Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Bescheid gegen Bauherr
Leitsatz (amtlich)
1. Der Bauherr, der gemäß RVO § 729 Abs 2 für die von dem zahlungsunfähigen Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten geschuldeten Unfallversicherungsbeiträge einzustehen hat, kann entsprechend BGB § 768 alle Einwendungen geltend machen, die dem Bauunternehmer zustünden (Anschluß an BSG 1969-12-18 2 RU 314/67 = BSGE 30, 230, 233).
2. Der Bauunternehmer ist trotz der ihm gegenüber eingetretenen Bindung des Beitragsbescheides zu diesem Verfahren notwendig beizuladen.
Leitsatz (redaktionell)
Die Berufsgenossenschaft kann ihren Haftungsanspruch gegen den Bauherrn aus RVO § 729 Abs 2 (Fassung: 1963-04-30) nicht durch einen an ihn gerichteten Bescheid geltend machen.
Normenkette
BGB § 768 Fassung: 1896-08-18; RVO § 729 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30; SGG § 75 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 08.10.1976; Aktenzeichen S 3 U 215/75) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 8. Oktober 1976 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Hessische Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Streitig ist die Verpflichtung des Beklagten, als Bauherr die von dem Bauhandwerker W Z (Z.) an die Beklagte (Bau-Berufsgenossenschaft - BG -) geschuldeten Beiträge zu zahlen.
Z. baute für den Beklagten in der Zeit vom 30. November 1974 bis 15. Januar 1975 ein Wohnhaus. Die Klägerin erteilte ihm auf seinen Lohnnachweis den Bescheid vom 14. April 1975, mit dem sie für das Jahr 1974/1975 1.454,20 DM an Beiträgen forderte. Nachdem die Zwangsvollstreckung aus diesem Beitragsbescheid ergebnislos geblieben war, forderte die Klägerin den Beklagten zur Zahlung dieses Betrages auf und erhob, nachdem keine Zahlung erfolgt war, Klage vor dem Sozialgericht (SG). Die Klageschrift ist am 17. Juli 1975 eingegangen und wurde dem Beklagten am 10. November 1975 zugestellt. Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, Z. habe keinen angemeldeten Gewerbebetrieb gehabt und sei zahlungsunfähig. Aus von dem SG berücksichtigten Auskünften der Wohngemeinde des Z. und der Handwerkskammer ergibt sich, daß Z. kein Gewerbe angemeldet hatte und nicht in der Handwerksrolle eingetragen war.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Oktober 1976) und zur Begründung ua ausgeführt: Obwohl die Zulässigkeit der Klage zweifelhaft sei, weil die Klägerin dem Beklagten keinen Haftungsbescheid erteilt habe, werde die Zulässigkeit zugunsten der Klägerin unterstellt. Der Klage könne aber nicht stattgegeben werden, weil die Haftung des Beklagten für die Beiträge des Z. nicht eingetreten sei. Der dem Z. zugestellte Beitragsbescheid habe keine Drittwirkung, er sei nur diesem allein zugestellt worden.
Das SG hat die (Sprung)- Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel mit schriftlicher Zustimmung des Beklagten vom 26. Oktober 1976 eingelegt. Sie trägt zur Begründung ua vor: Der gegen Z. gerichtete Beitragsbescheid sei spätestens am 20. Mai 1975 bindend geworden. Innerhalb der Jahresfrist des § 729 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) habe die Klägerin ihren Haftungsanspruch gegen den Beklagten durch Erhebung der Klage rechtshängig gemacht. Wenn auch die Regelung durch einen Verwaltungsakt einfacher und sparsamer wäre, so habe dieser Anspruch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung doch nicht durch einen Verwaltungsakt geltend gemacht werden können. Die Klägerin sei nicht verpflichtet, den einem Unternehmer erteilten Beitragsbescheid auch dem Bauherrn zuzustellen. Die Haftung aus § 729 Abs 2 RVO setze lediglich voraus, daß die Beitragsverbindlichkeit gegenüber dem Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten endgültig festgestellt worden und daß dieser Unternehmer zahlungsunfähig sei. Die Haftung des Bauherrn sei eine von der Mitgliedschaft des Unternehmers getrennte und selbständige Rechtsbeziehung zwischen der Berufsgenossenschaft und dem Bauherrn.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten zur Zahlung von 1.454,20 DM an sie zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das SG habe die Klage zu Recht abgewiesen. Wenn nämlich durch den bindenden Beitragsbescheid an den Unternehmer die Haftung des Bauherrn begründet würde, hätte der Bauherr überhaupt keine Möglichkeit, gegen die Feststellung der Berufsgenossenschaft irgendwelche Einwendungen vorzubringen. Das stehe mit der Verfassung nicht im Einklang. Jedenfalls müßte der Bauherr die Möglichkeit haben, in dem Rechtsstreit, der gegen ihn geführt werde, alle Einwendungen vorzubringen, die auch dem Bauunternehmer zustehen würden. Es könne daher keinesfalls in der Sache selbst (zu Ungunsten des Beklagten) entschieden werden; allenfalls sei der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die von dem SG zugelassene und mit der form- und fristgerechten Zustimmung des Beklagten eingelegte sowie fristgerecht begründete (Sprung)- Revision der Klägerin ist zulässig. Die streitige Beitragsforderung ist keine die Berufung ausschließende einmalige oder wiederkehrende Leistung iS von § 144 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) (vgl. BSGE 3, 234, 235; 6, 47, 50; insbesondere SozR Nr 19 zu § 144 SGG für die hier streitigen Haftungsansprüche gegen den Bauherrn). Die Revision hat auch im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung Erfolg.
Der streitige Haftungsanspruch der Klägerin gegen den beklagten Bauherrn hat seine Grundlage in den in der RVO geregelten öffentlich-rechtlichen Beziehungen der klagenden Berufsgenossenschaft zu dem Bauhandwerker Z. als einem Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten (§ 664, insbesondere auch § 664 Abs 4 RVO). Gegenstand des Verfahrens ist also eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung, für die nach § 51 Abs 1 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet ist (BSGE 30, 230, 232).
Die von dem SG gegen die Zulässigkeit der Klage geäußerten Bedenken vermag der erkennende Senat nicht zu teilen. Der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat in seinem Urteil vom 18. Dezember 1969 - 2 RU 314/67 - (BSGE 30 S. 232/233) eingehend dargelegt, daß auch nach dem Inkrafttreten des Unfallversicherungsneuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I, 241) die Berufsgenossenschaft nicht die Möglichkeit hat, ihren Haftungsanspruch gegen den Bauherrn aus § 729 Abs 2 RVO nF durch einen an ihn gerichteten Bescheid geltend zu machen, weil es hierfür an dem für den Erlaß eines Verwaltungsaktes erforderlichen Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen der Berufsgenossenschaft und dem Bauherrn mangelt. Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, von dieser aus den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechtes über das Wesen des Verwaltungsaktes hergeleiteten Auffassung (vgl. ua Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd I 1973, S. 206) abzuweichen. Dem steht nicht entgegen, daß es vielleicht aus rein praktischen Erwägungen ökonomischer wäre, grundsätzlich alle öffentlich-rechtlichen Ansprüche zunächst mittels eines Verwaltungsaktes zu regeln. Das würde aber jedenfalls dann, wenn der Bauherr - wie hier - bereits im Verwaltungsverfahren den Anspruch ablehnt, ohnedies nicht zu der von der Revisionsklägerin angedeuteten Vereinfachung führen. Auf der anderen Seite bietet der Rechtsweg grundsätzlich die Gewähr für ein unparteiisches rechtsstaatliches Verfahren. Ein geändertes historisch-verfassungsrechtliches Verständnis über das Verhältnis des Bürgers zum Staat ändert nichts an den von der allgemeinen Verwaltungsrechtslehre entwickelten Kriterien eines Verwaltungsaktes im Unterschied zum privatrechtlichen Handeln des einzelnen Bürgers und den sich daraus auch für die Berechtigung bzw Nichtberechtigung einer Behörde zum Erlaß eines Verwaltungsaktes ergebenden Folgerungen. Die im RVO-Gesamtkommentar (Anm 6 zu § 729 RVO nach dem Stand vom Dezember 1966) noch vertretene gegenteilige Auffassung ist durch die spätere Entscheidung des BSG vom 18. Dezember 1969 überholt. Auch Lauterbach (Gesetzliche Unfallversicherung Anm 7 zu § 729 RVO nach dem Stand von Juli 1972) hat seine frühere entgegenstehende Auffassung offensichtlich aufgegeben.
Das SG hat die Klage jedoch zu Unrecht mit der Begründung abgewiesen, der an Z. gerichtete Beitragsbescheid vom 14. August 1975 habe keine Drittwirkung. Es trifft zwar zu, daß dieser Bescheid nur Z. gegenüber ergangen und auch nur ihm zugestellt worden ist. Er konnte deshalb den Beklagten nicht binden. Deswegen ist die gegen ihn gerichtete Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) aber nicht unbegründet. Allerdings, und insoweit ist dem SG zuzustimmen, folgt aus der Haftung des Bauherrn nach § 729 Abs 2 RVO nicht, daß er uneingeschränkt für die gegen den zahlungsunfähigen Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten bindend festgestellten Beitragsforderungen einzustehen hat. Die Haftung des Bauherrn ist als eine Art Bürgschaft anzusehen und es bestehen keine Bedenken, die für das zivilrechtliche Bürgschaftsverhältnis geltenden Grundsätze entsprechend anzuwenden (vgl BSGE 30, 230/233 mit weiteren Nachweisen). Das Einstehen des Bauherrn für den zahlungsunfähigen Unternehmer hängt daher zwar von dem Bestehen der Unternehmerschuld gegenüber der Berufsgenossenschaft ab. Das Recht der Berufsgenossenschaft, den Bauherrn in Anspruch zu nehmen, stellt eine von der Mitgliedschaft des Unternehmers getrennte und insoweit selbständige Rechtsbeziehung zwischen der Berufsgenossenschaft und dem Bauherrn dar. Obwohl der gegen Z. gerichtete Beitragsbescheid bindend geworden war, muß daher die Berechtigung der Forderung festgestellt werden, wobei der Beklagte entsprechend § 768 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) alle Einwendungen, die dem Z. gegen die Forderung der Berufsgenossenschaft zustehen, geltend machen kann (so schon RVA in EuM Bd 31, 431; Bd 33, 20; BSGE aaO S. 233/4 mit Nachweisen). Die Forderung ist nicht etwa, wie die Revision meint, unstreitig (siehe SG-Urteil S. 2 unten). Insbesondere wird auch festzustellen sein, ob Z. in der streitigen Zeit "nichtgewerbsmäßige Bauarbeiten" iS der hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ausgeführt hat (vgl dazu BSGE 30, 230, 234 sowie die Entscheidungen des erkennenden Senats in SozR Nr 2 zu § 728 RVO und in SozR 2200 § 728 RVO Nr 1) und ob gegebenenfalls die geltend gemachte Forderung der Höhe nach berechtigt ist. Zu dem Verfahren ist im übrigen Z., dem der Beklagte "den Streit verkündet" hatte (SG-Urteil S. 3) - notwendig - beizuladen (§ 75 Abs 2 SGG), weil Feststellungen zu treffen sind, die auch sein Rechtsverhältnis zu der Klägerin unmittelbar betreffen, obwohl sie ihm gegenüber bereits bindend getroffen worden waren. Auf solche möglicherweise gegenteilige Feststellungen kann er sich berufen (§ 141 SGG), wenn er an dem vorliegenden Verfahren beteiligt worden ist (Urteil des erkennenden Senats in SozR 1500 § 75 SGG Nr 7 und § 55 Nr 4 S. 4; ferner Urteil vom 26. Juli 1977 - 8 RU 64/76 -).
Das angefochtene Urteil des SG mußte somit aufgehoben werden. Der Senat hielt es für zweckmäßig, die Sache an das zuständige Hessische Landessozialgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs 4 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen