Leitsatz (amtlich)
Die Witwe eines Gefallenen, die in England in einer nach englischem Recht gültigen, nach deutschen Recht ungültigen Ehe ("Nichtehe" - "hinkenden Ehe") lebt, hat, wenn sie deutsche Staatsangehörige geblieben ist, Anspruch auf Witwenversorgung nach dem BVG (Anschluß an BSG 1967-08-15 10 RV 306/65 = BSGE 27, 96).
Normenkette
BVG § 39 Abs. 1 Fassung: 1957-07-01, § 38 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; BGBEG Art. 13
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 16. März 1966 und des Sozialgerichts Hamburg vom 25. November 1964 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Juli 1959 Witwenrente nach dem BVG zu zahlen
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
Der erste Ehemann der Klägerin (Sch.) ist 1943 als Soldat gefallen. Am 18. November 1948 ist die Klägerin in Österreich vor einem britischen Feldgeistlichen mit dem britischen Staatsangehörigen Hugh Silverton (S.), einem Sergeanten (Unteroffizier) der britischen Besatzungsmacht, römisch-katholisch getraut worden. 1951 hat sie Österreich verlassen und bis 1953 im Gefolge der britischen Besatzungskräfte in Hildesheim gelebt. Seit 1953 lebt sie in England mit ihrem Ehemann und einem Kind aus erster Ehe. Für dieses Kind wurde Waisenrente gezahlt.
Im Juli 1959 beantragte die Klägerin Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.(BVG). Sie halte sich ständig im Ausland und nur vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland auf. Ihre Ehe mit S. sei nach deutschem Recht nicht gültig. Infolgedessen stehe ihr Witwenrente zu. Auch nach österreichischem Eherecht werde diese Ehe nicht anerkannt. Mit Bescheid vom 15. Mai 1961 wurde der Antrag abgelehnt, weil die Klägerin nach britischem Recht die Ehe mit S. eingegangen sei. Sie gehöre daher nicht zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 16. März 1966 zurück. Die Ehe der Klägerin mit S. vor dem britischen Militärgeistlichen sei nach britischem Recht rechtsgültig zustande gekommen. Nach deutschem Recht sei sie allerdings ungültig. Es handele sich um eine sogenannte "hinkende Ehe" im Sinne des zwischenstaatlichen Privatrechts. Nach Art. 13 Abs. III des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und § 11 des Ehegesetzes (EheG) von 1946 komme in der Bundesrepublik, wenn einer der Verlobten die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, die Ehe nur zustande, wenn sie vor einem deutschen Standesbeamten geschlossen werde. Da aber die Ehe in England, wo die Klägerin seit 1953 lebe, als gültig angesehen werde, habe die Klägerin dort alle Rechte, die einer rechtsgültig verheirateten Ehefrau nach britischem Ehe- und Familienrecht zustünden. Es wäre daher nicht rechtens, trotz ihrer nach britischem Recht rechtsgültigen Wiederverheiratung einen Anspruch auf Witwenversorgung nach dem BVG zuzubilligen. Es komme weniger auf die rechtliche als auf die tatsächliche Würdigung der Eheschließung an. Dieses Ergebnis decke sich auch mit den Ausführungen in dem Regierungsentwurf zum BVG (Bundestagsdrucksache Nr. 1335 der 1. Wahlperiode S. 45 und. 59), wo darauf hingewiesen werde, daß die Grundrente einen bescheidenen Ausgleich für den vorzeitigen Verlust des Ehemannes darstellen solle. Da die Klägerin eine neue Ehe eingegangen sei und ihren ganzen Lebens- und Wirkungskreis in das Ausland verlegt habe, stehe ihr nach dem Grundgedanken des BVG keine Witwenrente zu. Denn sie habe durch ihre Eheschließung mit S. jedenfalls einen wirtschaftlichen Ersatz für den Verlust ihres ersten Ehemannes gefunden. Da die Witwenrente längstens bis zur Wiederverheiratung zu gewähren und die Klägerin nicht mehr Witwe sei, bestehe kein Anspruch auf Witwenversorgung. Dieses Ergebnis stehe nicht in Widerspruch zu der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSG 10, 1 ff, da dort die Witwe im deutschen Rechtsbereich gelebt und alle Nachteile gehabt habe, die aus der Nichtigkeit ihrer Ehe mit einem britischen Staatsangehörigen nach deutschem Recht bestanden hätten.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 1 in Verbindung mit § 38 BVG. Wenngleich in BSG 10, 1 ff dahingestellt geblieben sei, ob die Gewährung der Witwenrente auch dann gerechtfertigt sei, wenn die Klägerin in einen Staat ziehen sollte, der ihre zweite Trauung rechtlich billige, könne sich für die Rechtmäßigkeit ihres Anspruchs nach dem BVG daraus nichts anderes ergeben. Dafür spreche insbesondere, daß der Klägerin auf Grund eines Urteils des 2. Senats des Oberverwaltungsgerichts (OVG) für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg vom 1. Juni 1964 am 12. August 1964 vom Oberstadtdirektor der Stadt Hildesheim ein "Heimatschein" habe erteilt werden müssen, weil die vor dem britischen Feldgeistlichen geschlossene Ehe nach den Grundsätzen des deutschen internationalen Privatrechts nicht formgültig geschlossen worden sei und die Klägerin daher durch die Eheschließung ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren habe. Sei sie aber noch im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit, so müsse sich ihr Personenstand nach deutschem Recht, zu dem auch das BVG gehöre, richten, weshalb ihr Begehren in gleicher Weise wie in BSG 10, 1 ff zu beurteilen sei. Hiernach sei eine Witwe nur dann wieder verheiratet, wenn eine nach deutschem Recht anerkannte Eheschließung vorliege.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts (SG) Hamburg vom 25. November 1964 und des LSG Hamburg vom 16. März 1966 nach dem Klageantrag zu erkennen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes SGG) einverstanden erklärt.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist auch sachlich begründet.
Nach §§ 1 Abs. 5, 38 Abs. 1 und 44 BVG in den zur Zeit der Antragstellung 1959 und der Erteilung des Bescheids vom 15. Mai 1961 geltenden Fassungen des 6. Änderungsgesetzes (ÄndG) vom 1. Juli 1957 (BGBl I, 661) und des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) (1. NOG) - das 2. Und 3. NOG vom 21. Februar 1964 bzw. 28. Dezember 1966 haben insoweit keine wesentliche Änderung gebracht - hat die Witwe Anspruch auf Hinterbliebenenrente; diese erlischt mit der Wiederverheiratung (§ 44 Abs. 1 BVG, Wilke, Kommentar zum BVG, 2. Aufl., Anm. 1 zu § 44 BVG).
Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG lebt die Klägerin in England in einer nach dortigem Recht gültigen Ehe. Das OVG Lüneburg hat in seinem Urteil vom 1. Juni 1964, das im LSG--Urteil erwähnt ist, gestützt auf eine Rechtsauskunft des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, die Berufung der Stadt Hildesheim gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Hannover, 1. Kammer, Hildesheim, vom 14. September 1961 zurückgewiesen und damit die Verpflichtung der Stadt zur Erteilung eines Heimatscheins an die Klägerin bestätigt. Das OVG ist zu dem Ergebnis gelangt, daß die von der Klägerin in Österreich eingegangene Ehe nach den Grundsätzen des deutschen internationalen Privatrechts nicht formgültig geschlossen worden sei, da weder die Ortsform des österreichischen Rechts - standesamtliche Trauung - beachtet, noch eine Form gewählt worden sei, die dem Recht beider Eheschließenden, also sowohl dem deutschen als auch dem englischen entspreche. Eine in Österreich nur in religiöser Form geschlossene Ehe sei nach österreichischem Recht eine "Nichtehe". Das OVG hat demnach entschieden, daß die Klägerin durch die Eheschließung ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren und deshalb Anspruch auf die Ausstellung eines Heimatscheines hat.
Nach dieser rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über den Status der Klägerin muß der Senat davon ausgehen, daß sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (vgl. auch Peters/Sautter/Wolff, Anm. 1 und 3 (S. II/78-4- und -6-) zu § 114 SGG) und daß es sich nach österreichischem - und deutschem - Recht um eine "Nichtehe", handelt (so auch Raape in MDR 1948 S. 98, der zu dem Ergebnis kommt, daß ein aus einer nicht formgültigen Ehe (Nichtehe) zwischen einem Engländer und einer Deutschen hervorgegangenes Kind nach englischem Recht ehelich und nach deutschem Recht unehelich sei). Die Ehe ist allerdings nach englischem Recht voll gültig, weshalb hier, wie das LSG zutreffend festgestellt hat, eine "hinkende Ehe" (matrimonium claudicans) vorliegt mit der Folge, daß die Klägerin, wenn sie etwa in Deutschland ohne vorherige Ehescheidung eine an sich mögliche zweite Ehe einginge, nach den Grundsätzen des englischen Strafrechts wohl wegen Bigamie bestraft werden müßte (vgl. Raape aaO S. 98). Wenn auch diese "hinkende Ehe" der Klägerin nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG in England alle Recht gibt, die einer rechtsgültig verheirateten Ehefrau nach britischem Ehe- und Familienrecht zustehen, so ändert dies nichts daran, daß es sich nach deutschem Recht um eine Nichtehe handelt.
Das BVG sagt nichts darüber, nach welchem Recht die Gültigkeit der Ehe zu beurteilen ist, wenn eine Kriegerwitwe wieder heiratet. In BSG 10, 1 ff ist zu der dem § 44 BVG rechtsähnlichen Vorschrift des § 1287 der Reichsversicherungsordnung aF entschieden worden, daß eine Witwe im Sinne dieser Bestimmung nur dann wiederverheiratet ist, wenn eine nach deutschem Recht anerkannte Eheschließung vorliegt. In dieser Entscheidung ist zwar die Einschränkung gemacht worden, daß dies jedenfalls gilt, "solange sie im Geltungsbereich des deutschen Rechts wohnt". In der Entscheidung wurde darauf hingewiesen, daß die Nichtanerkennung der zweiten Ehe im Bereich des deutschen Rechts der in Hamburg wohnenden Klägerin wesentliche Nachteile einbringe, so insbesondere auf den Gebieten des Unterhalts-, Kindschafts- und Erbrechts (BSG 10, 4). Im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin in England wohnt und dort die Rechte einer rechtsgültig verheirateten Ehefrau nach dortigem Ehe- und Familienrecht besitzt, kann jedoch nichts anderes gelten. Der Senat folgt insoweit der Entscheidung des 10. Senats des BSG vom 15. August 1967 - 10 RV 306/65 -. Hiernach beurteilt sich die Frage, ob die Ehefrau eines Beschädigten nach dessen Tod Witwe im Sinne des § 38 BVG geblieben ist, allein nach deutschem Recht, da sich kein Anhaltspunkt dafür ergibt, daß das BVG, soweit es familienrechtliche Begriffe verwendet, diese mit einem anderen Gehalt verbindet, als dies im Ehe- und Familiengericht kraft ausdrücklicher Vorschrift geschehen ist. Ob die Klägerin Witwe ist, kann - soweit Ansprüche nach deutschem Recht geltend gemacht werden - nicht unterschiedlich danach beurteilt werden, in welchem Lande die Klägerin sich jeweils aufhält und ob nach dem Recht dieses Landes die Trauung der Klägerin als Ehe anerkannt wird oder nicht. Zwar liegt der gesetzlichen Regelung der Witwenrente der Gedanke zugrunde, diese Rente der Witwe als Versorgung wegen des verlorenen Unterhalts durch den Tod des Ehemannes zu gewähren. Ist jedoch die Gewährung oder der Wegfall der Witwenrente von bestimmten Voraussetzungen abhängig und sind diese Voraussetzungen erfüllt, so muß die daran geknüpfte Rechtsfolge eintreten, auch wenn sie in einem bestimmten Falle nicht den Motiven der gesetzlichen Regelung entspricht. Das Motiv des Gesetzgebers, einer Kriegerwitwe mit der Gewährung der Witwenrente nach dem BVG den durch den kriegsbedingten Verlust ihres Ehemannes entgangenen Versorgungs- und Unterhaltsanspruch in gewissem Rahmen zu ersetzen, solange sie nicht durch Wiederverheiratung einen neuen Unterhaltsanspruch erworben hat, stellt jedenfalls keine ausreichende Rechtsgrundlage dafür dar, um die Witwenrente dann zu versagen, wenn die Witwe - wie im vorliegenden Falle - in einer hinkenden Ehe lebt, die in dem Land, in dem sie sich gerade aufhält, als gültig anerkannt wird und ihr Unterhaltsansprüche gegen den angetrauten Ehepartner gewährleistet. In dieser Entscheidung ist ferner dargetan, daß insoweit keine vom Richter auszufüllende Gesetzeslücke besteht und daß es dem Gesetzgeber überlassen bleiben muß, ob er Witwen von der Versorgung ausschließen will, denen nach dem Recht ihres Aufenthaltslandes aus der Ehe Unterhaltsansprüche gegen den Partner ihrer hinkenden Ehe zustehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des 10. Senats Bezug genommen. Dieses Ergebnis mag, gemessen an dem Sinn der Kriegsopferversorgung, befremdlich erscheinen, es ist aber eine Folge des geltenden deutschen internationalen Privatrechts, das sich damit abfindet, daß eine solche im Aufenthaltsland voll gültige Ehe in Deutschland als "Nichtehe" mit allen familienrechtlichen Konsequenzen behandelt wird, Wenn Bosch daher (vgl. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1967, 669) die Entscheidung des 10. Senats bei Berücksichtigung der ratio des Gesetzes für falsch hält, weil die Voraussetzungen der Rentengewährung, von denen der Gesetzgeber ausgegangen sei, offensichtlich nicht erfüllt seien und daher der Richter zur "Randberichtigung" des Gesetzes befugt sei, so muß darauf hingewiesen werden, daß sich die von ihm als "unbefriedigend" bezeichnete Lösung nicht aus dem Recht der Kriegsopferversorgung, sondern aus einem Rechtsgebiet mit feststehenden familienrechtlichen Begriffen ergibt, zu deren Weiterbildung durch "teleologische Restriktion" das BSG nicht berufen und im vorliegenden Fall angesichts des rechtskräftigen Urteils des OVG Lüneburg auch nicht befugt ist.
Da die Klägerin nach alledem deutsche Staatsangehörige ist und nach dem BVG als Witwe gilt, steht ihr, nachdem ihr erster Ehemann 1943 als Soldat gefallen ist, Witwenrente nach dem BVG zu.
Die angefochtenen Bescheide sind danach rechtswidrig.
Deshalb war, wie geschehen, zu erkennen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen