Leitsatz (redaktionell)
1. Keine Subsidiarität der Sozialhilfe bei ausschließlich eigener Leistungspflicht.
2. Die Dauer des Bezuges von Verletztengeld kann nicht auf die Dauer des Bezuges von Krankengeld angerechnet werden.
3. Hat der Sozialhilfeträger die Kosten für einen Haushaltsangehörigen nach BSHG § 71 übernommen, obgleich die KK monatlich 550 DM Krankengeld zahlte, so steht ihm gegen den Rentenversicherungsträger kein Ersatzanspruch zu, wenn dieser rückwirkend eine Rente von 340 DM bewilligt. Der Sozialhilfeträger ist in diesem Falle nicht anstelle eines in erster Linie leistungspflichtigen Versicherungsträgers tätig geworden, sondern hat mit seiner Zahlung eine ihm obliegende Leistungspflicht erfüllt.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12, § 1531 Fassung: 1931-06-05; BSHG § 71
Tenor
Auf die Sprungrevision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11. April 1969 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 39,- DM zu zahlen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die klagende Ersatzkasse eine Rentennachzahlung der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in voller Höhe für sich beanspruchen kann oder ob ein Teil davon der beigeladenen Landeshauptstadt H - Sozialamt - zusteht.
Die Klägerin gewährte der Versicherten U B (B.) wegen eines 1964 erlittenen Verkehrsunfalls Krankengeld für die Zeit vom 14. Oktober 1965 bis 20. Januar 1966 in Höhe von 1.720,82 DM. Weil B. wegen der Unfallfolgen ihren Haushalt nicht mehr besorgen konnte, hatte die Beigeladene daneben ab 12. März 1965 die Kosten der Unterbringung des Sohnes von Frau B. in einem Heim mit monatlich 240,- DM übernommen (§ 71 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -).
Durch Bescheid vom 14. Januar 1966 bewilligte die BfA Frau B. ab 13. Oktober 1965 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) in Höhe von monatlich 317,30 DM, ab 1. Januar 1966 in Höhe von monatlich 343,80 DM einschließlich eines Kinderzuschusses von 60,70 DM. Die Rente wurde ab 1. März 1966 laufend gezahlt.
Mit Schreiben an die BfA vom 11. Februar 1966 machte die Klägerin geltend, daß der Rentenanspruch für die Zeit vom 14. Oktober 1965 bis 20. Januar 1966 in Höhe von 1.040,70 DM auf sie übergegangen sei (§ 183 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Mit Schreiben vom 18. Februar und 18. April 1966 meldete auch die Beigeladene wegen der Heimkosten für den Monat Januar 1966 Anspruch auf Ersatz in Höhe des Kinderzuschusses an (§ 1531 RVO i.V.m. § 77 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -). (Für die Zeit bis 31. Dezember 1965 sind die Heimkosten durch die Haftpflichtversicherung des Schädigers von Frau B. gedeckt.)
Die BfA überwies an die Klägerin 1.001,70 DM; das entspricht der auf die Zeit vom 14. Oktober 1965 bis 20. Januar 1966 entfallenden Rentennachzahlung abzüglich des Kinderzuschusses für die Zeit vom 1. bis 20. Januar 1966. Sie ist der Ansicht, beim Zugriff auf den Kinderzuschuß habe die Beigeladene den Vorrang.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen: In § 1531 RVO sei nicht vorausgesetzt, daß die Leistung des Sozialhilfeträgers - hier die anderweitige Unterbringung eines Haushaltsangehörigen - der des Versicherungsträgers gleichartig sein müsse. Dem Wesen der Subsidiarität der Sozialhilfe entspreche es vielmehr, wenn der Sozialhilfeträger das zurückerhalte, was er bei sofortiger Rentenzahlung nicht hätte zu leisten brauchen. Frau B. wäre aber bei sofortiger Rentenzahlung in der Lage gewesen, in Höhe des Kinderzuschusses die Kosten der Unterbringung ihres Sohnes mitzutragen. Der Ersatzanspruch des § 1531 RVO sei ein selbständiger Anspruch eigener Art, der den Anspruch des Versicherten auf Rentennachzahlung belaste. Der Rentenanspruch habe daher nur mit dieser Belastung auf die Klägerin übergehen können.
Die Klägerin hat anstelle der - vom SG zugelassenen - Berufung mit Einwilligung der anderen Beteiligten (§ 161 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) Sprungrevision eingelegt. Ihrer Auffassung nach fällt die Unterbringung des Kindes allein in die Zuständigkeit der Beigeladenen, so daß diese die Hilfe auch bei sofortiger Zahlung der Rente hätte leisten müssen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zahlung von 39,- DM zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hat auf eine Stellungnahme zur Sache verzichtet.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden.
II
Die Revision ist begründet. Der Beigeladenen steht ein Ersatzanspruch nach § 1531 RVO i.V.m. § 77 AVG, der dem Anspruch der Klägerin auf Rente gemäß § 183 Abs. 3 RVO vorgehen könnte, nicht zu.
Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. BSG 9, 112, 114; BSG 28, 66, 67 = SozR Nr. 21 zu § 1531 RVO) entschieden hat, beruht die Regelung in § 1531 ff RVO auf der Erwägung, daß der Sozialhilfeträger, der einen hilfsbedürftigen Versicherten unterstützt, damit eine Leistungspflicht des zuständigen Versicherungsträgers erfüllt und aus diesem Grund von ihm Ersatz beanspruchen kann. Das Gesetz geht also davon aus, daß der Sozialhilfeträger anstelle des an sich leistungspflichtigen Versicherungsträgers gehandelt hat. Es genügt mithin nicht, daß die Unterstützung durch den Sozialhilfeträger und die Leistungspflicht des Versicherungsträgers lediglich zeitlich zusammentreffen, die Sozialhilfe aber unabhängig von der Leistungspflicht des Versicherungsträgers gewährt wird. In einem solchen Fall muß der Sozialhilfeträger die Kosten selbst tragen und kann sie auch dann nicht auf den Versicherungsträger abwälzen, wenn sie auf eine Zeit entfallen, für die dem Versicherten Ansprüche aus der Sozialversicherung zustehen (vgl. BSG 26, 102 = SozR Nr. 4 zu § 1244 a RVO).
Im vorliegenden Fall hat der beigeladene Sozialhilfeträger die Kosten für die Unterbringung des Sohnes der Versicherten Ute B. in einem Heim mit monatlich 240,- DM nach § 71 BSHG übernommen. Diese Regelung ist eine Erscheinungsform der Hilfe in besonderen Lebenslagen (Abschnitt 3 des BSHG), und zwar als Unterfall der in § 70 BSHG geregelten Hilfe zur Weiterführung des Haushalts. Die genannten Leistungen hat der Sozialhilfeträger offenbar als sogenannte "Aufzahlung" erbracht, denn er hat die Heimunterbringungskosten gezahlt, obgleich Frau B. ein Krankengeld von monatlich 550,- DM erhalten hatte. Er wäre um so mehr verpflichtet gewesen, die monatlichen Unterbringungskosten für den Sohn von Frau B. zu zahlen, wenn der Rentenversicherungsträger sofort die monatliche Rente von monatlich rund 340,- DM gewährt hätte. Das Sozialamt ist somit nicht anstelle eines - in erster Linie leistungspflichtigen - Versicherungsträgers tätig geworden, sondern hat mit seinen Zahlungen eine ihm selbst und nur ihm obliegende Leistungspflicht erfüllt. Ein Ersatzanspruch nach § 1531 RVO steht ihm deshalb nicht zu.
Da die Beigeladene keinen Ersatzanspruch nach § 1531 RVO i.V.m. § 77 AVG erworben hat, hat die beklagte BfA den streitigen Betrag von 39,- DM zu Unrecht an sie überwiesen. Dieser Betrag steht vielmehr nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO noch der Klägerin zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen