Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Beklagte die berechnungsfähigen Kosten der Versorgung des Klägers mit Zahnersatz im Rahmen der Härtefallregelung in vollem Umfang zu übernehmen hat (§ 61 Abs. 1 Nr. 2 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs SGB V ).
Der Kläger, der bei der Beklagten versichert ist und Arbeitslosenhilfe (Alhi) bezog, beantragte am 31. März 1992 bei der Beklagten unter Vorlage eines Heil- und Kostenplans seines Zahnarztes einen Zuschuß zu den voraussichtlichen Kosten des Zahnersatzes. Die Beklagte erklärte sich bereit, einen Zuschuß in Höhe von 90 v.H. des Vertragshonorars und der vertragsüblichen Material- und Laborkosten zu übernehmen. Eine volle Kostenübernahme lehnte sie ab, weil der Kläger mangels eigener Bemühungen um die Gesunderhaltung seiner Zähne die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Bonus nach § 30 Abs. 5 SGB V a.F. nicht erfülle und deshalb mit 10 v.H. der berechnungsfähigen Kosten belastet bleibe (Bescheid vom 17. September 1992; Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1992).
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die berechnungsfähigen Kosten für die prothetische Versorgung des Klägers vollständig zu übernehmen. In den Gründen der Entscheidung ist im wesentlichen ausgeführt, dem Kläger sei die Tragung eines Eigenanteils nicht zuzumuten, weil er ansonsten als Bezieher von Alhi gem § 61 Abs. 2 Nr. 2 SGB V unzumutbar belastet würde. Eine Übernahme der berechnungsfähigen Kosten werde auch nicht dadurch eingeschränkt, daß dem Kläger die Bonusregelung des § 30 Abs. 5 SGB V a.F. nicht zugute komme. Hätte der Gesetzgeber eine derartige Einschränkung gewollt, hätte er sie in § 61 SGB V zum Ausdruck gebracht. Dessen Wortlaut sei im Gegenteil zu entnehmen, daß eine Belastung des Versicherten mit auch nur einem geringen Teil der berechnungsfähigen Kosten nicht eintreten soll. Auf eigene Bemühungen des Versicherten zur Gesunderhaltung seiner Zähne komme es mithin nicht an. Dies führe auch nicht zu einer Ungleichbehandlung der Versicherten, da der von § 61 Abs. 2 SGB V erfaßte Personenkreis nicht mit den übrigen Versicherten verglichen werde könne, die nicht wie dieser bedürftig seien (Urteil des SG Nürnberg vom 8. Juni 1993).
Mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Entgegen der Meinung des SG sei der im Rahmen des § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V zu übernehmende Kostenanteil bei der Versorgung mit Zahnersatz einschließlich der Zuschußleistung nach § 30 SGB V a.F. auf 90 v.H. der berechnungsfähigen Gesamtkosten begrenzt, wenn - wie hier - die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Zahnpflege-Bonus nach § 30 Abs. 5 Satz 2 SGB V a.F. nicht erfüllt seien. Daß § 61 SGB V einen Hinweis auf die genannte Bonusregelung des § 30 SGB V nicht enthalte, beruhe auf einem gesetzgeberischen Versehen, wie sich aus der rechtsähnlichen Vorschrift des § 62 Abs. 2a SGB V ergebe, in deren Rahmen die genannte Bonusregelung sehr wohl zu berücksichtigen sei. Andernfalls würden die von § 61 Abs. 2 SGB V erfaßten einkommensschwachen Versicherten ungerechtfertigt gegenüber anderen Versicherten bevorzugt, die nur unwesentlich mehr Einkommen zur Verfügung hätten, aber unter § 62 Abs. 2a SGB V fielen und deshalb mit der Bonusregelung des § 30 Abs. 5 Satz 2 SGB V a.F. belastet würden. Das sei vom Gesetzgeber ersichtlich so nicht gewollt. Eine Nichtberücksichtigung der Bonusregelung des § 30 SGB V bei der vollständigen Kostenbefreiung im Rahmen des § 61 SGB V würde auch dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen, bei der Zahnprophylaxe Defizite abzubauen, um eine Verringerung der Zahnschäden zu erreichen. Der Personenkreis des § 61 Abs. 2 SGB V habe nicht von der Eigenverantwortung für die Gesunderhaltung seiner Zähne befreit werden sollen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 8. Juni 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zu Recht verurteilt worden, auch die hier streitigen 10 v.H. der berechnungsfähigen Kosten der Versorgung mit Zahnersatz zu übernehmen.
Nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V hat die Krankenkasse den von den Versicherten zu tragenden Teil der berechnungsfähigen Kosten bei der Versorgung mit Zahnersatz zu übernehmen, wenn die Versicherten unzumutbar belastet würden. Daß der Kläger zum Kreis derjenigen gehört, der nach § 61 Abs. 2 SGB V als unzumutbar belastet gilt, ist zwischen den Beteiligten unstreitig; als Bezieher von Alhi zur Zeit der Versorgung mit Zahnersatz unterfällt er der Regelung in § 61 Abs. 2 Nr. 2 SGB V, und zwar unabhängig davon, ob er auch die Voraussetzungen der Nr. 1 dieser Regelung erfüllt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 29. Juni 1994 - 1 RK 47/93 - zur Veröffentlichung bestimmt). Folglich darf dem Kläger bei der Versorgung mit Zahnersatz kein Eigenanteil zugemutet werden. Die Beklagte hat ihm also auch denjenigen Teil der berechnungsfähigen Kosten der prothetischen Versorgung zu erstatten, der nicht bereits aufgrund der primären Kostenerstattungsregelung des § 30 SGB V a.F. als Kassenanteil (Zuschuß) zu übernehmen war, sondern an sich als Eigenanteil vom Versicherten selbst zu tragen ist. Das gilt auch insoweit, als der Versicherte sich in der Vergangenheit nicht um die Gesunderhaltung seiner Zähne bemüht hat und deshalb die Voraussetzungen des § 30 Abs. 5 SGB V a.F. für einen erhöhten Zuschuß (Zahnpflege-Bonus) nicht erfüllt hat.
Nach § 30 SGB V in der hier anzuwendenden, bis 31. Dezember 1992 gültig gewesenen ursprünglichen Fassung (aF) des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG vom 20. Dezember 1988, BGBl. I, 2477) erstattet die Krankenkasse Versicherten 50 v.H. der Kosten der im Rahmen der kassenzahnärztlichen Versorgung durchgeführten medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz (Abs 1 Satz 1). Dieser Zuschuß erhöht sich nach § 30 Abs. 5 SGB V a.F. (jetzt § 30 Abs. 2 SGB V nF) um zehn Prozentpunkte für eigene Bemühungen des Versicherten zur Gesunderhaltung seiner Zähne (Satz 1). Der erhöhte Zuschuß entfällt jedoch vom 1. Januar 1991 an, wenn der Gebißzustand des Versicherten regelmäßige Zahnpflege nicht erkennen läßt und der Versicherte seit dem 1. Januar 1989 die gesetzlich vorgesehenen Zahngesundheitsuntersuchungen nicht in Anspruch genommen hat (Satz 2). Diese Regelung findet in Fällen Anwendung, in denen - wie hier - der Versorgungsfall nach dem 31. Dezember 1990 eingetreten ist.
Daß der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen für den erhöhten Zuschuß nicht erfüllt und mithin im Rahmen des § 30 SGB V a.F. einen um zehn Prozentpunkte höheren Eigenanteil an den berechnungsfähigen Kosten zu tragen hat (50 v.H. statt 40 vH), steht außer Streit. Die allein streitige Frage, ob auch in diesem Fall die Härtefallregelung des § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V uneingeschränkt anzuwenden ist, d.h. ob die Beklagte neben dem nach § 30 Abs. 1 SGB V a.F. zu übernehmenden Kostenanteil (Zuschuß in Höhe von 50 vH) auch den vom Kläger zu tragenden Eigenanteil (50 vH) in vollem Umfang zu übernehmen hat, hat der erkennende Senat bejaht. Der gegenteiligen Meinung der Beklagten, daß hier der von ihr im Rahmen der §§ 30, 61 SGB V zu übernehmende Teil der berechnungsfähigen Kosten auf insgesamt 90 v.H. (50 v.H. und 40 vH) begrenzt sei, vermochte der Senat nicht zu folgen.
Dagegen spricht in erster Linie der für die Auslegung maßgebliche Wortlaut des § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, wonach der von den Versicherten zu tragende Teil der berechnungsfähigen Kosten - uneingeschränkt - zu übernehmen ist. Eine eingeschränkte bzw. nur teilweise Kostenerstattung in den Fällen, in denen der Versicherte die Voraussetzungen für den Zahnpflege-Bonus nach § 30 Abs. 5 SGB V a.F. nicht erfüllt, ist dem Wortlaut dieser Regelung nicht zu entnehmen; er enthält keinerlei Bezugnahme auf das gestufte System der Kostenerstattung in § 30 SGB V a.F. und läßt hinsichtlich der Höhe des von der Krankenkasse zu übernehmenden Eigenanteils des Versicherten jegliche Differenzierung vermissen. Darüber hinaus ergibt sich schon aus einem Vergleich zwischen § 61 und § 62 SGB V und dem systematischen Zusammenhang zwischen beiden Regelungen, daß § 61 SGB V die vollständige Befreiung des Versicherten von Eigenbeteiligungen zum Gegenstand hat, während § 62 SGB V die teilweise Befreiung regelt. Deshalb bleibt im Rahmen des § 61 SGB V die Regelung des § 30 Abs. 5 Satz 2 SGB V a.F. ohne Berücksichtigung (so ausdrücklich auch Schellhorn in von Maydell, GK-SGB V, § 61 Rz 21; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, § 61 Rz 4; im Ergebnis auch Hauck/Haines, SGB V, § 61 Rz 2, 6; Höfler in KassKomm, § 61 SGB V Rz 2 bis 4; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 61 Rz 7; aA Zipperer in Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V, GKV-Komm, § 61 Rz 5; Besprechungsergebnis der Leistungsreferenten der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 26./27. Juni 1991, BKK 1991, 698, 700).
Für diese Auslegung sprechen auch Sinn und Zweck dieser Regelung sowie ihre Entstehungsgeschichte. Mit § 61 SGB V sollte der Personenkreis abschließend (s dazu BSG Urteil vom 3. März 1994 - 1 RK 33/93 -) erfaßt werden, der aufgrund seiner finanziellen Situation typischerweise außerstande ist, Zuzahlungen zu leisten oder einen Eigenanteil zu übernehmen. Die Regelung ist als Härtefallregelung Ausdruck des Solidarprinzips und soll sicherstellen, daß einkommensschwache Versicherte notwendige Leistungen in vollem Umfang - ohne Eigenbeteiligungen oder Zuzahlungen - erhalten. Demgegenüber hat die mit § 30 SGB V bezweckte Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten (§ 1 Satz 2 SGB V; BT-Drucks. 11/2237 S. 149), wonach Zahnprophylaxe mit einem erhöhten Zuschuß (Bonus) belohnt wird und fehlende Zahnprophylaxe zu einem Wegfall dieses Zuschusses führt (§ 30 Abs. 5 Satz 1 und 2 SGB V aF), im Rahmen der Härtefallregelung zurückzutreten. Denn eine Berücksichtigung dieses abgestuften Zuschuß-Systems im Rahmen des § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB V würde zu einer finanziellen Belastung gerade derjenigen Versicherten führen, denen ein Eigenanteil nicht zugemutet werden darf (§ 61 Abs. 2 SGB V). Bliebe der Versicherte auch in diesen Fällen mit einem Eigenanteil der berechnungsfähigen Kosten von 10 v.H. belastet, würde dies vielfach zur Übernahme dieser Kosten durch den Sozialhilfeträger führen, so daß der mit der Bonusregelung des § 30 Abs. 5 SGB V a.F. verfolgte Zweck, die Eigenverantwortung zu stärken und einen Anreiz zu regelmäßiger Zahnpflege zu bieten, verfehlt würde. Dabei kann der Gesichtspunkt der Kostensenkung bei prothetischen Maßnahmen, die in den vergangenen Jahren einen erheblichen Anteil der von den Krankenkassen zu tragenden zahnärztlichen Kosten ausgemacht haben (vgl. BT-Drucks. 11/2237 S. 137), in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen; denn eine Verlagerung der Kosten von den Krankenkassen auf die Sozialhilfeträger war offensichtlich nicht gewollt und widerspräche auch dem Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung.
Schließlich kann sich die Beklagte für ihre Annahme, daß § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V unbewußt lückenhaft sei, soweit er einen Bezug auf § 30 Abs. 5 Satz 2 SGB V a.F. (jetzt Abs. 2 Satz 2) vermissen lasse, auch nicht auf § 62 Abs. 2a SGB V stützen, der durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB V vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I, 2325) in § 62 SGB V eingefügt worden ist. Die Entstehungsgeschichte dieser Regelung deutet vielmehr eher darauf hin, daß der Gesetzgeber auf eine dem § 62 Abs. 2a Satz 2 SGB V entsprechende Regelung, die eine Erhöhung des Eigenanteils des Versicherten bei mangelnder Zahnprophylaxe ausdrücklich vorsieht, im Rahmen des § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bewußt verzichtet hat. Das SGB V sah in seiner ursprünglichen Fassung durch das GRG für den Personenkreis, dessen Einkommen unwesentlich über der Grenze unzumutbarer Belastung i.S. von § 61 Abs. 2 SGB V lag, keine Härtefallregelung vor. Diese Versicherten mußten also den vollen Eigenanteil selbst tragen, d.h. in Höhe von 40 v.H. bis 31. Dezember 1990, ab 1. Januar 1991 uU auch in Höhe von 50 v.H., falls ihnen der Bonus für regelmäßige Zahnpflege nicht zustand. Da dies in einzelnen Fällen zu großen finanziellen Belastungen führen konnte, wurde die bisherige starre Regelung mit § 62 Abs. 2a SGB V durch eine stufenweise Eigenbeteiligung abgelöst, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Versicherten besser berücksichtigen sollte (vgl. BT-Drucks. 12/1363, S. 6 zu A. Allgemeiner Teil, unter Nr. 3). Die in Satz 1 dieser Regelung vorgesehene gleitende Übernahme des Eigenanteils bewirkt, daß die Krankenkasse um so weniger der Gesamtkosten übernehmen muß, je höher das Einkommen des Versicherten ist. Mit Satz 2 der Neuregelung wurde das Bonussystem ausdrücklich in die neue Härtefallregelung übernommen und bestimmt, daß sich der vom Versicherten zu tragende Teil im Falle des § 30 Abs. 5 Satz 2 SGB V a.F. (jetzt § 30 Abs. 2 Satz 2) - also bei mangelnder Zahnprophylaxe - um 10 v.H. der berechnungsfähigen Kosten erhöht. Zur Begründung heißt es dazu im Regierungsentwurf (BR-Drucks. 539/91, S. 11 zu Nr. 6 - § 62 SGB V -), dies stelle sicher, daß im Rahmen der Härtefallregelung die Bonusregelung nicht unterlaufen werde.
Hätte der Gesetzgeber dies auch im Rahmen des § 61 SGB V gewollt, so hätte es nahegelegen, daß im Zusammehang mit der Einfügung des Abs. 2a in § 62 SGB V eine vergleichbare Regelung in § 61 SGB V aufgenommen worden wäre. Das ist jedoch bei dem seit 1. Januar 1989 unverändert gebliebenen § 61 Abs. 1 und 2 SGB V nicht geschehen. Der Senat hält es für ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber die Problematik übersehen haben könnte. Dagegen spricht auch bereits der Wortlaut des § 62 Abs. 2a Satz 1 SGB V, der hinsichtlich der Bemessung des zu übernehmenden Eigenanteils ausdrücklich auf die "zur vollständigen Befreiung nach § 61 maßgebende Einnahmegrenze" Bezug nimmt. Der Gesetzgeber geht offensichtlich - wie auch die Motive belegen - davon aus, daß der Versicherte im Rahmen des § 61 SGB V von Zahnersatzkosten vollständig - also unabhängig von der Bonusregelung - zu befreien ist (vgl. BT-Drucks. 12/1363, S. 6). Gegen das Vorliegen einer Regelungslücke spricht im übrigen auch, daß der Gesetzgeber die Möglichkeit zu einer Ergänzung des § 61 SGB V im Gesundheitsstrukturgesetz (GSG vom 21. Dezember 1992, BGBl. I, 2266) nicht genutzt hat, obwohl er dazu im Zusammenhang mit der Neufassung des § 30 SGB V Anlaß gehabt hätte.
Entgegen der Meinung der Beklagten führt die vorgenannte Auslegung auch nicht zu einer gegen Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßenden Ungleichbehandlung von Versicherten. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 55, 72, 88; 71, 146, 154 f.; 75, 382, 393). Im vorliegenden Zusammenhang ist der Gesetzgeber von zwei unterschiedlichen Personengruppen ausgegangen: Während er bei den von § 61 Abs. 2 SGB V erfaßten Versicherten unterstellt, daß sie durch die Tragung eines Eigenanteils der entstandenen Kosten unzumutbar belastet werden und deshalb von diesem vollständig zu befreien sind, geht er bei der Gruppe der von § 62 SGB V erfaßten Versicherten davon aus, daß sie in bestimmtem Maße zur Erbringung von Eigenleistungen finanziell imstande sind und daß sie deshalb auch den Eigenanteil tragen können, der auf nicht ausreichende Zahnprophylaxe entfällt. Die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Personengruppen ist gerechtfertigt, weil die Differenzierung auf sachlichen Gründen beruht. Denn die Anknüpfung an das wirtschaftliche Leistungsvermögen stellt auch in Bezug auf die Anwendung des abgestuften Systems des § 30 SGB V einen einleuchtenden Grund für die unterschiedliche Behandlung dar. Im Rahmen des ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraums darf der Gesetzgeber eine begünstigende Regelung an die Zugehörigkeit zu einer Personengruppe knüpfen, die typischerweise bestimmte Voraussetzungen - hier: Bedürftigkeit - erfüllt. Während der wirtschaftlich stärkeren Gruppe im Rahmen der gleitenden Härteregelung eine höhere Eigenbeteiligung im Falle mangelnder Zahnprophylaxe zugemutet werden kann, ist dies bei den leistungsschwachen Versicherten des § 61 SGB V nicht der Fall. Denn der Gesetzgeber geht bei der Festlegung der Belastungsgrenzen des § 61 Abs. 2 SGB V davon aus, daß bei dem betroffenen Personenkreis die Tragung eines eigenen Kostenanteils schlechthin unzumutbar ist, so daß auch der Wegfall eines Eigenanteils des Versicherten bei mangelnder Zahnprophylaxe im Rahmen des § 61 Abs. 1 Nr. 2 SGB V sachlich gerechtfertigt ist.
Die Revision der Beklagten konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 517602 |
BSGE, 171 |