Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch. Arbeitgeber. Lohnfortzahlung. Versorgungsanspruch. Abtretung. Versorgungskrankengeld
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung der Lohnfortzahlung setzt eine positive Entscheidung der Versorgungsverwaltung über den Versorgungsanspruch des beschädigten Arbeitnehmers voraus. (Bestätigung von BSGE 61, 149 = SozR 3100 § 16g Nr. 1).
Eine solche Entscheidung kann auch der Arbeitgeber herbeiführen, weil er zur Lohnfortzahlung nur gegen Abtretung des Anspruchs auf Versorgungskrankengeld verpflichtet ist und diesen Anspruch dann selbst verfolgen kann.
Normenkette
BVG § 16g Abs. 4 S. 2; LFZG § 4; BGB §§ 255, 273, 426 Abs. 2; SGB I § 53 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 19.05.1992; Aktenzeichen L 15 V 78/90) |
SG Nürnberg (Entscheidung vom 16.05.1990; Aktenzeichen S 11 v 12/89) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Mai 1992 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin die Lohnfortzahlung für einen vom Wehrdienst arbeitsunfähig zurückgekommenen Arbeitnehmer zu erstatten ist, obwohl der Beklagte diesem den Versorgungsanspruch nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) versagt hat.
Die Klägerin beschäftigte den Arbeitnehmer J. W. (W.), der vom 1. April 1986 bis zum 30. Juni 1987 Wehrdienst leistete. Am 2. Juni 1987 brach sich W. den rechten Mittelhandknochen. Er war wegen dieser Verletzung auch nach Ende seines Wehrdienstes arbeitsunfähig krank und erhielt von der Klägerin in der Zeit vom 1. Juli bis zum 7. August 1987 insgesamt 3.165,12 DM Arbeitsentgelt fortgezahlt.
Der Beklagte lehnte es ab, der Klägerin diese Kosten zu erstatten (Bescheid vom 21. September 1988; Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 1989). Die Beschädigtenversorgung sei W. wegen fehlender Mitwirkung versagt worden. W. habe drei verschiedene Darstellungen zum Unfallhergang gegeben und einen detaillierten Fragebogen zur Aufklärung des Sachverhaltes nicht beantwortet.
Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16. Mai 1990). Die Berufung hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 19. Mai 1992). Für den Erstattungsanspruch fehle es an der nach § 16g Abs. 4 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erforderlichen positiven Entscheidung über den Versorgungsanspruch des Wehrdienstleistenden. Das LSG folge damit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), gebe aber zu überlegen, ob nicht zuerkannten Versorgungsansprüchen ein Fall wie der vorliegende gleichzustellen sei. Hier bestehe offensichtlich ein Versorgungsanspruch, gleichgültig welcher Darstellung des W, zum Unfallhergang man folge.
Die Klägerin hat – die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene – Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 16g Abs. 4 BVG. Das BSG habe mit der Forderung nach einer „positiven” Entscheidung über den Versorgungsanspruch eine im Gesetz nicht vorgesehene Anspruchsvoraussetzung aufgestellt. Der wegen mangelnder Mitwirkung des W. ergangene Versagungsbescheid sei rechtswidrig, weil offensichtlich auch ohne weitere Aufklärung des Sachverhaltes ein Versorgungsanspruch bestehe. Der Beklagte sei deshalb verpflichtet, jedenfalls im Verhältnis zur Klägerin einen Versorgungsanspruch festzustellen. Er berufe sich rechtsmißbräuchlich auf den W. erteilten Versagungsbescheid.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Mai 1992 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 16. Mai 1990 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. September 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 1989 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 3.165/12 DM zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Ob ein Versorgungsanspruch bestehe, sei nur einheitlich gegenüber dem wehrpflichtigen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber zu entscheiden. Dessen Erstattungsanspruch wegen fortgezahlten Arbeitsentgelts hänge deshalb von einer positiven Entscheidung über den Versorgungsanspruch des Arbeitnehmers ab. Ein solcher Anspruch habe hier nach dem Ergebnis der Ermittlung nicht anerkannt werden können, weil die Angaben des W. so widersprüchlich seien, daß sich das schädigende Ereignis auch ganz anders als nach den bisher gegebenen drei unterschiedlichen Darstellungen abgespielt haben könne.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der an W. geleisteten Lohnfortzahlung, weil eine positive Entscheidung über dessen Versorgungsanspruch fehlt.
Nach § 16g Abs. 1 BVG wird Arbeitgebern – unter weiteren hier nicht umstrittenen Voraussetzungen – das fortgezahlte Arbeitsentgelt für solche Arbeitnehmer erstattet, deren mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Gesundheitsstörung durch eine Wehrdienstbeschädigung nach §§ 80 bis 81 a SVG verursacht worden ist. § 16g Abs. 4 Satz 2 BVG schreibt vor, daß Erstattung für Lohnfortzahlung erst nach der Entscheidung über den Versorgungsanspruch geleistet wird. Der Senat hat entschieden (BSGE 61, 149, 151 f = SozR 3100 § 16g Nr. 1), daß damit nicht nur ausgesagt ist, daß der Erstattungsanspruch erst erfüllt werden darf, wenn über den Leistungsanspruch positiv entschieden worden ist. Es ist hier vielmehr auch eine Voraussetzung dafür aufgestellt, daß der Anspruch in der Hand des Arbeitgebers überhaupt entsteht. Diese Voraussetzung kann nicht mehr erfüllt werden, wenn die Versorgungsverwaltung den Anspruch des Arbeitnehmers bestandskräftig abgelehnt hat. An dieser Voraussetzung fehlt es auch, wenn und solange eine Entscheidung in der Sache unterbleibt, weil der Arbeitnehmer seinen Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren nicht nachkommt und deshalb die Leistung nach § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) vorläufig versagt worden ist.
Das Gesetz fordert eine positive Entscheidung über den Versorgungsanspruch des Arbeitnehmers, weil über den Versorgungsanspruch nur einmal, und zwar im Verhältnis zum Arbeitnehmer zu entscheiden ist und dadurch das Recht des Arbeitnehmers gewahrt wird, über die Offenbarung persönlicher gesundheitlicher Verhältnisse selbst und allein zu bestimmen. Er bestimmt durch seinen Antrag auf Versorgung, ob staatliche Ermittlungen innerhalb seiner grundrechtlich geschützten Persönlichkeitssphäre stattfinden. Eine gesonderte Entscheidung über den Versorgungsanspruch im Verhältnis zum Arbeitgeber in einem Verfahren, an dem der Arbeitnehmer auch als Versorgungsberechtigter nicht beteiligt wäre, wird damit vermieden.
Mit dieser Regelung verstößt § 16g Abs. 4 Satz 2 BVG nicht gegen das berechtigte Interesse des Arbeitgebers, den im Gesetz geregelten Erstattungsanspruch auch geltend machen, verfolgen und durchsetzen zu können. Allerdings hat der Arbeitgeber wenig Einfluß darauf, ob der Versorgungsanspruch des Arbeitnehmers als Voraussetzung für den Erstattungsanspruch entsteht. Allein der Arbeitnehmer bestimmt, ob das Verfahren in Gang gebracht und mit welchem Nachdruck es betrieben wird. Sein Interesse am Versorgungsanspruch ist oft gerade dann gering, wenn sein Arbeitsentgelt während der Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitgeber fortgezahlt wird, er einen Behandlungsanspruch gegen seine Krankenkasse hat und Rentenansprüche wegen der etwaigen Wehrdienstbeschädigung nicht in Betracht kommen, weil dauernde gesundheitliche Folgen nicht eingetreten sind. Unter diesen Umständen besteht die Gefahr, daß der Arbeitnehmer entweder keinen Antrag auf Versorgung stellt und schon deshalb keinen Versorgungsanspruch erwirbt oder einen gestellten Antrag nur nachlässig verfolgt und einen möglicherweise rechtswidrigen Ablehnungs- oder Versagungsbescheid widerspruchslos hinnimmt.
Der Arbeitgeber wird deshalb aber nicht der Willkür des Arbeitnehmers anheimgegeben. Er wird – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht dadurch rechtlos gestellt, daß der Senat eine positive Entscheidung über die Wehrdienstbeschädigung in § 16g Abs. 4 BVG voraussetzt. Der Arbeitgeber hat es in der Hand, sich den für die Verfolgung seines Erstattungsanspruchs notwendigen Einfluß auf den Gang des Verwaltungsverfahrens zu verschaffen. Er kann sich den Anspruch des Arbeitnehmers auf Versorgungskrankengeld gegen das fortzuzahlende Arbeitsentgelt abtreten lassen und den Anspruch selbst verfolgen. Möglicherweise kann er auch die Lohnfortzahlung davon abhängig machen, daß der Arbeitnehmer einen Antrag auf Versorgung mit den erforderlichen tatsächlichen Angaben zum Unfallhergang stellt. Dieser Gesichtspunkt ist hier nicht weiter zu vertiefen, weil der Arbeitnehmer den Antrag gestellt hat. Jedenfalls ist der Arbeitnehmer zur Abtretung verpflichtet, sofern er die entsprechende Leistung bei der Versorgungsverwaltung beantragt hat. Das ergibt sich für Schadensersatzansprüche, die nicht durch Legalzession nach § 4 des Lohnfortzahlungsgesetzes oder aufgrund tarifvertraglicher Regelung (zB § 38 des Bundes-Angestelltentarifvertrages) auf den Arbeitgeber übergehen, aus dem Rechtsgedanken des § 255 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag (vgl. BGHZ 107, 325, 329). Wer sich den krankheitsbedingten Lohnausfall ersetzen läßt, darf nicht verhindern, daß der nach der Rechtsordnung vorrangig zur Leistung Verpflichtete in Anspruch genommen wird.
Für diesen Ausgleich unter dem zur Lohnfortzahlung verpflichteten Arbeitgeber und dem möglicherweise zur Zahlung von Versorgungskrankengeld verpflichteten Beklagten fehlen ausdrückliche Regeln. Da Klägerin und Beklagter für den Fall der Wehrdienstbeschädigung als unechte Gesamtschuldner haften (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl. 1994, § 421 RdNr. 10), böte es sich an, § 426 Abs. 2 BGB entsprechend anzuwenden. Der Anspruch gegen den vorrangig verpflichteten Schuldner geht danach auf den vorleistenden Arbeitgeber über. Diese Automatik hat der Senat aaO jedoch im Interesse des Persönlichkeitsschutzes abgelehnt. Es bleibt daher bei der Verpflichtung des möglicherweise Wehrdienstbeschädigten zur Abtretung seiner etwaigen Ansprüche gegen die Versorgungsverwaltung. Abzutreten hat der Arbeitnehmer nach den Grundsätzen des § 255 BGB nicht nur Schadensersatzansprüche, sondern auch den Anspruch auf Versorgungskrankengeld, der an die Stelle des durch § 91 a SVG ausgeschlossenen Schadensersatzanspruches gegen den Bund tritt. Denn der Arbeitnehmer erwirbt den Anspruch auf Versorgungskrankengeld wegen der mit Verlust der Arbeitsunfähigkeit verbundenen Wehrdienstbeschädigung, die zugleich den Anspruch auf Lohnfortzahlung begründet. Die Abtretung des Anspruchs auf Versorgungskrankengeld kann der Arbeitgeber erzwingen, indem er das Arbeitsentgelt nach § 273 BGB während der Arbeitsunfähigkeit nur Zug um Zug fortzahlt (vgl. Grunsky, JZ 1989, 800). Das Recht des Arbeitnehmers am Persönlichkeitsschutz ist durch diesen Zwang nicht unangemessen eingeschränkt. Es kann zwar im Interesse des Arbeitnehmers liegen, daß sein Arbeitgeber nicht die Umstände erfährt, die mit der Schädigung zusammenhängen. Dem Zwang zur Offenbarung kann der Arbeitnehmer aber dadurch entgehen, daß er das Verwaltungsverfahren selber ordnungsgemäß betreibt.
Die Verfügungsbefugnis des Arbeitnehmers über den Anspruch auf Versorgungskrankengeld ist in diesen Fällen auch nicht durch sozialrechtliche Schutzvorschriften eingeschränkt. Das war bis zum Inkrafttreten des SGB 1 am 1. Januar 1976 noch anders. Bis dahin war die Übertragung, Pfändung und Verpfändung des Anspruchs auf Versorgungsbezüge nach §§ 67 bis 70 BVG (gestrichen durch § 9 Nr. 1 des Zweiten Abschnittes des SGB I vom 11. Dezember 1975 ≪BGBl I, 3015≫) durch den Arbeitnehmer im Grundsatz ausgeschlossen und nur in Sonderfällen zulässig. Arbeitgebern stand aus übertragenem Recht kein Ersatzanspruch wegen der geleisteten Lohnfortzahlung gegen die Versorgungsverwaltung zu (BSGE 35, 1, 2 ff = SozR Nr. 7 zu § 67 BVG). Dagegen läßt § 53 Abs. 2 Nr. 1 SGB I die Abtretung des Anspruchs auf Versorgungskrankengeld zu, weil der Arbeitnehmer mit dem fortgezahlten Arbeitsentgelt anstelle des Anspruchs auf Versorgungskrankengeld eine wirtschaftlich gleichwertige Leistung zur Bestreitung seines Lebensunterhalts erhält.
Das berechtigte Interesse des Arbeitgebers, von dem für die Arbeitsunfähigkeit verantwortlichen Dritten Schadensersatz oder Erstattung der Lohnfortzahlung verlangen und diesen Anspruch auch durchsetzen zu können, läßt sich danach auch ohne Legalzession des Schadensersatzanspruches oder des an seine Stelle tretenden Anspruchs auf Versorgungskrankengeld wahren. Der vom LSG vorgeschlagenen Gleichstellung des zuerkannten mit dem versagten, aber offensichtlich bestehenden Versorgungsanspruchs bedarf es deshalb nicht. Ebenso bedarf es nicht der von der Klägerin geforderten gesonderten Feststellung des Versorgungsanspruchs nur im Verhältnis zum Arbeitgeber.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 927614 |
Breith. 1994, 752 |