Leitsatz (redaktionell)
Auslieferung, Verurteilung zum Tode und Vollstreckung der Todesstrafe als besondere Gefahr iS des BVG § 5 Abs 1 Buchst d.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1950-12-20, § 5 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1953-08-07
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 30. November 1961 wird zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) bis 4) war 1940 als Mitarbeiter im früheren Sicherheitsdienst und SS-Obersturmführer anläßlich der Umsiedlung der Bessarabien-Deutschen bei dem SS-Umsiedlungskommando in Semlin (Jugoslawien) tätig. Im April 1941 wurde er durch Verfügung des Reichssicherheitshauptamtes Berlin zur Dienststelle des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD in Belgrad abgeordnet. Er war dort Leiter des Flüchtlingswesens und Verbindungsoffizier zur Heeresgruppe F sowie zum Höheren SS- und Polizeiführer Serbien und zur Militärverwaltung. Im November 1944 kehrte er an seinen Wohnsitz Tübingen zurück. Im Juli 1945 wurde er von der französischen Besatzungsmacht aus politischen Gründen in Haft genommen, wurde in einem Lager in Reutlingen interniert und im April 1946 auf Ersuchen der jugoslawischen Regierung als Kriegsverbrecher ausgeliefert. Am 22. Dezember 1946 wurde er vom Militärgericht für die Stadt Belgrad auf Grund des jugoslawischen Gesetzes über Straftaten gegen Volk und Staat vom 15. (25. ?) August 1945 zum Tode verurteilt; das Urteil wurde im Januar 1947 vollstreckt.
Den Antrag vom Mai 1952 auf Gewährung von Hinterbliebenenrente auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) durch Bescheid vom 1. September 1953 ab, weil der Ehemann der Klägerin zu 1) als Angehöriger der allgemeinen SS keinen militärischen oder militärähnlichen Dienst im Sinne des BVG geleistet habe und die Voraussetzungen der §§ 2 und 3 BVG nicht vorlägen.
Die Berufung nach altem Recht, die als Klage auf das Sozialgericht (SG) übergegangen ist, hatte keinen Erfolg (Urteil des SG vom 18. August 1954), weil die Verurteilung zum Tode und die Hinrichtung nicht ursächlich mit militärischem oder militärähnlichem Dienst zusammenhänge, vielmehr mit der Tätigkeit als Parteifunktionär, die weder als militärischer noch militärähnlicher Dienst anzusehen sei. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG seien auch nicht erfüllt.
Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen und Einholung von Auskünften sowie Beiziehung von Dokumenten. Durch Urteil vom 30. November 1961 hat es das Urteil des SG aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, den Klägern ab 1. Mai 1952 Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Es hat im Anschluß an das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. September 1961 (7/9 RV 594/58) ausgeführt, daß die Auslieferung an Jugoslawien, die gegen das deutsche Auslieferungsgesetz verstoßen habe, zusammen mit der Durchführung eines militärgerichtlichen Verfahrens auf Grund eines erst 1945 geschaffenen jugoslawischen Gesetzes, die Verurteilung zum Tode auf Grund dieses Gesetzes und die Vollstreckung der Todesstrafe eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne von § 1 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG dargestellt habe. Der Ehemann der Klägerin zu 1) habe keine strafbaren Handlungen begangen, deren Unrechtsgehalt die Sühne durch die Verhängung der Todesstrafe nach deutschem Recht damals nach sich gezogen hätte. Vielmehr könne nur nachgewiesen werden, daß er Beisitzer im Standgericht gewesen sei, das in zwei Fällen die Todesstrafe verhängt habe. Es sei aber zu berücksichtigen, daß gegen seinen Vorgesetzten in der SS- und Polizeidienststelle, der gleichzeitig Vorsitzender im Standgericht gewesen ist, nach deutschem Recht im Jahre 1953 für seine Handlungen in Jugoslawien eine Gesamtstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verhängt worden sei. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob vorliegend der Tod die Folge einer unmittelbaren Kriegseinwirkung gewesen ist, hat das LSG die Revision zugelassen.
Der Beklagte legt Revision ein und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Er rügt ohne nähere Begründung eine unrichtige Anwendung des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG.
Die Kläger beantragen,
die Revision des Landes Baden-Württemberg gegen das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30. November 1961 zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel ist zulässig, aber nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die Ansprüche auf Hinterbliebenenversorgung nicht aus § 1 Abs. 2 Buchst. b - d oder § 3 BVG hergeleitet werden können. Es hat sie aber zutreffend auf Grund der §§ 1 Abs. 2 Buchst. a, 5 Abs. 1 Buchst. d in Verbindung mit § 38 BVG für begründet erachtet.
Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß das Urteil des jugoslawischen Militärgerichts für die deutschen Gerichte nicht verbindlich ist. Wenn schon die Urteile gegen Kriegsverbrecher auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 die deutschen Gerichte nicht binden, vielmehr nach dem Überleitungsvertrag zwischen den Besatzungsmächten und der Bundesrepublik Deutschland vom 30. März 1955 (BGBl II 405) von der bindenden Wirkung ausdrücklich ausgenommen sind (BSG 16, 182 ff; 17, 225 ff), so muß dies erst recht für Urteile Jugoslawiens gelten, weil dieses nicht zu den Besatzungsmächten gezählt hat und seine Urteile zu keiner Zeit an die Stelle von Urteilen deutscher Gerichte treten konnten oder Wirksamkeit gegen Deutsche gehabt haben. Es kann mit dem Vordergericht unerörtert bleiben, ob das Verfahren des Militärgerichts die in den Kulturnationen notwendigen Garantien für den Angeklagten beobachtet hat, nämlich hinreichendes rechtliches Gehör und Erforschung des Sachverhalts einschließlich der für den Angeklagten sprechenden Umstände. Denn auf jeden Fall ist das Verfahren durchgeführt worden auf Grund eines Gesetzes, welches erst nach Begehung der angeblichen Straftaten für sie die Todesstrafe oder langjährige Freiheitsstrafen bestimmt hatte.
Dies ist mit den Grundsätzen des Strafrechts und der Strafrechtspflege in den Kulturnationen nicht vereinbar. Deshalb hat das LSG zu Recht angenommen, das Urteil des jugoslawischen Militärgerichts müsse hinsichtlich seines Schuldausspruchs und der verhängten Strafe nachgeprüft werden.
Das Berufungsgericht hat das jugoslawische Gesetz vom 15. (25. ?) August 1945 ausdrücklich festgestellt. Hiergegen sind, wie gegen die übrigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, Revisionsrügen nicht erhoben worden, so daß es nur auf die Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Tatbestand ankommt.
Das LSG hat hier nicht die Auslieferung allein, obwohl sie gegen das deutsche Gesetz verstoßen hat, als eine besondere Gefahr im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG angesehen, sondern nur im Zusammenhang mit der Durchführung des kriegsgerichtlichen Verfahrens auf Grund einer nachträglichen Strafandrohung und der Vollstreckung der Todesstrafe auf Grund des gleichen Gesetzes. Damit befindet sich die Vorinstanz in Übereinstimmung mit dem von ihr angezogenen Urteil des BSG vom 28. September 1961, dem sich der Senat anschließt. Es kommt entsprechend dieser Entscheidung des BSG, den beiden anderen bereits zitierten Urteilen und dem Urteil des Senats vom 13. Februar 1964 (8 RV 1133/61) darauf an, ob die vom LSG festgestellten Straftaten im Jahre 1946 die Verhängung der Todesstrafe nach deutschem Recht gerechtfertigt hätten. Diese Frage ist hier zu verneinen. Irgendwelche persönlichen Ausschreitungen oder gar einen Mord hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Lediglich die Beteiligung des Ehemannes der Klägerin zu 1) als Beisitzer an einem Standgericht, durch welches zwei Todesurteile verhängt worden sind, hat sich feststellen lassen. Ob das Verfahren dieses Standgerichts bedenklich gewesen ist, läßt sich nicht nachprüfen. Jedenfalls aber hat das Berufungsgericht zutreffend erwogen, daß der Vorsitzende dieses Standgerichts im Jahre 1953 nicht nur wegen dieser Tätigkeit, sondern wegen seines gesamten dienstlichen und außerdienstlichen Verhaltens - darunter der Beihilfe zum Mord (Tötung von etwa 4000 jüdischen Frauen und Kindern) und wegen Totschlags in zwei Fällen - zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt worden ist. Wenn schon diese Straftaten mit einer zeitlichen und nicht etwa lebenslänglichen Freiheitsstrafe geahndet worden sind, so konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß folgern, daß wegen der weit geringeren Straftaten, welche dem Ehemann der Klägerin zu 1) nachgewiesen werden konnten, die Verhängung der Todesstrafe im Jahre 1946 und ihre Vollstreckung im Januar 1947 nicht als gerechtfertigt, sondern zusammen mit der rechtswidrigen Auslieferung als eine besondere Gefahr im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG anzusehen sind.
Da sonach das angefochtene Urteil richtig ist, mußte die Revision des Beklagten zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen