Orientierungssatz
1. Ab Mai 1945 bis März 1946 in der CSSR zurückgelegte Beitragszeiten können nach § 17 Abs 1 Buchst b FRG nicht berücksichtigt werden.
2. Zur deutschen Volkszugehörigkeit bei Österreichern.
Normenkette
FRG § 17 Abs 1 Buchst b, § 1 Buchst b
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte für in der Tschechoslowakei von Mai 1945 bis März 1946 zurückgelegte Zeiten eine Versicherungsunterlage herzustellen hat.
Die Klägerin ist die Tochter des 1898 in der österreichischen Steiermark geborenen und 1912 mit seinen Eltern nach Böhmen (Neschwitz/Elbe) verzogenen Rudolf Sch. , der 1918 in das Deutsche Reich übergesiedelt ist. Die Klägerin ist 1925 in Küstrin geboren, hat später im Sudetenland gelebt, 1944/45 Reichsarbeitsdienst und Kriegshilfsdienst geleistet und wurde nach dem Zusammenbruch aus der CSR nicht nach Deutschland vertrieben, sondern nach einer angeblich staatlich verfügten Verpflichtung zur Arbeit als Sekretärin im Betriebe ihres in Haft genommenen Vaters in der Zeit ab Mai 1945 bis März 1946 im April 1946 nach Österreich ausgesiedelt. Seit 1952 hält sich die Klägerin als österreichische Staatsangehörige mit Unterbrechungen in Deutschland auf. Sie ist nicht als Vertriebene anerkannt.
Die 1974 und 1976 beantragte Herstellung von Versicherungsunterlagen auch für die Zeit der Arbeitsverpflichtung in der CSR lehnte die Beklagte ab; die Anrechnung von Fremdzeiten gemäß §§ 15, 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) sei ausgeschlossen, weil die Klägerin als österreichische Staatsangehörige nicht zum Personenkreis des § 1 FRG gehöre (Bescheid vom 1. Dezember 1977, Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1980).
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Urteil vom 12. März 1986 ausgeführt, die Klägerin sei weder anerkannte Vertriebene nach § 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (BVFG) noch Deutsche oder frühere Deutsche iS des Art 116 Abs 1 und 2 des Grundgesetzes (GG). Als österreichische Staatsangehörige könne sie sich auch nicht auf deutsche Volkszugehörigkeit iS des § 6 BVFG berufen (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1974, DÖV 1975, 533). Nach eigenen Angaben sei sie Österreicherin von Geburt. Daß sie diese Staatsangehörigkeit verloren gehabt habe, bevor sie nach dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich 1938 die deutsche erhalten habe, könne nicht festgestellt werden. Mit der Wiederherstellung der Republik Österreich im April 1945 habe sie automatisch die österreichische Staatsangehörigkeit wiedererlangt. Vom vorherigen Besitz der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft sei nicht auszugehen. Hätte sie nach dem Kriege die österreichische Staatsangehörigkeit anders als durch die Wiederherstellung der Republik erworben, müßte sie Einbürgerungsurkunden haben. Aus der deutschen Staatsbürgerschaft ab März 1938 bis April 1945 könne sie die Berücksichtigung der Zeiten nicht herleiten; für jene habe der österreichische Versicherungsträger einzustehen. Daß er deren Aufnahme in seine Versicherungslast ablehne, weil die Klägerin zu den Stichtagen nicht in Österreich gewohnt habe, begründe keine Verpflichtung des deutschen Trägers, auch nicht aufgrund der deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommen. § 17 Abs 1 FRG sei nicht anwendbar.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 1, 16, 17 FRG. Zwar sei ihre Anerkennung als Vertriebene abgelehnt worden. Jedoch habe das LSG verkannt, daß sie wegen deutscher Volkszugehörigkeit Deutsche iS des Art 116 Abs 1 GG gemäß § 1 Buchst c FRG sei; als solche sei sie nach dem 8. Mai 1945 im Ausland zwangsverpflichtet gewesen. Mittlerweile bezweifele sie auch, ob im Jahre 1938 ihr Vater - und damit sie - tatsächlich österreichischer und nicht deutscher oder tschechoslowakischer Staatsbürger gewesen sei. 1946 sei ihr in Österreich nur ein Identitätsausweis ausgestellt worden, der nicht als Nachweis der österreichischen Staatsbürgerschaft gegolten habe; einen Paß als Österreicherin habe sie erst 1947 erhalten. Der automatische Wiedererwerb der österreichischen Staatsangehörigkeit betreffe sie somit nicht. Gehöre sie gleichwohl nicht zum Personenkreis des § 1 FRG, so sei sie jedenfalls von § 17 Abs 1 FRG erfaßt.
Die Klägerin beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie die angefochtenen Bescheide zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. Mai 1945 bis 31. März 1946 als Beitragszeit nach dem FRG zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Gegenstand des Streites ist in der Revision nur noch, ob die Beklagte verpflichtet ist, für die Zeit von Mai 1945 bis März 1946 eine Versicherungsunterlage herzustellen; das weitere Begehren, Ersatzzeiten vorzumerken, wird von der Klägerin nicht mehr verfolgt.
Rechtsgrundlage für den Klageanspruch ist § 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagen-Verordnung, danach sind auf Antrag Versicherungsunterlagen für nach dem FRG anrechenbare Zeiten außerhalb des Leistungsfeststellungsverfahrens herzustellen. Mittlerweile ist zwar eine Leistung für die Klägerin festgestellt worden; sie erhält seit Mai 1984 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Auf das Rechtsschutzbedürfnis für die Herstellung wirkt sich dieser Umstand indes nicht negativ aus. Da die strittige Fremdzeit auch bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt worden ist und dies nur dann geschehen soll, wenn das Herstellungsverfahren zugunsten der Klägerin endet, besteht ihr Interesse am Rechtsschutz insoweit fort. Allerdings kann sie einen erfolgreichen Abschluß des Verfahrens nicht erreichen. Die Zeit von Mai 1945 bis März 1946 ist keine nach dem FRG anrechenbare Zeit. Es fehlt bereits an der Zugehörigkeit zum Kreis der berechtigten Personen, wie ihn § 1 FRG im einzelnen umgrenzt.
Da die Klägerin nach eigener Darstellung nicht als Vertriebene iS des § 1 BVFG anerkannt ist, entfällt der Tatbestand des § 1 Buchst a von vornherein; das gleiche gilt im Ergebnis für Buchstaben d und e. § 1 Buchst c FRG, auf den sich die Revision stützt, ist allein schon deswegen nicht gegeben, weil die Klägerin nicht nach dem 8. Mai 1945 zur Arbeitsleistung in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht worden ist. Sie ist vielmehr an ihrem bisherigen Wohnort - zur Arbeitsleistung - verblieben, und ihre Aussiedelung fand nach dem Ende der Arbeitsverpflichtung statt.
Um - als letzte Möglichkeit - unter § 1 Buchst b FRG zu fallen, müßte die Klägerin Deutsche iS des Art 116 Abs 1 oder frühere Deutsche iS des Abs 2 Satz 1 GG sein und unabhängig von den Kriegsauswirkungen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des FRG genommen haben, jedoch infolge solcher Auswirkungen den früher für sie zuständigen Versicherungsträger eines auswärtigen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen können. Ob das letztere Erfordernis für österreichische Staatsbürger im Verhältnis zu den Versicherungsträgern der CSR (CSSR) stets und in vollem Ausmaß zutrifft, hält der Senat nicht für zweifelsfrei. Indes braucht er dies nicht zu vertiefen und auch dem nicht näher nachzugehen, ob die Klägerin - im Jahre 1952 - ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland genommen hat. § 1 Buchst b FRG scheidet als anspruchsbegründende Norm in jedem Falle deshalb aus, weil die Klägerin keine Deutsche iS des Art 116 Abs 1 (und des Abs 2 Satz 1) GG ist. Kommt insoweit die erste Alternative mangels Besitzes der deutschen Staatsangehörigkeit nicht in Betracht, so ist hinsichtlich der zweiten Alternative von Art 116 Abs 1 GG zunächst schon offen, ob die Klägerin, wäre sie deutsche Volkszugehörige, als Flüchtling oder Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit oder als Abkömmling eines solchen in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. Da die Klägerin nach dem Sachverhalt im April 1946 nicht in das umschriebene Gebiet, sondern in die Republik Österreich ausgesiedelt worden und erst 1952 nach Deutschland gekommen ist, müßte sie sonach zu letzterem Zeitpunkt "Aufnahme als Vertriebene" gefunden haben. Dazu sind Tatsachen indes weder aus dem Urteil des LSG zu entnehmen noch machen es die Gesamtumstände des Falles plausibel; die Klägerin hat vielmehr stets angegeben, aus familiären und beruflichen Gründen 1952 nach München gezogen zu sein. Selbst wenn der Senat gleichwohl davon ausgehen würde, sie habe 1952 ihren Aufenthalt dort "als Vertriebene", dh als zuvorige Bewohnerin eines Vertreibungsgebietes, genommen, bliebe immer noch übrig, daß es an der Eigenschaft der deutschen Volkszugehörigkeit fehlt.
Hierzu hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) am 27. Februar 1986 zu § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung entschieden (SozR 5070 § 20 Nr 12), an der dort erforderlichen Vertriebeneneigenschaft gemäß § 1 BVFG, die die deutsche Volkszugehörigkeit voraussetzt, fehle es bei ehemaligen Österreichern jedenfalls dann, wenn sie mit der Wiedererrichtung des Staates Österreich am 27. April 1945 - ungeachtet ihres Auslandsaufenthaltes - wieder österreichische Staatsbürger geworden seien, nach der Aussiedelung wieder in ihren österreichischen Heimatstaat zurückgekehrt und dort eingegliedert worden seien und wenn sonstige Anhaltspunkte für eine besondere Bindung an Deutschland fehlten. Hierbei ist der 1. Senat des BSG der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts -BVerwG- (DÖV 1975, 533, 534) und im Ergebnis auch der des Bundesgerichtshofes (RzW 1962, 467; 1965, 177; 1967, 118) gefolgt, wonach es der auf Wiederherstellung des Staates Österreich gerichteten Zielsetzung widerspreche, die als Staatsvolk in Anspruch genommene Bevölkerung noch als deutsche Volkszugehörige iS des BVFG anzusehen. Korrespondierend damit sehe das österreichische Recht als "Volksdeutsche" nicht mehr österreichische Staatsangehörige, sondern nur noch Personen deutscher Sprachzugehörigkeit an, deren Staatsangehörigkeit zumindest ungeklärt sei (§ 1 des Bundesgesetzes vom 2. Juni 1954, betreffend den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Volksdeutsche idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1955; § 2 Abs 1 Buchst a des Auslandsrenten-Übernahmegesetzes -ARÜG- vom 22. November 1961 idF des Gesetzes vom 5. April 1962, ÖBGBl 1962, 114).
Diesen Gedankengängen schließt sich der erkennende Senat im Rahmen des hier maßgebenden § 116 Abs 1 GG an. Sie lassen sich auf den Fall der Klägerin ohne weiteres übertragen, die, wie das LSG festgestellt hat, die von Geburt an bestehende österreichische Staatsangehörigkeit durch den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 verloren (s Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit im Lande Österreich vom 3. Juli 1938, RGBl I, 790) und ab Wiederherstellung der Republik Österreich zum 27. April 1945 wiedererlangt hat (s § 1 des österreichischen Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetzes vom 10. Juli 1945). Nach ihrer Aussiedelung nach Österreich im April 1946 ist die Klägerin bis 1952 ständig und seit dieser Zeit zeitweilig dort wohnhaft und beschäftigt gewesen und hat nach der Verheiratung mit einem deutschen Staatsangehörigen gleichwohl die österreichische Staatsbürgerschaft beibehalten, sichere Zeichen, daß sie den Willen bekundet hat, nicht als Deutsche, sondern als Österreicherin behandelt zu werden (BVerwG aaO mwN).
Hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin vor März 1938 die tschechoslowakische oder die deutsche Staatsangehörigkeit erworben und deshalb im Zeitpunkt ihrer Aussiedelung und später, möglicherweise neben der österreichischen, die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hätte, ergeben sich weder aus den Feststellungen des LSG noch aus dem Gesamtinhalt der Akten. Gegen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft spricht zum einen die Tatsache der Ableistung von Reichsarbeits- und Kriegshilfsdienst, zum anderen die Tatsache der Aussiedelung überhaupt; gegen die deutsche Staatsbürgerschaft die Aussiedelung nach Österreich. Das LSG ist deshalb ausschließlich davon ausgegangen, daß die Klägerin nur von März 1938 bis April 1945 Deutsche und im übrigen Österreicherin gewesen ist. Hiergegen sind Verfahrensrügen nicht erhoben worden. In der Revision "bezweifelt" die Klägerin zwar, im März 1938 noch die österreichische Staatsangehörigkeit besessen zu haben oder gar überhaupt als österreichische Staatsangehörige geboren worden zu sein; sie beschränkt sich aber auf ein tatsächliches Vorbringen zu den Feststellungen des LSG, das im Revisionsverfahren unbeachtet bleiben muß (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Hiernach hat der Senat davon auszugehen, daß die Klägerin nicht Deutsche iS des Art 116 GG ist und darum auch von § 1 Buchst b FRG nicht erfaßt sein kann. Damit scheidet die Herstellung einer Versicherungsunterlage für die strittige Zeit auf der Grundlage von § 15 FRG aus; § 16 findet auf die in § 1 Buchst b genannten Personen ohnedies keine Anwendung (§ 17 Abs 2 Satz 2 FRG).
Der von § 1 FRG unabhängige § 17 Abs 1 Buchst b FRG deckt den Anspruch entgegen der Klägerin ebenfalls nicht. Es können für die streitige Zeit keine Beiträge an einen nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet sein, die ein deutscher Träger bei Eintritt des Versicherungsfalles wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge hätte behandeln müssen. Mit der Vorschrift werden nur die Fälle der - bis zur Beendigung des Krieges - auf einen reichsdeutschen Versicherungsträger übergeleiteten fremden Versicherungszeiten geregelt (Urteil vom 26. August 1987 - 11a RA 34/86 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Darunter fallen ab Mai 1945 in der CSR zurückgelegte Versicherungszeiten nicht.
Auch das deutsch-österreichische Abkommensrecht hat keine Verpflichtung geschaffen, die Zeiten zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen. Zwar wird die Klägerin insoweit von dem auf dem deutsch-österreichischen Finanz- und Ausgleichsvertrag vom 27. November 1961 (BGBl II 1962, 1044) beruhenden ARÜG nicht erfaßt, weil sie zu den maßgeblichen Stichtagen ihren ständigen Aufenthalt nicht im Lande hatte. Hieraus folgt indes nicht, daß die Zeiten vom deutschen Versicherungsträger zu honorieren sind. Auch aus dem Schlußprotokoll zum deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommen vom 22. Dezember 1966 (BGBl I 1969, 1235, 1247) ergibt sich keine dahingehende Pflicht.
Hiernach war das Urteil des LSG zu bestätigen; das führte zur Zurückweisung der Revision.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen