Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesteigerte Hilflosigkeit durch Verschlimmerung schädigungsfremder Leiden
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch auf Pflegezulage (BVG § 35 Abs 1), der zu Lebzeiten des Beschädigten erhoben worden ist, ist vererblich (Fortführung von BSG 1966-03-08 10 RV 516/64 = BVBl 1966, 117; BSG 1964-06-25 10 RV 275/62 = BVBl 1964, 168).
2. Die Pflegezulage ist gemäß BVG § 62 Abs 1 S 1 auch dann neu festzustellen, wenn die wehrdienstbedingten Gesundheitsstörungen und die auf ihnen beruhende Minderung der Erwerbsfähigkeit zwar unverändert geblieben sind, die Schädigung aber im Zusammenwirken mit veränderten schädigungsunabhängigen Umständen noch annähernd gleichwertig die gesteigerte Hilflosigkeit verursachte (Abweichung von BSG 1969-08-07 8 RV 785/67 = BSGE 30, 45 = SozR Nr 38 zu § 62 BVG; BSG 1970-01-29 8 RV 47/68).
Leitsatz (redaktionell)
Der Anspruch auf Pflegezulage unterscheidet sich in seinen Kausalitätsanforderungen von dem Rentenanspruch, und zwar vornehmlich dadurch, daß auch ein - wehrdienstunabhängiger - "Nachschaden" für die Hilflosigkeit iS des BVG § 35 Abs 1 von Belang ist und in Verbindung mit einer Kriegsbeschädigung als eine Änderung der Entscheidungsgrundlage iS des BVG § 62 Abs 1 S 1 in Frage kommen kann. Beruht (wie hier) die verstärkte Hilflosigkeit allein auf einer Verschlimmerung schädigungsfremder Leiden, so kommt es darauf an, ob nunmehr die Schädigungsfolgen für den Gesamtzustand nur noch von untergeordneter Bedeutung oder ob sie - immer noch - eine annähernd gleichwertige Mitursache hierfür sind.
Normenkette
BVG § 35 Abs. 1 Fassung: 1973-12-18, § 62 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1966-12-28, § 66 Fassung: 1966-12-28
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. März 1975 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Dem Ehemann der Klägerin war im ersten Weltkrieg nach einer Schrapnellgeschoßverletzung das rechte Bein unterhalb der Mitte des Oberschenkels amputiert worden. Ihm war die Versorgungsrente wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zunächst von 70 v. H. und später, nach Auftreten einer Spondylochondrose der Lendenwirbelsäule, von 80 v. H. zuerkannt worden (Bescheide vom 24. Mai 1951 und vom 10. Oktober 1960). Nachdem dem Ehemann der Klägerin wegen arteriellen Gefäßverschlusses bei Diabetes mellitus auch der linke Unterschenkel hatte operativ abgenommen werden müssen und er dauernd bettlägerig geworden war, bewilligte ihm das Versorgungsamt (VersorgA) außerdem vom 1. September 1970 an die Pflegezulage nach Stufe II (Bescheid vom 27. Januar 1971). Im Oktober 1972 beantragte der Beschädigte eine höhere Pflegezulage. Das linke Bein war inzwischen im Oberschenkel abgesetzt worden. Nunmehr vermochte sich der Beschädigte - inzwischen 77 Jahre alt geworden - nicht mehr ohne fremde Hilfe im Bett aufzurichten; zur Nahrungsaufnahme sowie zum Waschen und Rasieren war er auf die Unterstützung anderer angewiesen.
Die Versorgungsverwaltung lehnte jedoch die neue Forderung ab (Bescheid vom 21. November 1972; Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 1973). Sie sah sich gehindert, eine Leistungserhöhung anzuordnen, weil die Steigerung der Hilflosigkeit in keinem Zusammenhang mit der Kriegsverletzung stehe. Am 13. Dezember 1972 war der Beschädigte gestorben.
Der Klage seiner Ehefrau, die auf die Gewährung der Pflegezulage nach Stufe III für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1972 gerichtet war, gab das Sozialgericht (SG) statt (Urteil des SG Bayreuth vom 16. Januar 1974). Die - zugelassene - Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil des Bayerischen LSG vom 18. März 1975). Die Pflegezulage war nach Ansicht der Vorinstanzen neu festzustellen (§ 62 Abs. 1 Satz 1 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -). Für diese Rechtsfolge genüge es, daß das Versorgungsleiden und die spätere linksseitige Oberschenkelamputation gemeinsam in annähernd gleicher Intensität den gegenwärtigen Zustand herbeigeführt hätten. Es sei unerheblich, daß in der Kriegsversehrtheit als solcher eine Verschlechterung gegenüber dem Zustand bei der ersten Feststellung der Leistung nicht eingetreten sei. Die versorgungsrechtlich bedeutsame Schädigungsfolge brauche nicht das letzte Glied in der zur vermehrten Hilflosigkeit führenden Ursachenkette zu sein. So wie es nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG 26, 213; 36, 285; 37, 80) nicht darauf ankomme, wann die einzelnen wehrdienstbedingten und -unabhängigen Faktoren für eine besondere berufliche Betroffenheit oder einen auszugleichenden Berufsschaden eingetreten seien, so müßten neben dem Schädigungstatbestand auch andere Umstände zu denjenigen Verhältnissen zählen, deren wesentliche Änderung eine Neugestaltung des Versorgungsrechtsverhältnisses gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG rechtfertige.
Der Beklagte hat die - zugelassene - Revision eingelegt. Er meint, für einen Änderungsbescheid sei kein Raum, weil die Schädigungsfolgen gleichgeblieben seien und damit der Bescheid über die Bewilligung der Pflegezulage nach Stufe II seine Bindungswirkung nicht verloren habe. Auch seien auf den Streitfall die Grundsätze, die das BSG in Verbindung mit der besonderen beruflichen Betroffenheit und Gewährung eines Berufsschadensausgleichs entwickelt habe, nicht zu übertragen. Bei den vergleichsweise angeführten Tatbeständen gehe man von einem hypothetischen Einkommensverlust aus. In diesen Verlust spielten unvermeidbar auch solche Umstände mit hinein, die mit der Wehrdienstbeschädigung nichts zu tun hätten. Mit einer solchen Unausscheidbarkeit einzelner Momente aus einem komplexen Sachverhalt habe man es jedoch bei der Hilflosigkeit nicht zu tun. Infolgedessen verbiete es sich im gegenwärtigen Zusammenhang, die Parallele zu der angeführten Judikatur zu ziehen.
Der Beklagte beantragt,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, der Beklagte halte an einer überholten, zu engen Auslegung des § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG fest.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision ist das Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Die Vorinstanzen haben sich zur Sach- und Klageberechtigung der Klägerin nicht geäußert. Es mag sein, daß sie geglaubt haben, die Nachfolge der Klägerin in die versorgungsrechtliche Rechtsposition ihres während des Widerspruchsverfahrens verstorbenen Ehemannes ohne weiteres unterstellen zu können. Dagegen ist in tatsächlicher Hinsicht das Bedenken fehlender Aufklärung des Sachverhalts zu erheben. Rechtlich ist indessen davon auszugehen, daß der - noch von dem Versorgungsberechtigten selbst erhobene - Anspruch auf Pflegezulage einer höheren Stufe vererblich ist. Das Gesetz regelt nicht ausdrücklich die Gesamtrechtsnachfolge in Vermögensrechten aus dem Versorgungsrechtsverhältnis. Daß sozialrechtliche Geldansprüche mit dem Tod des unmittelbar Berechtigten nicht schlechthin erlöschen, sondern auf Dritte übergehen können, und zwar ohne daß deshalb die öffentlich-rechtliche Berechtigung sich als solche ändert, ist anerkannt (vgl. §§ 630, 1288 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Dieser Rechtsübergang kann jedoch davon abhängig sein, daß zusätzlichen Erfordernissen genügt, z. B. ein bestimmter Verfahrensstand erreicht ist. So ist aus dem Inhalt und Verwendungszweck der auf Geld gerichteten Versorgungsansprüche zu folgern, daß sie der Erbfolge nur zugänglich sind, wenn sie "rückständig", d. h. von dem direkt betroffenen Berechtigten noch zu Lebzeiten erhoben worden sind (vgl. BSG 15, 157; siehe auch Urteil vom 8. März 1966 - 10 RV 516/64 = BVBl 66, 117 -; Urteil vom 25. Juni 1964 - 10 RV 275/62 = BVBl 1964, 168-; Verwaltungsvorschrift Nr. 3 zu § 66 BVG). Die Anmeldung solcher Ansprüche ist personengebunden, weil mit ihnen primär das ganz persönliche Opfer, der Schaden an Leben und Gesundheit, ausgeglichen werden soll. Zur Sicherung des Unterhalts der eigenen Person und der Familie dienen Versorgungsberechtigungen erst in zweiter Linie (vgl. BSG 30, 21, 25; 33, 151, 155). Eine Rechtsnachfolge kann deshalb nur eintreten, wenn ein geldwerter Versorgungsanspruch sich nach Antragstellung aus der subjektiven Beziehung gelöst hat und in Gestalt von Nachzahlungsverpflichtungen zu einem reinen Vermögensobjekt geworden ist. Unter diesem Gesichtspunkt war der geltend gemachte Anspruch vererblich.
Die Tatsachen, die das Erbrecht der Klägerin begründen könnten, sind aber nicht festgestellt worden, wie überhaupt die Frage der Rechtsnachfolge in dem Berufungsurteil nicht behandelt worden ist. Deshalb liegt eine Gesetzesverletzung vor; die im öffentlichen Recht entsprechend geltende Norm des § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist nicht angewendet worden. Außerdem gibt das Berufungsurteil in dieser Beziehung keinen Aufschluß über die tatsächlichen Grundlagen seiner Entscheidung. Infolgedessen ist dem Revisionsgericht die rechtliche Nachprüfung insoweit nicht möglich. Dieser Mangel im Tatbestand des Berufungsurteils ist von Amts wegen, also ohne ausdrückliche Rüge zu berücksichtigen (BSG SozR Nr. 6 zu § 163 SGG; vgl. BGHZ 40, 84, 87 = NJW 1963, 2070; BAG 22, 383, 387 = NJW 1970, 1812, 1813). Damit die gebotenen Feststellungen noch nachgeholt werden können, ist das Berufungsurteil aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen.
Von der Zurückverweisung ist nicht deshalb abzusehen, weil die Klage in jedem Falle unbegründet ist. Davon wäre freilich auszugehen, wenn der Auffassung zu folgen wäre, die der 8. Senat des BSG in dem in BSG 30, 45 veröffentlichten Erkenntnis (auch Urteil vom 29. Januar 1970 - 8 RV 47/68 -) vertreten hat. Danach wäre der Anspruch auf Pflegezulage nur dann gemäß § 62 BVG neu festzustellen, wenn die Hilflosigkeit deshalb ein stärkeres Maß erreicht hätte, weil die wehrdienstbedingten Gesundheitsstörungen sich selbst, als solche wesentlich geändert hätten. Es reichte nicht aus, daß sich bei gleichgebliebenen Schädigungsfolgen die von der Schädigung unabhängigen Leiden verschlimmert oder vermehrt hätten. Der 8. Senat hat seine Ansicht damit begründet, daß die Hilflosigkeit keine "unabhängige" Voraussetzung des Anspruchs auf Pflegezulage abgebe, sondern kausal auf die Schädigung und ihre Folgen bezogen sei und bleibe. Dementsprechend werde "die einmal bindend gewordene Feststellung der Pflegezulage nur dann unrichtig, wenn sich die schädigungsbedingten Tatbestandsmerkmale ändern, welche für die Beurteilung der Kausalität maßgebend gewesen sind" (BSG 30, 47). - Die Konsequenz dieser Meinung kann darin bestehen, daß eine früher bewilligte Pflegezulage in Höhe der einmal festgesetzten Stufe weitergewährt wird, während sie bei gleicher Sachlage im Falle einer Erstfeststellung höher ausfiele. Dieses von der Kritik als unbefriedigend bezeichnete Ergebnis (dazu Jansen, Die Praxis 1975, 145, 150 ff.; auch Urteil des erkennenden Senats vom 31. Juli 1975 - 9 RV 552/74 -) hat der 8. Senat gesehen und in Kauf genommen. Das Resultat verstößt allerdings gegen die wiederholt geäußerte Regel, daß die Entscheidung über einen Versorgungsanspruch nicht um so günstiger ausfallen kann, je später der Antrag auf Leistung gestellt und beschieden wird (BSG 19, 201, 202; Urteil vom 26. August 1965 - 9 RV 1142/61). Eine mit dieser Regel unvereinbare Gesetzesauslegung läßt die Frage nach ihrer Richtigkeit aufkommen. Dem jetzt erkennenden Senat ergeben sich - übereinstimmend mit der von dem LSG vertretenen Ansicht, Bedenken dagegen, daß die Befugnis und die Pflicht der Verwaltung (§ 62 Abs. 1 Satz 1 BVG) zur Abänderung einer Entscheidung über die Pflegezulage zu eng gesehen sein könnte. Der 8. Senat, dessen Rechtsprechung übrigens - wie das LSG zutreffend ausführt - für eine Herabsetzung oder Entziehung der Pflegezulage bei wesentlicher Besserung der schädigungsunabhängigen Leiden unzureichend begründete Schranken aufbaut, ließ sich von der Überlegung leiten, daß die Pflegezulage nicht lediglich deshalb neu festgestellt werden dürfe, weil die Steigerung der Hilflosigkeit allein auf wehrdienstfremden Faktoren beruhe (BSG 30, 47). Dabei wurde jedoch zu wenig die Möglichkeit einer Verquickung von Schädigungsfolgen und anderen Bedingungen in Betracht gezogen. Beide Ursachen können gemeinsam und gleichwertig die Verschlechterung im Zustand der Hilflosigkeit herbeigeführt haben. Dies ist ebenso zu beachten, wie in Rechnung zu stellen ist, daß früher ein gemindertes Stadium der Hilflosigkeit sowohl von wehrdienstabhängigen wie -unabhängigen Einflüssen hervorgerufen worden war. Beruht - wie im vorliegenden Fall - die verstärkte Hilflosigkeit allein auf einer Verschlimmerung schädigungsfremder Leiden, so kommt es darauf an, ob nunmehr die Schädigungsfolgen für den Gesamtzustand nur noch von untergeordneter Bedeutung sind oder ob sie - immer noch - eine annähernd gleichwertige Mitursache hierfür darstellen.
Daß später wie früher das Nebeneinander von beidem, nämlich von versorgungsrechtlich bedeutsamer und von nicht relevanter Einwirkung, zu berücksichtigen ist, folgt aus § 62 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 35 Abs. 1 BVG. § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG ermächtigt zum Eingriff in die Bestandskraft einer vorangegangenen Entscheidung, wenn "in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs auf Versorgung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt". Welche Verhältnisse dies sind, ist aus § 62 BVG nicht zu entnehmen; die Antwort ist vielmehr aus § 35 BVG zu gewinnen (so auch der 8. Senat: BSG 30, 47). § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG wird dahin verstanden, daß die Hilflosigkeit nicht allein durch eine Kriegsdienstbeschädigung verursacht sein muß. Der Tatbestand des Gesetzes ist auch erfüllt, wenn die Dienstbeschädigung annähernd gleichwertig mit anderen Umständen die entsprechende Körper- oder Geistesverfassung des Beschädigten bestimmt hat (BSG 17, 114, 1 9). Es kommt hierbei nicht darauf an, ob die Kriegsverletzung zeitlich die "letzte", die Hilflosigkeit "auslösende" Bedingung ist, sofern nur die Voraussetzungen für die Gewährung der Pflegezulage im Anspruchszeitraum noch gegeben sind (BSG 13, 40). Auch Gesundheitsstörungen, die nach der Schädigung und unabhängig von dieser auftreten - sogenannte Nachschäden (u. a. BSG 23, 188, 191) - sind als Mitursachen der Hilflosigkeit nicht auszuschließen; diese muß nur wesentlich auch auf die Kriegsversehrtheit zurückgehen (BSG 13, 42; 17, 119; Urteil vom 21. Mai 1974 - 10 RV 441/73 -). Der Grundsatz, daß die versorgungsrechtlich erhebliche Ursachenkette mit dem Ende des schädigenden Ereignisses, d. h. mit dem Bewirken der gesundheitlichen Schädigung und der unmittelbar an sie geknüpften gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen, abgeschlossen ist (BSG 17, 114, 116; 19, 201, 202) gilt nicht für den Tatbestand der Hilflosigkeit. Diese Ausnahme von der sonst geltenden versorgungsrechtlichen Kausalitätsregel (zu weiteren Durchbrechungen: BSG 26, 213; 36, 285; 37, 80; SozR Nr. 2 zu § 15 BVG; SozR 3610 § 4 Nr. 1) wird aus dem Zweck des Instituts der Pflegezulage hergeleitet. Diese Leistung ist im Hinblick auf die besondere Situation, welche die fremde Betreuung des Kriegsbeschädigten erfordert, zu erbringen. Die Situation des Hilflosen ist durch ein unteilbares Gesamtbefinden gekennzeichnet. Der Bedarfslage wird nur eine Rechtsanwendung gerecht, welche sich stärker an den aktuellen Gegebenheiten orientiert, vorausgesetzt, daß hieran die Kriegsbeschädigung einen wesentlichen Anteil hat. Dagegen würde den Belangen, denen die Pflegezulage dienen soll, nicht genügt, wenn man sich wie bei der Schadensbemessung mit einem Vergleich des Gesundheits- und Kräftezustands vor und nach dem schädigenden, weiter zurückliegenden Vorgang zufriedengäbe (BSG 17, 119; 23, 191 f; Urteil vom 27. Januar 1967 - 9 RV 728/64 = BVBl 1967, 73). Der Tatbestand, der zur Begründung des Anspruchs auf Pflegezulage verwirklicht sein muß, ist ausgedehnter und anders als derjenige, nach dem sich der Anspruch auf die Versorgungsrente richtet. Von den Besonderheiten her, die den Tatbestand des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG kennzeichnen, sind zugleich auch die maßgeblichen Verhältnisse bezeichnet, deren wesentliche Veränderung eine Neubescheidung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG erlaubt und gebietet. Dazu zählen gegebenenfalls auch Momente, die selbst nicht in den versorgungsrechtlich bedeutsamen Ursachenzusammenhang fallen.
Für seine entgegenstehende Lösung hat der 8. Senat die Bindungswirkung angeführt, die von der vorausgegangenen Bewilligung der Pflegezulage ausgeht. Diese Bindung versperre den Zugang zur neuen, uneingeschränkten Erörterung der Frage, ob für die nachträglich erhöhte Hilflosigkeit die - als solche unveränderten - Schädigungsfolgen kausal seien (BSG 30, 47; Urteil vom 29. Januar 1970 - 8 RV 47/68 -). Eine Erwägung dieser Art läge nahe, wenn die Hilflosigkeit in kausaler Beziehung zu einer "anerkannten" Schädigungsfolge stünde. Dann könnte es angezeigt sein, auf künftige Tatsachen nur insoweit Bedacht zu nehmen, als diese sich von dem ursprünglich als rechtlich bedeutsam festgestellten Sachverhalt fortentwickelt haben. Die Kopplung von Tatbestandskriterien mit "anerkannten Folgen einer Schädigung" führt das Gesetz an mehreren Stellen an (z. B. § 10 Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 31 Abs. 4 und 5 BVG). Eine solche Verknüpfung stimmt aber weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG überein. Mit dieser Gesetzesbestimmung wird lediglich vorausgesetzt, daß der Beschädigte "infolge der Schädigung" hilflos ist. Der Begriff der - gesundheitlichen - Schädigung findet sich in der Grundnorm des § 1 Abs. 1 BVG. Darunter wird regelmäßig bloß der schädigende Vorgang als solcher, losgelöst von seinen Folgen, verstanden. Die "Folgen der Schädigung" heben sich davon ab, sie werden gesondert erwähnt. Sie werden gleichgesetzt mit den "Gesundheitsstörungen" (§ 1 Abs. 3 BVG) oder mit dem Leidenszustand, den "Verletzungen", mit dem regelwidrigen Zustand an Körper und Geist (BSG, Urteil vom 6. August 1963 - 10 RV 1331/60 - Deutsche Medizinische Wochenschrift 1964, 1959; ferner BSG 7, 53, 56; 24, 185, 186; SozR Nr. 66 zu § 1 BVG; Nr. 30 zu § 109 SGG; außerdem BSG 7, 180, 181; BSG in BVBl 1967, 73). § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG schließt an den Wortgebrauch des § 1 BVG an. Aus der Formulierung des § 35 Abs. 1 Satz 1 ist zu folgern, daß die Berechtigung für die Gewährung der Pflegezulage selbständig zu prüfen ist. Die Entscheidung hierüber ist nicht durch einen Bescheid über den Rentenanspruch vorweggenommen. Dies ist auch verständlich und sinnvoll, wenn man sich vor Augen führt, daß die Schwere der Schädigung nicht notwendig mit dem Ausmaß der Hilflosigkeit korrespondiert. Vor allem sind wirtschaftliche Gesichtspunkte nicht ausschlaggebend, wenn darüber zu befinden ist, ob ein Kriegsbeschädigter auf fremde Wartung und Pflege angewiesen ist (BSG Urteil vom 25. April 1961 - 11 RV 660/59 -; Urteil vom 29. Mai 1962 - 10 RV 1235/58 = KOV 1962, 277 -; BSG 22, 82, 83 ff). Auf die Bewertung der Schädigungsfolgen in Form einer - in einem Hundertsatz ausgedrückten - Minderung der Erwerbsfähigkeit ist infolgedessen nicht abzuheben. Offen ist sogar die Frage, ob die Versorgungsbehörde an eine ältere Feststellung darüber gebunden ist, daß ein Leidenszustand mit einem schädigenden Ereignis ursächlich verflochten ist, wenn es später darum geht, ob dieser Leidenszustand die Hilflosigkeit veranlaßt hat (BSG Urteil vom 22. März 1963 - 11 RV 1068/61 = KOV 1963, 172).
Daß in § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG von der "Schädigung" und nicht von den "Schädigungsfolgen" die Rede ist, darf überdies als ein Hinweis des Gesetzes dahin verstanden werden, daß der Nachschadensausschluß, der sonst der versorgungsrechtlichen Kausalitätsnorm innewohnt, hier nicht gewollt ist; m. a. W. daß der Kriegsdienstschaden, also die Schädigungsfolge im Sinne des BVG, ausnahmsweise auch durch solche Vorkommnisse ursächlich berührt werden kann, die sich erst später und ohne kausale Verkettung mit den vorher eingetretenen Wirkungen abspielen (vgl. BSG 17, 117). - Für die gegenwärtige Entscheidung ist jedenfalls festzuhalten, daß der Anspruch auf Pflegezulage sich in seinen Kausalitätsanforderungen von dem Rentenanspruch unterscheidet, und zwar vornehmlich dadurch, daß auch ein - wehrdienstunabhängiger - "Nachschaden" für die Hilflosigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 BVG von Belang ist und in Verbindung mit einer Kriegsbeschädigung als eine Änderung der Entscheidungsgrundlage i. S. des § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG in Frage kommen kann.
Wenn hiernach der jetzt erkennende Senat in dem erörterten Punkt von der Ansicht des 8. Senats abweicht, so liegt doch keine Veranlassung vor, die Entscheidung des Großen Senats herbeizuführen (§ 42 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), weil der 8. Senat nicht mehr mit Ansprüchen der Kriegsopferversorgung befaßt ist.
Das LSG hat über die Pflicht zur Erstattung der Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.
Fundstellen