Leitsatz (amtlich)

Beiträge, die im Jahre 1943 zum Zweck der Überversicherung (AVG § 170a aF iVm RVO § 1389 aF) in Beitragsmarken zusätzlich zu den im Lohnabzugsverfahren geleisteten Beiträgen entrichtet wurden, waren solche der Höherversicherung alten Rechts und damit freiwillige Beiträge. Sie gelten nach ArVNG Art 2 § 15 Abs 2 S 1 als Beiträge zur Höherversicherung neuen Rechts (RVO § 1234).

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 15 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 170a Fassung: 1937-12-21; RVO § 1389 Fassung: 1934-05-17, § 1234 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Mai 1968 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, wie bei der Berechnung des Altersruhegeldes des Klägers im Jahre 1943 geleistete Überversicherungsbeiträge zu berücksichtigen sind.

Der Kläger erhält von der Beklagten seit dem 1. Januar 1965 Altersruhegeld. Die Beklagte hat der Rentenberechnung für das Jahr 1943 aus einem Bruttoarbeitsentgelt von 3.600,- RM 154,91 Werteinheiten zugrunde gelegt, während die ebenfalls im Jahre 1943 im Markenklebeverfahren entrichteten 12 Beiträge der Klasse F (Versicherungskarten Nr. 3 und 4) als Beiträge der Höherversicherung (Art. 2 § 15 Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -) mit einem Nennwert von 20,- Mark (14 v.H.) einen Steigerungsbetrag von 33,60 DM ergeben (Bescheid vom 3. Oktober 1966).

Der Kläger will demgegenüber die 12 Beiträge der Klasse F bei der Berechnung der persönlichen Bemessungsgrundlage berücksichtigt wissen.

In den Vorinstanzen ist der Kläger erfolglos geblieben (Urteile vom 28. Juli 1967 und 20. Mai 1968). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Revision zugelassen.

Das LSG ist wie das Sozialgericht (SG) zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger keinen Anspruch auf ein höheres Altersruhegeld hat, weil die im Jahre 1943 entrichteten 12 Beiträge der Klasse F zu Recht als Höherversicherungsbeiträge berücksichtigt worden seien.

Der Kläger hat Revision eingelegt. Er rügt Verletzung des Art. 2 § 15 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) und des § 1389 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 20. Mai 1968 und des SG Heilbronn vom 28. Juli 1967 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 3. Oktober 1966 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger vom 1. Januar 1965 an ein höheres Altersruhegeld unter Berücksichtigung der Beiträge zur Überversicherung zu gewähren.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.

Mit Recht haben die Vorinstanzen die Berechnung des Altersruhegeldes des Klägers aufgrund der Vorschrift des Art. 2 § 15 Abs. 2 Satz 1 ArVNG gebilligt, wonach ua in der Zeit vor dem 1. Januar 1957, neben Pflichtbeiträgen entrichtete Beiträge als Beiträge der Höherversicherung neuen Rechts (§ 1234 RVO) gelten. Die 12 Beiträge der Klasse F, die zum Zweck der Überversicherung (§ 170 a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aF in Verbindung mit § 1389 RVO aF) im Jahre 1943 neben den im Lohnabzugsverfahren entrichteten Pflichtbeiträgen (§§ 6 ff. der 2. Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs vom 24. April 1942 - 2. LAV - RGbl. 1942 I 252 -) geleistet wurden, sind freiwillige Beiträge; sie gelten daher nach Art. 2 § 15 Abs. 2 Satz 1 ArVNG als Beiträge zur Höherversicherung neuen Rechts (§ 1234 RVO). Das in dieser Vorschrift mit geforderte äußere Tatbestandsmerkmal "neben" ist, wie ohne weiteres einsichtig ist, erfüllt, da sich die 12 im Markenklebeverfahren entrichteten Beiträge der Klasse F deutlich von den Pflichtbeiträgen abheben. Diese 12 Beiträge sind aber auch, wie das LSG zutreffend erkannt hat, freiwillige und gegenüber den Pflichtbeiträgen rechtlich selbständige Beiträge. Ihrer Rechtsnatur nach waren sie nämlich, als sie entrichtet wurden, solche der Höherversicherung alten Rechts (§ 170 a AVG iVm § 1389 RVO aF). Nach § 1389 RVO aF war die Versicherung in einer höheren Klasse erlaubt, der Arbeitgeber aber zum höheren Beitrag nur verpflichtet, wenn er dies mit dem Versicherten vereinbart hatte. Im öffentlichen Dienst waren an die Stelle der Vereinbarung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer § 16 der Allgemeinen Tarifordnung für Angestellte (ATO) vom 1. April 1938 (RBes.Bl. 1938, 121) und die Richtlinien für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung (RBes.Bl. 1938, 135) getreten. Der Kläger war als Angehöriger des öffentlichen Dienstes demnach ohne sein Zutun in die Höherversicherung alten Rechts einbezogen. Er konnte sich ihr nicht entziehen, weil statt der sonst erforderlichen Vereinbarung über die höhere Beitragspflicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die genannten dienstrechtlichen Regelungen maßgebend waren. Für eine freiwillige Entschließung des Versicherten für oder gegen die Höherversicherung war danach kein Raum. Wenn auch aufgrund der dienstrechtlichen Regelungen der Versicherte bei der Entrichtung der 12 Beiträge der Klasse F selbst nicht freiwillig tätig werden konnte, bedeutet diese dienstrechtliche Bindung nicht, daß sie diese Beiträge zu Pflichtbeiträgen in der Rentenversicherung gemacht hat. Die dienstrechtliche Regelung ist nämlich von der rechtlichen Beurteilung im Beitragsrecht der Rentenversicherung zu trennen. Nur auf das Letztere ist Bedacht zu nehmen:

Das damalige Beitragsrecht der Rentenversicherung kannte zwei Grundarten der Beiträge, nämlich Pflichtbeiträge und freiwillige Beiträge. Die Pflichtbeiträge wurden regelmäßig durch Lohnabzug entrichtet, die freiwilligen Beiträge hingegen durch Einkleben von Beitragsmarken in Versicherungskarten. Schon vom äußeren Bild her konnten daher die in Beitragsmarken entrichteten fraglichen Beiträge keine Pflichtbeiträge sein. Ihrem Wesen nach waren sie es auch nicht, da sie, wie dies für Pflichtbeiträge erforderlich war und ist, nicht unmittelbar auf das Arbeitsentgelt bezogen waren. Sie können daher nur als freiwillige Beiträge gewertet werden. Dafür spricht auch, worauf das LSG zutreffend aufmerksam gemacht hat, daß für die Höherversicherung alten Rechts (§ 1389 RVO aF) dieselben Beitragsklassen galten wie für die freiwillige Versicherung sowie daß in § 13 Abs. 3 der 2. LAV, wenn auch zwischen Weiter- und Höherversicherung unterschieden wurde, die Höherversicherung als freiwillige Versicherung bezeichnet wurde.

Das damit gewonnene Ergebnis, daß die 12 Beiträge der Klasse F als freiwillige Beiträge nunmehr nach Art. 2 § 15 Abs. 2 Satz 1 ArVNG als Beiträge zur Höherversicherung neuen Rechts (§ 1234 RVO) gelten (vgl. Elsholz/Theile, Die gesetzliche Rentenversicherung, Synoptischer Kommentar, Nr. Ü 19 (Art. 2 § 15 ArVNG), Anm. 3 b, S. 382; Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 1. Aufl. Art. 2 § 15 Anm b), S. 296) läuft entgegen der Meinung der Revision dem von ihr angeführten Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Januar 1966 - 1 RA 195/63 - (SozR ArVNG Art. 2 Nr. 4) nicht zuwider. Dort hat der 1. Senat des BSG ausgesprochen, daß Geldbeträge, die der Versicherte in den Jahren 1943/1944 freiwillig beim Versicherungsträger einbezahlt hat, um die von ihm 1932 bis 1941 zur Angestelltenversicherung geleisteten Pflichtbeiträge aufzustocken, bei der Rentenberechnung nicht als neben den Pflichtbeiträgen entrichtete freiwillige Beiträge i.S. von Art. 2 § 15 Abs. 2 ArVNG behandelt werden können, da der jeweilige Aufstockungsbetrag mit dem dazu gehörigen Pflichtbeitrag zu einem rechtlich einheitlichen und nicht mehr aufspaltbaren Beitrag verschmolzen sei; die freiwillige Zahlung von Unterschiedsbeträgen zur Aufstockung früherer Beiträge führte, wie in dem genannten Urteil ebenfalls ausgeführt ist, nicht zu einer in Art. 2 § 15 Abs. 2 Satz 1 ArVNG stets vorausgesetzten Doppelbelegung derselben Versicherungszeit mit rechtlich selbständigen Beiträgen. Abgesehen davon, daß der hier zu entscheidende Fall sich schon im Tatbestand wesentlich von dem unterscheidet, der dem Urteil des 1. Senats des BSG vom 12. Januar 1966 zugrunde gelegen hat, hat gerade die Entrichtung der 12 Beiträge der Klasse F im Jahre 1943 als damalige Höherversicherung zu einer Doppelbelegung mit tatsächlich und rechtlich selbständigen Beiträgen für dieselbe Versicherungszeit geführt. Diesen maßgebenden Unterschied hat die Revision nicht genügend beachtet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 174

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge