Leitsatz (amtlich)
Die nach dem Recht der DDR versicherungspflichtige Studienzeit ist Beitragszeit is des FRG § 15 Abs 1 S 1, auch wenn der Versicherte als Vollstipendiat beitragsfrei versichert gewesen ist.
Normenkette
FRG § 15 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 8. Dezember 1970 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in der Revisionsinstanz nur noch darüber, ob die Studienzeit des Klägers in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Beitragszeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) ist.
Der Kläger beantragte bei der Beklagten mit Schreiben vom 27. November 1965 die Herstellung seiner Versicherungsunterlagen über Zeiten, die er in der DDR von 1948 bis 1958 als Student, Hilfsassistent und wissenschaftlicher Assistent zurückgelegt hat.
Die Beklagte erkannte daraufhin einen Teil der vom Kläger angegebenen Zeiten als Versicherungszeiten an. Mit seinem Widerspruch rügte der Kläger u.a. die Nichtanrechnung seiner Studienzeit. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 14. November 1968 zurück. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 8. Dezember 1970 der Berufung teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Zeiten vom 1. April 1950 bis zum 30. Juni 1951, vom 1. September 1951 bis zum 31. Mai 1952 sowie vom 1. August bis zum 30. September 1952, in welchen der Kläger an der Bergakademie F in Sachsen studierte, anzurechnen. Es ist davon ausgegangen, daß der Kläger in der streitigen Zeit ein Stipendium in Höhe von 270,- bzw. 330,- M bezog und als Vollstipendiat beitragsfrei versichert war. Dennoch hat es diese Zeiten nach § 15 FRG als Beitragszeiten gewertet, weil der Kläger als Student in der Sozialversicherung der DDR zwangsversichert gewesen sei. Es sei unerheblich, daß er nach den dortigen Bestimmungen keine Beiträge gezahlt habe; nach dem Recht der DDR übernehme der Staat eine pauschale Beitragsleistung für jeden derartig beitragsfrei Versicherten.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt; sie beantragt,
unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 27. Februar 1970 auch insoweit zurückzuweisen, als die streitige Stipendiatenzeit als Versicherungszeit anzurechnen ist.
Sie rügt die Verletzung des § 15 i.V.m. § 17 FRG. Die Studienzeit des Klägers sei keine Beitragszeit im Sinne des § 15 Abs. 1 FRG. Weder der Kläger noch irgendeine andere Person oder Stelle habe für ihn Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung geleistet; er sei vielmehr beitragsfrei versichert gewesen. Eine Beitragszeit könne jedoch begrifflich nicht vorliegen, wenn für diese Zeit keine Beiträge entrichtet worden seien. Es treffe nicht zu, daß nach dem Recht der DDR auch schon in der streitigen Zeit der Staat für Vollstipendiaten pauschale Beiträge entrichtet habe. Erst die Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über Sozialpflichtversicherung der Studenten, Hoch- und Fachschüler vom 12. August 1955 (GBl DDR S. 574) habe die Lehranstalten verpflichtet, Beiträge zur Sozialversicherung für alle Studierenden zu zahlen. An die unzutreffende Ansicht des LSG sei das Revisionsgericht nicht nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 561, 562 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gebunden, da sie weder auf einer Auslegung fremden Rechts beruhe noch eine Tatsachenfeststellung enthalte. Vorsorglich rügt sie jedoch, daß diese "Feststellung" auf der Verletzung formellen Rechts durch das LSG beruhe.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil, beanstandet aber die Feststellung des LSG, daß er Vollstipendiat gewesen sei. Das Gegenteil ergebe sich aus den Eintragungen der vorliegenden Versicherungsausweise.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Das LSG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, bei der Herstellung der Versicherungsunterlagen nach § 11 der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen (Versicherungsunterlagen-Verordnung - VuVO -) vom 3. März 1960 (BGBl I 137) die Studienzeit des Klägers als Versicherungszeit anzuerkennen.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG, der gemäß § 17 Abs. 1 Buchst. a) FRG auf den Kläger anzuwenden ist, stehen Beitragszeiten, die nach dem 30. Juni 1945 bei einem außerhalb des Bundesgebietes befindlichen deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Der Kläger war in der streitigen Zeit als Student nach §§ 1 und 2 der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung der Studenten, Hoch- und Fachschüler vom 2. Februar 1950 (GBl DDR S. 71) pflichtversichert. Nach den Feststellungen des LSG war er Vollstipendiat im Sinne des § 5 Satz 2 der genannten Verordnung. Nach § 4 der Ersten Durchführungsbestimmung zur VO über die Sozialpflichtversicherung der Studenten, Hoch- und Fachschüler vom 5. April 1950 - GBl DDR S. 375-zahlte - jedenfalls bis zur Änderung durch die Zweite Durchführungsbestimmung vom 12. August 1955 (GBl DDR S. 574) - die Unterrichtsanstalt für Vollstipendiaten keine Beiträge an die Versicherungskasse. Der Kläger hat allerdings wiederholt bestritten, Vollstipendiat gewesen zu sein; er hat auch in der Revisionsinstanz diese Feststellung des LSG gerügt. Auf die Art seines Stipendiums kommt es jedoch hier nicht an, weil die versicherungspflichtige Studienzeit in der DDR auch bei einem Vollstipendiaten Beitragszeit im Sinne des § 15 Abs. 1 FRG ist, ungeachtet dessen, ob die Unterrichtsanstalt für ihn Beiträge gezahlt hat oder nicht.
Der Wortlaut des § 15 Abs. 1 FRG scheint zwar gegen die Anrechnung der beitragsfreien Versicherungszeit des Klägers zu sprechen; doch ist zu bedenken, daß sich die Vorwendung des Begriffs Beitragszeit nur aus dem bundesdeutschen Versicherungssystem erklärt. § 1250 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (= § 27 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) bezeichnet als anrechnungsfähige Versicherungszeiten Beitragszeiten und Ersatzzeiten. Um deutlich zu machen, daß Ersatzzeiten nur berücksichtigt werden sollen, wenn sie nach inländischem Recht anrechnungsfähig sind, wird von den fremden Versicherungszeiten nur die Beitragszeit gleichgestellt. Das bedeutet aber nicht, daß nur Zeiten anerkannt werden, in denen dem bundesdeutschen Versicherungssystem entsprechende Beiträge an einen ausländischen oder außerhalb des Bundesgebietes befindlichen deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen tatsächlich entrichtet sind.
Welche Zeiten den bundesrechtlichen Beitragszeiten gleichstehen, ergibt sich aus dem Zusammenhang der Absätze 1 und 2 des § 15 FRG. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 FRG ist als gesetzliche Rentenversicherung jedes System der sozialen Sicherheit anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), des Alters und des Todes durch die Gewährung von Renten zu sichern. Der Wortlaut des § 15 Abs. 2 FRG geht auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. Januar 1958 zu § 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 (BSG 6, 263) zurück (Amtliche Begründung zu § 15 FRG in BT-Drucks. III/1109 S. 39), so daß auf die Ausführungen des BSG über den Begriff der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Auslegung dieser Bestimmung zurückgegriffen werden kann. Danach ist keine der deutschen Rentenversicherung entsprechende Organisation der Sozialversicherung erforderlich, vielmehr genügt jedes soziale Sicherungssystem, das im wesentlichen auf einer öffentlich-rechtlich geregelten Pflichtzugehörigkeit für einen bestimmten Personenkreis mit einem irgendwie gestalteten Beitragsaufkommen - mit oder ohne Zuschüsse etwa des Staates oder der Arbeitgeber - aufgebaut ist und Renten für den Fall einer vorzeitigen MdE, des Alters und des Todes vorsieht (BSG 6, 263, 265). Für ein "irgendwie gestaltetes Beitragsaufkommen" reicht es aus, wenn nur der Arbeitgeber - also auch der Staat - an der Deckung der späteren Rentenleistungen mitwirkt und die Zahlungen nicht für jeden einzelnen Versicherten individuell und gesondert berechnet werden (BSG 6, 266; ebenso Jantz/Zweng/Eicher aaO, § 15 S. 44; Merkle/Michel, Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz, Stand: November 1970, § 15 Anm. 2 b; VerbKomm. zur RVO, Bd. III, § 15 FRG Anm. 1). Daß hier der Staat gegenüber den Studierenden nicht im eigentlichen Sinne Arbeitgeber ist, ändert daran nichts (vgl. Jantz/Zweng/Eicher aaO S. 47). Es kommt dementsprechend auch nicht darauf an, ob die Leistungen an die Versicherten auf deren Beiträgen beruhen und sich nach der Höhe der Beiträge richten (BSG 6, 265; Urteil vom 27. Mai 1970 - 11 RA 147/67 -).
Werden aber Versicherungseinrichtungen als gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des § 15 FRG anerkannt, die keinen individuellen Beitrag für den einzelnen Versicherten kennen, dann muß, damit Angehörige eines derartigen Versicherungssystems an der Vergünstigung des FRG teilhaben können, jede auf Versicherungspflicht beruhende Zugehörigkeit zu einer Versicherungseinrichtung, die den Anforderungen des § 15 Abs. 2 Satz 1 FRG genügt und durch ein irgendwie geartetes Beitragssystem finanziert wird, Beitragszeit im Sinne des § 15 Abs. 1 FRG sein. Die enge Verbindung von Beitrag und Rentenanspruch, die dem inländischen Recht selbstverständlich ist, kann für das fremde Versicherungssystem weder bei der Entstehung noch der Höhe des Anspruchs verlangt werden (BSG 6, 265; Urteil vom 27. Mai 1970). § 15 FRG entschädigt den Fremdrentner nicht für die Beiträge, die er gezahlt hat, sondern für die verlorene Anwartschaft auf Sozialleistungen.
Der Kläger war während seines Studiums pflichtversichertes Mitglied einer Versicherungseinrichtung im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 FRG. Das LSG hat angenommen, daß der Staat pauschale Beiträge für die beitragsfreien Stipendiaten geleistet habe. Ob hierin eine Feststellung des Inhalts fremden Rechts liegt, erscheint zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Klärung, weil auch ohne diese Voraussetzung die Studienzeit des Klägers als Beitragszeit nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG anzusehen ist. Die Anerkennung dieser Zeit als Versicherungszeit kann ihm nicht versagt werden, auch wenn feststeht, daß für ihn seitens der Unterrichtsanstalt kein pauschaler Beitrag gezahlt worden ist. Bei der Einordnung einer Versicherungszeit muß von dem Recht des Staates ausgegangen werden, in dem die Zeit zurückgelegt worden ist. § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG verlangt gerade nicht, daß die Voraussetzungen einer Beitragszeit nach Reichsrecht oder Bundesrecht vorliegen (Jantz/Zweng/Eicher, aaO, § 15 Anm. 2). Der Kläger war in der streitigen Zeit vollberechtigtes Mitglied einer Sozialversicherungseinrichtung; er war lediglich von der Zahlung eines eigenen Beitrages frei. Die Beitragsbefreiung stellte eine Maßnahme der Studienförderung dar und war abhängig von der Höhe des monatlichen Stipendienbetrages. Die versicherungsrechtliche Position des Klägers wurde dadurch nicht beeinflußt; sie unterschied sich in keiner Weise von der eines beitragspflichtigen Nichtstipendiaten. Deshalb verbietet es sich, diese Zeit als Ersatzzeit oder - wie nach Bundesrecht - als Ausfallzeit (vgl. § 1259 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) RVO = § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) AVG) zu bewerten. Es fehlt somit ein sachlicher Grund, die Studienzeit des Klägers anders zu behandeln als die Versicherungszeit eines Nichtstipendiaten.
Der Anerkennung der beitragsfreien Versicherungszeiten steht nicht entgegen, daß Zeiten, für die an sich geschuldete Beiträge nicht gezahlt oder die Beiträge erstattet worden sind, nur nach § 16 FRG angerechnet werden (bei unterbliebener Beitragszahlung: BSG, Urteil vom 9. Mai 1967 - 1 RA 3/65 -; Urteil vom 30. September 1969 - 1 RA 203/68 -; Sozialgerichtsbarkeit 1970, 149; bei erstatteten Beiträgen: Urteil vom 7. April 1964 - 4 RJ 195/61 -, BSG 20, 287; Urteil vom 9. September 1965 - 4 RJ 325/64 -, SozR Nr. 4 zu § 16 FRG; Urteil vom 1. Dezember 1966 - 4 RJ 457/66 -; Urteil vom 30. Juni 1967 - 12 RJ 320/65 -). In diesen Fällen ist ein Versicherungsverhältnis entweder nicht entstanden oder die erworbenen Ansprüche sind durch die Beitragserstattung untergegangen. Der Kläger war jedoch als Vollstipendiat nach dem Recht der DDR auch ohne Beitragsleistung gleichberechtigtes Mitglied der Sozialversicherung.
Das Urteil des LSG ist somit im Ergebnis richtig. Die Revision der Beklagten ist daher unbegründet und muß nach § 170 Abs. 1 SGG zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen