Entscheidungsstichwort (Thema)

Weitere Schulausbildung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Weitere Schulausbildung iS des § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b AVG (= § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b RVO) ist nur der Besuch einer allgemeinbildenden Schule.

2. Der Besuch einer Fachschule oder Fachhochschule wird mit der Vorprüfung weder ganz noch teilweise abgeschlossen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Ausfallzeittatbestand einer "weiteren Schulausbildung" iS des § 36 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst b AVG ist auf den Besuch einer Fachschule oder Fachhochschule bis zur Vorprüfung, mit der die fachgebundene Hochschulreife erworben wurde, weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.

 

Normenkette

AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b Fassung: 1972-10-16; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b Fassung: 1972-10-16

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 16.09.1982; Aktenzeichen L 5 A 37/82)

SG Mainz (Entscheidung vom 16.03.1982; Aktenzeichen S 6 A 101/81)

 

Tatbestand

Streitig ist die Vormerkung einer Ausfallzeit.

Der 1948 geborene Kläger besuchte nach dem Erwerb der Mittleren Reife eine staatliche höhere Wirtschaftsfachschule ab Oktober 1970, die zum 1. August 1971 die Bezeichnung Fachhochschule Rheinland-Pfalz erhielt. Dort legte er am 20. Juli 1972 die Vorprüfung in der Fachrichtung Marketing, Personal- und Ausbildungswesen ab, womit er die fachgebundene Hochschulreife erwarb. Er beendete das Studium zum 11. Juli 1973 ohne Abschlußexamen. Für die anschließende Zeit seiner Beschäftigung als Finanzanwärter wurde er in der Angestelltenversicherung nachversichert.

Im Kontenklärungsverfahren lehnte die Beklagte die Vormerkung der Zeit vom 1. Oktober 1970 bis zum 11. Juli 1973 als Ausfallzeit ab (Bescheid vom 23. Februar 1981; Schreiben vom 4. Juni 1981). Widerspruch, Klage und die auf die Zeit bis zur Ablegung der Vorprüfung beschränkte Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1981; Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 16. März 1982; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 16. September 1982). Das LSG hat - im Anschluß an ein Urteil des erkennenden Senats vom 13. August 1981 (BSGE 52, 86 = SozR 2200 § 1259 Nr 52) - die Ausbildung an der Wirtschaftsfachschule als Fachschulausbildung und die Fortsetzung der Ausbildung nach Umwandlung in eine Fachhochschule als Hochschulausbildung angesehen, die wegen der fehlenden Abschlußprüfung jedoch keine Ausfallzeiten seien. Daß mit Ablegung der Vorprüfung der Erwerb der fachgebundenen Hochschulreife verbunden gewesen sei, ändere nichts daran, daß der qualitative Abschluß des Studiums erst durch die Ablegung der staatlichen Abschlußprüfung erreichbar sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 36 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG); eine Fachschulausbildung sei jedenfalls dann als weitere Schulausbildung iS des § 36 AVG anzusehen, wenn mit ihrem Abschluß oder einem Zwischenabschluß die Hochschulreife verbunden sei.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide und der Urteile der Vorinstanzen zu verurteilen, die Zeit vom 1. Oktober 1970 bis zum 20. Juli 1972 als Ausfallzeit vorzumerken.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Der streitige Schulbesuch (Besuch der Fachschule, später der Fachhochschule) bis zur Ablegung der Vorprüfung ist nicht als Ausfallzeit vorzumerken, da durch ihn keiner der drei Ausfallzeittatbestände des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG (= § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b Reichsversicherungsordnung -RVO-) - hier anzuwenden idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 - erfüllt ist. Die Vorschrift nennt als Ausfallzeit eine nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegende weitere Schulausbildung (erste Alternative), eine abgeschlossene Fachschulausbildung (zweite Alternative) und eine abgeschlossene Hochschulausbildung (dritte Alternative), ohne die genannten Ausbildungsarten näher zu erläutern. Da der Gesetzgeber die Ausfallzeiten (wie auch die Ersatzzeiten) grundsätzlich nach Merkmalen abgrenzt, die in der betreffenden Zeit vorgelegen haben (zB Arbeitsunfähigkeit, Schwangerschaft, Arbeitslosigkeit, Rentenbezug usw), hat die Rechtsprechung im wesentlichen darauf abgestellt, ob die Bildungsstätte, an der die Ausbildung erfolgt ist, eine Schule, eine Fachschule oder eine Hochschule gewesen ist (BSGE 52, 86, 88 mwN).

1. Das LSG hat die besuchte Bildungsstätte zu Recht nicht als Schule iS der ersten Alternative angesehen. Die Begriffe Schule, Fachschule und Hochschule, die in Ansehung des Ausfallzeittatbestandes nicht gesetzlich definiert werden, sind iS des allgemeinen Sprachgebrauchs zu verstehen, wie er im wesentlichen in dem vom Bundesministerium für Arbeit herausgegebenen Fachschulverzeichnis und in den Beschlüssen der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) in der Bundesrepublik Deutschland Ausdruck findet (vgl BSG Urteil vom 14. Juli 1982 - 11 RA 56/81 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN), wobei freilich stets dem Sinn und Zweck des § 36 AVG Rechnung zu tragen ist. Demgemäß ist zwischen allgemeinbildenden Schulen (Volks- und Sonderschulen, Mittelschulen und höheren Schulen), berufsbildenden Schulen (insbesondere Berufsschulen, Berufsfachschulen und Fachschulen) und den Hochschulen (einschließlich der Fachhochschulen - BSGE 52, 86) zu unterscheiden.

Schule iS des Ausfallzeittatbestandes einer weiteren Schulausbildung ist nur die allgemeinbildende Schule. Der Begriff der Schule kann schon deswegen nicht in einem weiteren auch Fach- und Hochschulen umfassenden Sinne verstanden werden, weil anderenfalls die Nennung der beiden letztgenannten Schultypen überflüssig gewesen wäre, vor allem aber, weil der Gesetzgeber für Fach- und Hochschulen anders als für (allgemeinbildende) Schulen einen Abschluß fordert. Dementsprechend hat auch der 12. Senat den Begriff der Schulausbildung insbesondere auf weiterbildende Schulen (Real-, Mittel- oder Oberschulen) bezogen (SozR Nr 23 zu § 1259 RVO; vgl auch Urteil des erkennenden Senats vom selben Tage - 11 RA 32/82).

Wenn das LSG die besuchte höhere Wirtschaftsfachschule nicht als allgemeinbildende Schule, sondern als Fachschule und damit als berufsbildende Schule angesehen hat, so läßt dies Rechtsfehler nicht erkennen. Die Wirtschaftsfachschule dient der Ausbildung zum Betriebswirt. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG wurden auch in der hier streitigen Zeit bis zur Vorprüfung im wesentlichen berufliche Kenntnisse vermittelt.

Der damit auch hinsichtlich der Zeit bis zur Vorprüfung gebotenen Einordnung als berufsbildende Schule steht es nicht entgegen, daß neben den berufsbezogenen auch allgemeinbildende Fächer gelehrt wurden und daß mit der Vorprüfung die fachgebundene Hochschulreife zuerkannt wurde. Dementsprechend führt die von der KMK herausgegebene Sammlung der Beschlüsse der KMK die Vereinbarung über die höheren Wirtschaftsfachschulen vom 14./15. Juni 1966 als Nr 435 unter der Überschrift "Aufbau und Ordnung (berufsbildende Schulen)" an, obgleich nach Art 3 Nr 3 der Bildungsplan Fächer, die der Erweiterung und Vertiefung der Allgemeinbildung dienen, umfaßt und nach Art 14 die Zuerkennung einer Hochschulreife ins Auge gefaßt war. Desgleichen zeigt der Beschluß der KMK über die Zuerkennung der fachgebundenen Hochschulreife für Absolventen höherer Fachschulen idF vom 6. Februar 1969 (aaO unter Nr 245), daß die Vermittlung von Allgemeinbildung jedenfalls bis zur fachgebundenen Hochschulreife den Charakter einer berufsbildenden Schule nicht berührt und aus dieser keine allgemeinbildende Schule iS dieses Sprachgebrauchs macht. Vielmehr bestätigt die Verleihung nicht der allgemeinen Hochschulreife, sondern der fachgebundenen Hochschulreife die Bedeutung der auch bis zur Vorprüfung vermittelten beruflichen Bildung.

2. Die Revision meint zu Unrecht, daß der Besuch der Fachschule gleichwohl als Besuch einer allgemeinbildenden Schule anzuerkennen sei, da der Kläger die Hochschulreife auch durch den - als Ausfallzeit anzuerkennenden - Besuch einer allgemeinbildenden Schule hätte erwerben können. Denn die für den Besuch weiterführender Schulen geltende Regelung kann auf den Besuch einer Fach- oder Fachhochschule bis zur Erlangung der fachgebundenen Hochschulreife auch nicht analog angewandt werden.

Das BSG hat sich schon wiederholt mit dem Begehren befassen müssen, die Bestimmungen des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AVG auf andere als die im Gesetz bezeichneten Ausbildungszeiten anzuwenden. Dabei haben die Kläger immer wieder auf den durch die Ausbildung bedingten Beitragsausfall, auf den Wert und die Förderung von Ausbildungen im allgemeinen, auf deren Zweckmäßigkeit, Üblichkeit oder Notwendigkeit für den Beruf im besonderen oder darauf hingewiesen, daß bei Erwerb der gleichen Ausbildung auf einem anderen Wege eine Ausfallzeit hätte anerkannt werden müssen. So sehr Erwägungen dieser Art jedoch bei Schaffung des § 36 Abs 1 Nr 4 AVG mit von Bedeutung gewesen sein mögen, so ist doch nicht zu übersehen, daß der Gesetzgeber nur bestimmte typische Ausbildungen und diese zudem meist zeitlich begrenzt als Ausfallzeiten hat berücksichtigen wollen. Er hat, wie insbesondere bei der Ausdehnung der Begünstigung auf Lehrzeiten im Ersten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) deutlich geworden ist, bewußt davon abgesehen, Ausbildungszeiten schlechthin den Charakter von Ausfallzeiten zu verleihen. Das BSG hat daher eine entsprechende Anwendung auf andere als die dort bezeichneten Ausbildungszeiten stets abgelehnt. So wurden Praktikantenzeiten (SozR Nrn 40 und 47 zu § 1259 RVO), Volontärzeiten (SozEntsch BSG 6 § 36 Nr 34; SozR 2200 § 1259 Nr 33), eine Lotsenkandidatenzeit (SozR 2200 § 1259 Nr 22) und die Katasterzivilanwärterdienstzeit (BSG SozSich 1977, 222) nicht einer Lehrzeit gleichgestellt. Desgleichen hat es die Rechtsprechung nicht genügen lassen, daß der Versicherte die für den Schulabschluß nötigen Kenntnisse an einer Heimvolkshochschule im Selbststudium ohne schulmäßige Kontrolle (SozR Nr 23 zu § 1259 RVO) oder die zur Erlangung der Allgemeinen Hochschulreife erforderlichen Kenntnisse im Selbststudium oder im Einzelunterricht erworben hat (zum Fernunterricht vgl BSGE 43, 44; zum Einzelunterricht vgl BSG Nr 46 zu § 1259 RVO und 2200 § 1259 Nr 25; zur Bühnenprüfung vgl Urteil vom 3. Juni 1981 - 11 RA 16/81 -). Dementsprechend hat der erkennende Senat es nicht ausreichen lassen, daß der Versicherte den bei abgeschlossener Fachschulausbildung (Fachschulkatecheten) zu erwartenden Kenntnisstand aufgrund eines nicht abgeschlossenen Hochschulstudiums erworben hatte (Urteil vom 18. März 1982 - 11 RA 32/81 - DRV 1982, 353). Auch im Falle des Klägers muß die Anerkennung eines Ausfallzeittatbestandes daran scheitern, daß der Gesetzgeber nicht nur das Ausbildungsergebnis, sondern auch die Ausbildungsform festgelegt hat.

3. Die damit allein noch in Betracht kommende Vormerkung der streitigen Zeit als Fachschul- und anschließende Hochschulausbildung (vgl hierzu BSGE 52, 86) muß schon daran scheitern, daß der Kläger nur die Vorprüfung und nicht auch die vorgesehene Abschlußprüfung abgelegt hat. Die Ausfallzeittatbestände einer abgeschlossenen Fachschul- oder Hochschulausbildung erfordern anders als der Tatbestand einer weiteren Schulausbildung eine Abschlußprüfung (zur Hochschule BSGE 20, 35, 36; zur Fachschule BSGE 48, 219, 221), soweit nicht ausnahmsweise eine solche Abschlußprüfung überhaupt nicht vorgesehen ist (BSG SozR Nr 61 zu § 1259 RVO; SozR 2200 § 1259 Nrn 4 und 14), ohne daß durch diese Unterscheidung Verfassungsrecht verletzt würde (vgl Bundesverfassungsgericht -BVerfG- SozR 2200 § 1259 Nr 46). Die abgelegte Vorprüfung kann weder als Abschluß der gesamten an der höheren Wirtschaftsfachschule begonnenen Ausbildung noch als Abschluß der ersten vier Semester anerkannt werden. Zum Besuch einer (sechssemestrigen) Meisterschule mit Vorprüfung nach dem vierten Semester hat bereits der 1. Senat entschieden, der Schulbesuch bis zur Vorprüfung stelle keine eigenständige abgeschlossene Fachschulausbildung dar (SozR 2200 § 1259 Nr 42 auf Bl 113). Das muß auch gelten, wenn die Vorprüfung - wie hier - nach Umwandlung der Fachschule in eine Fachhochschule abgelegt wird, da auch in diesem Falle mit der Vorprüfung kein beruflich verwertbarer Abschluß erworben wird.

Die Revision des Klägers war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Breith. 1983, 692

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