Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriffe "Behandlungsbedürftigkeit" und "Krankenhauspflegebedürftigkeit" (Linderung von Beschwerden oder Verlängerung des Lebens
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Krankenhauspflege eines in einer Anstalt dauernd zur Pflege untergebrachten Rentners ruht nicht, wenn und solange die Unterbringung aus medizinischen Gründen - um die Krankheit zu erkennen oder zu behandeln oder Krankheitsbeschwerden zu lindern - notwendig ist.
Leitsatz (redaktionell)
1. Krankenhauspflegebedürftigkeit (RVO § 184 Abs 1) liegt im Gegensatz zum Pflegefall dann vor, wenn der Aufenthalt aus medizinischen Gründen geboten ist. Das ist dann der Fall, wenn sich eine Krankheit mit den besonderen medizinischen und sonstigen Mitteln eines Krankenhauses mit Aussicht auf Erfolg beeinflussen läßt. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob noch eine Heilung oder Besserung des Leidens oder Entlassung aus dem Krankenhaus zu erwarten ist, sondern es genügt, daß sich der Behandlungserfolg auf die Verhütung einer Verschlimmerung, die Linderung von Beschwerden oder die Verlängerung des Lebens erstreckt.
Ein Pflegefall liegt bei einem Dauerleiden vor, das in dem oben genannten Sinne nicht mehr beeinflußbar ist oder doch im ausreichenden Maße ambulant behandelt werden kann. Die Ruhensvorschrift des RVO § 216 Abs 1 Nr 4 findet dann keine Anwendung, wenn die Unterbringung einer notwendigen stationären Behandlung dient. Das gilt auch dann, wenn eine Heilung oder Besserung des Leidens und die Entlassung aus dem Krankenhaus nicht mehr erreicht werden kann.
2. Läßt sich die ärztliche Behandlung nach Art der Krankheit mit einiger Aussicht auf Erfolg nur in einer Krankenanstalt durchführen, die neben einer apparativen Mindestausstattung die Möglichkeit der Betreuung durch einen jederzeit rufbereiten Arzt und durch geschultes Pflegepersonal bietet, so besteht Krankenhauspflegebedürftigkeit; dabei kommt es darauf an, daß die Betreuung durch geschultes Pflegepersonal im Rahmen einer medizinisch notwendigen Behandlung erfolgt und das Zusammenwirken von ärztlichen Maßnahmen mit Pflege den Aufenthalt in einem Krankenhaus erforderlich macht.
Normenkette
RVO § 184 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1970-12-21, § 216 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1956-06-12
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.02.1977; Aktenzeichen L 16 Kr 102/76) |
SG Köln (Entscheidung vom 28.06.1976; Aktenzeichen S 19 Kr 37/74) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Februar 1977 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28. Juni 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der klagende Landschaftsverband (überörtlicher Träger der Sozialhilfe) fordert von der beklagten Krankenkasse Ersatz der Kosten, die er für die stationäre Unterbringung der ... (Frau W.) in den Krankenanstalten Kloster M aufgewandt hat.
Die am 26.1.1898 geborene und am 30.5.1973 verstorbene Frau W., die als Rentnerin bei der Beklagten gegen Krankheit versichert war, befand sich vom 27. Dezember 1972 bis zum 12. Januar 1973 in einem Altersheim. An diesem Tag wurde sie durch das Gesundheitsamt Köln in das Psychiatrische Krankenhaus Kloster M eingewiesen, in welchem sie bis zu ihrem Tode verblieb. Dieser Maßnahme, die sich auf das Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten vom 2.12.1969 (GVBl NW 872) stützte, lag eine ärztliche Bescheinigung des Dr. K zugrunde, in der eine hochgradige Hirnarteriosklerose mit Verwirrtheitszuständen und Desorientiertheit bescheinigt und die Unterbringung der Patientin in eine geschlossene Abteilung einer entsprechenden Anstalt zu ihrem eigenen Schutz angeraten wurde. Das Amtsgericht E ordnete zunächst die vorläufige und nach Einholung eines vom Chefarzt Dr. U des Psychiatrischen Krankenhauses Kloster M erstatteten Gutachtens die endgültige Unterbringung der Frau W. in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses an. Dr. U bestätigte in diesem Gutachten die von Dr. K gestellte Diagnose und führte ergänzend aus, es handele sich um einen Dauerzustand mit Neigung zu chronischem Fortschreiten.
Am 8. Februar 1973 wandte sich das Krankenhaus M zwecks Übernahme der Unterbringungskosten an die Beklagte.
Dabei wies Dr. U darauf hin, Frau W. werde mit hirndurchblutungsfördernden Mitteln, Psychopharmaka sowie Herz- und Kreislaufmitteln behandelt. Wenngleich eine wesentliche Besserung durch die Behandlung nicht mehr erreicht werden könne, so werde doch eine weitgehende Linderung des Leidens, das in seinen Auswirkungen einer Psychose gleichstehe, erzielt. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme sowohl gegenüber dem Krankenhaus als auch gegenüber dem Kläger mit der Begründung ab, Frau W. sei zur dauernden Pflege untergebracht, weshalb ihr Krankenhilfeanspruch nach § 216 Abs 1 Nr 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ruhe.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Kostenerstattung verurteilt. Die Anhörung der Ärzte Dr. U und Dr. K habe ergeben, die Durchführung der ärztlichen Maßnahmen sei nur in einer Krankenanstalt möglich gewesen, weshalb ein Anspruch auf Krankenhauspflege zu bejahen sei. Wenn Dr. U auch einen dauernden Aufenthalt der Versicherten in einer entsprechenden Anstalt für erforderlich gehalten habe, so sei doch die stationäre Behandlung das wesentliche Ziel des Aufenthalts gewesen. § 216 Abs 1 Nr 4 RVO finde deshalb keine Anwendung.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen eines Krankenhauspflegeanspruchs seien hier zu verneinen, weil einem solchen Anspruch jedenfalls die Ruhensvorschrift des § 216 Abs 1 Nr. 4 RVO entgegenstehe. "Unterbringung zur Pflege" im Sinne dieser Vorschrift bedeute nicht, daß die Unterbringung ausschließlich zum Zwecke der Pflege vorgenommen und eine Krankenbehandlung weder beabsichtigt noch erfolgt sein müsse. Ein "Pflegefall" in diesem Sinne liege vielmehr vor, wenn eine ärztliche Behandlung nach den Gesamtumständen offensichtlich keine hinreichende Erfolgsaussicht mehr biete und die Anstaltspflege deshalb im wesentlichen nur noch um ihrer selbst willen und nicht im Rahmen eines zielstrebigen Heilplanes, dh nicht mit dem Ziel der Besserung des Leidens und der Beendigung der Unterbringung durchgeführt werde. Ein solcher Fall liege hier nach dem Gutachten Dr. U vom 7. Februar 1973 vor. Dieser habe den Leidenszustand ausdrücklich als einen Dauerzustand mit Neigung zu chronischem Fortschreiten bezeichnet. Der Umstand, daß die Kranke durch geschultes Pflegepersonal habe betreut werden müssen und eine geregelte Medikamenteneinnahme habe gewährleistet sein müssen, sei nicht erheblich, solange hierdurch eine wesentliche Besserung nicht habe erreicht werden können. Sei aber die Behandlung nicht mit dem Ziel einer Besserung und der Entlassung aus der Anstalt durchgeführt worden, so habe die Pflege und Betreuung im Vordergrund gestanden. Der ärztlichen Behandlung sei nur begleitender Charakter beizumessen gewesen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 3 des Grundgesetzes (GG) und der §§ 176, 182, 184, 216 RVO sowie des § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das angefochtene Urteil gehe zu Unrecht davon aus, daß der Anspruch der Frau W. auf Krankenhilfe gemäß § 216 Abs 1 Nr 4 RVO geruht habe. Insbesondere gehe die Auffassung fehl, ein "Pflegefall" im Sinne der genannten Vorschrift liege immer dann vor, wenn die Anstaltsunterbringung nicht mit dem Ziel der Besserung des Leidens und der Beendigung der Unterbringung durchgeführt werde. § 216 Abs 1 Nr 4 RVO sei vielmehr lediglich dann anwendbar, wenn Rentner nur zur Pflege in einer Anstalt untergebracht seien. Hierfür spreche insbesondere die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, nach der die ursprüngliche Schlechterstellung alter und siecher Personen beseitigt worden sei. Auch im Hinblick auf die Motive des Gesetzgebers zum Leistungsverbesserungsgesetz vom 19. Dezember 1973 sei davon auszugehen, daß es nicht darauf ankomme, ob nach der Art der Erkrankung eine Gesundung oder auch nur eine Besserung zu erwarten sei. Die Leistungspflicht der Krankenkassen solle erst dann enden, wenn der Versicherte aus anderen als krankheitsbedingten Gründen und nur zur Pflege untergebracht sei.
Schließlich erfordere Art 3 GG eine Gesetzesauslegung, bei der Rentnerkrankenversicherte hinsichtlich ihres Anspruchs auf Krankenhauspflege nicht schlechter stünden als andere Pflichtversicherte. Im vorliegenden Fall sei nach den gerichtlichen Feststellungen ein Anspruch auf Krankenhauspflege begründet, weil nur durch die medikamentöse Behandlung und die Betreuung durch geschultes Personal in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Linderung des Leidens habe erzielt werden können.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 24. Februar 1977 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Köln vom 28. Juni 1976 zurückzuweisen, hilfsweise,
das angefochtene Urteil mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, es habe sich um einen Verwahrungsfall oder Dauerpflegefall iSd § 216 Abs 1 Nr 4 RVO gehandelt, was nicht ausschließe, daß eine überwachte, regelmäßige medikamentöse Versorgung ebenso wie eine ständige Unterbringung auf einer geschlossenen Station notwendig gewesen sei. Eine Anstalt im Sinne dieser Vorschrift könne auch ein Krankenhaus sein, wenn die Unterbringung nicht nur vorübergehend zur Heilbehandlung, sondern dauernd zur Pflege erfolge. Der Anspruch des Rentners auf Krankenhauspflege hänge davon ab, ob das Ziel eines konkreten Heilplanes die Entlassung aus dem Krankenhaus sei. Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet; die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die von ihn in der Zeit vom 12. Januar 1973 bis 30. Mai 1973 aufgewendeten Krankenhauskosten einschließlich der Transportkosten in der unstreitigen Höhe von 2.860,- DM zu ersetzen.
Nach § 1531 Satz 1 RVO kann ein Träger der Sozialhilfe, der nach gesetzlicher Pflicht einen Hilfsbedürftigen für eine Zeit unterstützt, für die dieser einen Anspruch aufgrund der RVO hatte, bis zur Höhe dieses versicherungsrechtlichen Anspruchs nach den §§ 1532 bis 1537 RVO Ersatz verlangen; die gewährten Unterstützungen sind dabei nach § 1533 RVO aus den ihnen entsprechenden Leistungen der Krankenkasse zu ersetzen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn die Beklagte war verpflichtet, Frau W. in der fraglichen Zeit Krankenhauspflege zu gewähren.
Dem Rechtsstreit liegt ein Sachverhalt zugrunde, der vor dem 1. Januar 1974 abgeschlossen war. Für die Entscheidung ist daher § 184 RVO in der bis zum 31. Dezember 1973 geltenden Fassung maßgebend. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift konnte die Krankenkasse anstelle von Krankenpflege Kur und Verpflegung in einem Krankenhaus (Krankenhauspflege) gewähren. Hierbei handelte es sich also um eine Ermessensleistung. Erst mit dem Gesetz zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Leistungsverbesserungsgesetz - KLVG -) vom 19. Dezember 1973 (BGBl I 1925), das § 184 RVO mit Wirkung vom 1. Januar 1974 an abgeändert hat, ist dem Versicherten ein Rechtsanspruch auf Krankenhauspflege eingeräumt worden. Der Krankenkasse blieb jedoch auch vorher für eine Ermessensausübung kein Raum, wenn die Ablehnung der Krankenhauspflege unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ermessensmißbräuchlich gewesen wäre. Machten die besonderen Umstände des Einzelfalles die Krankenhauspflege aus medizinischen Gründen notwendig, so hatte sich der Anspruch des Versicherten auf fehlerfreien Ermessensgebrauch zu einem Anspruch auf die Leistung selbst konkretisiert (vgl ua BSGE 9, 112 ff und 232 ff; BSGE 31, 112, 114, 115; BSG vom 21. November 1961 - 3 RK 33/57 - SozR SGG § 150 Nr 35, vom 16. Oktober 1968 - 3 RK 59/65 - SozR RVO § 184 Nr 21 und vom 18.November 1969 - 3 RK 24/68 - DOK 170, 173 ff).
Nach § 184 RVO idF des KLVG ist Krankenhauspflege zu gewähren, wenn die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist, um die Krankheit zu erkennen oder zu behandeln oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Insoweit entspricht die Neufassung des Gesetzes der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum früheren Rechtszustand. Es ist daher auch bei der Beurteilung des vorliegenden Falles von diesen Anspruchsvoraussetzungen auszugehen. Der erkennende Senat hat dazu wiederholt festgestellt, daß eine Krankheit nicht nur dann behandlungsbedürftig ist, wenn therapeutische Maßnahmen die Heilung oder Besserung eines Leidens oder die Verhütung einer Verschlimmerung erwarten lassen, sondern auch dann, wenn die Behandlung nur auf Linderung der Beschwerden gerichtet ist oder lediglich bezweckt, das Leben für eine begrenzte Zeit zu verlängern (Urteil vom 27. August 1968 - 3 RK 27/65 - BSGE 28, 199, 201; Urteil vom 17. Oktober 1969 - 3 RK 82/66 - SozR RVO § 184 Nr 23; Urteil vom 18. November 1969 - 3 RK 24/68 - aaO). Läßt sich die ärztliche Behandlung nach Art der Krankheit mit einiger Aussicht auf Erfolg allein in einer Krankenanstalt durchführen, die neben einer apparativen Mindestausstattung die Möglichkeit der Betreuung durch einen jederzeit rufbereiten Arzt und durch geschultes Pflegepersonal bietet, so besteht Krankenhauspflegebedürftigkeit (Urteile des erkennenden Senats vom 18. November 1969 aaO sowie vom 28. August 1970 - 3 RK 74/67 - SozR RVO § 184 Nr 30). Unter diesen Voraussetzungen ist Krankenhauspflege aus medizinischen Gründen notwendig, so daß die Krankenkasse zur entsprechenden Leistung verpflichtet ist. Dagegen besteht keine Leistungsverpflichtung der Krankenkasse, wenn eine ärztliche Behandlung keine hinreichende Erfolgsaussicht mehr bietet und die Anstaltspflege deshalb im wesentlichen nur noch um ihrer selbst willen und nicht im Rahmen eines zielstrebigen Heilplanes durchgeführt wird (Urteil des erkennenden Senats vom 17. Oktober 1969 aaO für den speziellen Fall der Behandlung einer Trunksucht). Bei der Abgrenzung der Anstaltspflege in diesem Sinne von der Krankenhauspflege iSd § 184 RVO wird im allgemeinen darauf abzustellen sein, ob die erforderlichen Pflegemaßnahmen lediglich dem Zweck dienen, einem Zustand der Hilflosigkeit zu begegnen oder ob sie Teil einer ärztlichen Behandlung sind. Bedenkt man, daß den pflegerischen Maßnahmen in psychiatrischen Krankenhäusern schon von ihrem Umfang her erhebliche Bedeutung neben den ärztlichen Maßnahmen zukommt, so wird deutlich, daß die Einordnung als "Pflegefall" oder als "Behandlungsfall" nicht allein nach quantitativen Maßstäben erfolgen kann. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Pflege im Rahmen einer medizinisch notwendigen Behandlung erfolgt und ob das Nebeneinander von ärztlicher Leistung und Pflege die Aufnahme oder das Verweilen in einem Krankenhaus erforderlich macht. So hat der erkennende Senat Krankenhauspflegebedürftigkeit noch angenommen, wenn der Zustand des Kranken lediglich die ärztliche Anordnung und Überwachung von Pflegemaßnahmen erfordert (Urteil vom 27. August 1968 aaO) oder bei den Bemühungen, einen Suchtkranken zur Sauberkeit, Körperpflege und Ordnung zu erziehen, noch therapeutische Gesichtspunkte mitsprechen (Urteil vom 17. Oktober 1969 aaO). Auch dem § 185 RVO idF des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (BGBl I S. 1069) ist zu entnehmen, daß neben der ärztlichen Behandlung die erforderliche Pflege durch Krankenpfleger, Krankenschwestern, Krankenpflegehelferinnen oder Kinderkrankenschwestern wesentlicher Teil der Krankenhauspflege ist, die Krankenkasse deshalb bei Undurchführbarkeit der an sich gebotenen Krankenhauspflege zur Gewährung von häuslicher Krankenpflege verpflichtet ist.
Kein Abgrenzungskriterium ist die Dauer der Unterbringung. Das ergibt sich bereits aus der zitierten Rechtsprechung, wonach schon die Verhinderung einer Leidensverschlimmerung, die befristete Verlängerung des Lebens und die Linderung von Krankheitsbeschwerden die Aufnahme und Fortdauer einer stationären Behandlung notwendig machen können. Im Urteil vom 16. Oktober 1968 aaO hat der Senat lang andauernde Krankheiten in den Aufgabenbereich der Krankenhäuser einbezogen. Diesen Gesichtspunkten hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, in dem er durch das KLVG einen Anspruch auf zeitlich unbegrenzte Krankenhauspflege bei entsprechender medizinischer Notwendigkeit eingeräumt hat.
In Anbetracht dieser Rechtslage ist der Ansicht des Klägers zuzustimmen, daß es sich bei der stationären Unterbringung von Frau W. im Psychiatrischen Krankenhaus M in der Zeit vom 12. Januar 1973 bis zu ihrem Tode am 30. Mai 1973 um eine Krankenhauspflege gehandelt hat und diese aus medizinischen Gründen notwendig gewesen ist. Nach den nicht gerügten Feststellungen des angefochtenen Urteils ist das Psychiatrische Krankenhaus M ein Krankenhaus iSd § 184 RVO. Die Notwendigkeit der Krankenhauspflege ergibt sich ebenfalls aus den tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, gegen die auch insoweit zulässige und begründete Rügen nicht vorgebracht worden sind. Der Senat hat daher bei seiner rechtlichen Würdigung von diesen Feststellungen auszugehen (§ 163 SGG). Das LSG hat für die Beurteilung des Krankheitszustandes von Frau W. das Gutachten des Chefarztes des Psychiatrischen Krankenhauses M, Dr. U, vom 7. Februar 1973 als entscheidend angesehen, darüber hinaus aber auch die weiteren Stellungnahmen dieses Arztes (Bescheinigung vom 8.Februar 1973 und Bericht vom 3. Oktober 1975) und des einweisenden Arztes Dr. K (Bericht vom 7. November 1975) seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Nach diesen im wesentlichen übereinstimmenden Stellungnahmen litt Frau W. an einer hochgradigen Hirnarteriosklerose mit Desorientiertheit und Unruhezuständen. Bei ihrer Krankheit handelte es sich um einen Dauerzustand mit Neigung zu chronischem Fortschreiten. Eine wesentliche Besserung war nicht mehr erreichbar. Durch Behandlung mit hirndurchblutungsfördernden Mitteln, Psychopharmaka sowie Herz- und Kreislaufmitteln wurde jedoch eine weitgehende Linderung der Beschwerden erzielt. Eine geregelte Medikamenteneinnahme mußte gewährleistet sein. Die Betreuung der Patientin war nur in Obhut geschulten Personals möglich. Aufgrund dieser besonderen Verhältnisse konnte sowohl nach Dr. K als auch nach Dr. U die erforderliche medizinisch-therapeutische Behandlung nur in einer Krankenanstalt durchgeführt werden. Frau W. hielt sich demnach nicht ausschließlich zur Pflege, sondern auch zur ärztlichen Behandlung im Krankenhaus auf. Von dieser Krankenhauspflege erwartete man zumindest eine Linderung der Beschwerden, wenn nicht auch eine Verhütung eines rascheren Fortschreitens des Leidens und eine Verlängerung des Lebens für eine begrenzte Zeit.
Das LSG ist deshalb zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen, weil nach seiner Rechtsansicht dem Anspruch auf Krankenhauspflege die Ruhensvorschrift des § 216 Abs 1 Nr 4 RVO entgegenstehe. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung ruht ua der Anspruch auf Krankenhilfe für die in § 165 Abs 1 Nr 3 RVO bezeichneten Versicherten (Rentner) und deren anspruchsberechtigte Familienangehörige, solange sie in einer Anstalt dauernd zur Pflege untergebracht sind, in der sie im Rahmen ihrer gesamten Betreuung Krankenpflege erhalten. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob diese Ruhensvorschrift beim Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhauspflege nach § 184 RVO überhaupt anwendbar ist, evtl. bei einer interkurrenten Krankenhauspflegebedürftigkeit eines zur dauernden Pflege untergebrachten Rentners, wenn die erforderliche ärztliche Behandlung in derselben Pflegeanstalt gewährt wird. Sie findet jedoch im vorliegenden Fall schon deshalb keine Anwendung, weil ihre Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt sind. Frau W. war - wie bereits erwähnt - während ihres gesamten Aufenthaltes im Psychiatrischen Krankenhaus M zur Behandlung ihrer Krankheit und zur Linderung ihrer Krankheitsbeschwerden, also zur Krankenhauspflege iSd § 184 RVO untergebracht. § 216 Abs 1 Nr 4 RVO betrifft aber nur die Versicherten, die "dauernd zur Pflege" untergebracht sind. Entgegen der Auffassung des LSG ist ein "Pflegefall" im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung nicht bereits dann anzunehmen, wenn eine ärztliche Behandlung nicht mehr mit dem Ziel der Besserung des Leidens und der Beendigung der Unterbringung durchgeführt wird. Vielmehr schließen in diesem Zusammenhang die anderen medizinischen Gründe, die die Krankenkasse zur Krankenhauspflege verpflichten (Verhütung einer Verschlimmerung, Verlängerung des Lebens und Linderung der Beschwerden), das Vorliegen eines "Pflegefalles" aus.
Das ergibt schon die Auslegung des § 216 Abs 1 Nr 4 RVO, die sich an seiner Entstehungsgeschichte orientiert. Die ihm vorangegangene Vorschrift, § 11 Abs 1 der Verordnung des Reichsarbeitsministers über die Krankenversicherung der Rentner vom 4. November 1941 (RGBl I 689; AN 1941, 440), bestimmte, daß den Versicherten und berechtigten Familienangehörigen, die in einer Heil- oder Pflegeanstalt oder in einer ähnlichen Anstalt untergebracht waren, in der sie im Rahmen ihrer gesamten Betreuung Krankenpflege erhielten, Leistungen nicht gewährt wurden; zu den ähnlichen Anstalten gehörten auch Krankenhäuser, wenn die Unterbringung im Krankenhaus nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer erfolgte. Diese Regelung bezweckte, Doppelleistungen zu verhindern und das Risiko der Rentnerkrankenversicherung durch den Ausschluß dauernd Pflegebedürftiger von der Leistungsberechtigung einzuengen (vgl BSGE 21, 244, 245 und 30, 270, 271). Durch das Gesetz über die Krankenversicherung der Rentner vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) wurde § 216 Abs 1 Nr 4 in die RVO eingeführt. In der amtlichen Begründung dazu heißt es: "Diese Vorschrift ändert das bisher geltende Recht mit dem Ziele einer Besserstellung des Rentners insoweit ab, als das Ruhen der Krankenhilfe während des Aufenthalts in einer Heil- und Pflegeanstalt oder eines nicht nur vorübergehenden Krankenhausaufenthaltes beseitigt wird, wenn der Rentner nicht nur zur Pflege in der Anstalt untergebracht ist" (BT-Drucks Nr 1234/2 Wahlperiode S. 11). Das Ruhen sollte also in allen Fällen einer Heilbehandlungszwecken dienenden Unterbringung nicht mehr eintreten (vgl Schellhorn, Zeitschrift für das Fürsorgewesen 1956, 355). Das hat das LSG nicht beachtet. Es konnte sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf das Urteil des BSG vom 29. Januar 1970 (BSGE 30, 270 ff) beziehen. Diese Entscheidung ist zu der speziellen Vorschrift des § 11 Abs 1 der Verordnung über die Krankenversicherung der Rentner vom 4. November 1941 ergangen.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 23. Januar 1973 - 3 RK 55/71 - (SozR RVO § 184 Nr 39) die Auffassung vertreten, die Ruhensvorschrift des § 216 Abs 1 Nr 1 RVO sei als Ausnahmeregelung eng auszulegen. Auch § 216 Abs 1 Nr 4 RVO ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Seine Anwendung kommt nur in Betracht, wenn der Rentner dauernd zur Pflege untergebracht ist. Soweit die Einweisung in das Krankenhaus oder die Fortdauer des stationären Aufenthaltes aus medizinischen Gründen - zur Behandlung der Krankheit oder Linderung der Krankheitsbeschwerden - erforderlich ist, kann sich der Krankenversicherungsträger nicht unter Berufung auf die Ruhensbestimmung des § 216 Abs 1 Nr 4 RVO seiner Verpflichtung zur Krankenhauspflege nach § 184 RVO entziehen.
Diese Rechtsanwendung mag in Einzelfällen zu unbilligen Härten führen. So werden die Rentenbezüge bei einer nicht aus medizinischen Gründen notwendigen Anstaltspflege oft nicht zur Deckung der Kosten ausreichen, während sie bei Krankenhauspflege unangetastet bleiben, der Rentner also auf Kosten der Krankenversicherung seinen Unterhalt bestreitet und die dafür bestimmte Rente seinem Vermögen zuführen kann. Eine Abhilfe ist insoweit jedoch nur vom Gesetzgeber zu erwarten (siehe dazu Schroeder-Printzen, "Behandlungsfall oder Pflegefall?", Zeitschrift für Sozialreform 1978, 617 ff).
Der Revision des Klägers war aus diesen Gründen zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1655130 |
BSGE, 83 |