Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Pflegeversicherung. nicht krankenversicherter Beihilfeberechtigter. Versicherungspflicht. Kontrahierungszwang. Volksversicherung. Wahlfreiheit
Leitsatz (amtlich)
- In der Pflegeversicherung sind auch nicht krankenversicherte Beihilfeberechtigte versicherungspflichtig und haben Anspruch auf Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages mit einem privaten Versicherungsunternehmen.
- Die Wahlfreiheit der Betroffenen endet erst, wenn eines der angegangenen Unternehmen ihren Antrag angenommen hat.
Normenkette
SGB XI § 23 Abs. 3, § 110 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 15. Februar 2002 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, mit dem Kläger einen Vertrag über eine anteilige beihilfekonforme Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 1995 abzuschließen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darum, ob die beklagte Krankenversicherung verpflichtet ist, mit dem Kläger einen Pflegeversicherungsvertrag abzuschließen.
Der 1927 geborene Kläger ist in einer psychiatrischen Fachklinik untergebracht. Für ihn ist ein Betreuer bestellt. Er erhält Waisengeld nach beamtenrechtlichen Bestimmungen, ist beihilfeberechtigt und weder gesetzlich noch privat krankenversichert. Den nicht über die Beihilfe gedeckten Teil der Aufwendungen für seine Krankenversorgung und Unterbringung übernimmt der Sozialhilfeträger. Mit drei gleich lautenden Schreiben vom 15. Juni 1998 beantragte der Kläger bei verschiedenen Krankenversicherungsunternehmen erfolglos den Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrages. Die beklagte Krankenversicherung lehnte den an sie gerichteten Antrag mit Schreiben vom 15. Juli 1998 und 21. April 1999 ab.
Der Kläger hat Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, mit ihm einen Vertrag über eine anteilige beihilfekonforme Pflegeversicherung abzuschließen. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 15. Februar 2002 (Breithaupt 2002, 234) die Klage abgewiesen. Der Kläger gehöre nicht zu dem versicherungspflichtigen Personenkreis, auf den sich der Kontrahierungszwang der Versicherungsunternehmen nach § 110 des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) beziehe. Insbesondere sei er nicht gemäß § 23 Abs 3 SGB XI versicherungspflichtig. Diese Vorschrift begründe für die nicht krankenversicherten Beihilfeberechtigten keine Pflicht, einen Pflegeversicherungsvertrag abzuschließen. Vielmehr begrenze sie lediglich für die krankenversicherten Beihilfeberechtigten den Umfang der vorgeschriebenen Pflegeversicherung. Zwar könnte § 23 Abs 3 SGB XI wegen seiner allgemeinen Fassung als eigenständiger Versicherungspflichttatbestand verstanden werden. Dagegen spreche aber die Überschrift des § 23 SGB XI (“Versicherungspflicht für Versicherte der privaten Krankenversicherungsunternehmen”). Eine Abweichung von dem Grundsatz “Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung” hätte im Gesetz deutlicher zum Ausdruck kommen müssen. Gegen die Annahme einer Versicherungspflicht Beihilfeberechtigter ohne Krankenversicherungsschutz spreche auch, dass diese weder von der Meldepflicht des § 51 SGB XI noch von der Bußgeldvorschrift des § 121 SGB XI erfasst würden. Ein anderes Ergebnis sei auch nicht von Verfassungs wegen geboten. Dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Entscheidung vom 3. April 2001 (BVerfGE 103, 225 = SozR 3-3300 § 20 Nr 6) ausgesprochenen Prüfungsauftrag sei der Gesetzgeber mit der Einführung des § 26a SGB XI nachgekommen. Danach habe der Kläger jedoch kein Beitrittsrecht, weil er Sozialhilfe beziehe.
Der Kläger rügt mit seiner Sprungrevision die Verletzung des § 110 Abs 1 und des § 23 Abs 3 SGB XI. § 23 Abs 3 SGB XI begründe eine eigenständige, vom Bestehen einer Krankenversicherung unabhängige Versicherungspflicht, die nach § 110 Abs 1 SGB XI den Kontrahierungszwang auslöse. Der Ansicht des SG stehe der Wortlaut des Gesetzes entgegen. Würde das Gesetz an eine neben dem Beihilfeanspruch bestehende Krankenversicherung anknüpfen, wären Beihilfeberechtigte bereits nach Abs 1 des § 23 SGB XI versicherungspflichtig; Abs 3 SGB XI habe sich dann auf die Regelung des Umfangs der Vertragsleistungen beschränken können. Dies sei jedoch nicht geschehen. Denn Satz 1 des § 23 Abs 3 SGB XI normiere ausdrücklich eine Versicherungspflicht, wohingegen die Regelung des Umfangs der Vertragsleistungen dem Satz 2 vorbehalten sei. Das SG verkenne schließlich den Regelungszweck des § 110 SGB XI, der nicht voraussetze, dass bereits Krankenversicherungsverträge bestünden, sondern an die Versicherungspflicht anknüpfe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 15. Februar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, mit dem Kläger einen Vertrag über eine anteilige beihilfekonforme Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 1995 abzuschließen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wäre § 23 Abs 3 SGB XI ein eigenständiger Tatbestand der Versicherungspflicht, würde er den nicht krankenversicherten Beihilfeberechtigten auch nach Ablauf der in § 26a SGB XI genannten Frist einen Beitritt zur Pflegeversicherung ermöglichen. Mangels Meldepflicht und Bußgeldvorschrift könnte dann ein nicht krankenversicherter Beihilfeberechtigter mit dem Beitritt zur Pflegeversicherung bis zum Eintritt des Pflegefalles warten, sich der Beitragspflicht für die Pflegeversicherung weitgehend entziehen und nur Leistungen in Anspruch nehmen. Dass der Gesetzgeber die privaten Versicherungsunternehmen mit der Übernahme derartiger Zahlungsverpflichtungen habe belasten wollen, sei nicht ersichtlich. Selbst wenn die Auffassung des Klägers zur Auslegung des § 23 Abs 3 und des § 110 SGB XI als richtig angesehen werde, treffe der Kontrahierungszwang das Versicherungsunternehmen, dem zuerst der Antrag auf Aufnahme in die private Pflegeversicherung zugegangen sei. Den Nachweis, dass dies hier die Beklagte gewesen sei, habe der Kläger jedoch nicht führen können.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der Beklagten ist auch der Personenkreis der nur Beihilfeberechtigten, aber nicht Krankenversicherten, dem der Kläger angehört, versicherungspflichtig in der Pflegeversicherung und hat Anspruch auf Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages mit einem privaten Versicherungsunternehmen.
Der öffentlich-rechtliche Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages findet seine Grundlage in § 110 Abs 1 SGB XI. Die Vorschrift entspricht der eigenständigen und ebenfalls öffentlich-rechtlichen Vorsorgeverpflichtung aus § 23 Abs 1, 3 SGB XI von Personen, die wie der Kläger beihilfeberechtigt sind, ohne gleichzeitig bei einem Träger der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung versichert zu sein.
§ 110 Abs 1 SGB XI verpflichtet die im Geltungsbereich des Gesetzes zur Durchführung der Pflegeversicherung befugten privaten Krankenversicherungsunternehmen mit allen in § 22 und § 23 Abs 1, 3 und 4 SGB XI genannten versicherungspflichtigen Personen auf Antrag einen Versicherungsvertrag mit dem Ziel eine Vollversicherung oder einer die Beihilfe ergänzenden Teilversicherung abzuschließen (Nr 1). Dabei sind die in § 110 Abs 1 Nr 2 SGB XI unter den Buchstaben a) bis g) aufgeführten Bedingungen einzuhalten. Insbesondere darf kein Ausschluss bereits pflegebedürftiger Personen (Buchst b) und keine Staffelung der Prämien nach dem Gesundheitszustand (Buchst d) vorgesehen werden. Hierdurch soll nach dem Einleitungssatz des § 110 Abs 1 SGB XI sichergestellt werden, dass die Belange der Personen, die nach § 23 SGB XI zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet sind, ausreichend gewahrt werden und dass die Verträge auf Dauer erfüllbar bleiben, ohne die Interessen der Versicherten anderer Tarife zu vernachlässigen. Nach § 110 Abs 2 SGB XI gelten die in Abs 1 genannten Bedingungen für Versicherungsverträge, die mit Personen abgeschlossen werden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes am 1. Januar 1995 Mitglied bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen sind oder sich nach § 41 des Pflege-Versicherungsgesetzes (PflegeVG) innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes von der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung befreien lassen. Dagegen sieht § 110 Abs 3 SGB XI weniger günstige Mindestbedingungen für diejenigen vor, die erst nach Inkrafttreten des SGB XI Mitglied eines privaten Krankenversicherungsunternehmens mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen werden.
Der Kläger hat am 1. Januar 1995 die in § 110 Abs 2 SGB XI umschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt. Er war damals weder Mitglied eines privaten Krankenversicherungsunternehmens mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen noch hatte er sich nach § 41 PflegeVG von einer zu diesem Zeitpunkt auf freiwilliger Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung beruhenden Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung befreien lassen. § 110 Abs 1 Nr 1 SGB XI ist indes entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf diese Gruppen beschränkt. Er begründet vielmehr ausdrücklich eine Verpflichtung zum Vertragsschluss auch hinsichtlich der nach § 23 Abs 3 SGB XI versicherungspflichtigen Beihilfeberechtigten und der in § 23 Abs 4 SGB XI aufgeführten Heilfürsorgeberechtigten sowie der Mitglieder der Postbeamtenkrankenkasse und der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten. Nur mit diesem Inhalt kann § 110 Abs 1 SGB XI seiner Funktion genügen, die Belange “aller” nach § 23 SGB XI zum Vertragsschluss Verpflichteten zu wahren und ihnen spiegelbildlich ein subjektiv-öffentliches Recht auf Vertragsschluss gegen die in diesem Umfang kontrahierungspflichtigen privaten Versicherungsunternehmen zu vermitteln. Der Anwendungsbereich von § 110 Abs 1 SGB XI wird nicht etwa durch den folgenden Abs 2 insofern wieder eingeschränkt, als dort der Personenkreis des § 23 Abs 3 und 4 SGB XI keine Erwähnung findet. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich Abs 2 aaO auf die Bezeichnung des Zeitpunktes beschränkt, zu dem jede im Sinne des Abs 1 relevante Vorsorgepflicht bestanden haben muss, während er die einzelnen Tatbestände dieser Pflicht weder selbst regelt noch vollständig wiedergibt, sich vielmehr darauf beschränkt, diese nur beispielhaft zu bezeichnen. Die damit gleichermaßen in sich wie im Verhältnis zu § 23 SGB XI vollständige Regelung des § 110 Abs 1 SGB XI lässt Probleme der Lückenfüllung nicht entstehen (in diesem Sinne Gallon in Lehr- und Praxiskommentar zum SGB XI ≪LPK-SGB XI≫, 2. Aufl 2003, § 110 RdNr 34; König in Hauck/Noftz, K § 110 SGB XI RdNr 13, Stand 1995).
Für den Kläger ergibt sich die Versicherungspflicht aus § 23 Abs 3 SGB XI. Die Vorschrift begründet entgegen der Auffassung des SG für den Personenkreis des Klägers eine eigenständige Vorsorgeverpflichtung unabhängig vom Bestehen einer Krankenversicherung. Ein derartiges Verständnis ist von § 110 Abs 1 Nr 1 SGB XI, der die Vorschrift als eigenständigen Tatbestand der Versicherungspflicht zitiert, vorausgesetzt und neben dem Wortlaut des § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XI insbesondere durch das dem Pflegeversicherungsrecht zu Grunde liegende Gesamtkonzept geboten. Weder die Überschrift noch das Fehlen von Begleitregelungen wie Melde- und Bußgeldvorschrift steht dem im Ergebnis entgegen.
§ 23 Abs 1 SGB XI verpflichtet zunächst Personen, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen versichert sind, zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrags bei diesem Unternehmen (Satz 1). Der Vertrag muss ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht Vertragsleistungen vorsehen, die den Leistungen des 4. Kapitels gleichwertig sind (Satz 2). Abs 2 räumt den Betroffenen ein befristetes Wahlrecht ein, den Pflegeversicherungsvertrag nach Abs 1 bei einem anderen Krankenversicherungsunternehmen abzuschließen. Abs 3 SGB XI verpflichtet Personen, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Pflegebedürftigkeit Anspruch auf Beihilfe haben, zum Abschluss einer entsprechenden anteiligen beihilfekonformen Versicherung iS des Abs 1, sofern sie nicht nach § 20 Abs 3 SGB XI versicherungspflichtig sind. Diese Versicherung ist nach § 23 Abs 3 Satz 2 SGB XI, der durch Art 1 Nr 9 des 1. SGB XI-ÄndG vom 14. Juni 1996 (BGBl I S 830) eingefügt wurde, so auszugestalten, dass ihre Vertragsleistungen zusammen mit den Beihilfeleistungen, die sich bei Anwendung der in § 14 Abs 1 und 5 der Beihilfevorschriften des Bundes festgelegten Bemessungssätze ergeben, den in Abs 1 Satz 2 vorgeschriebenen Versicherungsschutz gewährleisten. § 23 Abs 4 SGB XI ordnet die entsprechende Geltung der Absätze 1 bis 3 für nicht in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtige Heilfürsorgeberechtigte, sowie für Mitglieder der Postbeamtenkrankenkasse und der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten an. Abs 5 enthält schließlich Ausnahmeregelungen gegenüber den Absätzen 1, 3 und 4 für Personen, die sich auf nicht absehbare Dauer in stationärer Pflege befinden und bereits Pflegeleistungen nach § 35 Abs 6 Bundesversorgungsgesetz (BVG), nach § 44 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch, nach § 34 des Beamtenversorgungsgesetzes oder nach den Gesetzen erhalten, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, sofern sie keine Familienangehörigen oder Lebenspartner haben, für die in der sozialen Pflegeversicherung nach § 25 SGB XI eine Familienversicherung bestünde.
§ 23 Abs 3 Satz 1 SGB XI beschränkt sich bereits seinem Wortlaut nach nicht auf eine bloße Inhaltsbestimmung für Pflegeversicherungsverträge von Beihilfeberechtigten. Er ist vielmehr ein gegenüber Abs 1 eigenständiger Tatbestand der Versicherungspflicht. Die ausdrückliche Ausnahme für die freiwillig gesetzlich krankenversicherten (und damit in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversicherten) Beihilfeberechtigten durch Bezugnahme auf § 20 Abs 3 SGB XI im letzten Satzteil der Norm wäre andernfalls nicht zu erklären. Sie bezeichnet weder eine Teilgruppe der von § 23 Abs 1 SGB XI erfassten privat Krankenversicherten noch betrifft sie Inhalt und Umfang einer privaten Pflegeversicherung. Vielmehr erschließt sich der Sinn des § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XI nur dann, wenn man in ihm die Verbindung der besonderen Rechtsfolge “Abschluss einer anteiligen beihilfekonformen Versicherung” mit einem eigenständig bestimmten Kreis von versicherungspflichtigen Beihilfeberechtigten sieht, der vom Anwendungsbereich der Vorschrift nur im Fall einer gleichzeitig bereits bestehenden Pflichtversicherung in der sozialen Pflegeversicherung ausgenommen ist. Nur auf diese Weise kann zudem das gesetzliche Grundanliegen der Pflegeversicherung verwirklicht werden.
Der Gesetzgeber hat mit dem SGB XI die rechtlichen Grundlagen für eine gesetzliche Pflegeversicherung geschaffen, die rund 98 % der Gesamtbevölkerung erfasst. Das zu Grunde liegende Konzept einer Volksversicherung (BVerfGE 103, 197 = SozR 3-1100 Art 74 Nr 4; BVerfGE 103, 225 = SozR 3-3300 § 20 Nr 6) gebietet es dabei, allen Betroffenen Zugang zur Pflegeversicherung zu verschaffen. Der Gesetzgeber durfte daher zur möglichst praktikablen Umsetzung des Gesetzes und zur Vermeidung aufwändiger Ermittlungen die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung zwar auf die bei Inkrafttreten des SGB XI gesetzlich umschriebenen Tatbestände beschränken und grundsätzlich mit einer bereits bestehenden Krankenversicherung verknüpfen. Er war jedoch durch Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) gehalten, den auf diese Weise nicht erfassten Personengruppen auf sonstige Weise, etwa durch Einräumung eines befristeten Beitrittsrechts, Zugang zu verschaffen, ohne auch insofern danach zu differenzieren, ob jeweils ein hohes Risiko bestand oder bereits eingetreten war (vgl BVerfGE 103, 225 = SozR 3-3300 § 20 Nr 6 und hierzu mittlerweile § 26a SGB XI). In Übereinstimmung mit der im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordenen Zielrichtung (vgl BT-Drucks 12/5920, S 28 f, 12/5262, S 102 und 12/5952, S 37) ist damit auch § 1 Abs 2 SGB XI nicht etwa als abschließende Umschreibung des Kreises der in der gesetzlichen Pflegeversicherung Versicherten oder als Ausschlusstatbestand zu verstehen. Wie etwa die Begründung zu der in § 21 SGB XI geregelten Einbeziehung weder gesetzlich noch privat krankenversicherter Personengruppen (vgl BT-Drucks 12/5952 S 37) verdeutlicht, wurde in der gesetzlichen Pflegeversicherung der möglichst vollständigen Erfassung der Wohnbevölkerung von Anfang an der Vorzug vor der ausnahmslosen Verwirklichung der Einheit von Kranken- und Pflegeversicherung (“Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung”) gegeben. Dabei wurde Wert allein darauf gelegt, dass die versicherungspflichtigen Personen mit noch vertretbarem Verwaltungsaufwand erfasst werden konnten (vgl auch hierzu BVerfGE 103, 225 = SozR 3-3300 § 20 Nr 6 mwN).
Das Konzept einer umfassenden Volksversicherung gebietet es, innerhalb der Normen über die öffentlich-rechtliche Zwangsversicherung in der sozialen oder der privaten Pflegeversicherung unter mehreren Möglichkeiten im Zweifel der weitergehenden Auslegung den Vorzug zu geben. Die unter diesen Umständen als planwidrig erscheinenden Umsetzungsdefizite wie das Fehlen von Melde- oder Bußgeldvorschriften wird der Gesetzgeber aus Gründen der Gleichbehandlung aller Versicherungspflichtigen nachzuholen haben. Er wird dabei kaum auf nachhaltige Schwierigkeiten stoßen, weil bei Beihilfeberechtigten der Zugriff auf eine bereits vorhandene (hier öffentliche) Stelle möglich ist, der auch in sonstigen Fällen für die Durchführung der Versicherungspflicht nutzbar gemacht wird (§ 50 Abs 1, 2, § 51 SGB XI und hierzu BVerfGE 103, 225 = SozR 3-3300 § 20 Nr 6).
Der Senat beantwortet daher die in seiner Rechtsprechung bisher offen gelassene (BSGE 81, 168, 174 = SozR 3-3300 § 20 Nr 2 S 7 f) Frage, ob es sich bei § 23 Abs 3 SGB XI um einen eigenständigen Vorsorgepflicht-Tatbestand handelt, nunmehr in dem Sinne, den bereits das BVerfG – allerdings ohne Auseinandersetzung mit der einfachgesetzlichen Rechtslage – seiner Entscheidung vom 3. April 2001 (BVerfGE 103, 197 = SozR 3-1100 Art 74 Nr 2) zu Grunde gelegt hat. Er sieht sich damit in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung in der Literatur (vgl Bresche, PflegeVG, S 17, Stand: 2000; Gallon, in: LPK-SGB XI, § 23 RdNr 25 ff; Hübner, in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 4 Pflegeversicherungsrecht, 1997, § 10 RdNr 22; Wagner, in Hauck/Noftz, K 23 SGB XI RdNr 10 ff, Stand: Januar 2004; Kulbe in Jahn, Sozialgesetzbuch für die Praxis, Stand September 2003, § 23 SGB XI RdNr 10; Lutter, Die private Pflege-Pflichtversicherung, BABL 1994, Heft 8-9, S 51; Udsching, Kommentar zum SGB XI, 2. Aufl 2000, § 23 RdNr 7; Marschner, Kommentar zum Pflege-Versicherungsgesetz, Stand 1999, § 23 SGB XI RdNr 10, 12; aA Peters, in Kasseler Kommentar, § 23 SGB XI RdNr 7, Stand: 2001).
Der Auffassung des Senats kann nicht die Überschrift des § 23 SGB XI (“Versicherungspflicht für Versicherte der privaten Krankenversicherungsunternehmen”) entgegengehalten werden. Diese kommt als richtungsweisend für das Normverständnis nicht in Betracht, weil sie bereits während des Gesetzesgebungsverfahrens sachlich unzutreffend geworden ist. Mit der Einbeziehung von Heilfürsorgeberechtigten in Abs 4 des § 23 SGB XI ist nämlich eine Vorsorgepflicht auch für Berufssoldaten und Polizeivollzugsbeamte im Bundesgrenzschutz begründet worden, die nicht in einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind (vgl BT-Drucks 12/5952 S 38).
Der Kläger, der dem Grundsatz “Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung” nicht unterworfen ist, kann die Pflegeversicherung bei einem Unternehmen seiner Wahl abschließen (§ 110 Abs 1 Nr 1 SGB XI und Gallon aaO § 23 RdNr 62 und § 110 RdNr 25 sowie Lutter aaO S 54). Seine Wahlfreiheit bleibt jedenfalls so lange erhalten, wie nicht eines der angegangenen Versicherungsunternehmen seinen Antrag angenommen hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es damit auf das zeitliche Verhältnis der Anträge zueinander nicht an. Inhaltlich ist dabei auch in der privaten Pflegeversicherung zu beachten, dass das gesetzgeberische Anliegen einer möglichst vollständigen Erfassung der Wohnbevölkerung ausdrücklich (§ 110 Abs 1 Nr 2 Buchst b SGB XI) auch den sofortigen versicherungsrechtlichen Schutz der bereits Pflegebedürftigen und der “pflegenahen Jahrgänge” umfasst. Dies ist jedenfalls übergangsrechtlich von der Gesetzgebungskompetenz aus Art 74 Abs 1 Nr 11 GG gedeckt (BVerfGE 103, 197 = SozR 3-1100 Art 74 Nr 4), von Art 3 Abs 1 GG geboten (BVerfGE 103, 225 = SozR 3-3300 § 20 Nr 6) und im Übrigen Bestandteil der vom Verband der privaten Krankenversicherung zur Ausgestaltung einer privaten Pflege-Pflichtversicherung angebotenen Bedingungen (vgl hierzu BT-Drucks 12/5262 S 154).
Für den nach Abs 3 des § 23 SGB XI abzuschließenden Vertrag gilt im Übrigen Abs 1 dieser Vorschrift. Insbesondere muss er daher die geschuldeten Vertragsleistungen ab dem Zeitpunkt der Versicherungspflicht, dh hier ab dem Inkrafttreten des SGB XI am 1. Januar 1995 vorsehen. Nur so kann der Kläger in vollem Umfang seiner gesetzlichen Pflicht zum Vertragsabschluss genügen und umgekehrt die Beklagte ihrem Kontrahierungszwang für alle bei Inkrafttreten des Gesetzes Versicherungspflichtigen (§ 110 Abs 2 SGB XI) in dem von Abs 1 aaO gebotenen Umfang nachkommen. Der Befürchtung der Beklagten, dass Beihilfeberechtigte wie der Kläger den Vertragsabschluss über eine Pflegeversicherung noch weiter hinausschieben könnten, wird der Gesetzgeber durch geeignete Maßnahmen zur Erfassung dieses Personenkreises zu begegnen haben.
Da der Kläger zum Kreis der ursprünglich Versicherungspflichtigen gehört, kommt es nicht mehr darauf an, ob ihm auf der Grundlage von § 26a SGB XI ein Beitrittsrecht zusteht. Insofern kann daher unerörtert bleiben, ob das Urteil des SG zulässig mit der Revision angegriffen wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
FEVS 2004, 533 |
SozR 4-3300 § 23, Nr.1 |
AUR 2004, 167 |
GuS 2004, 62 |