Leitsatz (amtlich)
1. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 1959-10-29 erstreckt sich nicht auf die Tbc-Bekämpfung nach RVO § 1244a.
2. Ein Beigeladener kann als solcher einen eigenen Klageanspruch nicht geltend machen.
Normenkette
RVO § 1244a Fassung: 1959-07-23; SozSichAbk ESP Art. 12 Fassung: 1959-10-29, Art. 22 Fassung: 1959-10-29; SGG § 75
Tenor
Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. August 1973 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Klägerin besitzt - ebenso wie ihr Ehemann - die spanische Staatsangehörigkeit. Beide waren in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt.
Der Ehemann der Klägerin stellte für diese im Juni 1968 bei der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Antrag auf Tuberkulosehilfe nach § 1244 a der Reichsversicherungsordnung (RVO). Durch Bescheid vom 17. September 1968 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, daß der Ehemann der Klägerin diese nicht überwiegend unterhalten habe. Der Bescheid enthält weiter den Hinweis darauf, daß der Klägerin selbst aus eigener Versicherung kein Anspruch zustehe, weil sie die Wartezeit des § 1244 Abs. 2 RVO nicht erfüllt habe. Die Klägerin hat vor dem Sozialgericht (SG) geltend gemacht, daß ihre spanischen Versicherungszeiten denjenigen, die sie in Deutschland zurückgelegt habe, nach Art. 22 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 29.Oktober 1959 (Abk. - BGBl 1961 II, 599) hinzugerechnet werden müßten. Bei dieser Betrachtungsweise habe sie die Wartezeit des § 1246 Abs. 3 RVO - und damit auch die Voraussetzungen des § 1244 a Abs. 2 RVO - erfüllt. In der ersten Instanz hat die Klägerin - übereinstimmend mit den Beigeladenen (dem Landeswohlfahrtsverband H und der Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Kreis D - AOK -) beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17. September 1968 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Landeswohlfahrtsverband H die von diesem vorläufig getragenen Kosten der stationären Behandlung der Klägerin zu erstatten.
Nachdem der beigeladene Landeswohlfahrtsverband erklärt hatte, daß die Kosten der Behandlung von ihm getragen worden seien, hat das SG durch Urteil vom 5. November 1971 den Bescheid der Beklagten insoweit aufgehoben, als dieser einen Rechtsanspruch der Klägerin verneine. Die Beklagte ist verurteilt worden, dem beigeladenen Landeswohlfahrtsverband die Kosten der stationären Behandlung der Klägerin zu erstatten.
Gründe für die Umdeutung des Klageantrags sind aus dem Urteil nicht zu erkennen.
Das LSG hat die - zugelassene - Berufung der Beklagten - dem Antrag der Klägerin und der Beigeladenen entsprechend - zurückgewiesen (Urteil vom 16. August 1973). Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, daß die Versicherungszeiten der Klägerin in Spanien und in Deutschland in Anwendung des Art. 22 des Abk. zusammenzurechnen seien, und die Klägerin demzufolge die Wartezeit des § 1244 a Abs. 2 RVO erfüllt habe. Die Gründe des Urteils enthalten keine Ausführungen darüber, daß die Klägerin berechtigt sein könnte, auf Leistungen an den beigeladenen Landeswohlfahrtsverband zu klagen. Es finden sich auch keine Hinweise darauf, daß das Berufungsgericht etwa einen Parteiwechsel unterstellt und den beigeladenen Landeswohlfahrtsverband als Kläger angesehen hätte. Im Rubrum ist vielmehr der Landeswohlfahrtsverband als Beigeladener bezeichnet.
Hilfsweise hatte die Klägerin beantragt, die beigeladene AOK zur Leistung zu verurteilen, die beigeladene AOK dagegen, den Hilfsantrag der Klägerin zurückzuweisen und stattdessen den beigeladenen Landeswohlfahrtsverband zu verurteilen, die Behandlungskosten zu tragen.
Das LSG hat die Revision zugelassen, die Beklagte das Rechtsmittel eingelegt. Sie meint, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Versicherte fristgerecht Klage erhoben habe. Der Bescheid der Beklagten sei an den Ehemann der Klägerin gerichtet gewesen. Dieser habe allein Klage erhoben, sie jedoch wieder zurückgenommen. Dagegen liege eine Klage der Versicherten selbst nicht vor. Der Beklagten sei jedenfalls eine solche Klageschrift nicht übersandt worden. Sie rügt ferner eine Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch das Berufungsgericht. Das LSG habe es versäumt, Feststellungen darüber zu treffen, ob für die Klägerin tatsächlich Beiträge zur spanischen Rentenversicherung entrichtet wurden. Die Angaben der Klägerin hierzu müßten in Zweifel gezogen werden. Möglicherweise gebe es keine spanischen Versicherungszeiten, die angerechnet werden könnten.
In der Sache selbst vertritt die Beklagte die Auffassung, daß spanische Versicherungszeiten im Rahmen des § 1244 a RVO nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unberücksichtigt zu bleiben hätten.
Die Beklagte beantragt,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und die Beigeladenen beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
der beigeladene Landeswohlfahrtsverband beantragt hilfsweise,
die beigeladene AOK zur Kostenerstattung zu verurteilen oder den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die beigeladene AOK hält die Revision allerdings für unzulässig, weil die Revisionsschrift nicht die vollständige ladungsfähige Anschrift der Beteiligten bzw. ihrer Prozeßbevollmächtigten enthalte.
Die Revision ist zulässig. Entgegen dem Vorbringen der beigeladenen AOK sind die ladungsfähigen Anschriften der Beteiligten bzw. ihrer Prozeßbevollmächtigten in der Revisionsschrift so genau angegeben, daß die erforderlichen Zustellungen und Ladungen alsbald bewirkt werden konnten (vgl. BSG in USK 73, 146). Es kann daher offen bleiben, ob insoweit unzulängliche Angaben zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führen können.
Das angefochtene Urteil kann jedoch keinen Bestand haben. Allerdings ist der Beklagten darin, daß eine Klageerhebung seitens der Klägerin nicht vorliege, nicht zu folgen. Ihre Auffassung, allein der Ehemann der Klägerin habe Klage erhoben, ist mit den - insoweit unangegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in Übereinstimmung zu bringen. Der dem Verfahren zugrunde liegende Bescheid der Beklagten ist zwar an den Ehemann der Klägerin gerichtet. Er enthält die Ablehnung des von ihm gestellten Antrags auf Übernahme der Tbc-Behandlung seiner Ehefrau, zugleich aber auch die Versagung eines Anspruchs der Klägerin aus eigener Versicherung. Die Klägerin wird daher - jedenfalls auch - durch den Bescheid in einem solchen Maße in ihren Rechten berührt, daß ihr ein Anfechtungsrecht zugestanden werden muß. Es war deshalb nicht fehlerhaft, daß die Beteiligten übereinstimmend in beiden Tatsacheninstanzen davon ausgingen, der Ehemann der Klägerin habe sowohl für diese, als auch für sich selbst Klage erhoben. Die Tatsache, daß in der Klageschrift die Klägerin nicht als solche bezeichnet ist, steht dem nicht im Wege. In der Begründung der Klage ist der Name der Klägerin - und zwar als Klägerin - ausdrücklich genannt. Die erstmalig von der Revision erhobenen Einwendungen geben keinen Anlaß, die Deutung, die der Klageschrift von den Tatsacheninstanzen gegeben worden ist, in Zweifel zu ziehen.
Indessen vertritt die Beklagte zu Recht die Auffassung, daß sie zur Gewährung von Tuberkulosehilfe nach § 1244 a RVO aus der Versicherung der Klägerin nicht verpflichtet sei. Die Klägerin gilt in diesem Zusammenhang nicht als Versicherte. Nach § 1244 a Abs. 2 RVO ist versichert i.S. dieser Vorschrift nur derjenige, für den in den der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit vorausgegangenen 24 Kalendermonaten Beiträge für wenigstens 6 Kalendermonate entrichtet sind oder der die Wartezeit nach § 1246 Abs. 3 RVO erfüllt hat. Die von der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten reichen, wie das LSG unwidersprochen festgestellt hat, nicht aus. Versicherungszeiten in Spanien können entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung nicht hinzugerechnet werden. In dem Abk. ist die Zusammenrechnung deutscher und spanischer Versicherungszeiten für Fälle der vorliegenden Art nicht vorgesehen. Art. 22 des Abk. - auf diese Vorschrift stellen Klägerin und Beigeladene ab - bezieht sich auf Rentenleistungen. Eine entsprechende Anwendung auf die im Rahmen der Tuberkulosebekämpfung zu erbringenden Leistungen hält der Senat nicht für zulässig. Es trifft zwar zu, daß nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für Angehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft auch im Rahmen der Tuberkulosebekämpfung in- und ausländische Versicherungszeiten zusammenzurechnen sind. Auf Fälle der vorliegenden Art sind die Grundgedanken der Rechtsprechung des EuGH jedoch nicht anzuwenden. Der erkennende Senat hat dies bereits in mehreren Entscheidungen dargelegt. Dort sind die Gründe dafür, daß zwischenstaatliche Abkommen über Soziale Sicherheit sich regelmäßig nicht auf die Tuberkulosebekämpfung nach § 1244 a RVO erstrecken, im einzelnen erörtert (vgl. insbesondere BSG 35, 280 und SozR Nr. 30 zu § 1244 a RVO mit weiteren Hinweisen). Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen. Die Zuständigkeit der Beklagten könnte daher nur gegeben sein, wenn die Klägerin die in § 1244 a Abs. 2 RVO bezeichneten Zeiten im Gebiet des Geltungsbereichs der RVO zurückgelegt hätte. An dieser Voraussetzung fehlt es aber.
Aus der Erkenntnis, daß die Beklagte nicht zur Leistung verpflichtet ist, läßt sich eine abschließende Entscheidung noch nicht herleiten. Die Klägerin hat vor dem LSG hilfsweise den Antrag gestellt, die beigeladene AOK zur Leistung zu verurteilen. Es fehlt bisher an den für eine Entscheidung über diesen Antrag erforderlichen Tatsachenfeststellungen. Diese wird das LSG nachzuholen, bei seiner neuen Entscheidung jedoch folgendes zu berücksichtigen haben: Die Klage ist nicht auf Erbringung einer Leistung an die Klägerin gerichtet. Es geht vielmehr darum, ob dem beigeladenen Landeswohlfahrtsverband die von ihm erbrachten Aufwendungen zu erstatten sind. In der ersten Tatsacheninstanz hatten sowohl die Klägerin als auch der beigeladene Landeswohlfahrtsverband den Antrag gestellt festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, dem Beigeladenen Ersatz für die von diesem getragenen Kosten der Tuberkulosebehandlung der Klägerin zu leisten. Ob für dieses Begehren ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin bestanden hat, kann offen bleiben. Das SG hat nämlich - aus welchen Gründen ist nicht erkennbar - abweichend von dem Klageantrag die Beklagte verurteilt, dem beigeladenen Landeswohlfahrtsverband die von diesem aus Anlaß der stationären Behandlung der Klägerin erbrachten Leistungen zu erstatten. Dies hat die Beklagte in der Berufungsinstanz nicht gerügt; die übrigen Beteiligten haben sich dadurch, daß sie die Zurückweisung der Berufung der Beklagten beantragt haben, einen dem erstinstanzlichen Urteil entsprechenden Klageantrag zu eigen gemacht. Sie haben damit zu erkennen gegeben, daß von ihnen die Erbringung einer Leistung an den beigeladenen Landeswohlfahrtsverband begehrt werde. Allerdings läßt sich aus dem angefochtenen Urteil kein Hinweis darauf entnehmen, daß der Klägerin überhaupt ein Leistungsanspruch zustehen oder sie berechtigt sein könnte, Leistung an den Beigeladenen zu verlangen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen scheinen ihr durch ihre Erkrankung keine Auslagen entstanden zu sein. Es ist aber auch nicht zu erkennen, welches Recht es dem beigeladenen Landeswohlfahrtsverband gestatten könnte, in dem anhängigen Verfahren einen eigenen Klageanspruch geltend zu machen. Das LSG wird zu beachten haben, daß § 75 SGG dem Beigeladenen ein solches Recht nicht einräumt. Dort ist - abweichend von anderen Verfahrensbestimmungen - in Absatz 5 die Regelung getroffen, daß ein Versicherungsträger, der nicht Beklagter ist, nach Beiladung verurteilt werden kann. Diese Ausnahmevorschrift - in der Regel kann nur der Beklagte verurteilt werden - läßt sich für das sozialgerichtliche Verfahren rechtfertigen. Dem häufig gesetzesunkundigen Versicherten soll nicht zugemutet werden, dann einen neuen Prozeß zu führen, wenn er die Passivlegitimation des ursprünglich von ihm in Anspruch genommenen Versicherungsträgers verkannt hat. Daraus läßt sich aber nicht herleiten, daß umgekehrt der Beigeladene als solcher berechtigt sein soll, einen eigenen Klageanspruch geltend zu machen.
Der Senat hält eine Ausweitung des § 75 Abs. 5 SGG in diese Richtung nicht für zulässig. Der Gesetzgeber hat sie durch die Beschränkung auf die Verurteilung bewußt ausgeschlossen. Die Grenzen der Ausnahmeregelung des § 75 Abs. 5 SGG sind daher eng gezogen. Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, demjenigen, der es unterläßt, einen eigenen Klageanspruch durch Klageerhebung zu verfolgen, durch die Beiladung die prozessuale Stellung eines Klägers zu verschaffen.
In dem vorliegenden Fall mag es allerdings nicht völlig ausgeschlossen sein, daß die Klägerin - aus welchen Gründen immer - Leistung an den beigeladenen Landeswohlfahrtsverband begehren kann. Das angefochtene Urteil enthält dazu weder Feststellungen noch sonstige Hinweise. Auch dazu bedarf es der weiteren Klärung des Sachverhalts durch die Tatsacheninstanz. In dem neuen Verfahren wird das LSG möglicherweise - je nach den von den Beteiligten gestellten Anträgen - die Frage der Klageänderung zu erörtern haben. Eine solche könnte darin liegen, daß die Klägerin zu ihrem ursprünglich erhobenen Feststellungsantrag zurückkehrt. Denkbar wäre allerdings auch ein Parteiwechsel, für den Fall nämlich, daß der beigeladene Landeswohlfahrtsverband einen eigenen Klageanspruch auf Kostenerstattung geltend machen will und kann. Gegebenenfalls wird unter Berücksichtigung dessen, daß das LSG an die in dieser Entscheidung vertretene Auffassung, daß ein solcher Anspruch gegen die Beklagte jedenfalls nicht besteht, gebunden ist, die Frage der Verurteilung der beigeladenen AOK nach § 75 Abs. 5 SGG in Erwägung zu ziehen sein.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung durch das LSG vorbehalten.
Fundstellen