Orientierungssatz

Sachaufklärung, Beweiswürdigung, Heimatrecht, Heimatzuständigkeit, Staatsangehörigkeit, deutsche, österreichische, tschechoslowakische, Auslandsversorgung, Sudetenland, Angliederung/Anschluß Österreichs und des Sudetenlandes an das Deutsche Reich, ausländisches Recht im Revisionsverfahren, Staatsangehörigkeitsurkunde.

 

Normenkette

SGG §§ 103, 128 Fassung: 1953-09-03, § 162 Fassung: 1953-09-03, § 163 Fassung: 1953-09-03; BVG § 8 Fassung: 1966-12-28, § 64 Fassung: 1966-12-28

 

Verfahrensgang

LSG Bremen (Entscheidung vom 03.05.1973; Aktenzeichen L 3 V 1/73)

SG Bremen (Entscheidung vom 11.08.1972; Aktenzeichen SV 83/70)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 3. Mai 1973 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger wurde 1925 in Graz/Österreich geboten, lebte zeitweilig vor dem 2. Weltkrieg in der Tschechoslowakei und nach dem Krieg in Österreich, wo ihm 1947 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, und ist seit 1957 kanadischer Staatsbürger. Er beantragte im April 1968 von Kanada aus Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Gesundheitsschäden, die er als Soldat der deutschen Wehrmacht erlitten habe. Er gab dazu an, von 1939 bis 1947 sei er deutscher Staatsangehöriger gewesen. Das Versorgungsamt lehnte den Antrag ab, weil Kriegsopfer im Ausland, die während ihres militärischen Dienstes die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hätten, dann keine Versorgung erhalten könnten, wenn sie - wie der Kläger - diese Staatsangehörigkeit als Österreicher infolge der Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich aufgrund der Verordnung vom 3. Juli 1938 erworben hätten (Bescheid vom 7. Juni 1968). Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor: Seine Eltern hätten Österreich 1933 verlassen, hätten dann in der Tschechoslowakei und später in Hamburg gelebt; bereits 1936, also vor dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich, sei er mit seinem Vater deutscher Staatsangehöriger geworden. Das Amt der Steiermärkischen Landesregierung teilte mit, der Kläger habe die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch die Angliederung Österreichs erwerben können, da er zu diesem Zeitpunkt nach seinem Vater die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit besessen haben dürfte; er habe von 1934 bis 1946 in der Tschechoslowakei gewohnt, und ihm sei erst 1947 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Bescheid vom 31. Dezember 1969). Zur Begründung der Klage behauptete der Kläger, sein Vater habe 1933 aus politischen Gründen die österreichische Staatsangehörigkeit verloren und nach vorübergehendem Aufenthalt in der Tschechoslowakei 1939 in Hamburg, wo sie bis 1946 gelebt hätten, die deutsche erworben. Das Einwohner-Zentralamt der Stadt Hamburg berichtete dem Sozialgericht (SG): Karl K der Vater des Klägers, der 1898 in Porstendorf, Kreis Mährisch-Trübau/Sudetenland, geboren sei, habe 1944 in Hamburg einen Staatsangehörigkeitsausweis zu Recht erhalten; denn er habe am 10. Oktober 1938 seine Heimatzuständigkeit in Altstadt/Sudetenland gehabt, bis dahin die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besessen und daher mit Wirkung von diesem Tag ab durch den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen vom 20. November 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. In dem beigefügten Staatsangehörigkeitsvorgang sei unzutreffend "Abstammung" als Erwerbsgrund und "Österreich" als Staatsangehörigkeit bis zum 13. März 1938 eingetragen. Das SG wies die Klage ab (Urteil vom 11. August 1972). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 3. Mai 1973): Nach der zutreffenden Rechtsauffassung der Beklagten sei eine Versorgung nach den §§ 7 und 8 BVG ausgeschlossen. Der Kläger habe die deutsche Staatsangehörigkeit infolge der Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich erworben; dies ergebe sich aus dem Hamburger Staatsangehörigkeitsvorgang, wonach der Vater des Klägers bis zum 13. März 1938 österreichischer Staatsangehöriger gewesen sei. Der Aktenvermerk, daß er aufgrund seiner Heimatzuständigkeit in Altstadt am 10. Oktober 1938 infolge der Angliederung der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe, hätte zur Voraussetzung gehabt, daß ihm 1934 die österreichische Staatsbürgerschaft aus politischen oder anderen Gründen aberkannt worden wäre. Dafür fehlten aber begründete Anhaltspunkte. Aus der Auskunft des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung ergebe sich nichts Eindeutiges in dieser Hinsicht; einen Rechtsanspruch auf Verleihung der österreichischen Staatsangehörigkeit könne er nur gehabt haben, weil er durch die Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich deutscher Staatsangehöriger geworden sei. Wenn der Vater nach der Auskunft der Gemeinde Altstadt infolge seiner Geburt die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit besessen haben solle, so beruhe dies auf der falschen Voraussetzung, daß er von 1898 bis 1941 ohne Unterbrechung in Altstadt gewohnt hätte; er sei nach eigenen Angaben jedoch von 1902 bis 1934 in Graz ansässig und österreichischer Staatsbürger gewesen.

Der Kläger rügt mit der Revision, die nicht zugelassen worden ist, als wesentliche Verfahrensmängel ua Verstöße gegen §§ 103 und 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG habe die Staatsangehörigkeit des Klägers unzureichend aufgeklärt. Es hätte sich nicht mit der Auskunft des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom 18. November 1969 begnügen dürfen, daß der Kläger erst 1947 österreichischer Staatsbürger geworden sei. Daraus könne nicht geschlossen werden, er sei vorher durch die Angliederung Österreichs Deutscher geworden. Die Hamburger Behörde habe im Gegensatz dazu dargelegt, der Kläger und sein Vater hätten ohne Auswirkung dieses Anschlusses die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Da dem Kläger die vorläufig gewährte österreichische Kriegsopferversorgung wegen dieser Staatsangehörigkeit aberkannt worden sei, hätte beim Landesinvalidenamt in Wien aufgeklärt werden müssen, auf welcher Rechtsgrundlage die endgültige Versorgung nach österreichischem Recht beruht habe. Das Berufungsgericht hätte den Kläger veranlassen müssen, bei der Behörde für Inneres der Stadt Hamburg eine Staatsangehörigkeitsurkunde zu beantragen. Die Staatsangehörigkeitsbehörde hätte dann die wirkliche Staatsbürgerschaft des Klägers bis 1946 feststellen können und müssen. Dies habe bereits das Einwohner-Zentralamt schriftlich vorgeschlagen.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Beklagte zur Gewährung und Versorgung wegen Schädigungsfolgen zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt Verwerfung der Revision, hilfsweise Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz.

Auf die Frage, ob der Vater des Klägers infolge seines Geburtsortes und seines Wohnsitzes ab 1934 auch unabhängig von politischen Gründen die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit erworben haben könne, hat die Botschaft der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik - Konsular- und Visaabteilung - in Köln mitgeteilt, die Staatsbürgerschaft könne nicht geklärt werden; die Rechtsabteilung des Osteuropa-Institutes an der Freien Universität Berlin hat über das damals geltende tschechoslowakische Staatsangehörigkeitsrecht berichtet. Das Einwohner-Zentralamt der Behörde des Inneren der Stadt Hamburg hat auf Anfrage mitgeteilt, der Kläger könne über die für seinen Wohnsitz zuständige deutsche Auslandsvertretung bei der Staatsangehörigkeitsbehörde, in deren Bereich er zuletzt seinen dauernden Aufenthalt in Deutschland gehabt habe, eine Bescheinigung beantragen, in der die Dauer des Besitzes der deutschen Staatsangehörigkeit und die Rechtsgrundlage für den Erwerb angegeben werden. Die den Kläger betreffende Versorgungsakte des Landesinvalidenamtes in Wien ist beigezogen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist statthaft, weil einige der Verfahrensrügen durchgreifen (§ 162 Abs 1 Nr 2 SGG in der bis zum 1974-12-31 geltenden Fassung - Art III und VI des Änderungsgesetzes vom 1974-07-30 - BGBl I S 1625 -; BSG 1, 150). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das LSG.

Das Berufungsgericht hat - ebenso wie die Beklagte - eine Versorgung nach den §§ 8 und 64ff BVG (in der seit 1967 geltenden Fassung) iVm Abschn A Nr 6 Abs 1 Satz 3 Buchst a, Nr 7 Satz 1 der Regelungen für die Versorgung von Kriegsopfern im Ausland ohne Ost- und Südosteuropa - Richtlinien 1967 und 1971 - (Beilage zum Bundesversorgungsblatt Nr 9/1967, Nr 7 bis 8/1971, abgedruckt in: Schönleiter, Handbuch der Bundesversorgung, KOV Ausland Nr 38)) für den im Ausland lebenden Kläger, der jetzt Kanadier ist, deshalb abgelehnt, weil der Ausschlußtatbestand der Nr 7 Sätze 2 und 3 der Richtlinien 1967 und 1971 gegeben sei; der Kläger habe die deutsche Staatsangehörigkeit, die er während seines militärischen Dienstes in der deutschen Wehrmacht besessen haben müsse, aufgrund der Angliederung der Republik Österreich an das Deutsche Reich und nicht erst durch den Anschluß der sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich erworben. Die Revision beanstandet nicht in erster Linie eine unrichtige Anwendung von Rechtsvorschriften (§ 162 SGG aF), die für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Vater des Klägers und damit durch den damals minderjährigen Kläger selbst maßgebend waren, auch nicht allein in rechtlicher Hinsicht eine auf österreichischem Recht beruhende und damit nicht revisible Entscheidung des LSG darüber, daß der Kläger durch seinen Vater am 13. März 1938 österreichischer Staatsbürger gewesen sei (Bundesverwaltungsgericht vom 1974-12-11 - VIII C 75.73 -). Diese Staatsangehörigkeit hat das LSG nicht als eine unstreitige Tatsache, die für das Revisionsgericht verbindlich wäre (§ 163 SGG; BVerwG 26, 276, 274f; 29, 34), zum Beispiel aufgrund einer Staatsangehörigkeitsurkunde, festgestellt. Vielmehr richten sich die Verfahrensrügen gegen die Würdigung von amtlichen Stellungnahmen zur früheren Staatsbürgerschaft auf Grund bestimmter Tatsachen und gegen tatsächliche Feststellungen, aus denen das Berufungsgericht rechtlich gefolgert hat, der Vater des Klägers habe als österreichischer Staatsbürger (Bundes- und Landesbürger aufgrund des Heimatrechtes in einer österreichischen Gemeinde; vgl Art 2 und 6 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes vom 1920-10-01 - abgedruckt in: Hans-Joachim Seeler, Das Staatsangehörigkeitsrecht Österreichs, Band 20 der Sammlung geltender Staatsangehörigkeitsgesetze, herausgegeben von der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg, 1957, S 141) infolge der "Wiedervereinigung" Österreichs mit dem Deutschen Reich (vgl dazu Ernst Rudolf Huber, Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, 2. Aufl 1939; 62, 92ff) die deutsche Staatsangehörigkeit mit Wirkung ab 13. März 1938 erworben (Österreichisches Bundes-Verfassungsgesetz vom 1938-03-13; deutsches Gesetz vom 1938-03-13 - RGBl I S 237 - iVm den §§ 1 und 8 der deutschen Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit im Lande Österreich vom 1938-07-03 - RGBl I S 790 -; vgl dazu Seeler, aaO S 42ff; Lichter/Hoffmann, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Auflage 1966, S 402ff), nicht jedoch als tschechoslowakischer Staatsbürger mit Heimatrecht als "alteingesessener Bewohner" in den sudetendeutschen Gebieten, wie der Kläger behauptet, mit Wirkung ab 10. Oktober 1938 infolge der "Wiedervereinigung" der bis dahin zur Tschechoslowakei gehörenden Gebiete mit dem Deutschen Reich (aufgrund des Münchener Abkommens vom 1938-09-29 - Bekanntmachung vom 1938-10-31 - RGBl II S 853 - iVm dem deutschen Gesetz vom 1938-11-21 - RGBl I S 1641 -; § 1 Abs 1 Buchst a und c des Vertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakischen Republik über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen vom 1938-11-20 - RGBl II S 896 - sowie Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit in den sudetendeutschen Gebieten vom 1939-02-12 - RGBl I S 205 -; vgl dazu Huber, aaO S 101f, 113, 115f; Lichter/Hoffmann, aaO, S 413ff; Erich Schmied, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Tschechoslowakei, Band 18 der oben zitierten Sammlung geltender Staatsangehörigkeitsgesetze, 1956, 2. Aufl 1974, hier zitiert nach der ersten Auflage, S 22ff). Welche ausländische Staatsangehörigkeit der Vater des Klägers 1938 hatte, ist von bestimmten Tatsachen, zB dem Erwerb eines Heimatrechts oder einer Einbürgerung oder einer Entziehung der Staatsbürgerschaft, abhängig.

Diese Verfahrensrügen, die auch bezüglich des anzuwenden ausländischen Rechtes zulässig sind (BSG, Breithaupt 1973, 682f; BVerwG, ZLA 1975, 35, 37f), greifen teilweise durch, deshalb sind die genannten Feststellungen für das Revisionsgericht nicht verbindlich (§ 163 SGG). Von Feststellungen dieser Art hängt es nach der maßgebenden sachlich-rechtlichen Auffassung des LSG (BSG 2, 84, 87; SozR Nr 40 zu § 103 SGG) ab, ob der Kläger Versorgung nach dem BVG erhalten kann.

Wie die Revision zutreffend rügt, hätte das LSG nicht ohne weitere Sachaufklärung von Amts wegen (§ 103 SGG) allein aufgrund der vorhandenen Unterlagen und Auskünfte zu dem Ergebnis gelangen dürfen, der Vater des Klägers sei im März 1938 tschechoslowakischer Staatsangehöriger gewesen. Die Auskünfte und Stellungnahmen des Einwohner-Zentralamtes der Stadt Hamburg vom 6. Januar 1972 (mit Anlagen) sowie des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung vom 18. November 1969 sind, obwohl nicht einander widersprechend, jeweils in sich nicht widerspruchsfrei und nicht erschöpfend, decken sich nicht vollständig mit feststehenden Tatsachen und lassen - entgegen der Würdigung durch das LSG - den Sachverhalt, den der Kläger behauptet, möglich erscheinen, daß nämlich sein Vater im Oktober 1938 tschechoslowakischer Staatsbürger war. Dies hätte dem LSG eine weitere Sachaufklärung über die Grundlage des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Kläger bzw seinen Vater entsprechend den Revisionsrügen aufdrängen müssen (BSG SozR Nr 14 zu § 103 SGG). Mit der Auswahl bloß einzelner Umstände aus den beiden behördlichen Äußerungen und aus den Hamburger Staatsangehörigkeitsunterlagen hat das Berufungsgericht die Grenzen seines Rechts zur freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten (BSG 2, 236, 237), wie die Revision zutreffend und auch gerade noch formgerecht (§ 164 Abs 2 Satz 2 SGG aF) dargelegt hat. Der rechtliche Rahmen für die gebotene Sachaufklärung und für die zulässige Beweiswürdigung wird im vorliegenden Fall durch ausländische Rechtsvorschriften in Verbindung mit bisher nicht vollständig aufgeklärten Tatsachen bestimmt. Diese Bestimmungen darf das Revisionsgericht in die Prüfung nach § 162 Abs 1 Nr 2 SGG aF einbeziehen, weil das LSG sie nicht berücksichtigt hat (BSG 7, 122, 125; 13, 206, 212 = SozR Nr 2 zu § 615 RVO).

Die Angabe des Vaters des Klägers in den seine Staatsangehörigkeit betreffenden Unterlagen des Hamburger Einwohner-Zentralamts, er habe bis zum 13. März 1938 die österreichische Staatsangehörigkeit gehabt, worauf das LSG seine Beweiswürdigung und seine rechtlichen Folgerungen gestützt hat, wird durch die Stellungnahme des Hamburger Einwohner-Zentralamtes in Frage gestellt, daß dies "offensichtlich unrichtig" sei, da er nach einer anderen eigenen Angabe und nach einem amtlichen Vermerk in derselben Akte am 10. Oktober 1938 die Heimatzuständigkeit (vgl dazu Schmied, aaO, S 18f, 79) in Altstadt/Sudetenland hatte. In Altstadt wohnte Karl K nach den weiteren Eintragungen und amtlichen Berichten seit 1934, von Graz kommend, bis zu seiner Übersiedlung nach Hamburg im Jahre 1941. Wenn damals für seine Staatsbürgerschaft das durch Altstadt bestimmte Heimatrecht maßgebend war, müssen seine Angaben als in sich widersprüchlich gewertet werden. Da die Behauptung über die Heimatzuständigkeit in Altstadt amtlich bestätigt wurde, durfte das LSG nicht ohne weiteres auf die Angabe über die Staatsbürgerschaft sein Urteil gründen. Auf dem Heimatrecht für Altstadt kann die österreichische Staatsbürgerschaft nicht beruht haben; denn in diesem Ort wohnte der Vater erst, nachdem er Österreich verlassen hatte, und dann konnte dieser damals tschechoslowakische Ort allein ein Heimatrecht als Grundlage für die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit begründen, was den Klageanspruch rechtfertigen würde. Darauf gründet sich die rechtliche Folgerung des Hamburger Einwohner-Zentralamtes, der Kläger habe durch seinen Vater erst im Oktober 1938 durch die Angliederung der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Altstadt gehörte zum Kreis Mährisch-Trübau und damit zu den sudetendeutschen Gebieten, die nach der Vereinigung mit dem Deutschen Reich von 1938 zum Reichsgau Sudetenland wurden (§ 1 des Gesetzes über die Gliederung der sudetendeutschen Gebiete vom 1939-03-25 - RGBl I S 754 -; Amtliches Gemeindeverzeichnis für das Deutsche Reich aufgrund der Volkszählung 1939, herausgegeben vom Statistischen Reichsamt, 1. Aufl 1940, 36-51, S 263). Die Schlußfolgerung, der Vater K sei erst infolge des Anschlusses des Sudetenlandes deutscher Staatsangehöriger geworden, auf die es jetzt entscheidend ankommt, wäre nach allgemeiner Erfahrung mit der kollektiven Einbürgerung aufgrund des Wohnortes von 1938 und, wie noch darzulegen ist, des Geburtsortes berechtigt, dagegen nicht, falls der Vater des Klägers 1938 österreichischer Staatsbürger gewesen wäre und deshalb schon im März des Jahres infolge der Angliederung Österreichs die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätte. Er hätte aber nach seinem persönlichen Lebensweg vorher, nachdem er von Österreich in die Tschechoslowakei übergesiedelt war, die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit erworben haben können (vgl Schmied, aaO, S 19f); dies war unter Umständen möglich nach einem weiterhin mit der Revision behaupteten, vom LSG aber trotz entsprechenden früheren Vorbringens nicht aufgeklärten Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft aus politischen Gründen (etwa aufgrund der österreichischen Verordnung vom 1933-08-16, zitiert in § 2 der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 1938-07-03; vgl Lichter/Hoffmann, aaO, S 404f; Seeler, aaO, S 40, 150f), den Karl K wegen der politischen Lage von 1944 im damaligen Staatsangehörigkeitsverfahren verschwiegen haben könnte. Die österreichische Staatsangehörigkeit muß er übrigens nicht erworben haben, als er vorher in Österreich lebte. Er kann vielmehr aufgrund seiner Geburt in Porstendorf das dortige Heimatrecht ursprünglich nach österreichisch-ungarischem und später nach tschechoslowakischem Recht gehabt und behalten und infolgedessen nach der Entstehung der Tschechoslowakei die Staatsangehörigkeit dieses Staates erworben und bis 1938 behalten haben (vgl Schmied, aaO, S 12, 14f, 18f, 53ff, 60ff, Seeler, aaO, S 31f, 122ff, 127ff, 130ff, 138ff, 143f). Porstendorf liegt ebenso wie Altstadt im Kreis Mährisch-Trübau und damit in den 1938 deutsch gewordenen sudetendeutschen Gebieten der Tschechoslowakei (vgl das oben zitierte Gemeindeverzeichnis), die bis 1918 zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörten; die Tschechoslowakei ist ua auf dem Boden der damals österreichisch-ungarischen Provinzen Böhmen, Mähren und (österreichisch) Schlesien und damit in jenem Gebiet des Sudetenlandes entstanden (bestätigt durch den Vertrag vom Saint-Germain-en-Laye; vgl Rönnefarth/Euler, Vertrags-Ploetz, Konferenzen und Verträge, Teil II, Band 4 A, 2. Aufl 1959, S 47, 48; Ploetz, Auszug aus der Geschichte, 24. Auflage 1951, S 673, 681f, 688f; Putzger, Historischer Schulatlas, 63. Auflage 1954, S 109f; Kinder/Hilgemann, dtv-Atlas zur Weltgeschichte, II, 7. Auflage 1972, S 38, 58, 78, 130ff, 157).

Ob der Vater des Klägers im März 1938 österreichischer Staatsbürger oder im Oktober 1938 tschechoslowakischer Staatsangehöriger war, könnte sich schließlich auch aus dem Grund für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nach dem 2. Weltkrieg ableiten lassen. Auch die darüber vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung erteilte Auskunft hat das LSG unter Verletzung der §§ 103 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG verwertet, worauf die Revision ebenfalls zutreffend hinweist. Wenn dem Kläger "die österreichische Staatsbürgerschaft erst mit Urkunde ... vom 17. September 1947 ... verliehen worden" ist, wird er sie wohl nicht am 27. April 1945, wie grundsätzlich alle Österreicher, die seit März 1938 deutsche Staatsangehörige waren, automatisch durch die Wiederherstellung der Republik Österreich aufgrund des (österreichischen) Gesetzes über die Überleitung in die österreichische Staatsbürgerschaft vom 10. Juli 1945 erworben haben (vgl BVerwG vom 1974-12-11; Lichter/Hoffmann, aaO, S 402f; Seeler, aaO, S 49ff, 55, 160ff). Davon ist die Steiermärkische Landesregierung ausgegangen. Der Kläger hatte nach deren Auskunft durch seinen Vater die deutsche Staatsangehörigkeit infolge der Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich deshalb nicht erwerben können, weil er 1938 durch den Vater tschechoslowakischer Staatsangehöriger gewesen sein "dürfte". Diese Stellungnahme hat das LSG nicht hinreichend beachtet. Jene rechtliche Schlußfolgerung scheint auf der tatsächlichen Annahme zu beruhen, der Kläger habe ab 1934 in der Tschechoslowakei gewohnt. Die zuständige österreichische Behörde wird 1947 Ermittlungen darüber angestellt haben, welche Staatsangehörigkeit der Vater des Klägers, der selbst seit 1946 in Österreich lebt, im März 1938 hatte. Das LSG hätte dies durch eine Rückfrage genau aufklären müssen. Seine Feststellung, es bestehe kein Anhalt dafür, daß der Vater des Klägers vor 1938 die österreichische Staatsbürgerschaft verloren und die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit erworben hätte, liegt wegen der bereits erteilten Auskunft und den zuvor dargelegten Möglichkeiten außerhalb der Grenzen des Beweiswürdigungsrechtes.

Ergänzend zu der gebotenen Anfrage an das Amt der Steiermärkischen Landesregierung hätte sich dem Berufungsgericht eine Klärung durch die Hamburger Staatsangehörigkeitsstelle aufdrängen müssen. Diese Behörde stellt nach der Auskunft vom 6. Januar 1972 nur scheinbar ausschließlich Urkunden über die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 39 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in der heutigen Fassung; vgl Lichter/Hoffmann, aaO, S 180f, 240f; Abschn D, V, Nrn 93 und 94 der Richtlinien 1967 und 1971) für Bürger aus, die noch deutsche Staatsangehörige sind, zu denen der Kläger nicht gehört. Die Stellungnahme vom 6. Januar 1972 ist aber nicht so eindeutig auf solche Fälle beschränkt, daß sie nicht die Rückfrage hätte nahelegen müssen, ob auch die deutsche Staatsangehörigkeit für frühere Zeiten bescheinigt wird. Die vom erkennenden Senat eingeholte Auskunft vom 3. Juni 1975 bestätigt, was die Revision vorträgt: Der Kläger könnte von diesem Amt, in dessen Bereich er zuletzt während seines Aufenthalts in Deutschland wohnte, eine Bescheinigung über die Dauer des Besitzes der deutschen Staatsangehörigkeit und über die Rechtsgrundlage des Erwerbs ausstellen lassen. Dazu hätte ihn das LSG veranlassen müssen. In einem solchen Verfahren könnte der Sachverhalt unter den rechtlichen Gesichtspunkten, die für den anhängigen Rechtsstreit ausschlaggebend sind, aufgehellt und sachkundig gewürdigt werden, ua unter Verwertung der Feststellungen des zuständigen österreichischen Staatsbürgeramtes, auch über den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den Vater K nach dem Krieg und nach einer eventuell notwendigen Vernehmung desselben.

Da ausreichende tatsächliche Feststellungen für eine Entscheidung über die begehrte Versorgung fehlen, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das Berufungsgericht hat nun den Sachverhalt in den aufgezeigten Richtungen aufzuklären. Es hat auch über die Erstattung der Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650672

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