Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluß des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Oktober 1995 aufgehoben, soweit der Kläger einen höheren Grad der Behinderung geltend macht.
Insoweit wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Bei dem Kläger sind nach dem Schwerbehindertengesetz ein Grad der Behinderung (GdB) von 70 und die gesundheitlichen Voraussetzungen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen „G”) festgestellt (Bescheid vom 1. September 1992; Widerspruchsbescheid vom 6. April 1994).
Mit der dagegen gerichteten Klage hat der Kläger in erster Linie verlangt, die gesundheitlichen Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen „aG”) festzustellen. Das Sozialgericht (SG) hat diese Klage abgewiesen (Urteil vom 8. März 1995). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und dabei unter Hinweis auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils auch entschieden, daß dem Kläger – anders als von ihm im Berufungsverfahren ausdrücklich beantragt – kein höherer GdB als 70 zustehe (Beschluß vom 9. Oktober 1995).
Mit seiner – vom Senat zugelassenen – Revision rügt der Kläger ua, das LSG habe seine Entscheidung zur GdB-Höhe verfahrensfehlerhaft nicht begründet. Es habe gegen § 136 Abs 1 Nr 6 bzw § 142 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verstoßen, weil es im angegriffenen Beschluß statt einer eigenen Begründung gemäß § 153 Abs 2 SGG auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe verwiesen habe. Das SG-Urteil habe über die GdB-Höhe aber nicht entschieden und enthalte deshalb auch keine Begründung zur Einschätzung des GdB mit lediglich 70.
Der Kläger beantragt,
den Beschluß des Sächsischen Landessozialgerichts vom 9. Oktober 1995 insoweit aufzuheben, als das Gericht hinsichtlich des Antrages des Klägers auf Zuerkennung eines Grades der Behinderung von mehr als 70 die Klage abgewiesen hat und insoweit den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, weil sich der Beschluß des LSG – soweit er angefochten ist – sachlich nicht überprüfen läßt. Denn dem Beschluß läßt sich nicht entnehmen, mit welcher konkreten Begründung das LSG einen höheren GdB als 70 verneint hat.
In dem Begründungsmangel liegt allerdings kein Verstoß gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG. Nach dieser Vorschrift enthält das Urteil die Entscheidungsgründe. Die Regelung bezieht sich mithin zunächst nur auf den Inhalt von Urteilen, nicht aber von Beschlüssen. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 142 Abs 1 SGG gilt § 136 SGG ausschließlich für Beschlüsse entsprechend, die nach mündlicher Verhandlung ergehen, also gerade nicht für solche nach § 153 Abs 4 SGG (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 30. Oktober 1997 – 13 RJ 31/97 –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; aA offenbar Bernsdorff in Hennig, SGG, Stand 1996, § 153 Rz 70). Die letztgenannte Vorschrift selbst enthält – anders als § 105 Abs 1 Satz 3 SGG für Gerichtsbescheide – ebenfalls keine besondere Bestimmung, welche eine entsprechende Anwendung des § 136 SGG vorsieht.
Einschlägig ist vielmehr § 142 Abs 2 SGG (BSG, aaO; ebenso Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 153 Rz 22; vgl auch Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ Buchholz 310 § 138 Ziff 6 Nr 15 ≪§ 122 Abs 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung≫). Danach sind Beschlüsse zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über ein Rechtsmittel entscheiden. Dies ist bei Beschlüssen nach § 153 Abs 4 SGG beides der Fall. Zum einen können diese Beschlüsse gemäß § 153 Abs 4 Satz 3 iVm § 158 Satz 3 SGG wie ein Berufungsurteil, also – ggf über eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde – mit der Revision (vgl § 160 Abs 1 SGG), angefochten werden, zum anderen entscheiden sie über die Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil.
Aus dem somit für Beschlüsse nach § 153 Abs 4 SGG geltenden Begründungserfordernis ergibt sich, daß die Beschlußgründe erkennen lassen müssen, welche Überlegungen für die richterliche Überzeugungsbildung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgeblich gewesen sind (vgl BVerwG Buchholz 310 § 338 Ziff 6 Nr 15). Diesen Anforderungen genügt der Beschluß des LSG vom 9. Oktober 1995 nicht. Der Beschluß selbst verzichtet auf eine Begründung, indem dort lediglich ausgeführt wird:
„Die nachgewiesenen und in ihrem Bestehen nicht näher streitigen Funktionsbeeinträchtigungen bedingen keine höhere GdB-Bemessung. Hinsichtlich der Bewertung der beim Kläger vorliegenden Behinderungen folgt der Senat den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird insoweit abgesehen (§ 153 Abs 2 SGG).”
Unabhängig davon, ob die vom LSG genannte Vorschrift im Rahmen des § 153 Abs 4 Satz 1 SGG entsprechend anzuwenden ist (vgl dazu Meyer-Ladewig, aaO, § 153 Rz 22; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Stand 1996, § 153 SGG Rz 54), führt der Verweis hier jedenfalls ins Leere. Das SG hat nur die Einzelgrade der Behinderung für einen Teil der beim Kläger vorliegenden Funktionsstörungen (nicht für die Verschleißerscheinung im rechten Schultergelenk) erörtert. Es hat nicht kontrolliert, ob der Beklagte den Gesamt-GdB (vgl zum Sprachgebrauch Urteil des Senats vom 10. September 1997 – 9 RVs 15/96 –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) zutreffend mit nur 70 eingeschätzt hat.
Da der Kläger das Fehlen ausreichender Beschlußgründe ordnungsgemäß gerügt hat, kommt es nicht darauf an, ob dieser Mangel nach § 559 Abs 2 Zivilprozeßordnung (ZPO), der gemäß § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend gilt, bereits von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Der nicht mit hinlänglichen Gründen versehene Beschluß ist auch als auf der Verletzung des Gesetzes (vgl § 162 SGG) beruhend anzusehen (vgl § 202 SGG iVm § 551 Nr 7 ZPO). Demnach ist die Entscheidung des LSG – soweit sie angefochten ist – gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen