Leitsatz (amtlich)

Die durch das FinÄndG 1967 (Art 1 § 1 Nr 23, § 2 Nr 8, § 3 Nr 15) mit Wirkung vom 1968-01-01 eingeführten Vorschriften über das Ruhen der Rente aus eigener Versicherung beim Zusammentreffen mit einem Arbeitslosengeld (RVO § 1283, AVG § 60, RKG § 80) gelten auch für Renten, die zu diesem Zeitpunkt bereits gezahlt wurden.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Trifft eine Rente aus eigener Versicherung mit einem Arbeitslosengeld zusammen, so ruht die Rente nach AVG § 60, RVO § 1283 oder RKG § 80 auch dann, wenn sie bereits vor dem 1968-01-01 (Inkrafttreten FinÄndG 1967) bewilligt worden ist.

2. Die Anwendung der Ruhensvorschriften auf die am 1968-01-01 laufenden Renten verstößt nicht gegen GG Art 14 oder 20.

 

Normenkette

RVO § 1283 Fassung: 1967-12-21; AVG § 60 Fassung: 1967-12-21; RKG § 80 Fassung: 1967-12-21; FinÄndG 1967 Art. 1 § 1 Nr. 23, § 2 Nr. 8, § 3 Nr. 15; GG Art. 14, 20

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 1968 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die 1902 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten seit dem 1. August 1967 Altersruhegeld, das zunächst 274,80 DM monatlich betrug. Vom 20. November 1967 bis 18. Mai 1968 erhielt sie außerdem Arbeitslosengeld in Höhe von 99,60 DM wöchentlich. Als die Beklagte hiervon durch eine Anzeige des Arbeitsamtes erfuhr, teilte sie der Klägerin mit Schreiben vom 12. Februar 1968 mit, daß nach dem durch das Finanzänderungsgesetz 1967 eingefügten § 60 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) die Rente aus der Angestelltenversicherung bis zur Höhe des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum ruhe, für den beide Leistungen zu gewähren seien. Da das monatliche Arbeitslosengeld höher als die monatliche Rente sei, werde die Zahlung des Altersruhegeldes mit Ablauf des Monats Februar 1968 eingestellt. Über die laufende Rentenzahlung werde noch eine besondere Nachricht ergehen. Durch Bescheid vom 4. März 1968 berechnete sodann die Beklagte das Altersruhegeld neu und errechnete dabei unter Berücksichtigung der nicht ruhenden Leistungen aus der Höherversicherung für die Monate März und April eine Rente von je 0,10 DM und für die Zeit vom 19. bis 31. Mai 1968 eine Rente von 115,20 DM.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat durch Urteil vom 10. Juni 1968 die Bescheide der Beklagten vom 12. Februar 1968 und 4. März 1968 aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin die entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Es ist der Auffassung, § 60 AVG nF beziehe sich zumindest dann nicht auf Altersruhegelder, wenn diese auf Grund schon früher eingetretener Versicherungsfälle bereits vor dem 1. Januar 1968 bewilligt worden sind. Deshalb hätte die Rente für die Monate März, April und Mai 1968 nicht gekürzt werden dürfen. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf das genannte Urteil Bezug genommen. Das SG hat die Berufung nach § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassen.

Die Beklagte hat mit Einwilligung der Klägerin Sprungrevision eingelegt mit dem Antrage,

das Urteil des SG Berlin vom 10. Juni 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

da § 60 AVG nF falsch angewendet worden sei.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das angefochtene Urteil sei richtig. Die Rentenversicherungsträger seien nicht so notleidend, daß ein Eingriff in bereits laufende Leistungen notwendig und beabsichtigt gewesen sein könne. Abgesehen hiervon würde eine Anwendung der Ruhensvorschrift auf bereits laufende Renten gegen Grundsätze der Verfassung verstoßen.

II

Die nach den §§ 146, 150, 161 SGG statthafte Revision der Beklagten ist begründet.

Art. 1 § 1 Nr. 23 und § 2 Nr. 8 des II. Teils des Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1259), das sogenannte Finanzänderungsgesetz 1967 (FinÄndG 1967), hat in die Reichsversicherungsordnung (RVO) den § 1283 RVO und in das AVG den § 60 AVG eingefügt. Danach ruht beim Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung mit einem Arbeitslosengeld die Rente bis zur Höhe des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum, für den beide Leistungen zu gewähren sind; das gilt jedoch nicht für den Empfänger einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn er nach Beginn der Rente eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von 26 Wochen (6 Monaten) ausgeübt hat. Eine entsprechende Regelung bringt Art. 1 § 3 Nr. 15 durch die Einfügung des § 80 in das Reichsknappschaftsgesetz (RKG) für die knappschaftliche Rentenversicherung. Eine besondere Übergangsregelung zu diesen Vorschriften fehlt. Nach seinem Art. 22 tritt das FinÄndG 1967 am 1. Januar 1968 in Kraft.

Das SG ist im angefochtenen Urteil der Auffassung, der zeitliche Anwendungsbereich der neuen Regelung, die nach ihrem Wortlaut auch laufende Fälle erfasse, könne und müsse durch Auslegung ermittelt werden. Das gesamte Rentenversicherungsrecht werde jedoch von dem Grundsatz beherrscht, daß es einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedürfe, wenn eine neue Regelung auch für frühere Versicherungsfälle gelten solle. Vor allem aber würde § 60 AVG, wenn man ihn in dem von der Beklagten verstandenen Sinne anwende, eine Enteignung darstellen. Der Versicherungsfall des Alters sei bei der Klägerin am 11. August 1967 eingetreten. Sie erhalte deshalb das Altersruhegeld vom 1. August 1967 an. Bei ihr würde § 60 AVG unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten zu einem vollständigen, wenn auch nur zeitweiligen Entzug der Leistung führen. Das würde Art. 14 des Grundgesetzes (GG) verletzen, was sodann noch im einzelnen ausgeführt wird. Im Hinblick hierauf sei § 60 AVG verfassungskonform dahin auszulegen, daß das Altersruhegeld zumindest dann nicht ruhe, wenn es bereits vor dem 1. Januar 1968 bewilligt worden ist. Dieses Ergebnis beeinträchtige die finanzpolitischen Erwägungen des Gesetzgebers nicht. Fälle der vorliegenden Art seien zahlenmäßig begrenzt und würden nur während einer gewissen Übergangszeit eintreten. Die Zahl der Versicherten, denen erst nach dem 31. Dezember 1967 Renten bewilligt werden, sei derart groß, daß bei einer einschränkenden Auslegung der Ruhensvorschriften der gesetzgeberische Zweck nicht vereitelt werde.

Diesen Ausführungen hinsichtlich der Möglichkeit und Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung vermag der Senat nicht beizupflichten.

Schon die zuletzt angeführten Erwägungen des SG können nicht überzeugen. Lediglich, soweit es sich um die Bezieher von Altersruhegeld und Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres handelt, mag es zutreffen, daß die finanziellen Auswirkungen gering sind, wenn man die neuen Ruhensvorschriften nur auf nach dem 31. Dezember 1967 eintretende Versicherungsfälle anwendet. Denn nach § 57 Satz 1 AVAVG ist versicherungsfrei eine Beschäftigung von Arbeitnehmern, die das 65. Lebensjahr vollendet haben. Ältere Empfänger von Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG können somit ohnehin keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr haben. Wesentlich anders liegt es dagegen bei der Bergmannsrente und den übrigen Renten weben Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und vor allem bei den vorgezogenen Altersruhegeldern nach § 1248 Abs. 2 und 3 RVO und § 25 Abs. 2 und 3 AVG sowie nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 und 3 RKG. Würden diese Renten nicht von den Ruhensvorschriften erfaßt, würden letztere sich erst ganz allmählich auswirken und erst im Laufe der Zeit zu einer merklichen Einsparung führen. Was hier gelten soll, sagt das SG nicht.

Darüber hinaus bliebe bei einer Beschränkung der neuen Ruhensvorschriften auf Renten aus neuen Versicherungsfällen unklar, wie die Fälle der Rentenumwandlung (vgl. z. B. die §§ 30 Abs. 2 Satz 2 und 31 Abs. 2 Satz 1 AVG) behandelt werden sollen, bei denen also vor dem 1. Januar 1968 bereits eine Rente bewilligt worden ist, diese dann aber nach dem 31. Dezember 1967 wegen Eintritts eines höherwertigen Versicherungsfalles in eine andere Rente umgewandelt wird. Das gleiche Problem würde sich noch für die Fälle der vor dem 1. Januar 1968 bewilligten vorgezogenen Altersruhegelder ergeben, die nach Beendigung einer ihren Bezug unterbrechenden versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit mit dem Ersten des auf das Ende der Beschäftigung folgenden Kalendermonats wieder gewährt werden (§ 25 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AVG). Eine Beschränkung des § 60 AVG auf neue Versicherungsfälle würde somit auf eine schwierige Kasuistik hinauslaufen. Schließlich würde die Ansicht des SG dazu führen, daß bei vor dem 1. Januar 1968 eingetretenen Versicherungsfällen der Versicherte, dem die Rente erst nach dem genannten Stichtag bewilligt wird, schlechter gestellt ist als derjenige, dem sie sogleich bewilligt worden ist.

Aber auch im übrigen kann dem angefochtenen Urteil nicht gefolgt werden. Die mehrfach zitierten Ruhensvorschriften sind durch den Haushaltsausschuß des Bundestages in den Entwurf des FinÄndG 1967 (BR-Drucksache 481/67) eingefügt worden (vgl. dessen Anträge vom 1. Dezember 1967 in der BT-Drucksache V/2341 S. 12, 15 und 20). Nach dem Bericht des Abgeordneten Schoettle sollte diese Regelung dazu beitragen, die finanziellen Verluste der Rentenversicherung auszugleichen, die dadurch entstehen, daß entgegen der Regierungsvorlage die vorgesehene Beteiligung der Rentner an ihrer Krankenversicherung von 4 auf 2 v. H. herabgesetzt wurde. In Zukunft solle nach dem Antrag des Haushaltsausschusses beim Zusammentreffen von Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen mit Arbeitslosengeld die Rente ruhen, wenn und soweit Arbeitslosengeld gezahlt wird; man rechne damit, daß durch diese Bestimmung im Jahre 1968 rund 90 Millionen DM mehr aufkommen (vgl. den schriftlichen Bericht des Haushaltsausschusses zu Drucks. V/2341 S. 7). Diese Einsparung, von der ohnehin zweifelhaft sein kann, ob sie in der angenommenen Höhe überhaupt zu erzielen ist, wäre wohl kaum zu erreichen, wenn die Ruhensvorschriften nur für die Zugangsrenten und nicht für die Masse der laufenden Renten gelten sollen. Im übrigen muß angenommen werden, daß der Haushaltsausschuß und später das Parlament möglicherweise die Anwendbarkeit der neuen Ruhensvorschriften auf laufende Renten sogar im Hinblick auf Art. 2 § 23 ArVNG, Art. 2 § 22 AnVNG und Art. 2 § 17 Satz 1 KnVNG für selbstverständlich gehalten haben. Danach gelten nämlich die anläßlich der Rentenreform von 1957 eingeführten neuen Ruhensvorschriften beim Zusammentreffen von mehreren Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen und aus der gesetzlichen Unfallversicherung auch für Versicherungsfälle, die schon vorher eingetreten sind. Von der gleichen Auffassung gingen Art. 2 § 23 ArVNG und Art. 2 § 24 AnVNG für den alten § 1283 RVO bzw. den alten § 60 AVG aus, die das Ruhen der Renten von Ausländern regelten und die inzwischen aufgehoben worden sind (Art. 2 Nr. 3 FANG).

Vor allem aber ist in diesem Zusammenhang § 80 RKG zu beachten, den das SG nicht berücksichtigt hat. Danach gilt die in Satz 1 enthaltene Ruhensvorschrift nach Satz 2 unter den dort genannten Voraussetzungen "nicht für den Empfänger eines Knappschaftssoldes oder einer Bergmannsrente oder einer Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit, wenn er nach Beginn dieser Leistungen eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von 26 Wochen (6 Monaten) ausgeübt hat". Der damit gleichfalls angesprochene Knappschaftssold ist damit grundsätzlich ebenfalls "eine Rente aus eigener Versicherung" im Sinne des Satzes 1. Er ist aber zugleich eine Leistung, die nur auf Grund eines vor dem 1. Januar 1958 eingetretenen Versicherungsfalles und nach altem Recht gewährt werden konnte und lediglich nach Art. 2 § 31 Abs. 2 KnVNG jetzt noch weiterzuzahlen ist. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß mit der Erwähnung des Knappschaftssoldes nur beabsichtigt gewesen sein könnte, Besonderheiten der knappschaftlichen Rentenversicherung Rechnung zu tragen. Der Begriff "Rente aus eigener Versicherung" umfaßt alle entsprechenden Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen, und es fehlt jeder überzeugende Grund, weshalb die Empfänger von Knappschaftssold seit dem 1. Januar 1968 etwaiges Arbeitslosengeld sich sollen anrechnen lassen müssen, nicht aber die Bezieher einer Bergmannsrente, sofern ihnen diese vor dem erwähnten Stichtag zugebilligt worden ist.

Hinsichtlich der Rentenhöhe gibt es schließlich entgegen der Auffassung des SG auch keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, daß jede Neuregelung (Verbesserung oder Verschlechterung) sich nur auf Rentenansprüche aus neuen Versicherungsfällen bezieht. Andernfalls dürfte es keine Anpassung der laufenden Renten an Veränderungen der allgemeinen Bemessungsgrundlage (§ 1255 Abs. 2 RVO, § 32 Abs. 2 AVG) geben. Abgesehen hiervon wäre auch nicht einzusehen, warum Altrentner besser gestellt werden sollen als Neurentner, in deren Schlechterstellung alsdann möglicherweise sogar ein Verstoß gegen Art. 3 GG zu sehen wäre.

§ 60 AVG und die ihm entsprechenden Ruhensvorschriften in der RVO und im RKG können somit im Einklang mit ihrem Wortlaut, der lediglich auf das "Zusammentreffen" abstellt, nur dahin verstanden werden, daß sie nach dem Willen des Gesetzgebers auch auf die bei ihrem Inkrafttreten gezahlten Renten angewendet werden sollen (so ua Zimmer, BABl 1968, 63 zu III 1; von Gellhorn, Der Kompaß 1968, 1, 6; Fister, ebenda S. 212; Mitt. der LVA Ober- und Mittelfranken 1968, 113; SG Düsseldorf, ZfS 1968, 276; a. M. SG Kassel, ZfS 1968, 184; s. auch SG Koblenz, SGb 1968, 460). Damit entfällt aber die Möglichkeit, die neuen Ruhensvorschriften hinsichtlich ihres zeitlichen Anwendungsbereichs berichtigend oder verfassungskonform auszulegen. Eine angeblich verfassungskonforme Auslegung darf nicht in einem wesentlichen Punkt das gesetzgeberische Ziel verfehlen oder verfälschen (ua BVerfG 8, 28, 34).

Somit kann allein zweifelhaft sein, ob die Anwendung der neuen Ruhensvorschriften auf laufende Renten gegen Vorschriften des GG verstößt (Art. 14, 19 Abs. 2, 20 GG), wie das SG zumindest für den Fall meint, daß es sich bei der "Rente aus eigener Versicherung" um ein Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres handelt, das bereits vor dem 1. Januar 1968 bewilligt worden ist, und ob deshalb das Bundesverfassungsgericht angerufen werden muß. Eine ähnliche Rechtslage war jedoch bereits bei § 183 Abs. 3 Sätze 2 und 3 und Abs. 4 RVO idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 (BGBl I 913) entstanden, wodurch für den Versicherten der gleichzeitige Bezug von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder von Altersruhegeld und Krankengeld in bestimmtem Umfang ausgeschlossen wurde. Diese Regelung bezog sich ebenfalls auf bereits laufende Leistungen aus früheren Versicherungsfällen. Hierzu hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 18. März 1966 (BSG 24, 285) ausgeführt, daß eine solche unechte Rückwirkung nicht grundsätzlich durch Art. 14 oder 20 GG ausgeschlossen sei. Weder aus der Eigentumsgarantie noch aus dem an den Gesetzgeber gerichteten Gebot sozialstaatlichen Handelns könne eine Verpflichtung zur allgemeinen Besitzstandswahrung sozialer Rechte abgeleitet werden. Erst recht scheide eine Grundrechtsverletzung aus, wenn bei der Gesamtwürdigung einer gesetzlichen Regelung, die teils begünstigender, teils belastender Natur ist, festzustellen sei, daß die Rechtsstellung des Versicherten aufs Ganze gesehen verbessert worden ist. Das trifft aber für das FinÄndG 1967 ebenfalls zu. Zwar hat es die sich aus der angespannten Haushaltslage ergebende Notwendigkeit zur Neuordnung der Finanzen genutzt, die Finanzlage der Versicherungsträger zu konsolidieren und zu verbessern (Schewe, BABl. 1968, 93). Es bringt deshalb für den Bereich der Rentenversicherungen ua verschiedene Kürzungen und damit entsprechende Einsparungen. Andererseits müssen diese im Zusammenhang mit der durch § 1272 RVO und § 49 AVG vorgeschriebenen laufenden jährlichen Rentenanpassung gesehen werden. Um diese nicht zu gefährden, mußten nach der Auffassung der gesetzgebenden Stellen angesichts der Kürzungen der Bundeszuschüsse zu den Rentenversicherungen (vgl. die neuen Vorschriften des Art. 2 § 47 a ArVNG und Art. 2 § 45 a AnVNG) an anderen Stellen Einsparungen bei den Versicherungsleistungen vorgenommen werden. Dementsprechend hat der Bundestag schon am Tage nach dem Erlaß des FinÄndG 1967 das Zehnte Rentenanpassungsgesetz (RAG) vom 22. Dezember 1967 (BGBl I 1343) verabschiedet, dessen Finanzierung ohne die Gesetze zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes vom 21. Dezember 1967 (Teile I und II) nicht sicher gestellt gewesen wäre. Sozialrechtliche Entscheidungen fallen heute vielfach im Rahmen von Haushaltssicherungs- und Finanzplanungsgesetzen (Jantz, BG 1968, 23). Die mehrjährige Finanzplanung von 1967 insbesondere ist ein zusammengehöriges Bündel von Maßnahmen (vgl. Schewe aaO S. 95), die als Ganzes gesehen und beurteilt werden müssen. Und das wichtigste dabei ist, wie Zimmer aaO S. 63 unter II mit Recht ausführt und was im FinÄndG überhaupt nicht erwähnt worden ist, daß nämlich an der bruttolohnbezogenen dynamischen Rente festgehalten wurde.

Allerdings wird die Klägerin von dem 10. RAG noch nicht betroffen, da ihr Versicherungsfall nicht 1966 oder früher eingetreten ist. Aber schon das 11. RAG vom 19. November 1968 (BGBl I 1189) wird auch ihr eine Erhöhung bringen, so daß ihre Rechtsstellung trotz des zeitweiligen Ruhens ihrer Rente bei entsprechend langem Bezug des Altersruhegeldes im Endergebnis ebenfalls verbessert worden ist. Außerdem nimmt sie daran teil, daß infolge der neuen Ruhensvorschriften ihre Beteiligung an ihrer Krankenversicherung von 4 auf 2 v. H. herabgesetzt werden konnte. Unter diesen Umständen scheiden schon aus den genannten Gründen sowohl ein Verstoß gegen Art. 14 oder 20 Abs. 1 GG als auch die Notwendigkeit einer sogenannten verfassungskonformen Auslegung aus, und es erübrigen sich Ausführungen darüber, ob und inwieweit Rentenansprüche als subjektiv öffentlich-rechtliche Forderungsrechte überhaupt dem Schutz des Art. 14 GG unterliegen und gegen Kürzungen infolge schlechter finanzieller Lage der gesetzlichen Rentenversicherungen geschützt sind (vgl. BVerfG 11, 221, 226; 14, 288, 293; 20, 52; 22, 241, 253).

Selbst das Gebot der Rechtssicherheit und des daraus folgenden Vertrauensschutzes (BSG 24, 288; BVerfG, 1 BvL 7/62 vom 16. Oktober 1968) hinderten den Gesetzgeber nicht, die mehrfach erwähnten Ruhensvorschriften auch für bereits bewilligte Leistungen einzuführen und insoweit die Rentenempfänger zu enttäuschen, wenn er dies aus zwingenden finanzpolitischen Gründen für notwendig hielt. Gerade im Bereich des Sozialversicherungsrechts muß der Gesetzgeber immer wieder das Leistungsrecht auf die Entwicklung der Leistungsfähigkeit der Versicherungsträger abstimmen und deshalb sowie aus Gründen des Allgemeinwohls Neuregelungen treffen können, die sich modernen Erfordernissen anpassen (BVerfG aaO). In diesem Zusammenhang ist aber weiter zu berücksichtigen, daß Fünfundsechzigjährige in der Regel kaum noch in Arbeit zu vermitteln sind und deshalb vielfach Zweifel bestehen, ob sie die Voraussetzungen des § 74 AVAVG erfüllen (vgl. Zimmer aaO unter III). Entsprechendes gilt für viele andere Rentenbezieher. Nach dem Entwurf eines Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) - BT-Drucksache V/2291 -, welches das AVAVG ablösen soll, hat deshalb keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer das 65. Lebensjahr vollendet hat (§ 90 Abs. 3 AFG). In der amtlichen Begründung zum AFG (aaO S. 57) heißt es dazu, damit werde einer aus der Praxis kommenden Forderung entsprochen und eine gerechtere Regelung als bisher erreicht. Die neuen Ruhensvorschriften sollten deshalb neben der Erzielung von Einsparungen auch sozialpolitisch als unerwünscht angesehene Doppelleistungen beseitigen (vgl. Zimmer aaO sowie den von Fister aaO S. 214 mitgeteilten BMA-Erlaß vom 8. Februar 1968, IV b 1 - 23/68).

Gegenüber der Bedeutung dieser gesetzgeberischen Anliegen, insbesondere hinsichtlich der Finanzierung und Sicherstellung der sozialen Sicherheit (vgl. Jantz, Sozialpolitik und Finanzpolitik im FinÄndG 1967, BABl 1968, 61) und der Erzielung eines ausgeglichenen Haushalts, müssen die Interessen der Betroffenen zurückstehen. Darüber hinaus würden die "Neurentner" kein Verständnis dafür aufbringen, daß sie sich im Ergebnis das Arbeitslosengeld auf ihre Rente anrechnen lassen müssen, während "Altrentner" wie die Klägerin noch für längere Zeit neben ihrer Rente noch Arbeitslosengeld sollten beziehen können. Wenn schon Einsparungen unvermeidlich sind, erscheint es gerecht, daß alle Versicherten gleich behandelt werden (Art. 3 Abs. 1 GG). Schließlich kommt den "Altrentnern" noch zugute, daß die Neuregelung ohnehin nicht sofort von den Versicherungsträgern angewendet werden konnte und eingetretene Überzahlungen nicht zurückgefordert werden (vgl. auch die Antwort von Staatssekretär Kattenstroh auf eine entsprechende Anfrage - Drucks. V/2793 Fragen 103 und 104 - vom 5. April 1968, BT-Sitzung 168/68 S. 8982).

Unerörtert kann bleiben, ob die neuen Ruhensvorschriften, wie es in den Berichten des Deutschen Industrieinstituts zur Sozialpolitik 1968 Nr. 5/6 - FinÄndG und soziale Sicherung - S. 52 heißt, gegenüber § 87 Abs. 5 AVAVG systemwidrig sind, wonach der Anspruch auf Arbeitslosengeld über 156 Tage hinaus ruht während einer Zeit, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Rente wegen Erreichung des 65. Lebensjahres oder wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit aus den gesetzlichen Rentenversicherungen oder auf ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art zuerkannt ist (kritisch auch Leder in DAngVerw 1968, 79, 80). Jedenfalls kennt das Recht der Sozialversicherung schon seit langem besondere Regelungen, wenn mehrere Leistungen aus den einzelnen Versicherungszweigen zusammentreffen (vgl. z. B. §§ 55 ff AVG = §§ 1278 ff RVO). Sie beruhen auf dem Grundgedanken, daß die Leistungen aus der Sozialversicherung für einen nicht mehr Erwerbstätigen den bisherigen Arbeitsverdienst nicht übersteigen sollen (vgl. Elsholz/Theile, Die gesetzl. RentV Nr. 63 Note 1). Deren Ausgestaltung im einzelnen ist Sache des Gesetzgebers, und eine Einzelregelung kann von den Gerichten nicht deshalb beanstandet werden, weil sie möglicherweise unzweckmäßig oder unbillig ist.

Damit entfällt zugleich die Notwendigkeit einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 GG.

Somit muß die Revision der Beklagten den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg haben. Die angefochtenen Bescheide sind durch den letzten Halbsatz des § 77 SGG gedeckt. Das FinÄndG 1967 hatte die Beklagte zur Neufestsetzung des Altersruhegeldes der Klägerin berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1932995

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