Leitsatz (amtlich)
Die Vergleichsberechnung gemäß ArVNG Art 2 § 42 steht, wenn mehrere Berechtigte nach RVO §§ 1264, 1265 Anspruch auf Hinterbliebenenrenten haben, der Witwe des Versicherten zu, falls die nach Art 2 § 42 aaO berechnete Rente für sie günstiger ist als der ihr nach RVO § 1268 Abs 4 als Witwenrente zu zahlende Teil der nach Abs 1 bis 3 aaO berechneten Rente. 2. Werden nach § 1268 Abs 4 RVO an mehrere Berechtigte Renten gezahlt, so handelt es sich dabei um voneinander unabhängige selbständige Renten; Abs 4 regelt insoweit nur die Höhe dieser Renten.
Normenkette
RVO § 1264 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 21 Fassung: 1957-02-23, § 42 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1268 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 4 Fassung: 1957-02-23, § 1265 Fassung: 1957-02-23, § 1268 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, Abs. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Mai 1961 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Witwenrente nach § 1268 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in einem Fall, in dem neben der Witwe (Klägerin) auch noch die geschiedene Ehefrau des am 23. September 1957 verstorbenen Versicherten rentenberechtigt ist. Die Beklagte hatte durch Bescheid vom 15. Februar 1958 zunächst der 1894 geborenen Klägerin, die seit dem 18. Dezember 1943 mit den Versicherten verheiratet gewesen war, vom 1. Oktober 1957 an eine Witwenrente bewilligt, die ab 1. Januar 1958 monatlich 111,40 DM und ab 1. Januar 1959 monatlich 118,20 DM betrug.
Durch Bescheid vom 20. Juni 1959 bewilligte die Beklagte auch der Beigeladenen, der geschiedenen Ehefrau des Versicherten, die mit ihm vom 14. März 1915 bis zum 3. Februar 1943 verheiratet gewesen war, vom 1. Februar 1958 an (Antrag: 21.2.58) eine Hinterbliebenenrente, die sie zunächst auf 74,60 DM und vom 1. Januar 1959 an auf 79,10 DM festsetzte; gleichzeitig ermäßigte die Beklagte durch einen Änderungsbescheid vom 16. Juni 1959 die der Klägerin gewährte Rente vom 1. August 1959 an auf monatlich 39,10 DM. Die Aufteilung des vorher der Klägerin allein zuerkannten Gesamtbetrags von 118,20 DM nahm die Beklagte dabei im Verhältnis 166: 336 (jeweilige Dauer beider Ehen in Monaten) vor.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin den vollen Rentenbetrag. Die Beigeladene habe tatsächlich nur drei Jahre mit ihrem Ehemann zusammengelebt. Schon im April 1918 sei die Trennung der Eheleute erfolgt. Einer Scheidung habe sich die Beigeladene jedoch widersetzt, so daß diese erst 1943 habe erfolgen können. Sie selbst - die Klägerin - habe jedoch schon lange vor ihrer Eheschließung, insgesamt 38 Jahre, mit ihrem Ehemann in häuslicher Gemeinschaft gelebt.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage am 11. März 1960 ab. Es hielt die Rechtsauffassung der Beklagten für zutreffend; maßgeblich sei nach gesetzlicher Vorschrift allein die jeweilige Dauer beider Ehen, nicht jedoch die sonstigen persönlichen Verhältnisse der Eheleute.
Mit ihrer Berufung begehrte die Klägerin nunmehr die Berechnung ihrer Witwenrente nach Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG).
Nach einer von der Beklagten dem LSG eingereichten Berechnung hätte die Klägerin nach altem Recht unter Berücksichtigung der dort vorgesehenen Kürzungen und unter Erhöhung nach dem Berliner Rentenzulagengesetz und Hinzurechnung des Sonderzuschusses eine Rente von 82,20 DM erhalten. In dem Verhandlungstermin vor dem LSG hat die Beklagte verbindlich erklärt, falls eine Verurteilung zu einer Leistung in der genannten Höhe erfolge, werde sie die Rente der Klägerin ohne besonderes Urteil unter Anwendung der inzwischen ergangenen Rentenangleichungsvorschriften um den noch nicht feststehenden gesetzlich vorgeschriebenen Betrag erhöhen.
Das Landessozialgericht (LSG) änderte durch Urteil vom 12. Mai 1961 unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils den angefochtenen Bescheid dahin ab, daß der Klägerin eine Witwenrente von 82,20 DM zu zahlen und die außergerichtlichen Kosten der Berufungsinstanz zu erstatten seien; es ließ die Revision gegen sein Urteil zu.
Das LSG führt in seinem Urteil aus: Da der Versicherte im September 1957 verstorben sei, hätte die Beklagte die Rente nach § 1268 Abs. 4 RVO neu festgestellt; dazu sei sie jedoch nicht berechtigt gewesen. Der Klägerin stehe vielmehr als Berechtigter im Sinne des Art. 2 § 42 ArVNG die dort vorgesehene günstigere Rentenberechnung zu, da die Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1957 für ihren verstorbenen Ehemann entrichteten Beiträgen in jenem Zeitpunkt erhalten gewesen sei (der Versicherte habe bereits seit 1951 Altersinvalidenrente bezogen) und der Ehemann auch bereits im Jahre 1957 verstorben sei.
§ 42 aaO gehe als Sonderregelung dem Art. 2 § 21 ArVNG vor, der die Anwendung der neuen Teilungsregelung (1268 Abs. 4 RVO) vorsehe, falls der Tod des Versicherten nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten sei (RVO Gesamtkomm., Anm. 3 zu § 21 ArVNG, Anm. 2 a zu § 42 aaO; Dembowski in "Soziale Sicherheit" 1959, 113 Nr. II Abs. 3; Jantz-Zweng, Anm. II Abs. 2 letzter Satz Art. 2 § 42); auch aus den Motiven sei nichts Gegenteiliges zu entnehmen (Richter, Sozialreform F XII S. 330 zu § 41 des damaligen Entwurfs).
Die Beklagte hat am 14. Juli 1961 unter Antragstellung Revision gegen das ihr am 21. Juni 1961 zugestellte Urteil eingelegt und diese Revision am 16. August 1961 begründet.
Entgegen der Auffassung des LSG sei § 21 aaO im Verhältnis zu § 42 aaO als "lex specialis" anzusehen. Beide Vorschriften seien Übergangsvorschriften. Da im § 42 die Anwendung des § 21 für Übergangsfälle nicht ausgeschlossen sei, müsse die durch jene Bestimmung geschaffene Einschränkung der Anwendung der §§ 1272 Abs. 4 und 1273 RVO aF auch bei den in Frage kommenden Übergangsfällen Platz greifen, so daß § 1268 Abs. 4 RVO nF voll anzuwenden sei. Bei neuen Versicherungsfällen sei eine doppelte Begünstigung der nach den §§ 1264, 1265 RVO Anspruchsberechtigten nicht beabsichtigt; ungeachtet der Berechnungsart sollte diese Rente insgesamt nicht höher sein als die einer Anspruchsberechtigten allein zustehende Rente.
Die Beklagte weist schließlich noch darauf hin, daß die Ausgangswitwenrente im vorliegenden Fall nach Art. 3 § 6 ArVNG zu berechnen gewesen sei; dies ergebe allerdings denselben Betrag wie die andere Berechnungsart.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt demgegenüber Zurückweisung der Revision. Daß § 42 aaO dem § 21 aaO gegenüber die speziellere Norm sei, ergebe sich bereits aus ihrer Stellung im Gesetz (§ 21 im Unterabschnitt A, Allgemeine Vorschriften - § 42 in C, Übergangsregelung für Berechnung der Renten). § 21 sei auch schon deshalb keine Übergangsvorschrift im eigentlichen Sinne, weil er nur den Zeitpunkt für die Anwendung der neuen Vorschriften festsetze, ohne - wie § 42 - für eine bestimmte zukünftige Zeit eine besondere Übergangsvergütung zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden; sie ist vom LSG zugelassen und daher statthaft.
Die Revision ist nicht begründet.
Da der Versicherungsfall erst im Jahre 1957 eingetreten ist, ist grundsätzlich das neue Recht anzuwenden. Dementsprechend ist die Beklagte an sich verfahren: Sie hat der Klägerin, mit dem Ablauf des Sterbemonats ihres Ehemannes beginnend (§ 1290 Abs. 1 Satz 2 RVO), die Witwenrente in der nach § 1268 Abs. 2 RVO errechneten Höhe - für die ersten drei Monate anstelle deren noch die Versichertenrente selbst - gewährt; sie hat der Beigeladenen die Rente nach § 1265 vom Beginn des Antragsmonats (Februar 1958) - berechnet über § 1268 Abs. 2 und die Aufteilungsbestimmung des § 1268 Abs. 4 - gezahlt, und sie hat schließlich die der Klägerin gewährte Rente, da der die Beigeladene berücksichtigende Änderungsbescheid erst im Juli 1959 erging, vom August 1959 an auf 39,10 DM ermäßigt (Abs. 4 aaO). Soweit es sich um die Berechnung und den Beginn der gewährten Renten nach neuem Recht handelt, werden die ergangenen Bescheide mit der Revision nicht angegriffen und sind auch nicht zu beanstanden.
Streit besteht allein darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf die Gewährung der Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 42 ArVNG hat, die für sie, seitdem ihre Rente durch die Anwendung des § 1268 Abs. 4 herabgesetzt wurde, erheblich günstiger ist.
Im § 42 aaO ist mit dem Ausdruck "Berechtigter" bewußt die Günstigerstellung auch auf die sonstigen Rentenberechtigten neben dem Versicherten selbst ausgedehnt, also insbesondere auch auf seine Hinterbliebenen. Da der Versicherungsfall, der Tod des Versicherten, im Jahre 1957 eingetreten ist und die Anwartschaft des Versicherten am 31. Dezember 1956 erhalten war (er bezog damals bereits Rente), sind auch die übrigen Erfordernisse, die § 42 aaO aufstellt, erfüllt. Die Beklagte ist jedoch der Ansicht, Art. 2 § 21 ArVNG verhindere in Fällen wie dem vorliegenden die Anwendung des § 42 aaO überhaupt, da er diesem als Sondervorschrift vorgehe. Diese Auffassung verkennt jedoch den Sinn beider Bestimmungen. § 21 aaO ist eine Vorschrift, die im Rahmen des von §§ 6 bis 30 aaO reichenden Katalogs regelt, inwieweit bei der Anwendung einzelner Bestimmungen des neuen Rechts von dem Grundsatz des § 5 aaO, daß für alle Versicherungsfälle vor dem Inkrafttreten des ArVNG das alte, für alle späteren Versicherungsfälle das neue Recht anzuwenden sei, Ausnahmen zu machen sind. Insoweit hatte der Gesetzgeber auf dem Gebiet der Witwenrenten durch § 18 aaO die Anwendung des § 1264 RVO nF rückwirkend auf Versicherungsfälle seit dem 1. Januar 1912 und durch § 19 aaO die Anwendung des § 1265 RVO nF rückwirkend auf Versicherungsfälle seit dem 1. Mai 1942 angeordnet. Da in den gedachten Fällen erst durch diese Regelung Rentenansprüche begründet wurden, konnte eine derartige Rente nach § 25 frühestens vom 1. Januar 1957 an gezahlt werden. Berechnet werden diese Renten jedoch, da insoweit keine Sonderregelung besteht, nach altem Recht, also nicht nach § 1268 RVO neuen Rechts, sondern nach §§ 1272, 1273 RVO alten. Rechts in Verbindung mit den dazu ergangenen zusätzlichen Bestimmungen. Daß in diesen Fällen § 1268 RVO neuen Rechts nicht anzuwenden ist, erschien dem Gesetzgeber nun offenbar zwar hinsichtlich seiner Absätze 1 bis 3, die ihrem Inhalt nach einen neuen Versicherungsfall als Grundlage zwingend voraussetzten, selbstverständlich, hinsichtlich der Absätze 4 und 5 dagegen hielt der Gesetzgeber Zweifel wohl für möglich, ob jene Bestimmungen nicht auch auf Altfälle der Art. 18 und 19 ArVNG anwendbar seien, weil aus ihnen die Anwendungsmöglichkeit nur des neuen Rechts nicht so eindeutig wie aus den Absätzen 1 bis 3 zu entnehmen ist. Daher dürfte sich die überflüssige - weil selbstverständliche - Bestimmung des § 21 aaO erklären, mit der nur der Grundsatz des § 5 noch einmal, und dazu, auf § 1268 bezogen, unvollständig (weil die Absätze 1 bis 3, für die das gleiche gilt, nicht erwähnt werden) und, wie der vorliegende Fall zeigt, mißverständlich wiederholt wird. Als Grundfehler in der Betrachtung der Beklagten erweist sich somit bereits hier, daß sie den § 21 aaO, dessen Bedeutung sich in einer vorsorglichen (wenn auch überflüssigen) Klärung der Nichtanwendbarkeit des § 1268 RVO auf Altfälle erschöpft, systemwidrig auch auf Neufälle anwenden will. Systemwidrig deshalb, weil die gesamten Bestimmungen der §§ 5 bis 30 aaO gerade und nur die Übergangsbestimmungen für Altfälle betreffen, während für Neufälle und damit hier auch § 1268 RVO bereits unmittelbar gilt; insoweit bedarf es daher des Umwegs über § 21 aaO hier überhaupt nicht.
Ist jedoch § 21 im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, so läßt sich kein hinreichender Grund erkennen, die günstigere Vergleichsberechnung des § 42 nicht auch der Klägerin zuzugestehen. Anerkannter Sinn dieser Bestimmung ist es, aus Billigkeitsgründen in erweiterter Besitzstandswahrung die Berechtigten (bei neuen Versicherungsfällen zwischen dem 1.1.1957 und dem 31.12.1961) mindestens so zu stellen, wie sie ohne das neue Recht gestanden hätten. Hierbei kann es nicht darauf ankommen, aus welchem Grunde der Gesetzgeber die jetzt eigentlich nach neuem Recht zustehende Leistung niedriger gehalten hat. Selbstverständlich wird dies stets ein sachlich berechtigter Grund sein (vgl. hierzu den gesamten Komplex "Beitragsgerechte Rente"). Aber gerade, weil aus derartigen Erwägungen der Gesetzgeber - im Gegensatz zur sonstigen allgemeinen Tendenz zur Anhebung der Beträge - für die Zukunft in einzelnen Fällen eine gewisse Einschränkung für notwendig hielt, ist durch die Sonderregelung des § 42 der Übergang für diese sonst Betroffenen erleichtert (ebenso die völlig einheitlich in der Literatur vertretene Ansicht; außer den von den LSG gegebenen Zitaten besonders deutlich: Verbandskommentar Anm. 2 e zu § 42 aaO).
Schließlich kann auch daraus, daß § 1268 Abs. 4 RVO von Teilen einer Rente spricht, die jeweils mehreren Berechtigten zustehen, nicht geschlossen werden, daß diesen Berechtigten insgesamt nur eine Rente, aufgeteilt auf mehrere Personen, zustehe, und daß diese Regelung auch auf Übergangsfälle anzuwenden sei. Auch nach neuem Recht hat vielmehr jeder der in Frage kommenden Berechtigten unabhängig von dem anderen einen Anspruch auf eine eigene, selbständige Rente; die genannte Vorschrift regelt einzig die Berechnung der Höhe dieser Rente nach neuem Recht; ihre Bedeutung beschränkt sich für den vorliegenden Fall demnach darauf, daß ihre Anwendung dazu führte, daß die nach neuem Recht zu gewährende Rente niedriger wurde als die nach Art. 2 § 42 ArVNG zu berechnende Vergleichsrente.
Die Klägerin hat daher Anspruch auf die sich aus der Vergleichsberechnung ergebende höhere Rente. Gegen die Höhe dieser Rente, die das LSG nach altem Recht unter Berücksichtigung der Kürzungsvorschriften der §§ 1272 Abs. 4 und 1273 RVO aF mit 82,20 DM errechnet hat, sind keine Revisionsrügen erhoben; ihre Festsetzung erscheint unter Berücksichtigung der von der Beklagten darüber hinausgehenden bindend zugesagten Angleichung bedenkenfrei.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen