Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Beschwer durch Kostenentscheidung
Orientierungssatz
Allein das Interesse der Partei an einer Änderung der zu ihren Ungunsten ergangenen Kostenentscheidung im Urteil des LSG kann die fehlende Beschwer in der Sache nicht ersetzen und führt deshalb nicht zur Zulässigkeit der Revision. Die Anfechtung der Kostenentscheidung ist nur zusammen mit der Anfechtung der Sachentscheidung zulässig. Diesem Rechtsgrundsatz würde es widersprechen, schon in dem regelmäßig für die Prozeßbeteiligten gegebenen Kosteninteresse die für ein Rechtsmittel erforderliche Beschwer zu sehen und damit in Wirklichkeit die Kostenfrage zum Gegenstand des Rechtsstreits zu machen (vgl BSG 1958-10-21 6 RKa 22/55 = BSGE 8, 178, 182).
Normenkette
SGG § 144 Abs 3 Fassung: 1969-07-27, § 165 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 99 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 17.10.1978; Aktenzeichen L 5 U 44/72) |
SG Münster (Entscheidung vom 11.01.1972; Aktenzeichen S 3a U 49/70) |
Tatbestand
Die Klägerin betreibt in Münster und in einer Reihe weiterer Orte Anlagen für die automatische Datenverarbeitung. Sie bearbeitet ua im Auftrage von Sparkassen und Banken deren Buchungsunterlagen. Mit dem Transport dieser Unterlagen vom Kunden zu der jeweiligen Bearbeitungsstätte und zurück hatte sie Kurierfahrer beauftragt. Diese Fahrer - es handelte sich dabei um Rentner, Hausfrauen und nebenberuflich Tätige - waren zunächst aufgrund mündlicher Vereinbarungen, später aufgrund eines schriftlichen Vertrages für die Klägerin tätig.
Die Beklagte wurde durch den Unfall eines Kurierfahrers im November 1968 zur Prüfung der Frage veranlaßt, ob die Klägerin für die Kurierfahrer Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen habe. Die Klägerin war anders als die Beklagte der Meinung, die Kurierfahrer seien freie Mitarbeiter, so daß für sie keine Beiträge zu zahlen seien.
Durch Bescheid vom 11. Dezember 1969 setzte die Beklagte den Beitrag für die Kurierfahrer für das Jahr 1966 auf 1.287,-- DM fest; sie ging mangels eines Lohnnachweises der Klägerin gemäß § 743 der Reichsversicherungsordnung (RVO) von ca 30 Kurierfahrern an 200 Jahresarbeitstagen mit einer täglichen Kilometerleistung von ca 130 km gegen eine Kilometerpauschale von 0,30 DM aus. Den Widerspruch wies sie durch Bescheid vom 13. April 1970 zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 11. Januar 1972 den Bescheid vom 11. Dezember 1969 aufgehoben. Es hat angenommen, die Kurierfahrer seien keine Versicherten iS des § 723 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 RVO, für die von der Klägerin Beiträge zu zahlen seien.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Nachdem die Klägerin auf Anforderung des Landessozialgerichts (LSG) nähere Angaben gemacht und Zahlenunterlagen für die 10 im Jahre 1966 tätig gewesenen Kurierfahrer vorgelegt hatte, hat die Beklagte durch Bescheid vom 5. März 1975 den Beitrag für 1966 auf 622,12 DM festgesetzt; in diesem Bescheid ist ua ausgeführt, er trete an die Stelle des Bescheides vom 11. Dezember 1969 über den Unfallversicherungsbeitrag und sei insoweit gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des anhängigen Verfahrens. Eine Abschrift des neuen Bescheides hat die Beklagte dem LSG eingereicht. Gegenüber der Anregung der Beklagten, die Klage nunmehr zurückzunehmen, hat die Klägerin ausgeführt, hierfür bestehe kein Anlaß, da sich herausgestellt habe, daß die Beziehungen zwischen ihr und den Kurierfahrern im Jahre 1966 doch loser gewesen seien, als bisher angenommen und vorgetragen worden sei.
In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hat die Beklagte beantragt, das Urteil des SG zu ändern und die Klage abzuweisen, die Klägerin hat Zurückweisung der Berufung beantragt.
Das LSG hat durch Urteil vom 17. Oktober 1978 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Zutreffend habe das SG den Bescheid vom 11. Dezember 1969 - in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 1970 - aufgehoben. Nach § 745 Abs 1 RVO sei der Beitrag aufgrund des anrechnungsfähigen Entgelts der im Unternehmen beschäftigten Versicherten zu berechnen. Die Kurierfahrer seien jedoch nicht Versicherte iS dieser Vorschrift, insbesondere nicht nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses beschäftigt gewesen. Nach dem Gesamtbild der von ihnen ausgeübten Tätigkeit seien die Kurierfahrer von der Klägerin nicht persönlich, aber auch nicht wirtschaftlich abhängig gewesen.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, bei zutreffender Würdigung der Umstände des Falles hätte das LSG zu dem Ergebnis kommen müssen, daß bei der Tätigkeit der Kurierfahrer die Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses überwögen. Die Weisungsbefugnis der Klägerin gegenüber den Kurierfahrern möge zwar beschränkt gewesen sein. Wesentlich sei aber, daß die Organisation der Klägerin und der Ablauf ihrer betrieblichen Tätigkeit entscheidend mit auch auf dem Einsatz der Fahrer beruht habe; diese seien in die Organisation der Klägerin eingegliedert gewesen. Es könne davon ausgegangen werden, daß das LSG, ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, auch über den Bescheid vom 5. März 1975 entschieden habe. Anderenfalls leide das Verfahren des LSG an einem wesentlichen Mangel, der die Beschwer durch das angefochtene Urteil und damit das Rechtsschutzinteresse für die Einlegung der Revision begründe. Außerdem liege eine Beschwer in der zu ihrem - der Beklagten - Nachteil ergangenen Kostenentscheidung des LSG.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die
Klage abzuweisen,
hilfsweise,
Zurückverweisung an das LSG.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist, obwohl vom LSG zugelassen, als unzulässig zu verwerfen, weil die Beklagte durch das angefochtene Urteil nicht beschwert ist.
Das LSG hat "die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11. Januar 1972 ... zurückgewiesen" und damit die vom SG ausgesprochene Aufhebung des Beitragsbescheides der Beklagten vom 11. Dezember 1969 bestätigt. Bei seiner Entscheidung hat das LSG jedoch außer acht gelassen, daß die Beklagte den bei Einlegung der Berufung noch streitbefangenen Bescheid vom 11. Dezember 1969 vor der letzten mündlichen Verhandlung durch einen neuen Beitragsbescheid vom 5. März 1975 ersetzt hatte. Dieser Bescheid war nunmehr allein Grundlage der Beitragsforderung und Gegenstand des Rechtsstreits. Durch ihn hat die Beklagte, nachdem die Klägerin auf Anforderung des LSG entsprechende Unterlagen vorgelegt hatte, zugunsten der Klägerin den Beitrag zur Unfallversicherung für zehn im Jahre 1966 tätig gewordene Kurierfahrer auf nur 622,12 DM festgesetzt, während sie im Bescheid vom 11. Dezember 1969 aufgrund einer Schätzung des Entgelts für 30 Kurierfahrer einen Beitrag von 1.287,-- DM gefordert hatte. Wie auch die Beklagte im neuen Beitragsbescheid vom 5. März 1975 ua zutreffend ausgeführt hat, ist dieser an die Stelle des ursprünglich mit der Klage angefochtenen, durch das Urteil des SG aufgehobenen Bescheides vom 11. Dezember 1969 getreten. Der neue Bescheid ist damit - gemäß § 96 Abs 1 SGG - anstelle des von der Beklagten ersetzten Bescheides Gegenstand des Verfahrens geworden.
Dadurch, daß das LSG die Aufhebung des Bescheides vom 11. Dezember 1969, an dem die Beklagte selbst nicht festgehalten hat, durch Zurückweisung der Berufung bestätigt hat, ist die Beklagte nicht beschwert.
Die Entscheidung des LSG betrifft ausschließlich den Bescheid vom 11. Dezember 1969. Dies ergibt sich sowohl aus dem Urteilstenor (Zurückweisung der Berufung) als auch aus den Entscheidungsgründen, in denen ausgeführt ist, das SG habe zutreffend den Bescheid vom 11. Dezember 1969 - in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. April 1970 - aufgehoben. Der Beitragsbescheid vom 5. März 1975 ist dagegen weder im Tenor noch im Tatbestand oder in den Gründen des Urteils erwähnt. Über ihn hat das LSG folglich noch nicht entschieden; insoweit fehlt es an der Grundlage für das Rechtsmittel, da die Entscheidung dem Revisionsgericht nicht angefallen ist. Soweit in der unterlassenen Entscheidung über den neuen Bescheid, den die Beklagte dem LSG ordnungsgemäß in Abschriften mitgeteilt hatte (s § 96 Abs 2 SGG), ein Mangel des Verfahrens liegt, ist die Beklagte darüber hinaus ebenfalls nicht beschwert. Das LSG hat über die Rechtmäßigkeit dieses Bescheides nunmehr auf die Klage - als erste Instanz - noch zu entscheiden (s BSGE 18, 231, 234).
Allein das Interesse der Beklagten an einer Änderung der zu ihren Ungunsten ergangenen Kostenentscheidung im Urteil des LSG kann die fehlende Beschwer in der Sache nicht ersetzen und führt deshalb nicht zur Zulässigkeit der Revision. Die Anfechtung der Kostenentscheidung ist nur zusammen mit der Anfechtung der Sachentscheidung zulässig (s für die Berufung § 144 Abs 3 SGG; für die Revision s Meyer-Ladewig, SGG, § 165 RdNr 3 oder § 99 Abs 1 der Zivilprozeßordnung iVm § 202 SGG; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 165 Anm 1). Diesem Rechtsgrundsatz würde es widersprechen, schon in dem regelmäßig für die Prozeßbeteiligten gegebenen Kosteninteresse die für ein Rechtsmittel erforderliche Beschwer zu sehen und damit in Wirklichkeit die Kostenfrage zum Gegenstand des Rechtsstreits zu machen (S BSGE 8, 178, 182).
Die Revision war danach zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen