Orientierungssatz

Bei Teilnahme an einer beruflichen Umschulungsmaßnahme (hier: Ausbildung zum Krankenpfleger) endet der Anspruch des Teilnehmers auf Unterhaltsgeld mit dem Tag der Ablegung der Prüfung.

 

Normenkette

AFG § 44 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 47 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; BBiG § 14 Abs. 2; KrPflG § 13; AFuU § 6 Abs. 1 Fassung: 1969-12-28; KrPflG § 9 Abs. 1, § 14f

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 20. März 1974 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der im Jahr 1937 geborene Kläger begann, nachdem er vorher andere berufliche Tätigkeiten ausgeübt hatte - zuletzt war er mit einer Unterbrechung von drei Monaten fünf Jahre lang als Hilfsschlosser tätig -, am 1. April 1970 eine Umschulung zum Krankenpfleger an der staatlich anerkannten Krankenpflegeschule des M-hospitals in P. Im Umschulungsvertrag vom 12. Mai 1970 ist im § 2 u. a. vereinbart worden, daß das Umschulungsverhältnis voraussichtlich am 31. März 1973, spätestens mit Ablauf des Monats endet, in dem die Abschlußprüfung bestanden wird. Die Beklagte förderte die Ausbildung des Klägers als Umschulung und bewilligte ihm u. a. mit Bescheid vom 30. Juni 1970 Unterhaltsgeld (Uhg) "für die Dauer Ihrer Teilnahme an der Maßnahme ...". Das Uhg wurde im Bescheid vom 24. Februar 1971 für die Zeit vom 20. Februar 1971 bis zum 31. März 1973 bewilligt, seine Höhe aber danach noch mehrfach geändert.

Am 20. Februar 1973 legte der Kläger die Krankenpflegeprüfung mit Erfolg ab. Der Regierungspräsident in O erteilte ihm am 12. März 1973 mit Wirkung vom 1. April 1973 die Erlaubnis, die Krankenpflege unter der Berufsbezeichnung Krankenpfleger auszuüben. Ab 1. April 1973 wurde er beim M-hospital P, wo er nach Ablegung der Prüfung weiterhin als Auszubildender tätig gewesen war und bis 31. März 1973 Umschulungsvergütung erhalten hatte, als Krankenpfleger eingestellt.

Das Arbeitsamt L hob mit Bescheid vom 2. Mai 1973 die Entscheidung über die Bewilligung des Uhg mit Wirkung vom 1. März 1973 auf und forderte das für die Zeit danach dem Kläger bereits gezahlte Uhg in Höhe von 199,10 DM zurück. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe die Überzahlung grob fahrlässig verschuldet, denn er sei seiner Anzeigepflicht nicht unverzüglich nachgekommen. Außerdem sei die Leistung unter dem Vorbehalt der Rückforderung gewährt worden. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Bescheid vom 8. Juni 1973).

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 8. November 1973 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Berufung zugelassen. Mit der Berufung hat die Beklagte vorgebracht, der Kläger sei jedenfalls durch ein Schreiben des Arbeitsamtes, das er seinerseits spätestens am 13. März 1973 dem Maßnahmeträger vorgelegt habe, darüber unterrichtet worden, daß das Uhg nicht länger als bis zur Abschlußprüfung gezahlt werde. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung der Beklagten am 20. März 1974 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, nach § 47 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) solle die Umschulung gefördert werden, bis der Übergang zu einem anderen Beruf ermöglicht sei. Die zwingende Vorschrift des § 14 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) vom 14. August 1969 (BGBl I 1112) ergänze diese Regelung scheinbar abschließend dahin, daß das Berufsausbildungsverhältnis mit dem Ablauf der Ausbildungszeit oder mit Bestehen der Abschlußprüfung ende, wenn der Auszubildende vor Ablauf der Ausbildungszeit die Abschlußprüfung besteht. Indessen enthalte das Krankenpflegegesetz i. d. F. vom 20. September 1965 (BGBl I 1443) gegenüber dem BBiG eine spezialgesetzliche Regelung. Es setze nämlich für die Berufsausübung nicht lediglich die bestandene Abschlußprüfung voraus, sondern verlange vielmehr zur Ausübung des Krankenpflegeberufes eine Erlaubnis, die gemäß § 2 des Krankenpflegegesetzes nicht schon aufgrund der bestandenen Prüfung zu erteilen sei, sondern erst dann, wenn der Auszubildende zusätzlich nachweise, daß er an einem drei Jahre dauernden Unterricht von mindestens 1200 Unterrichtsstunden und an einem eine praktische Ausbildung umfassenden Krankenpflegelehrgang teilgenommen habe. Aus der Tätigkeit beim M-hospital P in der Zeit zwischen Abschlußprüfung und Wirksamkeit der Berufserlaubnis könne der Kläger lediglich die Ausbildungsvergütung beanspruchen, die er auch nur erhalten habe. Ein Auszubildender in einem nach dem BBiG zu beurteilenden Ausbildungsverhältnis hätte dagegen bei vorzeitiger Beendigung des Ausbildungsverhältnisses und Weiterbeschäftigung bereits vom Zeitpunkt nach Ablegung der Abschlußprüfung an Anspruch auf den Lohn für die qualifizierte Beschäftigung. Solange der auszubildende Umschüler aber den angestrebten Beruf nicht ausüben könne, sei das Maßnahmeziel des § 47 Abs. 1 AFG nicht erreicht.

Mit der - zugelassenen - Revision macht die Beklagte geltend, der Kläger habe mit der Abschlußprüfung am 20. Februar 1973 das Maßnahmeziel gemäß § 47 Abs. 1 AFG erreicht und könne darüber hinaus keine Uhg verlangen. Dies ergebe sich daraus, daß unter beruflichen Bildungsmaßnahmen i. S. des AFG nur Veranstaltungen in Unterrichtsform zu verstehen seien. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen Uhg-Anspruch und Unterrichtserteilung. Die Erteilung von Unterricht sei Voraussetzung für die Gewährung des Uhg. Unterricht sei die Vermittlung theoretischer Kenntnisse und die praktische Unterweisung durch Lehrkräfte. Nach Ablegung der Prüfung am 20. Februar 1973 könne aber im Fall des Klägers keine Unterrichtsveranstaltung in diesem Sinne mehr stattgefunden haben, wie sich insbesondere aus den Vorschriften der §§ 5 und 13 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Krankenschwestern, Krankenpfleger und Kinderkrankenschwestern vom 2. August 1966 (BGBl I 462) ergebe. Daran ändere auch die Bestimmung des Krankenpflegegesetzes nichts, nach der die Erlaubnis zur Ausübung des Krankenpflegeberufes erst nach Ablauf von drei Jahren erteilt werden darf. Aus dieser die Berufsausübung regelnden Bestimmung könne kein Anspruch auf Uhg hergeleitet werden.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Urteile die Klage in vollem Umfang abzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er macht geltend, nach dem Sinn des § 47 AFG solle der Umschüler Uhg erhalten, bis er seinen neuen Beruf ausüben könne. Die Ausbildung zum Krankenpfleger bestehe aus Unterricht und praktischer Tätigkeit. Es würde dem Gesetz zuwiderlaufen, wenn dabei die Förderung eingestellt werden könnte für Zeiten, in denen nur eine praktische Ausbildung stattfinde.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig; sie ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Zu Recht hat das LSG in der Sache entschieden, denn die nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossene Berufung (wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen) hatte das SG gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen.

Die Teilnahme des Klägers an dem Lehrgang in der Krankenpflege stellt für ihn eine berufliche Umschulung i. S. des § 47 AFG dar. Allerdings hat der Kläger vor dem Beginn der Umschulung keinen förmlichen Abschluß in einem anderen Beruf besessen. Die Teilnahme an dem Krankenpflegelehrgang ist für ihn gleichwohl keine berufliche Ausbildung i. S. des § 40 AFG gewesen. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. Urteil vom 30. September 1975 - 7 RAr 96/73 -), ist das Vorliegen eines förmlichen Abschlusses in einem anderen Beruf kein für die Abgrenzung von Ausbildung einerseits und Umschulung andererseits wesentliches Merkmal. Nach dem Grundgedanken des Gesetzes kommt eine Ausbildungsförderung nach § 40 AFG grundsätzlich nicht mehr in Betracht, wenn der Bildungswillige vor Eintritt in die Maßnahme in einer bestimmten Berufsrichtung bereits einen Status erlangt hat, der ihn zur verantwortlichen Ausübung des gewählten Berufs befähigt. Die Bundesanstalt hat die Förderung der Umschulung in der Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 der hier noch anzuwendenden Anordnung ihres Verwaltungsrates über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) vom 18. Dezember 1969 (ANBA 1970, S. 85) - wie auch in § 7 Abs. 2 der späteren Anordnungen - davon abhängig gemacht, daß der Antragsteller zuvor mehr als drei Jahre berufstätig gewesen ist. Dazu hat der Senat ausgeführt: Da sich aus § 47 Abs. 1 AFG allein noch keine Abgrenzung zwischen beruflicher Umschulung und beruflicher Ausbildung ergebe, sei es notwendig gewesen, in der nach § 39 AFG erlassenen AFuU eine Regelung zu schaffen, die die Funktion habe, die Umschulung von der Ausbildung abzugrenzen. Die in § 3 Abs. 2 Satz 2 AFuU 1969 als Voraussetzung für die Förderung einer Umschulung geforderte mindestens dreijährige vorangegangene berufliche Tätigkeit erfülle diese Abgrenzungsfunktion und halte sich im Rahmen des § 39 AFG (BSG SozR § 47 AFG Nr. 2).

Der Kläger hatte vor Eintritt in den Krankenpflegelehrgang u. a. den Beruf des Hilfsschlossers in einem Zeitraum von etwa fünf Jahren ausgeübt. Er ist deshalb mit der erforderlichen Dauer in einer anderen beruflichen Tätigkeit verantwortlich beschäftigt gewesen, so daß sich die Teilnahme an dem Krankenpflegelehrgang für ihn als Umschulung darstellt. Die übrigen Voraussetzungen für die Förderung der beruflichen Umschulung sind unbestritten.

Der Anspruch des Klägers auf Uhg hat aber mit dem Tag der Ablegung der Prüfung am 20. Februar 1973 geendet. In der Zeit zwischen dem 20. Februar 1973 und dem 31. März 1973 ist er nicht mehr Teilnehmer an einer Maßnahme zur beruflichen Umschulung mit ganztätigem oder berufsbegleitendem Unterricht i. S. der §§ 47, 44 AFG gewesen. Zumindest war eine Fortsetzung der Umschulungsmaßnahme über den 20. Februar 1973 hinaus nicht mehr notwendig (§ 6 Abs. 1 Satz 1 AFuU 1969).

Das LSG hat insoweit nur festgestellt, daß der Kläger als Auszubildender tätig gewesen ist und Ausbildungsvergütung bezogen hat. Möglicherweise ist er noch theoretisch oder durch praktische Unterweisung von Lehrkräften unterrichtet worden. Dies kann aber dahingestellt bleiben. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AFuU 1969 muß die Dauer einer Maßnahme dem Zeitraum entsprechen, der notwendig ist, um das Ziel der Umschulung zu erreichen. Daraus ist zu entnehmen, daß Umschulungsmaßnahmen nur während ihrer notwendigen Dauer gefördert werden. Eine Fortsetzung der Umschulung des Klägers zum Krankenpfleger über den 20. Februar 1973 hinaus war indessen nicht notwendig:

Nach den Bestimmungen des Krankenpflegegesetzes i. d. F. vom 20. September 1965 dauert allerdings der Lehrgang in der Krankenpflege drei Jahre. Dem Urteil des LSG kann die Meinung entnommen werden, daß der Lehrgang, an dem der Kläger teilgenommen hat, demgemäß erst am 31. März 1973 geendet habe. Darin kann der Senat dem LSG nicht folgen. Das Krankenpflegegesetz hat die Zeit von drei Jahren nicht als Mindestdauer vorgeschrieben. Dagegen spricht schon die Regelung des § 14 Abs. 2 Krankenpflegegesetz, wonach auf die Dauer des Lehrgangs Unterbrechungen durch Ferien bis zu vier Wochen und wegen Erkrankung oder Schwangerschaft bis zur Gesamtdauer von vier Wochen angerechnet werden. Gemäß § 13 Krankenpflegegesetz ist die erfolgreiche Teilnahme an dem Lehrgang durch eine Prüfung vor staatlichen Prüfungsausschüssen nachzuweisen. Eine ordnungsgemäße Prüfung ist danach erst nach Abschluß des Lehrgangs möglich. Wenn der staatliche Prüfungsausschuß im Fall des Klägers die Prüfung abgenommen hat, muß er davon ausgegangen sein, daß der Lehrgang bereits abgeschlossen war. Nach der Prüfung hätte eine Fortsetzung des Lehrgangs keinen Sinn mehr, denn die erfolgreiche Teilnahme am Lehrgang ist mit der Prüfung bereits nachgewiesen.

Über den 20. Februar 1973 hinaus kann der Kläger auch nicht aus sonstigen Gründen als Teilnehmer an einer Maßnahme zur beruflichen Fortbildung mit ganztätigem oder berufsbegleitendem Unterricht angesehen werden. Der Senat hat allerdings ausgesprochen, daß der Beginn der Teilnahme an einer Maßnahme als der maßgebliche Zeitpunkt für den Beginn des Anspruchs auf Uhg bereits angenommen werden kann, wenn noch keine Unterrichtsveranstaltungen stattfinden. Das Fehlen von Unterrichtserteilung am Beginn einer Maßnahme hat er jedoch nur dann für unschädlich i. S. des Beginns des Anspruchs auf Uhg angesehen, wenn dafür sachgerechte Gründe vorliegen (Urt. vom 17. Dezember 1975 - 7 RAr 39/74 -). Das war in jenem Fall deswegen zu bejahen, weil der Träger der Maßnahme an staatlich festgesetzte Ferienzeiten gebunden war, und die Festsetzung des Maßnahmebeginns durch ihn auf sachgerechten Erwägungen beruhte. Für eine Fortsetzung des Lehrgangs am Marienhospital in Papenburg über den 20. Februar 1973 hinaus haben aber keine derartigen sachgerechten Gründe vorgelegen. Daran ändert es auch nichts, wenn nach den Vereinbarungen des Klägers mit dem Marienhospital sein Ausbildungsverhältnis in dieser Zeit fortgesetzt wurde. Eine solche vertragliche Vereinbarung kann jedenfalls nicht die Förderungspflicht der Beklagten begründen. Insoweit ist auf die Regelung in § 14 Abs. 2 BBiG zu verweisen. Danach endet das Berufsausbildungsverhältnis mit Bestehen der Abschlußprüfung, wenn der Auszubildende vor Ablauf der Ausbildungszeit die Abschlußprüfung besteht. Hierin kommt der allgemeine Rechtsgedanke zum Ausdruck, daß ein Ausbildungsverhältnis nicht fortbestehen kann, welches durch Bestehen der Abschlußprüfung nicht nur formell, sondern auch tatsächlich seinen Abschluß gefunden hat. Es kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob die Regelung des § 14 Abs. 2 BBiG durch die Vorschrift des § 107 Abs. 1 dieses Gesetzes für die Berufsbildung in Heil- und Heilhilfsberufen keine Anwendung findet; denn die Vorschriften des Krankenpflegegesetzes stehen dieser Regelung nicht entgegen. Wie oben dargelegt, endet der Krankenpflegelehrgang vielmehr mit der ordnungsgemäßen Prüfung.

Aus diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig, soweit sie die Entziehung des Uhg betreffen. Das LSG hatte von seinem Standpunkt aus keinen Anlaß, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Rückforderung festzustellen. Deshalb war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, damit diese Feststellungen noch nachgeholt werden können.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650164

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