Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichberechtigung von Mann und Frau bei Tabellenwerten nach dem FRG
Orientierungssatz
1. Daß das FRG für die männlichen und die weiblichen Versicherten unterschiedliche Tabellenwerte vorsieht, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz in Art 3 Abs 2 GG.
2. Ist es schon nicht geboten, bei Berufen, die üblicherweise von Frauen wie Männern ausgeübt werden, die Anl 9 und 11 anders zu gestalten (vgl BVerfG vom 26.1.1977 - 1 BvL 17/73 - = SozR 5050 § 22 Nr 5), dann ist nicht ersichtlich, inwiefern der Ausnahmefall der "Frau mit Männerberuf" abweichend zu behandeln sein sollte; für ihn gilt erst recht der Gedanke, daß die Geschlechtszugehörigkeit bei den Tabellen berücksichtigt worden ist.
Normenkette
FRG § 22 Abs 1 S 1 Buchst b Fassung: 1960-02-25, § 22 Anl 9 Fassung: 1960-02-25, § 22 Anl 11 Fassung: 1960-02-25, § 15 Abs 1 Fassung: 1960-02-25; GG Art 3 Abs 2 Fassung: 1949-05-23; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 23.11.1983; Aktenzeichen III ANBf 67/82) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 22.10.1982; Aktenzeichen 9a AN 425/79) |
Tatbestand
Im Streit steht, ob die für die Klägerin aufgrund des Fremdrentengesetzes (FRG) berücksichtigten Beitragszeiten nach den Entgelten männlicher Versicherter zu bewerten sind.
Die 1931 in Stettin geborene Klägerin, Inhaberin des Ausweises A für Vertriebene und Flüchtlinge, schloß 1949 in der DDR eine Maurerlehre ab und war neben bzw nach einem Fachschulstudium als Hochbauingenieur bis zu ihrer 1975 erfolgten Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland nacheinander als Techniker, Bauführer, Bauingenieur, Bauleiter, Ingenieur für Begutachtung und Aufbauleiter tätig.
Im Verfahren zur Klärung des Versicherungsverlaufs bewertete die Beklagte die in der DDR verbrachten Beitragszeiten gemäß der Anlage 1 Buchst B iVm der Anlage 11 zu § 22 FRG nach Leistungsgruppen weiblicher Angestellter und wies den auf Zubilligung höherer Leistungsgruppen der männlichen Angestellten gerichteten Widerspruch der Klägerin zurück (Bescheid vom 14. August 1978, Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1979).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, die Zeiten von August 1957 bis Mai 1979 nach der Leistungsgruppe 3 der weiblichen Angestellten zu bewerten, und hat im übrigen die Klage abgewiesen; das Landessozialgericht (LSG) hat die auf die Bewertung aller berücksichtigten Beitragszeiten nach den Entgelten für männliche Versicherte gerichtete Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23. November 1983). Nach seiner Ansicht stehen die für männliche Versicherte geltenden höheren Tabellenwerte der Klägerin nicht zu. § 22 FRG sei insoweit mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar (Hinweis auf BVerfGE 43, 213; 57, 335). Einen in der Bundesrepublik Deutschland für Frauen unbekannten Männerberuf habe die Klägerin nicht ausgeübt. Die Nichterwähnung des Ingenieurs im Berufsgruppenkatalog der weiblichen Angestellten bedeute auch nicht, daß weibliche Ingenieure bei der Ermittlung der Durchschnittsentgelte unberücksichtigt geblieben seien. Im übrigen müsse es die Klägerin hinnehmen, wenn ihr Beruf den in den Anlagen zu § 22 FRG statistisch erfaßten Frauenberufen zugeordnet werde. Nach dem Eingliederungsprinzip seien die FRG-Berechtigten so zu stellen, als ob sie ihr Arbeitsleben in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt hätten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt die Klägerin, die Urteile der Vorinstanzen sowie die angefochtenen Bescheide zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, den nach dem FRG berücksichtigten Pflichtversicherungszeiten höhere Entgelte zugrunde zu legen.
Zur Begründung rügt sie eine Verletzung von § 22 FRG iVm Art 3 Abs 1 GG. Die in BVerfGE 43, 13 angestellten Erwägungen träfen nur auf solche Berufe zu, die von Männern und Frauen gleichermaßen ausgeübt werden; für Berufe, die weit überwiegend von einem Geschlecht besetzt würden, müßten im Hinblick auf den Gleichheitssatz andere Kriterien gelten. Es leuchte nicht ein, daß ein weiblicher Bauführer, Ingenieur oder Polier, der in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet habe, bei einer Erneuerung der Versicherungsunterlagen in das Leistungsgruppenschema für weibliche Angestellte komme, obgleich derartige Berufe dort nicht aufgeführt seien. Die verfassungsrechtlichen Bedenken geböten es daher, eine erneute Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) herbeizuführen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß die von der Klägerin in der DDR verbrachten Pflichtbeitragszeiten im Rahmen von §§ 15 und 22 FRG nach den durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelten zu bewerten sind, wie sie die Anlage 11 zu § 22 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG aufführt; die Klägerin kann nicht beanspruchen, daß den Zeiten die Entgelte der männlichen Versicherten der Rentenversicherung der Angestellten zugeordnet werden (Anlage 9 zu § 22 FRG).
Die Regelung des § 22 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG, die für die männlichen und die weiblichen Versicherten unterschiedliche Tabellenwerte vorsieht, verstößt nicht gegen das GG. Der erkennende Senat hat darum keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und vorab die Entscheidung des BVerfG einzuholen (Art 100 Abs 1 Satz 1 GG). Das BVerfG hat mit Beschluß vom 26. Januar 1977 (BVerfGE 43, 213 = SozR 5050 § 22 Nr 5) bereits entschieden, die Regelung des FRG, rentenberechtigten Frauen niedrigere Verdienste zuzuordnen als Männern, sei mit Art 3 GG noch vereinbar; an diesem Ergebnis hat es in seinem Beschluß vom 16. Juni 1981 (BVerfGE 57, 335 = SozR 2200 § 1255 Nr 13) ausdrücklich festgehalten.
In der Entscheidung vom 26. Januar 1977 aaO zu § 22 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG hat das BVerfG besonders hervorgehoben, daß die Regelung nicht allein und unmittelbar an den Unterschied der Geschlechter (Art 3 Abs 2 GG) anknüpfe; ihr entscheidender Anknüpfungspunkt liege vielmehr - in Konsequenz des Prinzips der Eingliederung - in den Rechtsverhältnissen derjenigen Versicherten, die ständig im Bundesgebiet (Westberlin) gelebt hätten; ihnen sollten die Rechtsverhältnisse der Vertriebenen und Flüchtlinge gleichgestellt werden. Wie das BVerfG aaO weiter betont hat, entspricht diese Gleichstellung der unter das FRG fallenden Personen durch das Eingliederungsprinzip (zugleich) dem Sozialstaatsgebot. Daß es zur Durchführung des gesetzlichen Zieles der Typisierung, Schematisierung und sogar verhältnismäßig grober Pauschalierungen bedurfte, sei auf dem Gebiet der Sozialversicherung grundsätzlich unbedenklich (s hierzu auch BVerfGE 17, 1, 23 mit weiteren Nachweisen sowie SozR 5050 § 22 Nr 7).
Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorliegenden Falles kommt diesen Erwägungen die entscheidende Bedeutung zu. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist ihnen nicht zu entnehmen, daß sie nur auf solche Berufe zutreffen, die von Männern und Frauen gleichermaßen ausgeübt werden. Eine Typisierung und Schematisierung, wie sie das FRG in § 22 enthält, setzt vom Wesen her eine Zusammenfassung in Gruppen voraus. In diesen Gruppen sind, wie es die Berufskataloge der Leistungsgruppen innerhalb der Anlage 1 zu § 22 zeigen, sowohl solche Berufe aufgeführt, die üblicherweise Männer wie Frauen verrichten als auch solche, die in erster Linie einem Geschlecht zufallen. Das BVerfG hat die Regelung des § 22 Abs 1 Satz 1 Buchst b FRG mit den nach Geschlechtern differenzierenden Anlagen 9 und 11, in die die Leistungsgruppen der Anlage 1 eingeflossen sind, indes generell für verfassungsrechtlich hinnehmbar erklärt und dem Gesetzgeber zugestanden, er sei im Rahmen der ihm zur Durchsetzung des Eingliederungsprinzips zukommenden Freiheit zur Typisierung nicht verpflichtet, innerhalb einer Gruppe weiter zu differenzieren. Ist es hiernach verfassungsrechtlich nicht geboten, bei Berufen, die üblicherweise von Frauen wie Männern ausgeübt werden, die Anlagen der Tabellen 9 und 11 hinsichtlich der Zuordnung von Bruttoarbeitsentgelten anders zu gestalten, dann ist aber nicht ersichtlich, inwiefern der Fall der "Frau mit Männerberuf", der sich demgegenüber - auch nach der Auffassung der Klägerin - als ein Ausnahmefall darstellt, abweichend zu behandeln sein sollte; für ihn gilt erst recht der vom BVerfG aaO dargelegte Gedanke, daß die Geschlechtszugehörigkeit bei der Erstellung der Tabellen mitberücksichtigt worden ist.
Mit dem Hinweis auf den in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt gewesenen weiblichen Bauführer, Ingenieur oder Polier, dessen in Verlust geratene Versicherungsunterlagen zu erneuern sind, vermag die Klägerin ihre auf einen Gleichheitsverstoß gerichtete Argumentation nicht zu stützen. Sie läßt dabei außer Acht, daß der das FRG beherrschende Eingliederungsgedanke eine unterschiedliche Ausgangslage bedingt, so daß kein unter den verfassungsrechtlichen Aspekten des Art 3 Abs 2 GG vorzunehmender Vergleich dieses Gesetzes mit Vorschriften der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) stattfinden kann. Abgesehen davon fände die von der Klägerin angesprochene vom Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 1949 (§ 9 Abs 1 VuVO) begrenzte Regelung eine Rechtfertigung in dem für die damalige Zeit vordringlichen Umstand, die auf dem Gebiet der Sozialversicherung eingetretenen Folgen von Kriegszerstörungen zu bewältigen.
Wie das BVerfG im Beschluß vom 26. Januar 1977 aaO schon hervorgehoben hat, ist es verfassungsrechtlich auch nicht geboten, für die Frauen, die in ihren Herkunftsländern gleiche Entgelte wie Männer in vergleichbaren Stellungen bezogen haben, einen Einzelnachweis vorzusehen, so daß ihr Jahresarbeitsentgelt auf diesem Wege etwa nach der Tabelle der Anlage 9 zu berechnen wäre. Denn die Regelung des FRG knüpft nicht an die Verhältnisse in den Herkunftsländern, sondern an die in der Bundesrepublik Deutschland von Vergleichspersonen bezogenen Entgelte an. Der Sinn des auf die hiesigen Verhältnisse abstellenden Eingliederungsprinzips verbietet es, neben einer verfassungsrechtlich hinnehmbaren Pauschalierung noch Einzelnachweise zuzulassen. Das hat zwar zur Folge, daß es Frauengruppen und einzelne Frauen - wie die Klägerin - geben mag, die durch die Pauschalierungen benachteiligt werden, doch verstößt dies, wie das BVerfG aaO betont hat, zumindest für die Zeiten bis zum Erlaß seiner (am 26. Januar 1977 ergangenen) Entscheidung nicht gegen Art 3 Abs 2 GG. Die von der Klägerin geltend gemachten Zeiten liegen indes ausnahmslos davor.
Nach alledem war die Revision mit der aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes entnommenen Kostenfolge zurückzuweisen.
Fundstellen