Orientierungssatz
Ein Betrag von 25 DM monatlich, den der Versicherte seiner früheren Ehefrau bis zu seinem Tode gezahlt hat, ist nicht als Unterhaltsleistung iS des RVO § 1265 S 1 zu werten, weil - in Weiterführung der ständigen Rechtsprechung des BSG der Unterhaltsbeitrag nicht an 25 % des Mindestunterhaltsbedarfs heranreicht.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. Juni 1973 wird aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 6. Dezember 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin begehrt aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes (des Versicherten) eine Hinterbliebenenrente nach § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Mit Bescheid vom 12. März 1969 lehnte die Beklagte einen dahingehenden Antrag der Klägerin ab. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage hatte vor dem Sozialgericht - SG - keinen Erfolg (Urteil des SG Osnabrück vom 6. Dezember 1972). Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil sowie den Bescheid der Beklagten aufgehoben und der Klage stattgegeben (Urteil des LSG Niedersachsen vom 20. Juni 1973).
Nach den - nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG war die Klägerin mit dem Versicherten bis zum Jahre 1949 verheiratet. Die Ehe wurde - so ist in dem angefochtenen Urteil weiter ausgeführt - aus dem Verschulden beider Parteien, jedoch aus dem überwiegenden Verschulden des Versicherten, geschieden. Aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs zahlte der Versicherte der Klägerin seit der Trennung monatlich 25,- DM. Während die Klägerin nicht wiedergeheiratet hat, ging der Versicherte mit der Beigeladenen eine neue Ehe ein, die bis zu seinem Tode am 1. September 1968 bestanden hat. Im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten hatte die Klägerin ein monatliches Gesamteinkommen von durchschnittlich 340,- DM.
Der Beigeladenen ist von der Beklagten die Witwenrente in voller Höhe bewilligt worden.
Das LSG meint, die monatlichen Zuwendungen des Versicherten an die Klägerin seien als Unterhalt im Sinne des § 1265 RVO zu werten. Sie erreichten zwar nicht, wie dies von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für den Regelfall gefordert werde, 25 v.H. des Betrages, den ein Unterhaltsberechtigter unter den gegebenen zeitlichen und örtlichen Verhältnissen zur Deckung seines notwendigen Mindestbedarfs benötige (BSG 22, 44). In einem Urteil vom 22. November 1968 (Az.: 11 RA 62/68) habe es das BSG ausdrücklich offen gelassen, ob an seiner bisherigen Rechtsprechung auch dann festzuhalten sei, wenn es sich um geschiedene Ehefrauen handele, die am Rande des Existenzminimums lebten. Ein solcher Fall liege hier vor. Nach Abzug der Diätzulage, einmaliger Beihilfen, des Mietzinses sowie der monatlichen Zuwendungen des Versicherten blieben der Klägerin nur etwa 215,- DM zur Bestreitung ihrer Lebensbedürfnisse. Die Zuwendungen von monatlich 25,- DM lägen höher als 10 v.H. dieses Nettoeinkommens, sie müßten als Unterhalt angesehen werden.
Mit der Revision macht die Beklagte im wesentlichen geltend, ein Betrag von monatlich 25,- DM sei kein Unterhalt im Sinne des § 1265 RVO.
Die Beklagte und die Beigeladene - diese sinngemäß - beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Osnabrück zurückzuweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
Die Revision ist begründet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO zu. Der Betrag in Höhe von 25,- DM, den der Versicherte der Klägerin monatlich gezahlt hat und zu dessen Zahlung er durch Vergleich verpflichtet war, war zu gering, um als Unterhalt im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden zu können. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, gegen die sich auch das LSG im Grundsatz wohl nicht wenden will, ist für die Annahme von Unterhalt in diesem Sinne u.a. Voraussetzung, daß es sich bei den Zahlungen oder der Zahlungsverpflichtung des Versicherten um einen Betrag gehandelt hat, der nach allgemeiner Auffassung unter besonderer Berücksichtigung der zeitlichen und örtlichen Verhältnisse nominell ins Gewicht fällt und auch im Hinblick auf den Gesamtunterhalt erheblich ist (BSG 22,44). Diese Voraussetzung ist im Regelfall nur dann erfüllt, wenn der Betrag etwa 25 v.H. des Betrages ausmacht, den ein Unterhaltsberechtigter zur Deckung seines notwendigen Mindestbedarfs benötigt, wobei der Mindestbedarf an den Richtsätzen der für die Gewährung von Sozialhilfen zuständigen Behörden gemessen werden kann.
Der Regelsatz für Alleinstehende betrug nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil für die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten 126,- DM. Ob allerdings allein dieser vom LSG angeführte Betrag als Bezugsgröße für die Berechnung des Unterhalts angesehen werden kann oder ob nicht auch die Richtsätze zur Abgeltung einmaliger Leistungen, der Mehrbedarfszuschlag für Erwerbsunfähige, der Mietzuschlag sowie andere zusätzliche Leistungen in die Berechnung des Mindestbedarfs einzubeziehen wären, kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. In keinem Fall erreichten die monatlichen Zuwendungen des Versicherten an die Klägerin 25 v.H. ihres Mindestbedarfs.
Das LSG verkennt dies nicht, will jedoch für einen Fall wie den vorliegenden eine Ausnahme von der Rechtsprechung des BSG zulassen. Zur Begründung dafür stützt es sich insbesondere auf das bereits erwähnte Urteil des BSG vom 22. November 1968. In der Tat hat das BSG in dieser Entscheidung die Frage aufgeworfen, aber unentschieden gelassen, ob an der bisherigen Abgrenzung des Unterhalts zu finanziell unbedeutenden Beiträgen zum Unterhalt auch dann festzuhalten ist, wenn es sich um Personen handelt, die sich wegen ihrer ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse am Rande des Existenzminimums bewegen. Das LSG mißversteht aber dieses Urteil, wenn es meint, neben die bisherige Abgrenzung sei nunmehr als neuer Grenzbetrag ein solcher gesetzt worden, der 10 v.H. des tatsächlichen monatlichen Bareinkommens der früheren Ehefrau des Versicherten beträgt. Das BSG hat aaO vielmehr erklärt, daß an seiner bisherigen Rechtsprechung, nach der als geringfügig in der Regel ein Betrag anzusehen sei, der nicht etwa 25 v.H. des zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarfs erreiche, festzuhalten sei. Von diesem Grundsatz ist das BSG nicht deshalb abgewichen, weil es in dem von ihm zu entscheidenden Fall unter Hinweis darauf, die Zahlungen des Versicherten hätten 10 v.H. des sonstigen Bareinkommens der Klägerin betragen, das Vorliegen von Unterhalt bejaht hat. Diese Begründung ist vielmehr nur im Zusammenhang mit der in jener Entscheidung erörterten Frage zu sehen, ob ein Betrag, der 25 v.H. des Mindestbedarfs erreicht oder überschreitet, im Einzelfall gleichwohl deshalb nicht als Unterhalt angesehen werden kann, weil die geschiedene Frau besonders hohe eigene Einkünfte gehabt hat. Diese Frage hat das BSG in der Erwägung, der Unterhalt des geschiedenen Ehemannes habe immerhin 10 v.H. des monatlichen Bareinkommens der Klägerin betragen, verneint.
Mit der Frage, ob bei einer am Rande des Existenzminimums lebenden geschiedenen Frau ebenfalls die vom BSG entwickelten Grundsätze über die Abgrenzung nur geringfügiger monatlicher Zuwendungen zu Unterhaltszahlungen zu gelten haben, hat sich das BSG bereits in seiner Entscheidung vom 20.März 1969 (SozR Nr. 49 zu § 1265 RVO) auseinandergesetzt. Es hat dazu u.a. ausgeführt, auch das Sozialstaatsprinzip erfordere nicht eine Auslegung des § 1265 RVO in dem Sinne, daß bereits geringste Unterhaltsverpflichtungen oder -leistungen eine in ihrer Höhe hierdurch nicht beeinflußte Hinterbliebenenrente auslösen müßten. Bei einer nur geringfügigen Verpflichtung oder Leistung des Versicherten habe sich die wirtschaftliche Lage der früheren Ehefrau durch den Tod des Versicherten nicht wesentlich verschlechtert. Dieser Auffassung, zu der das LSG neue Gesichtspunkte nicht vorgebracht hat, tritt der erkennende Senat - in Fortsetzung der ständigen Rechtsprechung des BSG - bei.
Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin berechtigt gewesen sein könnte, von dem Versicherten einen höheren - ins Gewicht fallenden - Unterhaltsbeitrag zu verlangen, sind nicht ersichtlich.
Das angefochtene Urteil muß deshalb aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Der Senat hält es nicht für angemessen, der in finanziell schlechten Verhältnissen lebenden Klägerin aufzugeben, der Beigeladenen die Kosten auch der Berufungs- und der Revisionsinstanz zu erstatten.
Fundstellen