Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrente aus der Unfallversicherung. Kausalzusammenhang zwischen Berufskrankheit und Todesursache
Orientierungssatz
Der nach § 589 Abs 2 S 1 RVO vermutete Ursachenzusammenhang zwischen einer entschädigungspflichtigen Silikose (mit einer MdE um mindestens 50 %) und dem Tod des Versicherten liegt dann iS des § 589 Abs 2 S 2 RVO offenkundig nicht vor, wenn die Silikose mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit nicht rechtlich wesentliche Ursache des Todes des Versicherten ist (vgl BSG 1968-03-14 5 RKn 92/66 = SozR Nr 4 zu RVO § 589).
Normenkette
RVO § 589 Abs. 2 Sätze 1-2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 09.12.1969) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 08.03.1965) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Dezember 1969 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Unter den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin eine Hinterbliebenenrente zu zahlen hat, weil ihr am 30. Dezember 1963 im Alter von 53 Jahren verstorbener Ehemann (Versicherter) an einer entschädigungspflichtigen Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) gelitten hat. Die dadurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) hatte die Beklagte mit Bescheid vom 21. März 1960 ab Februar 1960 mit 60 v. H. anerkannt.
Am 8. Oktober 1963 hatte der Versicherte beim Heben eines Motors plötzlich Schmerzen im Rücken verspürt, vom 20. Oktober an stellten sich eine zunehmende Kraftlosigkeit, Schmerzen im gesamten Brustkorb, Luftmangel, Husten und Auswurf ein, und am 4. November wurde ein Knochenbruch des 6. Brustwirbelkörpers festgestellt. Ende des Jahres 1963 verschlechterte sich das Allgemeinbefinden des Versicherten. Es traten Atemnot, eine Leberschwellung, eine Gelbsucht und eine Bauchwassersucht auf. Bei der feingeweblichen Untersuchung eines nach dem Tode entnommenen Leberzylinders durch Prof. Dr. G wurde eine diffuse und knotige Tumormetastasierung festgestellt, von der Dr. G annahm, daß sie wahrscheinlich von einem kleinzelligen verwilderten Bronchialkarzinom herrühre.
Nachdem Dr. D in einer Stellungnahme vom 20. April 1964 die Ansicht vertreten hatte, das Bronchialkarzinom habe zweifellos im Zeitpunkt des Todes im Vordergrund gestanden und die Silikose sei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht als wesentliche Teilursache des Todes anzusehen, und auch der Staatliche Gewerbearzt den Tod als Folge eines Bronchialkarzinoms ansah und die Silikose als Mit- oder Teilursache des Todes ausschloß, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Mai 1964 einen Anspruch auf Witwenrente ab.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg. Mit einem von Dr. med. habil. G erstatteten Gutachten vom 17. November 1964 wird dargelegt, daß der primäre Ursprungsort der rasch verlaufenden bösartigen Gewächskrankheit nicht mit Sicherheit habe festgestellt werden können. Wenn es sich um einen Bronchialkrebs gehandelt haben sollte, dann könnten hinsichtlich der Bewertung einer allenfalls nur möglichen Begünstigung nur statistische Erfahrungen herangezogen werden. Nach diesen sei aber ein ursächlicher mittelbarer Zusammenhang des Bronchialkrebses mit einer Silikose unwahrscheinlich. Er könne deshalb den Tod des Versicherten nicht für eine Folge der Silikose halten. Das SG hat mit Urteil vom 8. März 1965 den Bescheid vom 29. Mai 1964 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Hinterbliebenenrente zu zahlen. In dem nachfolgenden von der Beklagten eingeleiteten Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen haben dem LSG folgende weitere Gutachten vorgelegen:
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1. |
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Gutachten von Dr. Z vom 16. Dezember 1965. Nach Ansicht von Dr. Z besteht zwischen einem Bronchialkarzinom und einer Silikose kein ursächlicher Zusammenhang. Da der Tod allein durch das Karzinom mit der Metastasierung herbeigeführt worden sei, komme das Karzinom auch als Teilursache für den Tod nicht in Betracht. |
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2. |
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Gutachten von Dr. W und Dr. St vom 28. Dezember 1966. |
Nach diesem Gutachten ist der Versicherte an den Folgen eines bösartigen Gewächsleidens mit Metastasen in der Wirbelsäule und der Leber gestorben. Als Primärtumor habe wahrscheinlich ein kleinzelliges Bronchialkarzinom bestanden, das aber unabhängig von der Silikose entstanden sei. Die Silikose sei daher keine Teilursache des Todes gewesen. In ergänzenden Stellungnahmen vom 3. Mai 1967 und 1. Dezember 1967 haben die Gutachter erklärt, nach statistischen Erhebungen bestehe kein Zusammenhang zwischen Bronchialkrebs und Silikose. Als offenbar unmöglich könne man aber einen Kausalzusammenhang zwischen diesen beiden Krankheiten, wie praktisch die meisten Fragen in der medizinischen Wissenschaft, nicht ansehen. Wenn man von der durchaus nicht offenkundigen Annahme ausgehe, daß als Primärtumor ein Bronchialkarzinom bestanden habe, so lasse sich natürlich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Silikose ausschließen.
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3. |
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Gutachten von dem Facharzt für Chirurgie Dr. M vom 8. Juli 1968. |
Nach diesem Gutachten kann kein ernsthafter Zweifel darüber bestehen, daß der Tod des Versicherten nicht durch die anerkannte Berufskrankheit verursacht wurde. Ein kleinzelliges Bronchialkarzinom sei nicht mit Sicherheit erwiesen. Die zusammengefaßten feingeweblichen und blutzellmorphologischen Befunde sprächen eher für einen sich rasch ausbreitenden tumorösen Prozeß unter Umgehung des Bronchialsystems. Selbst aber bei der Annahme eines Bronchialkarzinoms habe die Silikose darauf keinen richtunggebenden Einfluß ausgeübt.
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4. |
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Gutachten von Prof. Dr. A. H. B, Stiftungsbevollmächtigter des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. |
Prof. Dr. B setzt sich mit den von Prof. Dr. W/Dr. St und Dr. M vertretenen Meinungen auseinander.
Prof. Dr. B kommt zu folgenden Ergebnissen:
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a) |
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Mit großer Sicherheit sei nach den sich aus den Akten ergebenden medizinischen Befunden davon auszugehen, daß bei dem Versicherten als Primärtumor ein Bronchialkarzinom bestanden habe. |
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b) |
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Die Silikose könne bei dem Versicherten aus der Krebsentstehung nicht hinweggedacht werden. Es sei nicht richtig, daß nach statistischen Erhebungen kein Zusammenhang zwischen Bronchialkrebs und Silikose bestehe. Die Statistik ergebe vielmehr, daß sich praktisch 90 % aller Bronchialkarzinome von Bronchialschleimhäuten entwickeln, deren Deckzellen sich auf der Grundlage einer jahrelangen Bronchitis aus zylindrischen oder kubischen in Plattenepithelzellen metaplastisch umgewandelt hätten. Daß aber beim Versicherten als Folge der Silikose wahrscheinlich seit Jahren eine Bronchitis bestanden habe, ergebe sich daraus, daß sich bei allen Untersuchungen seit dem Jahre 1953 die Bemerkung "Husten und Auswurf" immer wiederhole und daß einem nach dem histologischen Befund als wahrscheinlich anzunehmenden verwilderten, kleinzelligen Bronchialkarzinom mit aller Sicherheit eine metaplastische chronische Bronchitis vorausgehe. |
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c) |
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Es sei eindeutig, daß der Versicherte an dem Krebsleiden und dessen metastatischer Ausbreitung verstorben sei. |
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d) |
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Die Silikose habe den Tod an Bronchialkrebs wesentlich mitverursacht. |
Gutachten des Privatdozenten Dr. W, dem Vorstand der Röntgenabteilung der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg.
Dr. W ist der Ansicht, aus den vorliegenden Röntgenaufnahmen des Versicherten könne mit Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, daß es sich bei dem - von ihm fälschlich als histologisch gesichert angesehenen - Bronchialkarzinom um einen Tumor gehandelt habe, der von der Basis des rechten Oberlappens ausgegangen sei. Dieses Gebiet sei von Silikoseknötchen durchsetzt gewesen.
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6. |
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Gutachten von Prof. Dr. Sch und Dr. K vom 11. November 1969. |
Die Gutachter sind der Ansicht, daß bei dem rasch wachsenden bösartigen Tumorleiden die Diagnose eines Bronchialkarzinoms am wahrscheinlichsten sei. Nennenswerte Zusammenhänge zwischen dem Karzinom, das mit Sicherheit zum Tode des Versicherten geführt habe, und der Silikose hätten nicht bestanden, so daß mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, daß die Silikose den Tod des Versicherten in medizinischem Sinne nicht wesentlich mitverursacht und auch nicht um wenigstens ein Jahr vorverlegt habe.
Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 9. Dezember 1969 das Urteil des SG Duisburg aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung führt das LSG aus, es könne mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß der Versicherte an einem rasch fortgeschrittenen ausgedehnten Krebsleiden verstorben sei. Es sei nicht gesichert, daß ein Bronchialkrebs vorgelegen habe und dieser Primärherd der Krebsansiedlung gewesen sei. Bei diesem Sachverhalt könne die in § 589 Abs. 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ausgesprochene Vermutung eines Kausalzusammenhanges zwischen Silikose und Tod des Versicherten nicht Platz greifen. Diese Vorschrift könne nur angewendet werden, wenn das Vorhandensein eines bestimmten anderen, mit der Berufskrankheit möglicherweise in Zusammenhang stehenden Leidens verläßlich getroffen werden könne. Selbst bei der Unterstellung eines Bronchialkrebses als Primärtumor lasse sich nichts Verläßliches über die genaue Lokalisierung des Tumors in den Lungen sagen. Schließlich begegne die von Prof. Dr. B vertretene Auffassung eines grundsätzlich anzunehmenden ursächlichen Zusammenhangs zwischen Silikose und Bronchialkrebs berechtigten Bedenken. Die von der weit überragenden Mehrheit der mit der Frage der Entstehung des Bronchialkrebses befaßten internationalen namhaften Wissenschaftler als allein maßgeblich anerkannten Sektionsstatistiken hätten zu dem Ergebnis geführt, daß Bronchialkrebs bei Silikotikern prozentual weniger auftrete als bei Nichtsilikotikern. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.
Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 24. Februar 1970 zugestellt. Am 13. März 1970 hat die Klägerin beantragt, ihr zur Durchführung der Revision gegen das Urteil das Armenrecht zu bewilligen und einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen. Diesem Antrag hat der erkennende Senat mit Beschluß vom 16. Juni 1970 stattgegeben. Der Beschluß wurde dem beigeordneten Anwalt am 20. Juni und der Klägerin am 22. Juni 1970 zugestellt. Der beigeordnete Anwalt hat mit Schriftsatz vom 15. Juli 1970 - eingegangen am 17. Juli 1970 - Revision eingelegt. Die Klägerin ist der Ansicht, daß die Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Silikose und dem Tod ihres Ehemannes nicht mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, solange ein so namhafter Forscher wie Prof. Dr. B mit ernsthafter wissenschaftlicher Begründung daran festhalte. Das gelte auch, wenn die anderen Gutachter zum entgegengesetzten, möglicherweise sogar vertretbaren Ergebnis gekommen seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Dezember 1969 aufzuheben, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 8. März 1965 zurückzuweisen und die Kosten für das Gutachten des Prof. Dr. B nebst dem röntgenologischen Zusatzgutachten von Dr. W dem Land Nordrhein-Westfalen aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Entscheidung des LSG lasse keinen Rechtsirrtum erkennen. Es habe festgestellt, daß die Silikose mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit den Tod des Versicherten im medizinischen Sinne nicht erheblich mitverursacht und ihn auch nicht um wenigstens ein Jahr beschleunigt habe. Diese Feststellung beruhe auf der Abwägung des vorliegenden Beweismaterials und habe sich im Bereich der dem Tatsachengericht vorbehaltenen freien richterlichen Beweiswürdigung vollzogen, die vom Revisionsgericht nur darauf nachgeprüft werden könne, ob sie mit dem Gesetz in Einklang stehe und ob sie insbesondere nicht gegen die Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoße.
II
Die Revision ist zulässig. Wegen ihrer verspäteten Einlegung war der Klägerin nach § 67 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch ohne Antrag zu gewähren, weil sie vor der Bewilligung des Armenrechts verhindert war, die gesetzliche Revisionsfrist einzuhalten, und danach die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt hat (BSG in SozR Nr. 9 zu § 67 SGG).
Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird.
Nach § 589 Abs. 2 Satz 1 RVO steht der Tod eines Versicherten, dessen Erwerbstätigkeit durch die Folgen einer Silikose um 50 oder mehr vom Hundert gemindert war, dem Tod durch einen Arbeitsunfall gleich. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin war eine entschädigungspflichtige Silikose als Berufskrankheit anerkannt, für die ihm ab 10. Februar 1960 eine Rente nach einer MdE um 60 v. H. gewährt worden war. § 589 Abs. 2 Satz 1 RVO gilt allerdings nicht, wenn offenkundig ist, daß der Tod mit der Silikose nicht in ursächlichem Zusammenhang gestanden hat. (§ 589 Abs. 2 Satz 2 RVO). Im vorliegenden Fall kommt es daher darauf an, ob es offenkundig ist, daß die Silikose nicht eine rechtlich wesentliche Ursache des Todes des Ehemannes der Klägerin gewesen ist. Das bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Frage der Kausalität, daß die Silikose den Tod offenkundig nicht in medizinisch erheblichem Maße mitverursacht oder zumindest diesen offenkundig nicht um mehr als ein Jahr beschleunigt haben darf.
Wie der Senat bereits entschieden hat (SozR Nr. 4 zu § 589 RVO), hat der Begriff "offenkundig" in § 589 Abs. 2 Satz 2 RVO nicht die gleiche Bedeutung wie in § 291 Zivilprozeßordnung. Es kann sich nicht um eine allgemeinkundige oder gerichtskundige Tatsache handeln, weil die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Kausalzusammenhanges zwischen einer Berufskrankheit und dem Tod fast niemals ohne Hinzuziehung medizinischer Sachverständiger entschieden werden kann. Da der Gesetzgeber als Beweismittel für eine derartige Feststellung nur die Leichenausgrabung ausschließt, geht er erkennbar davon aus, daß zur Beweiserhebung über diese Frage alle anderen Beweismittel zulässig sind. Daher kann es sich in § 589 Abs. 2 Satz 2 RVO nur darum handeln, die Anforderungen an die für die Bildung der Überzeugung des Richters von dem Bestehen oder Nichtbestehen der Kausalität normalerweise genügende Wahrscheinlichkeit zu verstärken. Da bei der Bildung der Überzeugung von dem Nichtbestehen des Kausalzusammenhanges eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht erreichbar ist, hat der Senat in dem oben angegebenen Urteil entschieden, daß die Voraussetzungen des Begriffs "offenkundig" im Sinne des § 589 Abs. 2 RVO dann vorliegen, wenn die Silikose mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit den Tod des Versicherten in medizinischem Sinne nicht erheblich mitverursacht und ihn mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit auch nicht um wenigstens ein Jahr beschleunigt hat. Ein offenkundiges Nichtvorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Silikose und Tod ist zwar auch dann noch anzunehmen, wenn lediglich eine ganz entfernte, d. h. eine lediglich theoretische Möglichkeit besteht, daß die Silikose den Tod des Versicherten in dem oben angegebenen Sinne verursacht hat, jedoch darf auch nicht unbeachtet bleiben, daß Zweck und Ziel der in § 589 Abs. 2 RVO getroffenen Regelung ist, in den Fällen, in welchen die Silikose mit einer MdE um mindestens 50 v. H. vorgelegen hat und den Tod des Versicherten unmittelbar oder mittelbar rechtlich wesentlich verursacht haben könnte, Hinterbliebenenrente zu gewähren. Insoweit kann daher nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen von der Gewährung der Hinterbliebenenrente abgesehen werden.
Nach Ansicht des LSG ist der Versicherte am 30. Dezember 1963 an einem Krebsleiden gestorben, das am 8. Oktober 1963 erstmalig durch einen Knochenbruch des 6. Brustwirbelkörpers ohne schwere traumatische Einwirkung in Erscheinung trat (mit großer Wahrscheinlichkeit Zerstörung des Wirbelkörpers durch ein bösartiges Gewächs) und das durch die feingewebliche Untersuchung eines nach dem Tode entnommenen Leberzylinders, die eine diffuse und knotige Tumormetastasierung der Leber ergab, bestätigt wurde. Das LSG hat untersucht, ob die Silikose den Tod offenkundig mittelbar nicht erheblich mitverursacht hat. Es sieht nicht als überwiegend wahrscheinlich an, daß ein Bronchialkrebs vorgelegen hat. Sollte das jedoch der Fall sein, dann sei nicht überwiegend wahrscheinlich, daß der Bronchialkrebs als Primärkrebs aufgetreten sei, und sollte auch das der Fall sein, dann sei nicht überwiegend wahrscheinlich, daß er durch die Silikose hervorgerufen sei. Nach der Ansicht des LSG kann die Vorschrift des § 589 Abs. 2 RVO in den Fällen, in denen die Silikose als unmittelbare Todesursache ausscheidet, zugunsten der Hinterbliebenen eines Versicherten nur dann angewendet werden, wenn neben dem Vorliegen der Silikose mit einer MdE um mindestens 50 v. H. die Feststellung, daß ein bestimmtes anderes mit der Silikose möglicherweise in ursächlichem Zusammenhang stehendes Leiden vorhanden war, verläßlich getroffen werden könne. Die Rechtswohltat des § 589 Abs. 2 Satz 1 RVO könne nicht so weit gehen, daß sie außer der Vermutung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Silikose und Tod etwa auch noch die Vermutung des Vorliegens medizinischer Gegebenheiten (Bronchialkrebs als Primärtumor) zum Inhalt habe. Dieser Auslegung des § 589 Abs. 2 RVO für Fälle, in denen die Silikose als mittelbare Todesursache in Betracht kommt, vermochte sich der Senat nicht anzuschließen. Eine solche Einschränkung des § 589 Abs. 2 Satz 1 RVO ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem dargelegten Sinn und Zweck dieser Vorschrift. Sie ist vielmehr immer anzuwenden, wenn nicht offenkundig ist, daß der Tod mit der Silikose - sei es unmittelbar oder mittelbar - in keinem ursächlichen Zusammenhang steht. Der Unterschied zwischen einem unmittelbaren und einem mittelbaren Zusammenhang besteht bei der Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO zwar darin, daß für die Feststellung, es sei offenkundig, daß der Tod mit der Silikose in keinem ursächlichen Zusammenhang steht, mehr Voraussetzungen zu überprüfen sind, als das bei einem unmittelbaren Zusammenhang der Fall ist. So ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob ein Bronchialkarzinom vorhanden war, ob dieses der Primärtumor war, ob es in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Silikose gestanden hat und ob dieses Leiden schließlich - eventuell durch Metastasenbildung - den Tod des Versicherten herbeigeführt hat. Bei jeder dieser Voraussetzungen ist zunächst zu prüfen, ob sie offenkundig nicht vorgelegen hat. Wenn das bei einer der Voraussetzungen der Fall ist, greift § 589 Abs. 2 Satz 2 RVO ein, so daß § 589 Abs. 2 Satz 1 RVO nicht anwendbar ist. Ist das bei keiner Einzelvoraussetzung der Fall, ist noch eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen. Hierbei kann dann, wenn an dem Vorliegen mehrerer Voraussetzungen stärkere Zweifel bestehen, es durch die Häufung dieser Zweifel offenkundig im Sinne des § 589 Abs. 2 Satz 2 RVO werden, daß der Tod mit der Silikose in keinem ursächlichen Zusammenhang steht, weil schließlich dafür nur noch eine ganz entfernte theoretische Möglichkeit verbleibt.
Das LSG wird daher unter richtiger Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO erneut die Feststellung darüber zu treffen haben, ob der Tod des Versicherten offenkundig in keinem mittelbaren ursächlichen Zusammenhang mit der Silikose gestanden hat. Sollte es dies annehmen, wird es zusätzlich auch noch zu prüfen haben, ob der Tod des Versicherten offenkundig in keinem unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang mit der Silikose steht. Denn es wäre immerhin möglich, daß eine Silikose dieses Schweregrades neben dem Krebsleiden, ohne daß dieses durch die Silikose beeinflußt worden ist, das Herzversagen des Versicherten wesentlich mitverursacht haben könnte. Das LSG hat diese Möglichkeit bisher nicht in Betracht gezogen.
Die Kostenentscheidung war ebenso wie die Entscheidung darüber, wer die Kosten der nach § 109 SGG eingeholten Gutachten zu tragen hat, dem Endurteil vorzubehalten.
Fundstellen