Leitsatz (amtlich)
Das Enkelkind eines Versicherten ist nicht in dessen Haushalt aufgenommen (BKGG § 2), solange es sich in Durchführung der endgültigen Fürsorgeerziehung auf Kosten Dritter in einem Heim befindet.
Normenkette
RVO § 1262 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Nr. 8 Fassung: 1964-04-14; BKGG § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 7 Fassung: 1967-12-21
Tenor
Die Urteile des Sozialgerichts Speyer vom 6. Januar 1970 und des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Mai 1971 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Versicherte (seit Mai 1966 Empfänger von Altersruhegeld) nahm seinen im Juni 1952 geborenen Enkel nach dem Tode von dessen Mutter (September 1959) in seinen Haushalt auf. Er bestritt auch im wesentlichen seinen Unterhalt. Im September 1968 ordnete das zuständige Vormundschaftsgericht die endgültige Fürsorgeerziehung über das Kind an. Sie wurde vom 1. Oktober 1968 an in einem Jugendheim auf Kosten des Klägers durchgeführt.
Bis zum 30. September 1968 erhielt der Versicherte zu seinem Altersruhegeld für sein Enkelkind von der Beklagten den Kinderzuschuß nach § 1262 Abs. 1, 2 Nr. 8 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Für die Folgezeit begehrt ihn der Kläger für sich.
Durch Urteil vom 6. Januar 1970 hat das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Rheinland-Pfalz vom 21. Mai 1971). In den Gründen des Urteils ist ausgeführt: Dem Kläger stehe für die Dauer der Heimunterbringung des Enkelkindes des Versicherten der Anspruch auf den Kinderzuschuß zu. Dies ergebe sich aus § 119a Abs. 1 RVO in der damals geltenden Fassung. Hiernach gehe der Anspruch auf Kinderzuschuß für ein Kind, das in Fürsorgeerziehung untergebracht sei, auf die Stelle über, der die Kosten der Unterbringung zur Last fielen, soweit eine solche Leistung auch in dieser Zeit zustehe. Kostenträger sei in dem vorliegenden Fall der Kläger. Die Beklagte müsse den Kinderzuschuß während der Durchführung der Fürsorgeerziehung zahlen. Der Versicherte habe seinen Enkel im September 1959 in seinen Haushalt aufgenommen.
An diesem Zustand habe sich durch die Heimerziehung nichts Entscheidendes geändert. Der Versicherte habe sich auch weiterhin um seinen Enkel gekümmert, er habe ihn besucht und ihm Päckchen geschickt. Das Kind habe auch einmal einen Urlaub bei dem Versicherten verbringen dürfen.
Mit der Revision wendet sich die Beklagte gegen die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung. Sie ist der Meinung, daß die Heimerziehung des Kindes der Aufnahme in den Haushalt des Großvaters ein Ende gesetzt habe. Vom 1. Oktober 1968 an habe ein Anspruch auf Kinderzuschuß nicht mehr bestanden, ein Übergang auf den Kläger hätte deshalb nicht stattfinden können.
Die Beklagte beantragt,
die Urteil der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Abweisung der Klage. Die Beklagte ist zur Zahlung des Kinderzuschusses an den Kläger nicht verpflichtet. Die Heimerziehung des Enkels des Versicherten - in Durchführung der endgültigen Fürsorgeerziehung - steht einem solchen Anspruch entgegen.
Der Kläger beruft sich zur Begründung dafür, daß ihm der Anspruch auf den Kinderzuschuß zustehe, auf § 119 a RVO aF. Diese Vorschrift - sie findet hier Anwendung, die Neufassung durch das das Kostenermächtigungs-Änderungsgesetz vom 23. Juni 1970 ist erst am 1. September 1970 in Kraft getreten - enthält die Regelung, daß bei Fürsorgeerziehung eines Kindes unter den weiteren, dort genannten Voraussetzungen der Kinderzuschuß auf die Stelle übergeht, der die Kosten der Unterbringung zur Last fallen. Voraussetzung für den Übergang war jedoch, daß "solche Leistungen für die Zeit der Unterbringung zustehen". Weder ist also durch die Vorschrift eine eigene gesetzliche Grundlage für die Entstehung des Anspruchs auf Kinderzuschuß geschaffen worden, noch wird darauf abgestellt, daß vor der Unterbringung die Voraussetzungen für die Gewährung des Kinderzuschusses erfüllt waren. Für die Entscheidung ist es deshalb ohne Bedeutung, daß das Kind vor Beginn der Heimerziehung in den Haushalt seines Großvaters aufgenommen war und daß dieser im wesentlichen für seinen Unterhalt gesorgt hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Beklagte während der Heimerziehung verpflichtet war, den Kinderzuschuß zu zahlen (vgl. Urteil des BSG vom 20. Oktober 1971 - Az.: 12 RJ 66/71 -, DRV 1972, 57 mit zustimmender Anmerkung von Tannen). An dieser Voraussetzung fehlt es.
Für ein Enkelkind wird Kinderzuschuß gewährt, wenn es vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommen ist oder überwiegend unterhalten wird (§ 1262 Abs. 2 Nr. 8 RVO iVm § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 des Bundeskindergeldgesetzes - BKGG -). Nach den Feststellungen des LSG war die zuletzt genannte Voraussetzung während der Dauer der Heimerziehung des Kindes nicht erfüllt. Mit der Verbringung in das Heim ist das Enkelkind des Versicherten zugleich aus dessen Haushalt entlassen worden. Es trifft zwar zu, daß in diesem Zusammenhang nicht allein auf die räumlichen Beziehungen zwischen dem Versicherten und dem Kind abzustellen ist. Auf der einen Seite zwingt eine enge räumliche Verbindung für sich allein nicht schon dazu, die Aufnahme in den Haushalt zu bejahen (vgl. BSG 29, 292). Andererseits ist die räumliche Trennung nicht der allein entscheidende Hinweis dafür, daß nunmehr die Aufnahme in den Haushalt ihr Ende gefunden hat oder unterbrochen worden ist. Es würde den natürlichen Lebensumständen widersprechen, wenn man annehmen wollte, ein Kind, das zu seiner Ausbildung mit Wissen und Wollen der Eltern in einem Internat untergebracht ist, gehöre für die Dauer des Internatsaufenthalts nicht mehr dem Haushalt seiner Eltern an. Der Berechtigte hat sein Enkelkind dann in seinen Haushalt aufgenommen, wenn er auf Dauer in irgendeiner Weise und in weitestem Sinne für das Kind sorgt (vgl. BSG in DRV 1972, 57 mit weiteren Hinweisen). Für den zu entscheidenden Fall bedeutet dies, daß der Versicherte auch in der fraglichen Zeit die Sorge um die Person seines Enkelkindes wenn nicht schon selbst ausgeübt, so doch irgendwie beeinflußt, insbesondere Erziehungsmaßnahmen entweder selbst vorgenommen oder doch eingeleitet oder beaufsichtigt haben müßte. An alledem fehlt es. Auf solche Kriterien hat der Senat bereits in den Entscheidungen in BSG 29, 292, 294 und SozR Nr. 45 zu § 1267 RVO hingewiesen, wenn dort auch letztlich die Frage, welche Auswirkung der Fürsorgeerziehung auf die Aufnahme in den Haushalt zukomme, offen geblieben ist.
Die Durchführung der Fürsorgeerziehung in einem Heim bewirkt nicht nur eine räumliche Trennung. Sie soll den bisherigen Erziehungsberechtigten daran hindern, auf die Erziehung des Kindes einzuwirken. Das Kind wird aus seiner bisherigen Umgebung entfernt, um einer drohenden Verwahrlosung vorzubeugen oder eine bereits eingetretene zu beseitigen. Selbst wenn es also in der Absicht des Versicherten gelegen haben sollte, auch während der Heimerziehung die Personensorge seines Enkelkindes zu beeinflussen, so wäre ihm dies aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen. Der erkennende Senat ist daher der Auffassung, daß das Enkelkind eines Versicherten nicht in dessen Haushalt aufgenommen ist, solange es sich auf Kosten Dritter in Durchführung der endgültigen Fürsorgeerziehung in einem Heim befindet. Dabei ist es unbeachtlich, ob die Haushaltsaufnahme durch die Heimerziehung ihr Ende gefunden hat oder ob sie - weil möglicherweise der Wille zur späteren Fortsetzung bestand - nur unterbrochen worden ist. - Die gelegentlichen Zuwendungen, die das Kind von dem Versicherten erhalten hat, sind in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, ebenso die gegenseitigen kurzen Besuche. Diese liegen im Rahmen der üblichen Beziehungen zwischen Großeltern und Enkeln.
Hiernach war die Beklagte zur Zahlung des Kinderzuschusses nicht verpflichtet. Die Klage kann daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 893549 |
NJW 1973, 79 |