Entscheidungsstichwort (Thema)
Genutzte Fläche. Vorbehalt des Nießbrauchs
Leitsatz (redaktionell)
Der Auffassung, daß als genutzte Fläche nur das Pachtland zu verstehen ist, kann nicht beigetreten werden. Sie widerspricht schon dem Wortlaut der Vorschrift, der keinen Zweifel daran läßt, daß mit der genutzten Fläche die genutzte Fläche des Gesamtunternehmens gemeint ist. Die Vervielfachung der gesamten genutzten Fläche, dh des Pachtlandes und des Eigenlandes mit dem durchschnittlichen Hektarsatz der Gemeinde ist auch sinnvoll.
Ist der Vorbehalt des Nießbrauchs lediglich sicherungshalber erfolgt, so steht das einer Abgabe des Unternehmens nicht entgegen.
Normenkette
GAL § 1 Abs. 4 S. 5 Fassung: 1965-09-14, § 33 Abs. 1 S. 1 Buchst. b Fassung: 1965-09-14
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. September 1969 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Altersgeld.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) bewirtschaftete der am 23. September 1888 geborene Kläger bis 1952 ein landwirtschaftliches Unternehmen, das in der Zeit vom 1. Januar 1935 bis 1. Januar 1950 neben Eigenland von wechselnder Größe (4,16 ha bis 4,46 ha) auch 0,75 ha Pachtland umfaßte. Der Einheitswert des Eigenlandes (ohne Wohnungswert) schwankte zwischen 1059,- und 3064,- DM; für das Pachtland war ein Einheitswert nicht zu ermitteln. Der durchschnittliche Hektarsatz der Gemeinde beträgt 898,- DM, die festgesetzte Einheitswert-Mindesthöhe 4000,- DM. Durch Übergabevertrag vom 16. Februar 1952 übertrug der Kläger seinen damals noch 3,1770 ha großen Grundbesitz parzelliert auf seine drei Töchter; hinsichtlich 4 verschiedener Parzellen vereinbarte er ein insgesamt 1,1646 ha erfassendes lebenslängliches unentgeltliches Nießbrauchsrecht. Seinen Altersgeldantrag vom 8. Januar 1968 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Februar 1968 ab; der Kläger habe das Unternehmen noch nicht abgegeben, weil die von dem Nießbrauch erfaßte Fläche einheitswertmäßig ein Viertel der festgesetzten Mindesthöhe überschreite. Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteile des Sozialgerichts - SG - Koblenz vom 5. September 1968 und des LSG Rheinland-Pfalz vom 4. September 1969). Das LSG führte aus: Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger das Unternehmen im Februar 1952 abgegeben habe; sein Altersgeldanspruch scheitere schon daran, daß er zu keiner Zeit landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen sei. Dem für das Eigenland festgestellten Einheitswert (ohne Wohnungswert) sei der durch Vervielfältigung der Flächengröße mit dem Hektarsatz zu ermittelnde Vergleichswert des Pachtlandes zuzurechnen. Diese Berechnung zeige, daß der Gesamtvergleichswert des Unternehmens die festgesetzte Mindesthöhe niemals erreicht habe. Eine andere Berechnungsart sei mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß),
die vorinstanzlichen Urteile sowie den Bescheid der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm ab 1. Januar 1968 Altersgeld zu gewähren,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf eine Bescheinigung der Gemeinde Beltheim, nach der er das Pachtland schon von 1921 an bewirtschaftet hat, und rügt eine fehlerhafte Anwendung der §§ 1 und 33 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte idF vom 14. September 1965 (GAL 65; BGBl I 1449). Bei richtiger Vergleichswertberechnung und Berücksichtigung von § 33 Abs. 2 GAL 65 erfülle er alle Voraussetzungen für die Gewährung des Altersgeldes, denn der Nießbrauch sei in dem Übergabevertrag lediglich sicherungshalber vereinbart und demgemäß von ihm niemals ausgeübt worden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist insofern begründet, als der Rechtsstreit an das LSG zu neuer Entscheidung zurückzuverweisen ist.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Altersgeldanspruchs ist § 33 Abs. 1 GAL 65. Hiernach erhalten Personen, die am 1. Oktober 1957 nicht mehr landwirtschaftliche Unternehmer i. S. des § 1 dieses Gesetzes waren, Altersgeld, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und das Unternehmen abgegeben haben und außerdem während der 25 Jahre, die der Abgabe vorausgegangen sind, mindestens 180 Kalendermonate, also 15 Jahre Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens i. S. des § 1 waren. Unternehmer in diesem Sinne ist derjenige, dessen Unternehmen unabhängig vom jeweiligen Unternehmer, also als solches eine auf Bodenbewirtschaftung beruhende Existenzgrundlage bildet (§ 1 Abs. 3 GAL 65). Eine Existenzgrundlage ist nach § 1 Abs. 4 GAL 65 immer gegeben, wenn der Einheitswert des Unternehmens die Mindesthöhe erreicht, die von der landwirtschaftlichen Alterskasse festgesetzt ist. Entgegen der Auffassung des LSG war das bei dem Unternehmen des Klägers in der Zeit vom 1. Januar 1935 bis 1. Januar 1950 der Fall. Der Kläger bewirtschaftete in diesem Zeitraum stets mehr als 4 ha Eigenland und 0,75 ha Pachtland. Ein Einheitswert für dieses aus Eigenland und Pachtland bestehende Gesamtunternehmen ist nicht zu ermitteln; der Einheitswert wird stets unter Außerachtlassung von Pachtland festgestellt. Für derartige Fälle schreibt § 1 Abs. 4 Satz 5 GAL 65 ausdrücklich vor, daß bei der Berechnung des Vergleichswertes "von der genutzten Fläche und dem durchschnittlichen Hektarsatz der Gemeinde" auszugehen ist (vgl. Noell-Rüller, Die Altershilfe für Landwirte, 6. Aufl. 1965 S. 63). Das LSG will als genutzte Fläche i. S. dieser Vorschrift nur das Pachtland verstanden wissen. Dieser offenbar auch der Praxis der Alterskassen entsprechenden Auffassung kann nicht beigetreten werden. Sie widerspricht schon dem Wortlaut des § 1 Abs. 4 Satz 5 GAL 65, der keinen Zweifel daran läßt, daß mit der "genutzten Fläche" die genutzte Fläche des Gesamtunternehmens gemeint ist. Auch die vorhergehenden Sätze des § 1 Abs. 4 beziehen sich auf das Unternehmen als Ganzes und nicht auf Teile davon. Die Vervielfachung der gesamten genutzten Fläche, d. h. des Pachtlandes und des Eigenlandes mit dem durchschnittlichen Hektarsatz der Gemeinde ist auch sinnvoll. Für sie spricht die Einfachheit der Berechnung, die gerade in dem in § 1 Abs. 4 GAL 65 geregelten Verfahren anzustreben ist. Dieses Verfahren zielt darauf ab, ohne eingehende Prüfung des Einzelfalles klarzustellen, wann die Existenzgrundlage "insbesondere gegeben", d. h. unwiderleglich zu vermuten ist. Die Vervielfachung des gesamten Eigen- und Pachtlandes mit dem durchschnittlichen Hektarsatz der Gemeinde dürfte auch generell gesehen gerechter sein als die Vervielfachung nur des Pachtlandes mit diesem Hektarsatz, weil jeder Durchschnittswert sich um so mehr der Wirklichkeit nähert, je größer die Menge - hier die Fläche - ist, auf die er angewandt wird. In Fällen aber, in denen durch Vervielfachung der gesamten genutzten Fläche mit dem durchschnittlichen Hektarsatz der Gemeinde bei einem Unternehmen mit überwiegend hochwertigem Eigenland die festgesetzte Mindesthöhe für eine Existenzgrundlage nicht erreicht wird und das unbillig erscheint, bleibt immer die Möglichkeit, ausnahmsweise die Existenzgrundlage auf Grund individueller Prüfung dennoch zu bejahen.
Ist mithin hier die gesamte Unternehmensfläche mit dem durchschnittlichen Hektarsatz der Gemeinde von 898,- DM zu vervielfachen, dann ergibt sich schon bei einer genutzten Fläche von 4,75 ha ein Vergleichswert von 4265,50 DM. Das Unternehmen des Klägers überschritt mithin in den genannten 15 Jahren stets die festgesetzte Mindesthöhe von 4000,- DM; der Kläger war also während dieser Zeit Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens i. S. des § 1 GAL 65.
Da er das 65. Lebensjahr bereits am 23. September 1953 vollendet hatte, hängt die Entscheidung über die Gewährung des Altersgeldes davon ab, ob und wann er das Unternehmen abgegeben hat. Hierfür ist von Bedeutung, welchen Zwecken der in dem Übergabevertrag vom 16. Februar 1952 vorbehaltene Nießbrauch diente und ob und inwieweit der Kläger von diesem Nutzungsrecht Gebrauch gemacht hat. Ist der Vorbehalt des - in dem Übergabevertrag mit einem Jahreswert von nur "etwa 50,- DM" angegebenen - Nießbrauchs lediglich sicherungshalber erfolgt, stünde das einer Abgabe des Unternehmens nicht entgegen. In derartigen Fällen dient die Bestellung des Nießbrauchsrechts nur der Sicherung der von dem Hofübernehmer dem Übergeber gegenüber übernommenen Verpflichtungen; nicht aber soll sie dem Übergeber unabhängig davon die Möglichkeit verschaffen, die Nutzungen aus den übertragenen Grundstücken tatsächlich zu ziehen (BSG, Urteil vom 26. Februar 1969 - 7 RLw 1/66 -). Auch wenn der Kläger den Nießbrauch an einer Fläche von 1,0270 ha dann dennoch tatsächlich ausgeübt hätte, wie es in dem von ihm nicht persönlich ausgefüllten Antragsformular vermerkt ist, würde dies einer Abgabe des Unternehmens gleichfalls nicht entgegenstehen, denn der Vergleichswert dieser Fläche betrüge, wenn man auch hier vom durchschnittlichen Hektarsatz ausgeht, nur 1,0270 x 898 = 922,25 DM; er überschritte nicht 25% der festgesetzten Mindesthöhe von 4000,- DM (§ 2 Abs. 7 Satz 1 GAL 65).
Nach alledem scheitert der Altersgeldanspruch entgegen der Auffassung des LSG nicht daran, daß dem Kläger die Unternehmereigenschaft fehlte. Für die Entscheidung der Frage, ob und wann der Kläger das Unternehmen abgegeben hat, sind die notwendigen Tatsachenfeststellungen vom LSG bisher jedoch nicht getroffen worden, weil das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus diese Frage offenlassen konnte. Das angefochtene Urteil muß deshalb aufgehoben und der Rechtsstreit zur Nachholung dieser Feststellungen und neuer Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung hängt vom Ausgang des Rechtsstreits ab und ist deshalb dem abschließenden Urteil vorzubehalten (§ 193 SGG).
Fundstellen