Leitsatz (amtlich)
Hat das Sozialgericht den Versorgungsanspruch wegen Fristversäumnis abgelehnt und wird kein Ausnahmefall des BVG § 57 geltend gemacht, so kann das Urteil mit der Berufung nicht angefochten werden, auch wenn unter den Beteiligten der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes streitig ist.
Normenkette
SGG § 148 Nr. 1 Fassung: 1958-06-25, § 150 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; BVG § 57 Fassung: 1955-01-19
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 16. Juli 1954 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Nach Verwundung im ersten Weltkrieg war bei dem Kläger "Schußbruch des rechten Unterarms mit Aufhebung der Drehfähigkeit, Bewegungsbeschränkung der Finger, besonders des Daumens, und Herabsetzung der rohen Kraft der rechten Hand auf die Hälfte infolge Verwundung durch Gewehrgeschoß" als Dienstbeschädigungsfolge nach dem Reichsversorgungsgesetz (RVG) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 40 v.H. anerkannt worden. 1933 machte der Kläger als weitere Dienstbeschädigung ein Augenleiden geltend. Bei einem 1929 gestellten Rentenerhöhungsantrag wegen Verschlimmerung der anerkannten Leiden war das Augenleiden nicht erwähnt worden. Der Antrag wurde am 27. Juli 1933 abgelehnt, weil ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Militärdienst nicht bestehe; das Versorgungsamt bezog sich dabei auf die Musterungsunterlagen, die bereits 1914 ergeben hatten, daß die Sehkraft geschwächt sei.
1950 beantragte der Kläger beim Magistrat von Groß-Berlin Versorgung nach dem Berliner Gesetz über die Versorgung von Kriegsund Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen vom 24. Juli 1950 (KVG) wegen des früher anerkannten Körperschadens und nahezu vollständiger Erblindung des rechten Auges. Mit Bescheid vom 7. Dezember 1950 erkannte der Magistrat von Groß-Berlin den früher anerkannten Körperschaden auch als Schädigungsfolge nach dem KVG an. Das Augenleiden lehnte er als Schädigungsfolge ab, da nach § 37 Abs. 5 Buchst. a KVG Ansprüche aus Gesundheitsschäden, die während einer vor dem 1. September 1939 liegenden Dienstleistung eingetreten sind, nur geltend gemacht werden könnten, wenn sie nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften bereits als Leistungsgrund anerkannt worden seien; das Augenleiden sei schon mit Bescheid vom 27. Juli 1933 rechtskräftig abgelehnt worden. Der Bescheid vom 7. Dezember 1950 ist nicht angefochten worden.
Im Umanerkennungsbescheid nach dem BVG vom 5. November 1951 hat das Versorgungsamt die bisher anerkannten Schädigungsfolgen mit der gleichen MdE. übernommen und erklärt, daß es bezüglich des Augenleidens bei der Ablehnung, wie im Bescheid vom 7. Dezember 1950 angegeben, verbleiben müsse. Das Landesversorgungsamt Berlin wies den Einspruch des Klägers gegen die Ablehnung des Augenleidens unter Bezugnahme auf § 37 Abs. 5 KVG, § 57 Abs. 2 BVG in Verbindung mit der rechtskräftigen Ablehnung von 1933 zurück.
Mit Urteil vom 10. November 1953 hat das Versorgungsgericht Berlin die Klage auf Anerkennung des Augenleidens als Versorgungsleiden und Gewährung einer Versorgungsrente abgewiesen. Der Anerkennung des Augenleidens stünden zunächst schon die Ausschlußfristen des § 37 Abs. 5 des KVG und des § 57 Abs. 2 des BVG entgegen; es handele sich insoweit um eine Gesundheitsschädigung aus dem ersten Weltkrieg, die nicht bereits nach früheren versorgungsrechtlichen Bestimmungen anerkannt gewesen sei und auch nicht mit den anerkannten Leiden in Zusammenhang gebracht werden könne. Abgesehen davon sei auch ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Wehrdienst nicht wahrscheinlich und die Ablehnung daher sachlich gerechtfertigt. Das Urteil enthält den Hinweis, daß dagegen nach § 41 Abs. 3 KVG Berufung eingelegt werden könne.
Das Landessozialgericht (LSG.) Berlin, auf das die Berufung des Klägers gemäß § 218 Abs. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) übergegangen ist, hat mit Urteil vom 16. Juli 1954 die Berufung als unzulässig verworfen. Der Zeitpunkt der Berufungseinlegung (16. Januar 1954) sei maßgebend dafür, ob Berufung gegen das Urteil des Versorgungsgerichts zulässig sei. Die Zulässigkeit richte sich daher nach §§ 143 ff. SGG. Nach § 148 Nr. 1 SGG sei die Berufung jedoch ausgeschlossen, da der Antrag des Klägers wegen Fristversäumnis abgelehnt wurde. Die Rechtsmittelbelehrung nach dem KVG enthalte keine Zulassung der Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG. Revision wurde zugelassen.
Der Kläger hat mit der Revision beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidungen seine Berufung gegen das Urteil des Versorgungsgerichts vom 10. November 1953 für zulässig zu erklären und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen. Die Zulässigkeit der Berufung müsse nach dem Verfahrensrecht beurteilt werden, das z.Zt. der Einlegung des Rechtsmittels Geltung habe. Die Rechtsmittelbelehrung durch das Versorgungsgericht sei als Zulassung der Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG anzusehen. Der Beklagte hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist infolge Zulassung durch das LSG. gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Dabei ist unbeachtlich, ob die Rechtsfrage, wegen der die Zulassung erfolgte, noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts von grundsätzlicher Bedeutung ist. Die Rechtsfrage wurde bereits vom Bundessozialgericht, u.a. vom erkennenden Senat, entschieden (BSG. 1, 208). Danach ist die Zulässigkeit der Berufung gegen ein nach früherem Recht ergangenes Urteil nach altem und nach neuem Recht zu prüfen.
Nach altem Recht, d.h. nach dem KVG, war die Berufung gemäß § 41 Abs. 3 KVG allgemein möglich. Eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung wie in § 150 Nr. 1 SGG war im KVG nur in den in § 45 Abs. 2 genannten Fällen möglich, in denen das Versorgungsgericht endgültig entschied. Der, wenn auch an ungewöhnlicher Stelle hinter dem Urteilstenor stehende Vermerk über die Zulässigkeit der Berufung ist daher als Rechtsmittelbelehrung anzusehen, nicht als Zulassungsausspruch, der nach damaligem Verfahrensrecht in einem Fall wie dem vorliegenden gar nicht erforderlich war.
Nach neuem Recht ist die Berufung dagegen nicht zulässig. Die Rechtsauffassung des LSG., daß die Berufung gemäß § 148 Nr. 1 SGG ausgeschlossen sei, ist nicht zu beanstanden.
Zwischen den Beteiligten besteht zwar Streit über den ursächlichen Zusammenhang des Augenleidens mit dem Wehrdienst, was nach § 150 Nr. 3 SGG die Berufung zulässig machen könnte. Diese Vorschrift kann jedoch nur zur Anwendung kommen, wenn die Berufung nicht durch § 148 Nr. 1 SGG ausgeschlossen ist. Denn sonst würden über den Umweg des § 150 Nr. 3 SGG auch Berufungen, die lediglich die formale Leistungsvoraussetzung der rechtzeitigen Antragstellung betreffen, zulässig werden, was keineswegs dem Willen des Gesetzgebers entsprechen kann. Vielmehr ist das Verhältnis von § 150 Nr. 3 zu § 148 Nr. 1 SGG so aufzufassen, daß § 150 Nr. 3 SGG nur solche Streitfälle erfassen will und kann, bei denen neben der Kausalität die formale Voraussetzung des rechtzeitigen Antrags nicht streitig ist. Ob dies der Fall ist, richtet sich bei § 150 Nr. 3 SGG nach dem Inhalt des Urteils des Sozialgerichts (BSG. 3 S. 271). Das Urteil des Versorgungsgerichts hat aber die Klage wegen Versäumung der Ausschlußfristen abgewiesen. Wenn es daneben auf die Frage der Kausalität eingegangen ist, so ist das eine zusätzliche Erwägung, die das Urteil nicht trägt.
Die Berufung ist nach § 148 Nr. 1 SGG nicht zulässig wenn das Urteil einen Antrag betrifft, der wegen Fristversäumnis abgelehnt worden ist. Das ist hier hinsichtlich des Antrags des Klägers auf Versorgung wegen des Augenleidens der Fall. Der Kläger, der bereits 1933 verspätet (Art. 2 der VO des Reichspräsidenten v. 26.7.30, vierter Abschnitt, dritter Titel, Reichsversorgung - RGBl., I S. 311 [327]) ein Augenleiden als Wehrdienstfolge vergeblich geltend machte, hat 1950 diesen Antrag wiederholt. Der Antrag ist im Bescheid vom 7. Dezember 1950 unter Bezugnahme auf § 37 KVG abgelehnt worden, d.h. nach einer Bestimmung, die eine Frist vorschrieb, die nur in Ausnahmefällen nicht gewahrt zu werden brauchte (Abs. 5 a.a.O.). Dieser Bescheid ist rechtskräftig geworden.
Der Umanerkennungsbescheid nach dem BVG erwähnt zwar nicht ausdrücklich die §§ 56 und 57 des BVG, er verweist aber hinsichtlich des Augenleidens auf die Ablehnung im Bescheid vom 7. Dezember 1950. Auch nach dem BVG ist die Anerkennung eines Augenleidens wegen Fristversäumnis abgelehnt worden. Denn in der Einspruchsentscheidung des Landesversorgungsamts vom 27. Januar 1953, die in entsprechender Anwendung des § 95 SGG den Gegenstand der Klage bildet, wird unter ausdrücklichem Hinweis auf § 37 Abs. 5 KVG und § 57 Abs. 2 BVG ausgeführt, daß Schädigungen, die vor dem 1. September 1939 eingetreten seien, nur noch geltend gemacht werden können, wenn sie nach früheren versorgungsrechtlichen Bestimmungen anerkannt gewesen sind oder mit anerkannten Gesundheitsstörungen im ursächlichen Zusammenhang stehen.
Auch das Urteil des Versorgungsgerichts stellt die Abweisung der Klage grundlegend auf die Fristbestimmungen ab. Die Berufung wäre daher nur zulässig gewesen, wenn ein Ausnahmefall des § 57 BVG geltend gemacht würde. Dies hat der Vorderrichter ohne Rechtsirrtum verneint. Nach § 57 Abs. 2 BVG können Versorgungsansprüche, die auf eine Schädigung während einer vor dem 1. September 1939 beendeten Dienstleistung gestützt werden, nur noch geltend gemacht werden, wenn es sich um Gesundheitsstörungen handelt, die auf einen vor Inkrafttreten des BVG gestellten Antrag als Folge einer Schädigung anerkennt worden sind oder mit einer anerkannten Gesundheitsstörung im ursächlichen Zusammenhang stehen. Unstreitig ist die Dienstleistung des Klägers vor dem 1. September 1939 beendet gewesen. Ebenso steht fest, daß das Augenleiden vor Inkrafttreten des BVG nicht als Schädigungsfolge anerkannt wurde und schließlich ist offensichtlich - und auch nicht behauptet worden -, daß das Augenleiden mit den als Versorgungsschaden anerkannten Arm- und Fingerverletzungen nicht ursächlich zusammenhängt.
Da somit ein Ausnahmefall nach § 57 Abs. 2 BVG nicht geltend gemacht wird, war die Berufung gemäß § 148 Nr. 1 BVG ausgeschlossen. Mit Recht hat sie daher das LSG. als unzulässig verworfen.
Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen