Leitsatz (amtlich)
Geldbeträge, die der Versicherte in den Jahren 1943/1944 freiwillig beim Versicherungsträger einbezahlt hat, um die von ihm früher (1932-1941) zur Angestelltenversicherung geleisteten Pflichtbeiträge aufzustocken, können bei der Rentenberechnung nicht als neben den Pflichtbeiträgen entrichtete freiwillige Beiträge iS von AnVNG Art 2 § 15 Abs 2 behandelt werden (Fortführung von BSG 1964-10-08 1 RA 205/62 = SozR Nr 3 zu Art 2 § 15 ArVNG ).
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 15 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 15 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. Mai 1963 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Streit der Beteiligten geht um die Frage, ob die Geldbeträge, die der Kläger in den Jahren 1943 und 1944 zur Aufstockung der in der Zeit vom 1. Januar 1932 bis November 1941 geleisteten Pflichtbeiträge freiwillig gezahlt hat, bei der Rentenberechnung wie Höherversicherungsbeiträge zu behandeln sind.
Bei der Festsetzung des dem Kläger seit Januar 1961 gewährten Altersruhegeldes rechnete die Beklagte für die genannte Zeit Beiträge der Klasse K an. Wegen der Begrenzung der Rentenbemessungsgrundlage nach § 32 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) wirkten sich diese Beiträge nicht voll auf die Rentenhöhe aus (Bescheid vom 3. Mai 1961).
Der Kläger beanstandete die Rentenberechnung mit der Begründung, die durch eine Bescheinigung nachweisbar entrichteten Barbeträge seien freiwillige Beiträge, die erkennbar neben Pflichtbeiträgen geleistet worden seien. Sie seien deshalb gemäß Art. 2 § 15 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) wie Beiträge der Höherversicherung mit besonderen Steigerungsbeträgen (§ 38 AVG) zu berücksichtigen.
Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Berufungsgericht war der Auffassung, der nachgezahlte Unterschiedsbetrag sei mit den Pflichtbeiträgen zu nicht mehr aufspaltbaren einheitlichen Beiträgen verschmolzen und deshalb nicht als Beitrag der Höherversicherung zu behandeln (Urteil vom 10. Mai 1963).
Mit der - zugelassenen - Revision beantragt der Kläger (sinngemäß),
unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und des angefochtenen Bescheides der Beklagten diese zu verpflichten, dem Kläger einen neuen Bescheid zu erteilen und darin die für die Zeit vom 1. Januar 1932 bis zum 30. November 1941 geleisteten freiwilligen Beträge als Beiträge der Höherversicherung zu berücksichtigen.
Er hält die Vorschrift des Art. 2 § 15 AnVNG für verletzt. Zur Begründung führt er aus, die Ansicht des Berufungsgerichts treffe allenfalls für die Fälle zu, in denen der Höherversicherungsbeitrag alten Rechts mit dem Pflichtbeitrag in einer Beitrags marke entrichtet worden sei, weil dann die Höhe des Pflichtbeitrags nicht erkennbar sei. Anders sei es aber, wenn - wie hier - der Unterschiedsbetrag in bar gezahlt und sich die Höhe des Pflicht- wie des freiwilligen Beitragsanteils aus Bescheinigungen des Versicherungsträgers ergebe. Dem Zweck der zusätzlichen Beitragsleistung - eine besondere Altersvorsorge zu schaffen - werde man nur gerecht, wenn für den freiwillig nachgezahlten Betrag zusätzliche Steigerungsbeträge gewährt würden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Steigerungsbeträge nach § 38 AVG sind nur für nach dem 31. Dezember 1950 entrichtete Beiträge der Höherversicherung auf Grund des Gesetzes vom 14. März 1951 (BGBl I 188) (Art. 2 § 15 Abs. 1 AnVNG) und für freiwillige Beiträge zu gewähren, die in der Zeit vor dem 1. Januar 1957 neben Pflichtbeiträgen oder freiwilligen Beiträgen oder in Ersatzzeiten entrichtet worden sind (Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG).
Für Höherversicherungsbeiträge alten Rechts (§ 1389 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF, § 170 a AVG aF), die für die Zeit vor Einführung des Lohnabzugsverfahrens (1. Juli 1942) entrichtet worden sind, gilt jene Sonderregelung nicht. Diese Auffassung hat der Senat bereits in seinen Entscheidungen vom 19. Juli 1963 - 1 RA 110/60 - (BSG 19, 237) und vom 8. Oktober 1964 - 1 RA 205/62 - (SozR zu Art. 2 § 15 ArVNG Nr. 3 = Breith. 1965, 391) vertreten. An ihr hält er nach erneuter Überprüfung der Rechtsfrage auch für den vorliegenden Fall fest.
Die vom Kläger seinerzeit gezahlten und nach den damals geltenden Rechtsvorschriften zulässigen Aufstockungsbeträge sind nicht neben Pflichtbeiträgen entrichtete freiwillige Beiträge. Der Kläger verkennt die Bedeutung des Wortes "neben" in Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG, wenn er es allein im Sinne einer äußerlichen Trennbarkeit verstanden haben will. Diese Bedeutung hat zwar der Senat in den früheren Entscheidungen hervorgehoben, weil es bei den gegebenen Sachverhalten (Entrichtung in einer Marke) schon an dieser Voraussetzung fehlte. Der Inhalt des Wortes "neben" erschöpft sich jedoch nicht darin. Schon nach allgemeinem Sprachgebrauch setzt ein Nebeneinander eine Mehrheit voraus, d. h. mehrere voneinander getrennte selbständige Einheiten. Auf die Beitragsleistung bezogen bedeutet das, daß ein freiwilliger Beitrag nur dann "neben" einem Pflichtbeitrag entrichtet ist, wenn zwei selbständige Beiträge nebeneinander entrichtet worden sind. In diesem Sinne (des tatsächlichen und rechtlichen Nebeneinanders) wird das Wort "neben" auch in der Vorschrift des Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG verwendet. Bei der Aufzählung der Tatbestände, die im übrigen zur Bewertung eines freiwilligen Beitrags als Beitrag der Höherversicherung führen, wird dies am deutlichsten in der Wendung: "Sind für den gleichen Zeitraum zwei freiwillige Beiträge entrichtet ...". Aber auch bei den "in Ersatzzeiten entrichteten freiwilligen Beiträgen" geht das Gesetz von zwei nebeneinander bestehenden selbständigen Versicherungstatbeständen aus.
Unter den "neben" Pflichtbeiträgen entrichteten freiwilligen Beiträgen können deshalb nur tatsächlich und rechtlich selbständige Beiträge verstanden werden. Dem freiwilligen Beitragsanteil, der im Rahmen der Höherversicherung alten Rechts für die Zeit vor Einführung des Lohnabzugsverfahrens über die gesetzliche Höhe hinaus entrichtet wurde, fehlte eine derartige Selbständigkeit. Die erhöhte Zahlung diente allein dem Zweck, eine höhere Beitragsklasse zu erreichen. Es wurde jedoch nur eine Beitragsmarke entrichtet und der Beitrag wurde auch rechtlich nur als einer behandelt. Der Aufstockungsbetrag war somit - auch wenn er getrennt in bar entrichtet wurde - lediglich "Anteil", nicht selbständiger "Beitrag"; denn er entsprach weder einer der vorgeschriebenen Beitragsklassen, noch wurde er für Wartezeit und Anwartschaft als zusätzlicher Beitrag behandelt oder bei der Rentenberechnung mit einem eigenen Steigerungsbetrag honoriert.
Die Regelung des Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG kann sich somit schon ihrem Wortlaut nach nicht auf die vom Kläger geleisteten Unterschiedsbeträge erstrecken. Aber auch der Sinn und Zweck der Vorschrift läßt es nicht zu, diese Unterschiedsbeträge als Beiträge der Höherversicherung zu behandeln.
Wie die Aufzählung der die Sonderbehandlung auslösenden Tatbestände in Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG ergibt, regelt diese Vorschrift das Verhältnis zweier Versicherungstatbestände, wenn eine Versicherungszeit doppelt belegt ist; sie ist also eine Art Konkurrenzvorschrift. Darauf hat bereits das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen. Durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift wird diese Auffassung bestätigt (vgl. BT 2. Wahlp. zu Drucks. 2437 Art. 3 §§ 18 a, 18 b; vgl. auch schriftl. Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik BT 2. Wahlp. Drucks. 3080 Art. 2 § 14 Abs. 2 des Entwurfs). Die freiwillige Zahlung von Unterschiedsbeträgen führte jedoch nicht zu einer "Doppelbelegung", wie sie Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG voraussetzt. Bei Einführung der neuen Rentenformel warf die Anrechnung dieser stets als Einheit mit dem Pflichtbeitrag behandelten Beträge keine besonderen Fragen auf. Der Beitrag konnte vielmehr wie bisher als einheitlicher Beitrag behandelt und voll angerechnet werden. Ein Konkurrenzproblem wie bei doppelt belegten Versicherungszeiten tauchte insoweit also gar nicht auf. Es bestand daher auch kein Bedürfnis, diese Beiträge in die Regelung des Art. 2 § 15 Abs. 2 AnVNG einzubeziehen.
Danach erscheint es unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt, die vom Kläger entrichteten Aufstockungsbeträge wie Beiträge zur Höherversicherung zu behandeln.
Dieses Ergebnis - das mag der Kläger bedenken - wirkt sich im vorliegenden Fall nur deshalb nachteilig auf die Rentenhöhe aus, weil die Rentenbemessungsgrundlage des Klägers die Beitragsbemessungsgrenze überschreitet. Die Beschränkung der persönlichen Bemessungsgrundlage auf die Beitragsbemessungsgrenze gem. § 32 Abs. 1 AVG ist aber eine Regelung, die hingenommen werden muß. Wie der Senat in den früheren Entscheidungen ausführlich begründet hat, stimmt sie in sinnvoller Weise Versicherungsleistungen und Beitragsaufkommen aufeinander ab. Eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Art. 14 des Grundgesetzes (GG) kann darin schon deshalb nicht gesehen werden, weil das seit 1957 geltende Rentenrecht allein mit der laufenden Rentenanpassung für die meisten Versicherten eine erhebliche Vergünstigung gegenüber dem früheren Rechtszustand bedeutet; die auf Grund des alten Rentenrechts "erdienten Rechte" (BSG Urt. v. 8. 10. 1964 - SozR Nr. 3 zu Art. 2 § 15 ArVNG) werden durch Art. 2 § 41 AnVNG geschützt. Durch den auf Grund des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) neu geschaffenen § 37 b AVG (Art. 2 § 33 a AnVNG) wurde inzwischen die "Rentenkappung" wenigstens teilweise gemildert.
Das angefochtene Urteil war danach in vollem Umfang zu bestätigen und die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen