beantragte am 7. September 1950 Beschädigtenrente wegen Knochenmarksentzündung als Folge eines Hufschlags, den er 1916 als Soldat im Felde erlitten habe. Wach dem Tod ihres Ehemannes hat die Klägerin den Antrag auf Beschädigtenrente weiterverfolgt und am 13. Mai 1951 Witwenrente beantragt. Eine versorgungsrechtliche Entscheidung nach den bis 1945 gültig gewesenen Versorgungsgesetzen über die Gesundheitsstörungen des Verstorbenen aus dem ersten Weltkrieg wurde nicht festgestellt. Mit Bescheid vom 28. August 1951 hat das Versorgungsamt (VersorgA.) Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung unter Bezug auf § 37 Abs. 5 des Berliner Gesetzes über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen vom 24. Juli 1950 (VOBl. S. 318) - KVG - und § 62 Abs. 4, § 58 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) abgelehnt, da die Gesundheitsstörung nicht bereits nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften als Schädigungsfolge anerkannt war.
Das Landesversorgungsamt (LVersorgA.) hat den Bescheid des VersorgA. bestätigt.
Die von der Klägerin beim Versorgungsgericht (VersorgG.) Berlin erhobene Klage auf Gewährung von Beschädigten- und Hinterbliebenenrente wurde mit Urteil vom 2. November 1953 abgewiesen. In der Begründung ist ausgeführt, daß Versorgung nach § 37 Abs. 5 KVG und § 57 Abs. 2 BVG nicht mehr geltend gemacht werden könne, da der Anspruch auf eine Schädigung gestützt werde, die während einer vor dem 1. September 1939 beendeten Dienstleistung eingetreten sei, und es sich auch nicht um eine Gesundheitsstörung handle, die auf einen vor Inkrafttreten des KVG bzw. BVG gestellten Antrag als Schädigungsfolge anerkannt worden sei. Die von der Klägerin beim Oberversorgungsgericht ( OVersorgG .) Berlin eingelegte Berufung wurde nach Übergang der Sache auf das Landessozialgericht (LSG.) Berlin mit Urteil vom 31. August 1954 als unzulässig verworfen. Revision ist zugelassen.
Das LSG. hat ausgeführt, die nach §§ 41, 45 KVG zulässig gewesene Berufung sei gemäß § 218 Abs. 6, § 148 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässig geworden. Die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des VersorgG. könne nicht als Zulassung nach § 150 Nr. 1 SGG angesehen werden.
Gegen das Urteil des LSG. hat die Klägerin durch einen beim Bundessozialgericht (BSG.) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16. Oktober 1954, eingegangen am 18. Oktober 1954, Revision eingelegt. Die Revisionsschrift enthält keinen Antrag. Die Revisionsanträge sind mit in der Revisionsbegründung vom 13. Dezember 1954, eingegangen am 15. Dezember 1954, gestellt worden. Gleichzeitig hat die Klägerin beantragt, ihr gegen die Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Revision rügt, das LSG. habe sachlich entscheiden müssen, da die nach früherem Recht zulässige Berufung auch nach dem SGG zulässig geblieben sei. Für die Zulässigkeit sei das im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels geltende Recht entscheidend.
Der Beklagte hat beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da beide Beteiligten zugestimmt haben, § 124 Abs. 2 SGG.
Die Revision ist form - und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie konnte innerhalb eines Jahres seit Zustellung des angefochtenen Urteils eingelegt werden (§ 66 Abs. 2 SGG), da die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des LSG. unrichtig erteilt ist. Sie weist nicht auf den in § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG vorgeschriebenen notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung hin (Urteil des erkennenden Senats v. 15.11.1957 in BSG. 6 S. 105). Der erst in der Revisionsbegründung enthaltene bestimmte Antrag (§ 164 Abs. 2 Satz 1 SGG) ist somit rechtzeitig gestellt. Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedurfte es nicht.
Die Revision ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist nur zum Teil begründet.
Das BSG. hat bereits entschieden, daß die am 1. Januar 1954 beim OVersorgG . Berlin anhängigen Berufungen auf das LSG. Berlin als Berufungen übergegangen sind, und daß sich die Zulässigkeit dieser Berufungen nach den §§ 143 bis 150 SGG richtet (BSG. 1 S. 78, 2 S. 129). Eine nach altem Recht zulässig beim OVersorgG . Berlin eingelegte Berufung gegen das Urteil eines VersorgG. bleibt bei Vorliegen eines der Berufungsausschließungsgründe der §§ 144 bis 149 SGG nach Übergang auf das LSG. Berlin nur dann zulässig, wenn ein Sozialgericht (SG.) in diesem Falle die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG hätte zulassen müssen oder eine der weiteren Ausnahmen des § 150 SGG vorliegt. Dabei ist in der Rechtsmittelbelehrung nach altem Recht keine Zulassung im Sinn des § 150 Nr. 1 SGG zu sehen (BSG. 1 S. 78 [81]).
Zunächst war zu prüfen, ob die Berufung nach §§ 144, 148 SGG ausgeschlossen war.
Gegenstand des Verfahrens sind zwei verschiedene Ansprüche: der Anspruch des verstorbenen Ehemannes auf Beschädigtenversorgung, den die Klägerin als Rechtsnachfolgerin weiterverfolgt, er ist nach dem Berliner KVG und dem BVG zu beurteilen; weiter der Anspruch der Klägerin auf Witwenversorgung, der nur nach dem BVG zu beurteilen ist.
Die Zulässigkeit der Berufung nach §§ 144, 148, 150 SGG war für beide Ansprüche gesondert zu prüfen (s. Urteil des erkennenden Senats v. 15.3.1957 in BSG. 5 S. 34 und BSG. 3 S. 135 [138]). Da die Zulassung eines Rechtsmittels auf bestimmte Ansprüche beschränkt werden kann, ist es auch erforderlich, für jeden Anspruch die Zulässigkeit der Berufung nachzuprüfen.
Nach § 148 Abs. 1 SGG können Urteile nicht mit der Berufung angefochten werden, wenn sie Anträge, die wegen Fristversäumnis abgelehnt worden sind, betreffen, es sei denn, daß die Ausnahmefälle des § 57 BVG geltend gemacht werden. Den Vorschriften des BVG über Fristversäumnis stehen die entsprechenden Vorschriften des bisherigen Versorgungsrechts gleich (vgl. BSG. 1 S. 41 [43] und BSG. v. 12.12.1957 in SozR. SGG § 148 Da 6 Nr. 16). Die Versorgungsbehörde hatte den Antrag des verstorbenen Ehemannes vom September 1950 zunächst nach dem zu diesem Zeitpunkt gültig gewesenen Berliner KVG zu beurteilen. Die Vorschriften des KVG sind zwar nicht revisibles Recht im Sinn des § 162 Abs. 2 SGG (BSG. 2 S. 106 u. BSG. v. 4.3.1958 in SozR. SGG § 162 Da 23 Nr. 90), d.h. der Senat kann nicht nachprüfen, ob die Vorinstanzen sie auf den Sachverhalt richtig angewandt haben (vgl. BSG. 3 S. 77; Baumbach, ZPO, 25. Aufl., Anm. 1 zu § 562). Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob die Entscheidung des VersorgG. eine Ablehnung wegen Fristversäumnis im Sinn des § 148 Nr. 1 SGG darstellt; denn hierbei handelt es sich um die Anwendung des revisiblen Rechts des SGG. Die Versorgungsbehörde hat den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach § 37 Abs. 5 KVG abgelehnt, da der geltend gemachte Anspruch sich auf ein schädigendes Ereignis stützt, das während einer vor dem 1. September 1939 liegenden Dienstleistung eingetreten ist, und die behaupteten Gesundheitsschäden nicht als Leistungsgrund im Sinn bisheriger versorgungsrechtlicher Vorschriften anerkannt waren oder mit einem anerkannten Gesundheitsschaden in ursächlichem Zusammenhang stehen. Das ist keine Ablehnung wegen Fristversäumnis. Die Frist zur Anmeldung von Ansprüchen nach dem KVG ist in § 37 Abs. 1 KVG vorgeschrieben. Danach war der Anspruch zur Vermeidung des Ausschlusses innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des KVG anzumelden. Das KVG hat damit den Beginn der Anmeldefrist zum Teil anders als das BVG in § 56 Abs. 2 geregelt. § 37 Abs. 5 KVG, mit dem die Versorgungsbehörde und das VersorgG. die Ablehnung begründet haben, schafft neben der Zweijahresfrist ein weiteres materiellrechtliches Erfordernis für die Anmeldung, wenn sich der Anspruch auf schädigende Ereignisse vor dem 1. September 1939 stützt, nämlich die Anerkennung als Leistungsgrund nach bisherigem Versorgungsrecht oder das Vorliegen des ursächlichen Zusammenhangs mit anerkannten Gesundheitsschäden. Weder die Versorgungsbehörde noch das VersorgG. hat festgestellt, daß der Ehemann die Anmeldefrist von zwei Jahren nach § 37 Abs. 1 KVG nicht eingehalten habe, sondern beide haben den Antrag wegen Fehlens der genannten weiteren Voraussetzung des § 37 Abs. 5 KVG abgelehnt.
Abgesehen davon liegt einer der in § 148 Nr. 1 SGG genannten Ausnahmefälle vor. Denn § 57 BVG entspricht hinsichtlich der Schädigungen aus der Zeit vor dem 1. September 1939 § 37 Abs. 5 Buchst. a Bln. KVG. Die Klägerin hat diese Ausnahme insofern geltend gemacht, als sie vor dem VersorgG. behauptet hat, daß bereits 1943 ein Rentenverfahren vor dem VersorgA. anhängig gewesen sei. Die durch Kriegsverhältnisse bedingte Nichterledigung könne nicht zu ihren Lasten gehen, sie müsse so behandelt werden, als sei ein Anerkenntnis erfolgt.
Die Berufung gegen das Urteil des VersorgG., soweit dieses den Versorgungsanspruch des Ehemannes betraf, war daher - entgegen der Auffassung des LSG. - nicht nach § 148 Nr. 1 SGG ausgeschlossen (vgl. auch BSG. v. 12.12.1957 in SozR. SGG § 148 Da 6 Nr. 16)
Der Ausschluß der Berufung ergibt sich aber aus einer anderen Vorschrift, nämlich aus § 148 Nr. 2 SGG: das Urteil des VersorgG. betraf insoweit nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume (BSG. 4 S. 215; Mellwitz SGG Anm. C zu § 148). Damit war die Berufung ausgeschlossen.
Auch keine der Ausnahmen des § 150 SGG, die die Berufung trotzdem zulässig machen würden, liegt vor: § 150 Nr. 1 SGG ist zwar - wiederum im Gegensatz zur Auffassung des LSG. - auch in Übergangsfällen sinngemäß anwendbar. Die vom Vorderrichter unterlassene Überprüfung im Sinne des § 150 Nr. 1 SGG ist aber im vorliegenden Fall unschädlich, weil es sich um keine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelt, deren Entscheidung sich auf eine Vielzahl ähnlicher Fälle erstreckt oder über diesen Rechtsstreit hinaus von weittragender Bedeutung für die Einheit und Entwicklung des Rechts wäre (BSG. 1 S. 62 [68] und 2 S. 129 [132]).
Auch ein Ausnahmefall des § 150 Nr. 3 SGG ist nicht gegeben: Der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinn des BVG ist eine der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Beschädigtenrente nach § 1 BVG. Zu einem Streit hierüber vor dem VersorgG. kann es nur kommen, wenn die Voraussetzung des Rentenanspruches aus einer vor dem 1. September 1939 entstandenen Schädigung, nämlich die Anerkennung von Gesundheitsschäden als Leistungsgrund im Sinn bisheriger versorgungsrechtlicher Vorschriften (§ 37 Abs. 5 KVG), feststeht. Da das VersorgG. das Vorliegen dieser Voraussetzung verneint hat, war für einen Streit über den ursächlichen Zusammenhang der geltend gemachten Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinn des BVG kein Raum mehr.
Das LSG. hat somit die Berufung gegen das Urteil des VersorgG., soweit dieses über Versorgungsansprüche des verstorbenen Ehemannes der Klägerin entschied, zu Recht als unzulässig verworfen.
Der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung ist nur nach dem BVG zu beurteilen. Die Versorgungsbehörde hat den Anspruch nach § 58 Abs. 2 BVG abgelehnt, weil die Klägerin die Gesundheitsstörung, die den Tod des Ehemannes herbeigeführt haben soll, auf eine Schädigung stützt, die während einer vor dem 1. September 1939 beendeten Dienstleistung eingetreten ist und nicht als Schädigungsfolge anerkannt war. Auch hierin kann keine Ablehnung wegen Fristversäumnis gesehen werden; denn die Klägerin hat die Frist des § 58 Abs. 1 BVG eingehalten. Zur wirksamen Anmeldung fehlte jedoch die Anerkennung der Gesundheitsstörung des Ehemannes als Schädigungsfolge. Dies stellt eine besondere weitere Voraussetzung dar für Ansprüche, die auf Schädigungen während einer vor dem 1. September 1939 beendeten Dienstleistung zurückgeführt werden. Sie tritt neben die Fristvorschrift des § 58 Abs. 1 BVG. Die Berufung war somit hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung nicht nach § 148 Nr. 1 SGG ausgeschlossen (vgl. LSG. Baden-Württ. in "Die KOV" (Mü.) 1957, "Rechtsprechung" Nr. 581). Das LSG. hätte über diesen Anspruch sachlich entscheiden müssen. Insoweit unterliegt das Urteil der Aufhebung.
Der Senat konnte in diesem Umfang selbst über die Berufung gegen das Urteil des VersorgG. entscheiden, da Ermittlungen tatsächlicher Art nicht mehr erforderlich sind (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin stützt die Gesundheitsstörungen ihres Ehemannes, die seinen Tod herbeigeführt haben, auf Schädigungen, die er 1916 im Militärdienst erlitten haben soll. Bei dem Ehemann waren Schädigungsfolgen unbestrittenermaßen nicht anerkannt. Die Anmeldung eines Anspruchs auf Witwenrente ist somit nach § 58 Abs. 2 BVG nicht zulässig. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des VersorgG. vom 2. November 1953, mit dem ihre Klage gegen den ablehnenden Bescheid des VersorgA. abgewiesen wurde, war deshalb nicht begründet und unter entsprechender Abänderung des Urteils des LSG. zurückzuweisen. In dieser Entscheidung liegt keine unzulässige Schlechterstellung der Klägerin gegenüber dem Urteil des LSG. Der von der Klägerin geltend gemachte Witwenrentenanspruch war wegen Fehlens einer Voraussetzung (Nichtanerkennung von Schädigungsfolgen bei dem Ehemann) abgelehnt worden, von der endgültig feststeht, daß sie nicht erfüllt werden kann. Auch eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG. könnte zu keiner anderen Entscheidung als zur Zurückweisung der Berufung statt Verwerfung wegen Unzulässigkeit führen, ohne daß hierbei das Verbot der Schlechterstellung in Betracht zu ziehen wäre (vgl. BGH. 23 S. 36 [49 f.], BGH. in NJW. 54 S. 150 Nr. 8; BSG. 2 S. 225 [228]).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen