Leitsatz (amtlich)

Hat ein Sozialhilfeträger Leistungen (zB der Tuberkulosehilfe) nicht anstelle eines in erster Linie leistungspflichtigen Versicherungsträgers, sondern in Erfüllung einer nur ihm obliegenden Leistungspflicht erbracht, so steht ihm wegen seiner Aufwendungen kein Ersatzanspruch nach RVO § 1531 zu.

 

Normenkette

RVO § 1531 Fassung: 1931-06-05

 

Tenor

Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. Mai 1967 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die klagende Ersatzkasse eine Rentennachzahlung der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in voller Höhe für sich beanspruchen kann oder ob ein Teil davon dem beigeladenen Sozialhilfeträger (Landeshauptstadt M) zusteht.

Die klagende Ersatzkasse hat der Versicherten E F im Jahre 1964 wegen einer tuberkulösen Erkrankung vom 1. Januar bis zum 1. Oktober Krankengeld von täglich 14,28 DM gezahlt. Während der gleichen Zeit hat auch der beigeladene Sozialhilfeträger der Versicherten Leistungen gewährt (Tuberkulosehilfe in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt), und zwar bis zum 30. September 1964 insgesamt 479 DM als "Aufzahlungen" zum Krankengeld, danach volle wirtschaftliche Hilfe.

Später hat die BfA der Versicherten rückwirkend vom 1. Januar 1964 an eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von monatlich 233,10 DM bewilligt (Bescheid vom 23. November 1964). Von der auf die Zeit vom 2. Januar bis 1. Oktober 1964 entfallenden Rentennachzahlung hat sie 479 DM an den Beigeladenen zur Befriedigung eines von ihm erhobenen Ersatzanspruchs (§ 1531 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) überwiesen. Die Klägerin beansprucht nach § 183 Abs. 3 RVO auch diesen Teil der Rentennachzahlung für sich.

Das Sozialgericht (SG) hat ihrer Leistungsklage stattgegeben: Der Anspruch auf die Rentennachzahlung sei unbelastet von einer etwaigen Ersatzforderung des Beigeladener auf sie übergegangen. Anders als in einem früher vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fall (BSG 24, 16) hätte der Beigeladene seine Leistungen auch dann erbringen müssen, wenn statt des Krankengeldes ab 1. Januar 1964 sogleich Rente gezahlt worden wäre; er könne deshalb aus der Rentennachzahlung nicht vorrangig Ersatz fordern (Urteil vom 12. Mai 1967, in dem die Berufung zugelassen worden ist).

Die BfA hat hiergegen mit Einwilligung der übrigen Beteiligten Sprungrevision eingelegt. Sie rügt unter Hinweis auf BSG 24, 16 die Verletzung der §§ 183 Abs. 3, 1531 RVO durch das SG und macht u. a. geltend, es möge hier zwar zutreffen, daß der Beigeladene auch bei rechtzeitiger Bewilligung der Rente hätte leisten müssen. Es seien aber auch andere Fälle denkbar, in denen die Rente das Krankengeld soweit übersteige, daß bei einer früheren Bewilligung keine Hilfsbedürftigkeit vorgelegen hätte. Von der Höhe der Rente könne die Rangfolge der Ersatzansprüche nicht abhängen. Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 12. Mai 1967 insoweit aufzuheben, als sie verurteilt worden ist, an die Klägerin 479 DM zu zahlen, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision gegen das - ihrer Ansicht nach zutreffende - Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat u. a. vorgetragen, daß er seine Leistungen nur als Aufzahlungen zum Krankengeld bzw. zur Rente gewährt habe.

II

Die Sprungrevision der beklagten BfA ist zulässig (§§ 146, 150 Nr. 1, 161 SGG); sie ist aber nicht begründet. Das SG hat die BfA mit Recht verurteilt, der klagenden Ersatzkasse noch 479 DM aus der Rentennachzahlung an die Versicherte F zu zahlen.

Das SG hat offengelassen, ob der beigeladene Sozialhilfeträger wegen der von ihm erbrachten Tuberkulosehilfeleistungen überhaupt einen Ersatzanspruch nach § 1531 RVO in Verbindung mit § 77 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und § 53 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gegen die Beklagte erworben hat. Schon dies ist zu verneinen.

Wie der Senat in einem früheren Urteil (BSG 9, 112, 114) ausgeführt hat, beruht die Erstattungsregelung in §§ 1531 ff RVO auf der Erwägung, daß der Sozialhilfeträger, der einen hilfsbedürftigen Versicherten unterstützt, damit eine Leistungspflicht des zuständigen Versicherungsträgers erfüllt und deshalb von diesem Ersatz beanspruchen kann. Das Gesetz geht also davon aus, daß der Sozialhilfeträger anstelle des an sich leistungspflichtigen Versicherungsträgers gehandelt hat. Es genügt nicht, daß die Unterstützung durch den Sozialhilfeträger und die Leistungspflicht des Versicherungsträgers lediglich zeitlich zusammentreffen, die Sozialhilfe aber unabhängig von der Leistungspflicht des Versicherungsträgers gewährt wird. In einem solchen Falle - der Sozialhilfeträger macht Aufwendungen, zu denen der Versicherungsträger dem Versicherten gegenüber nicht verpflichtet ist - muß der Sozialhilfeträger die Kosten selbst tragen und kann sie auch dann nicht auf den Versicherungsträger abwälzen, wenn sie auf eine Zeit entfallen, für die dem Versicherten Ansprüche aus der Sozialversicherung zustehen (vgl. BSG 26, 102, wo dem Sozialhilfeträger ein Ersatzanspruch wegen der von ihm übernommenen Kosten der Zwangsasylierung eines Tuberkulosekranken versagt worden ist).

Im vorliegenden Fall hat der beigeladene Sozialhilfeträger der Versicherten Först seit dem 1. Januar 1964 zusätzlich zu den Krankengeldzahlungen der klagenden Ersatzkasse, die kalendertäglich 14,28 DM, monatlich also etwa 430 DM betrugen, bestimmte "Aufzahlungen" (anscheinend als Ernährungszulagen nach § 53 Abs. 2 Satz 2 BSHG) geleistet. Solche Aufzahlungen hätte der Beigeladene auch neben der Rente geleistet, wenn diese sogleich vom Tage ihres Beginns (1. Januar 1964) ausgezahlt worden wäre. Die Aufzahlungen wären dann wahrscheinlich sogar noch höher gewesen, weil die Rente (233,10 DM monatlich) erheblich niedriger als das von der Ersatzkasse gezahlte Krankengeld war. Der Beigeladene ist somit nicht anstelle eines - in erster Linie leistungspflichtigen - Versicherungsträgers tätig geworden, sondern hat mit den Aufzahlungen zum Krankengeld eine ihm selbst und nur ihm obliegende Leistungspflicht erfüllt. Ein Ersatzanspruch nach § 1531 RVO steht ihm deshalb nicht zu, so daß sich die Frage nicht erhebt, ob ein nach § 1531 RVO begründeter Ersatzanspruch eines Sozialhilfeträgers dem Anspruch einer Krankenkasse nach § 183 Abs. 3 RVO vorgeht (vgl. BSG 24, 16, wo entschieden worden ist, daß ein Ersatzanspruch aus § 1531 RVO durch eine Überleitung des Rentenanspruchs auf die Arbeitsverwaltung nach § 186 AVAVG nicht beeinträchtigt wird).

Da im vorliegenden Fall, wie ausgeführt, der beigeladene Sozialhilfeträger wegen der von ihm geleisteten "Aufzahlungen" zum Krankengeld keinen Ersatzanspruch nach § 1531 RVO erworben hat, hat die beklagte BfA den streitigen Betrag von 479 DM zu Unrecht an den Beigeladenen überwiesen. Dieser Betrag steht nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO noch der klagenden Ersatzkasse zu, wie das SG im Ergebnis zutreffend entschieden hat. Die Sprungrevision der Beklagten ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324338

BSGE, 66

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge