Leitsatz (amtlich)
1. Die rechtliche Unterhaltspflicht im Sinne der MRV 117 Anh § 6 und MRV 117 Anh § 7 bestimmt sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts, für Verwandte nach den BGB §§ 1601 ff. Danach ist Voraussetzung der Unterhaltspflicht die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten ( BGB § 1603 Abs 1 ).
2. MRV 117 Anh § 7 Abs 1 Buchst b regelt nur den Umfang der Anrechnung des Einkommens Angehöriger für den Fall, daß eine rechtliche Verpflichtung zum Unterhalt besteht.
Normenkette
BGB § 1601 Fassung: 1896-08-18, § 1603 Abs. 1 Fassung: 1896-08-18; MRV BrZ 117 Anh 1 §§ 6, 7 Abs. 1 Buchst. b
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 14. Dezember 1956 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I Der im Jahre 1900 geborene Kläger ist gelernter Photograph. Er war in verschiedenen Berufen und Arbeitszweigen tätig, unter anderem auch als Polizeibeamter, als selbständiger Kaufmann und als Handelsvertreter, zuletzt vor dem Verlassen der sowjetischen Besatzungszone in E, wo seine Ehefrau lebt. In der Bundesrepublik wurde der Kläger, der nicht als Vertriebener oder Flüchtling anerkannt war, im September 1951 von seinen Eltern, dem 1868 geborenen Katasterinspektor i.R. P J und dessen 1871 geborener Ehefrau V, aufgenommen. Diese waren damals in H Mieter einer Fünfzimmerwohnung, in der unter anderem auch ihre Tochter und deren Ehemann, Mittelschullehrer Dr. G. Unterkunft erhalten hatten. Nach Freiwerden von Räumen anderer (fremder) Untermieter im Herbst 1952 vereinbarten die Eheleute J. mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn, daß letztere die Wohnung als Hauptmieter übernehmen und jene von nun an Untermieter sein sollten. Die Hauseigentümerin, mit deren Tochter der Sohn Martin des Klägers verheiratet ist, schloß mit dem Ehepaar G. am 15. September 1952 einen entsprechenden schriftlichen Mietvertrag ab. Die Miete wurde von den Eheleuten J. und G. fortan je zur Hälfte getragen.
Der Kläger meldete sich am 4. Oktober 1951 beim Arbeitsamt H arbeitslos und beantragte Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu), die ihm bewilligt wurde; außerdem wurden dem Kläger ein Familienzuschlag für seine Ehefrau in E sowie der Teuerungszuschlag und vom 6. Oktober 1952 ab auch Familien- und Teuerungszuschlag für seinen derzeit noch studierenden Sohn M gewährt. Ferner erhielt er verschiedene Sonderbeihilfen.
In seinem Antrag auf Gewährung von Alfu vom 10. Oktober 1951 hatte der Kläger angegeben, daß er "bei G. in häuslicher Gemeinschaft lebe. Von seinen Eltern und von seiner Schwester hatte er damals, wie auch in späteren Unterstützungsanträgen, nichts erwähnt. Nachdem das Arbeitsamt ermittelt hatte, daß der Kläger mit seinen Eltern und seiner Schwester zusammenwohnte und daß das Pensionseinkommen seines Vaters im Jahre 1951 DM 4.516,99 und im Jahre 1952 DM 5.101,93 betragen hatte, entzog es mit Verfügung vom 1./4. September 1953 die bewilligten Unterstützungsleistungen rückwirkend ab 8. Oktober 1951, berechnete die Unterstützungsüberhebung für die Zeit vom 8. Oktober 1951 bis zum 8. August 1953 mit DM 3.022,80 und begehrte mit Rückforderungsbescheid vom gleichen Tage die Erstattung dieses Betrags. Der Kläger sei nicht bedürftig gewesen; auf seine Unterstützung habe das Pensionseinkommen seines Vaters angerechnet werden müssen, da er mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt lebte. Mit weiterem Bescheid vom 21. September 1953 stellte das Arbeitsamt auch die laufende Zahlung der Alfu vom 10. August 1953 ab ein.
Gegen diese beiden Bescheide legte der Kläger Einspruch ein, wurde aber damit durch Entscheidung des Spruchausschusses beim Arbeitsamt H vom 18. Dezember 1953 zurückgewiesen. Seine Berufung hiergegen ging nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (1. Januar 1954) als Klage auf die Sozialgerichtsbarkeit über.
II Das Sozialgericht Hannover verurteilte am 8. September 1955 - unter Abänderung der Entscheidung des Spruchausschusses vom 18. Dezember 1953 - die Beklagte, dem Kläger vom 8. Oktober 1951 ab die Hälfte der gesetzlichen Alfu unter Beachtung der Meldevorschriften zu zahlen. Im übrigen wies es die Klage ab. Das Sozialgericht ging davon aus, daß der Kläger einen gemeinsamen Haushalt mit seinem Vater nicht geführt habe. Dieser sei ihm aber nach Familienrecht unterhaltspflichtig und seinem Pensionseinkommen zufolge auch in der Lage, Unterhaltsbeiträge in Höhe der Hälfte des Alfu-Satzes an den Kläger zu leisten.
Die Beklagte legte gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover Berufung ein, weil es zu Unrecht angenommen habe, daß der Kläger mit seinen Eltern nicht im gemeinsamen Haushalt lebte. Dieser habe als Flüchtling aus dem sowjetisch besetzten Gebiet 1951 bei seinem Vater Obdach gesucht und gefunden. Vom Kläger wurde das erstinstanzliche Urteil im Wege der Anschlußberufung angefochten, mit der er unter weiterem Bestreiten gemeinsamen Haushalts mit seinen Eltern insbesondere geltend machte, das Einkommen des Vaters müsse anrechnungsfrei bleiben, da wegen erhöhter Aufwendungen für Krankheiten sonst dessen eigener standesgemäßer Unterhalt gefährdet sei.
Mit Bescheid vom 9. Oktober 1956 änderte die Beklagte ihren Rückforderungsbescheid vom 1./4. September 1954 über DM 3.022,80 dahingehend ab, daß sie vom monatlichen Netto-Einkommen des Vaters Werbungskosten mit monatlich DM 36,90 absetzte und vom Kläger nur noch insgesamt DM 2.594,75 zurückforderte.
Das Landessozialgericht Celle hob mit Urteil vom 14. September 1956 auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 8. September 1955 auf. Die Klage auf Aufhebung des Rückforderungsbescheids vom 4. September 1953 in der Fassung des Bescheids vom 9. Oktober 1956 und auf Aufhebung des Einstellungsbescheids des Arbeitsamts Hannover vom 21. September 1953 wurde abgewiesen. Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Das Landessozialgericht führte aus, daß der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme den Haushalt mit seinen Eltern geteilt habe. Ein Arbeitsloser befinde sich auch dann im gemeinsamen Haushalt eines ihm rechtlich zum Unterhalt verpflichteten Angehörigen, wenn dieser wiederum gemeinschaftlich mit einem anderen Angehörigen in einem Haushalt zusammenlebe. Bei Prüfung der Bedürftigkeit des Klägers müsse auf die Alfu das Einkommen seines Vaters angerechnet werden. Dieser sei ihm zum Unterhalt rechtlich verpflichtet. Der Umfang der Anrechnungspflicht werde durch die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, insbesondere durch die Vorschriften über den standesgemäßen Unterhalt, nicht begrenzt. Auf die Frage der Leistungsfähigkeit des zum Unterhalt verpflichteten Angehörigen des Arbeitslosen komme es nicht an. Die Anrechnungsbestimmungen des Arbeitslosenfürsorgerechts ständen als Sonderregelung (lex specialis) im Gegensatz zum bürgerlichen Unterhaltsrecht. Das Gesetz lege der Arbeitsverwaltung durch Festsetzung eines einheitlichen Freibetragssatzes für die Angehörigen von Arbeitslosen ohne Rücksicht auf ihre soziale Stellung eine gleiche Berechnungsweise in allen Unterstützungsfällen auf. Nach alledem sei der Kläger nicht berechtigt, Alfu zu beanspruchen.
Die Revision wurde vom Landessozialgericht "wegen der Auslegung des Begriffs des gemeinsamen Haushalts" nach § 162 Ziff. 1 SGG zugelassen.
III Der Kläger hat gegen das am 23. Februar 1957 zugestellte Urteil am 14. März 1957 Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und nach den Schlußanträgen in der Berufungsinstanz zu erkennen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger hat die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist ( § 164 Abs. 1 Satz 2 SGG ) - am 23. Mai 1957 begründet. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 1959 hat er den Revisionsantrag darauf beschränkt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. Zugleich erklärte er, daß er die Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Berufung nicht mehr aufrechterhalte.
Mit der Revision macht der Kläger Verletzung des § 177 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) a.F. in Verbindung mit den §§ 6 und 7 des Anhangs zur Militärregierungsverordnung (MRVO) Nr. 117 geltend. Das Berufungsgericht habe den Begriff des "gemeinsamen Haushalts" verkannt, insbesondere zu Unrecht eine gemeinschaftliche Haushaltsführung mit den Eltern konstruiert. Mit diesen habe zwar bis September 1952 eine "Wohnungsgemeinschaft" bestanden, diese genüge indessen nicht als gesetzliche Voraussetzung einer Einkommensanrechnung. Der Begriff des "gemeinsamen Haushalts" bedürfe richterlicher Auslegung. Ein wesentliches Merkmal dabei sei, daß die Haushaltsmittel von allen Beteiligten gemeinsam eingebracht, verwaltet und verwendet würden. Hierfür seien die bisherigen Feststellungen des Landessozialgerichts nicht ausreichend. Allenfalls könnten sie auf eine gemeinschaftliche Haushaltsführung des Klägers mit Schwester und Schwager deuten. Ferner habe der Vater des Klägers diesem nicht auf Grund rechtlicher Verpflichtung Unterhalt zu gewähren. Da die Alfu-Vorschriften selbst nichts darüber enthielten, was unter dem Begriff des "zum Unterhalt rechtlich verpflichteten Angehörigen" zu verstehen sei, andererseits aber auf die bestehende Rechtspflicht abgestellt werde, lasse sich die Frage, ob eine solche Rechtspflicht vorliegt, allein nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts beurteilen. Denen zufolge brauche jedoch der Vater dem volljährigen Kläger so lange und insoweit keinen Unterhalt zu leisten, als sein eigener standesgemäßer Unterhalt gefährdet wäre. Das sei hier der Fall; die greisen, ständig von Krankheiten heimgesuchten, arbeitsunfähigen Eltern müßten laufend erhebliche Mittel für Arzt, Apotheke und Pflege aufwenden, wie bereits im Berufungsverfahren vorgetragen worden sei. Wenn die Praxis der Arbeitsverwaltung bisher dahingegangen sei, eine vom Leistungsvermögen unabhängige Unterhaltsverpflichtung des Angehörigen auf Grund von Alfu-Recht entgegen den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anzunehmen, so sei dies allenfalls eine Verwaltungsübung, aber nicht Ausdruck einer allgemeinen Volksüberzeugung; ein Gewohnheitsrecht habe sich in dieser Richtung nicht bilden können.
Die Beklagte, die ihre anfänglichen Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Revision im Termin vom 10. Dezember 1959 fallen ließ, beantragte, die Revision zurückzuweisen. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts sei nicht zweifelhaft, daß der Kläger im gemeinsamen Haushalt mit seinem Vater lebte. Diese Tatsache wäre nicht dadurch beseitigt, daß die Eltern ihrerseits auch noch mit Tochter und Schwiegersohn einen gemeinschaftlichen Haushalt späterhin geführt hätten. Den Begriff des "Unterhalts auf Grund rechtlicher Verpflichtung" habe der Militärregierungs-Gesetzgeber aus seiner eigenen, ursprünglichen Gesetzgebungsbefugnis im Alfu-Recht der britischen Besatzungszone festgelegt. Die hierauf beruhenden speziellen Vorschriften über die Anrechnung des Einkommens von Angehörigen schlössen daher die Bestimmungen des BGB bezüglich der Wahrung des standesgemäßen Unterhalts im konkreten Falle aus. Damit werde für das Arbeitslosenrecht eine Sonderregelung fortgesetzt, die geschichtlich bereits mit der Verordnung über Krisen-Unterstützung 1928 begonnen und sich seither als zweckmäßig erwiesen habe.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird im übrigen auf deren Schriftsätze Bezug genommen.
IV Die Revision, die vom Landessozialgericht im Tenor des Urteils vom 14. Dezember 1956 ausdrücklich - und uneingeschränkt - zugelassen wurde, ist statthaft ( § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG ). Der Umstand, daß die Richter der Berufungsinstanz sodann zusätzlich in den Entscheidungsgründen als Motiv der Zulassung "wegen der Auslegung des Begriffs des gemeinsamen Haushalts" angaben, ändert nichts an dieser Rechtslage; nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG. 3 S. 135 ff.) konnte die Revision zwar auf bestimmte streitige Ansprüche, nicht jedoch auf eine einzelne Rechtsfrage beschränkt werden.
Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Alfu, der seitens der Beklagten durch die Verwaltungsakte vom 1./4. September 1953 (in der Gestalt der Entscheidung des Spruchausschusses vom 18. Dezember 1953) mangels Bedürftigkeit nach §§ 6 und 7 des Anh. zur MRVO Nr. 117 (ArbBl. für die brit. Zone 1948 Nr. 1/2 S. 2 ff.) abgelehnt wurde. Der Geltungsbereich dieser Vorschriften erstreckt sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus. Es handelt sich mithin um revisibles Recht ( § 162 Abs. 2 SGG ).
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden ( § 164 SGG ) und deshalb zulässig. Bei einer zulässigen Revision ist vor der sachlich-rechtlichen Würdigung des Streits von Amts wegen zu prüfen, ob die allgemeinen Prozeßvoraussetzungen, soweit sie unverzichtbar sind, die besonderen Voraussetzungen des vorausgegangenen Berufungsverfahrens sowie die Voraussetzungen für eine entscheidende Tätigkeit des Revisionsgerichts erfüllt sind (vgl. BSG. 2 S. 222 ff.; 3 S. 124 ff.; 4 S. 70 und 281 ff.). Zu den Prozeßvoraussetzungen des Berufungsverfahrens gehört die Zulässigkeit dieses Rechtsmittels. Die Vorderrichter haben die Zulässigkeit der Berufungen der Beteiligten zu Recht bejaht ( § 143 SGG ); denn einmal betrifft der streitige Anspruch auf Alfu wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als dreizehn Wochen, zum anderen geht der Streit um die Grundvoraussetzung der Bedürftigkeit (vgl. BSG. 8 S. 92 ff.). Deshalb standen die Berufungsausschließungsgründe der §§ 144 und 147 SGG weder der Berufung des Beklagten noch der Anschlußberufung des Klägers entgegen.
V Die Revision ist auch begründet.
Die verschiedenen Voraussetzungen für die Gewährung von Alfu im Bereich der (ehemaligen) britischen Besatzungszone sind zunächst im § 3 des Anh. zur MRVO Nr. 117 im einzelnen aufgeführt. Eine dieser Anspruchsvoraussetzungen dort verlangt, daß der Arbeitslose "bedürftig ist". Sowohl der Entziehungs- und Rückforderungsbescheid der Beklagten vom 1./4. September 1953 für die Vergangenheit (abgeändert durch die Verfügung) vom 9. ... 1956, die gemäß § 96 Abs. 1 SGG auch Gegenstand des Verfahrens geworden ist) wie der die laufende Alfu für die Zukunft entziehende Bescheid vom 21. September 1953 beruhen auf der Verneinung der Unterstützungsvoraussetzung "Bedürftigkeit". Diese wird in § 6 des Anh. zur MRVO Nr. 117 wörtlich dahin umschrieben "Bedürftig im Sinne des § 3 (a) ist ..., wer den erforderlichen Lebensunterhalt weder aus eigenen Kräften und Mitteln noch mit Hilfe der zu seinem Unterhalt rechtlich verpflichteten Angehörigen bestreiten kann". Danach folgen in § 7 der MRVO Nr. 117 die sogenannten Anrechnungsvorschriften, die unter anderem - Abs. 1 Buchst. b - festlegen, daß in einem näher bezeichneten Ausmaß auf die Alfu des Arbeitslosen anzurechnen ist "das Einkommen eines Angehörigen, der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebt und ihm auf Grund rechtlicher Verpflichtung Unterhalt zu gewähren hat". Weder § 6 noch § 7 a.a.O. treffen jedoch nach Wortlaut und Inhalt - unmittelbar oder mittelbar - eine Bestimmung darüber, wann eine rechtliche Verpflichtung des Angehörigen zur Gewährung von Unterhalt besteht. Ebensowenig ist eine eigenständige Regelung hierzu sonst aus dem Text der MRVO Nr. 117 oder der ihre Grundlage bildenden Verordnung Nr. 111 der britischen Militärregierung (ArbBl. für die brit. Zone 1947 S. 382 ff.) zu entnehmen.
Zwar besaßen bis zur Wiederherstellung der deutschen Souveränität (in der Bundesrepublik) die Militärregierungen jeweils für ihr Besatzungsgebiet die Gesetzgebungsgewalt und waren damals in der Lage, ehemaliges Reichsrecht aufzuheben oder abzuändern und neues Recht zu setzen. Da indessen von jener Befugnis für das vorliegende Gebiet offensichtlich kein Gebrauch gemacht worden ist, bestimmt sich die rechtliche Unterhaltspflicht im Sinne der §§ 6 und 7 des Anh. zur MRVO Nr. 117 nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. § 7 Abs. 1 Buchst. b a.a.O. regelt nur den Umfang der Anrechnung des Einkommens Angehöriger (bei gemeinsamen Haushalt) für den Fall, daß eine rechtliche Verpflichtung zum Unterhalt besteht. Er enthält ein vereinfachtes Berechnungsverfahren zur Feststellung des Bedürftigkeitsgrads, normiert jedoch - entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts sowie der Beklagten - nicht eine Abweichung (lex specialis) von den familienrechtlichen Unterhaltsgrundsätzen (vgl. hierzu auch BSG. 8 S. 92 ff.; OVG. Berlin in ABA. 1954 S. 141; Schmeißer in BABl. 1959 S. 153). In diesem Zusammenhang kann auch die Bezugnahme der Beklagten auf die historische Entwicklung (Entstehungsgeschichte) im Arbeitslosenrecht nicht zu einer anderen Bewertung der Rechtslage führen. Wohl trifft zu, daß schon die Verordnung über Krisenunterstützung für Arbeitslose vom 28. Januar 1927 (RGBl. I S. 315 ff.) die Einnahmen von Angehörigen (des gleichen Haushalts) auf die Unterstützungshöhe anrechnete, doch stellten deren Vorschriften ebenfalls nicht auf eine vom BGB verschiedene Unterhaltsverpflichtung ab. Ohne nachweisbare besondere Gesetzesgrundlage aber ein spezielles Unterhaltsrecht für einen einzelnen Fürsorge- oder Unterstützungszweig zu unterstellen, bliebe verfehlt, weil daraus durchsetzbare Ansprüche gegen Angehörige für den Arbeitslosen nicht zu gewinnen wären.
Die Unterhaltspflicht der Eltern des Klägers ist also grundsätzlich bürgerlichem Recht gemäß zu beurteilen. Nach § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Diese Pflicht wird jedoch, wenn der Unterhaltsberechtigte - wie der Kläger - volljährig ist, modifiziert: Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist unterhaltspflichtig nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines standesmäßigen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Im vorliegenden Falle ist - trotz entsprechenden Vortrags seitens des Klägers im Berufungsverfahren - die Leistungsfähigkeit der Eltern nicht hinreichend geklärt. Insbesondere wären hierbei - über die bisher berücksichtigten Werbungskosten hinaus - die außergewöhnlichen Belastungen zu beachten, die den Eltern des Klägers infolge ihres hohen Alters und wegen ihres Gesundheitszustandes laufend entstanden sind oder entstehen. Würde sich nach diesen Feststellungen ergeben, daß der Vater ohne Gefährdung seines standesmäßigen Unterhalts dem Kläger Unterhalt nicht gewähren kann, dann wäre - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - dessen Bedürftigkeit zu bejahen.
Das Landessozialgericht hat den Begriff der Unterhaltspflicht im Sinne des Anhangs zur MRVO Nr. 117 und des bürgerlichen Rechts verkannt und deshalb unterlassen, die insoweit notwendigen Ermittlungen nach Maßgabe der §§ 1601ff. BGB zu treffen. Daher ist sein Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
VI Die Auslegung des Begriffs des "gemeinsamen Haushalts" im Sinne des § 7 Abs. 1 Buchst. b des Anh. zur MRVO Nr. 117 - durch das Landessozialgericht erscheint bedenkenfrei. Entscheidend kommt es darauf an, daß sich der Arbeitslose mit dem ihm rechtlich zum Unterhalt verpflichteten Verwandten gemeinschaftlich in einem Haushalt befindet, auch wenn noch andere Angehörige daran beteiligt sind, und daß ersterer im wesentlichen Wohnung, Kost und persönliche Fürsorge gewährt. Diese Hauptmerkmale waren nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht nur in dem Zeitraum erfüllt, als die Eltern des Klägers Hauptmieter und Hauptzahler waren, sondern sind offenbar auch nach 1952 bestehen geblieben, als die äußeren Verrichtungen in der Hauswirtschaft sich stufenweise auf die Schwester verlagerten, solange nicht erwiesen ist, daß von einem bestimmten Zeitpunkt an von ihr oder von ihrem Mann die Haushaltsmittel überwiegend auch in Ansehung des Klägers aufgebracht wurden.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
BSGE, 11, 136 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
BSGE, 136 |
RegNr, 1005 |
SozR, (Leitsatz) |
SozR, (Leitsatz) |
SozR, Nr 4 zu MRVO 117 Anh § 7 (Leitsatz) |
Breithaupt, 639 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |