Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung des Bauunternehmers. Haftung des Bauherrn. nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten

 

Orientierungssatz

In einem Rechtsstreit über die Beitragshaftung des Bauherrn nach RVO § 729 Abs 2 ist das Rechtsverhältnis des zahlungsunfähigen Unternehmers zu der BG, die ihn für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten auf Beitragsleistung in Anspruch genommen hat, unmittelbar betroffen. Die Beiladung des Unternehmers ist somit iS des SGG § 75 Abs 2 Alt 1 notwendig (Anschluß an BSG 1977-10-25 8 RU 96/76 = SozSich 1978, 59).

 

Normenkette

SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 729 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 11.06.1975; Aktenzeichen L 3 U 384/77)

SG Gießen (Entscheidung vom 19.02.1974; Aktenzeichen S 3a U 193/72)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Juni 1975 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte als Bauherr gemäß § 729 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Beiträge in Höhe von 770,60 DM haftet, die der zahlungsunfähige Bauunternehmer Otto U (U) an die Klägerin zu zahlen hat.

Der Beklagte errichtete von Mai bis Juli 1971 einen Wohnhausneubau. Mit der Ausführung der Maurer-Betonarbeiten hatte er den U. beauftragt. Über dessen Vermögen wurde am 16. Dezember 1969 das Konkursverfahren eröffnet und am 19. Januar 1970 mangels Masse eingestellt. Zum 16. Dezember 1969 löschte die Klägerin am 12. Januar 1970 die Mitgliedschaft des U. in ihrem Unternehmerverzeichnis, nachdem der Regierungspräsident in Darmstadt durch einen - am 5. November 1971 rechtskräftig gewordenen - Bescheid vom 5. Dezember 1969 U. die weitere selbständige Ausübung des Baugewerbes auf die Dauer von fünf Jahren untersagt hatte. Da U. auch andere Bauvorhaben ausgeführt hatte, zog ihn die Klägerin als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten zur Beitragsleistung heran. Der Beitragsbescheid wurde U. am 23. November 1971 mit Einschreibebrief zugestellt. Die Zahlungsaufforderung und das anschließend eingeleitete Zwangsvollstreckungsverfahren verliefen fruchtlos; U. hatte bereits am 17. April 1968 vor dem Amtsgericht in Bad Homburg den Offenbarungseid geleistet und eine eidesstattliche Versicherung über seine Vermögensverhältnisse abgegeben. Die Klägerin forderte den Beklagten durch Einschreibebrief vom 4. Januar 1972 zur Überweisung des Betrages von 770,60 DM auf, da er als Bauherr nach § 729 Abs 2 RVO bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten für die Beiträge und die übrigen Leistungen des zahlungsunfähigen, nicht gewerbsmäßigen Unternehmers U. hafte. Nach vergeblicher zweimaliger Zahlungsaufforderung hat die Klägerin den Beklagten am 14. Februar 1972 bei dem Sozialgericht (SG) auf Zahlung von 770,60 DM verklagt. Der Gewerbebetrieb des U. ist im Gewerberegister am 14. September 1971 rückwirkend zum 1. Januar 1971, in der Handwerksrolle zum 21. Oktober 1971 gelöscht worden.

Durch Urteil vom 19. Februar 1974 hat das SG die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin weder einen Beitragsbescheid gegenüber dem Beklagten erteilt, noch ein Widerspruchsverfahren durchgeführt habe. Es sei auch zweifelhaft, ob U. die Bauarbeiten für den Beklagten nicht gewerbsmäßig ausgeführt oder als Zwischenunternehmer gehandelt habe. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 11. Juni 1975 das Urteil des SG aufgehoben und den Beklagten zur Zahlung von 770,60 DM an die Klägerin verurteilt. Außerdem hat es den Beklagten verurteilt, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage sei als Leistungsklage nach § 54 Abs 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig; da ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen der Berufsgenossenschaft und dem Bauherrn nicht bestehe, wäre die Klägerin nicht berechtigt gewesen, ihren Anspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen (BSGE 30, 230, 232). Der Beklagte hafte nach § 729 Abs 2 RVO für die Beiträge des zahlungsunfähigen U., da dieser als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten tätig geworden sei. Entscheidendes Merkmal gewerbsmäßiger Bauarbeiten sei die Bestandssicherung des Unternehmens, Diese Voraussetzung sei hier nicht gegeben. Dem Unternehmer U. habe das für die Bestandssicherung erforderliche Kapital gefehlt. Dies zeige sich schon darin, daß - insbesondere seit 1968 - Vollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger fruchtlos verlaufen seien und der Konkurs im Januar 1970 mangels Masse eingestellt worden sei. U. sei im Zeitpunkt der Bauarbeiten zwar noch in der Handwerksrolle eingetragen gewesen. Der Zweck des § 729 Abs 2 RVO - die Absicherung des Prämienaufkommens durch Inanspruchnahme des Bauherrn - würde jedoch vereitelt, wenn die Haftung entfiele, weil der Beklagte den Bauauftrag vor der Löschung des U. in der Handwerksrolle und im Gewerberegister erteilt habe. Daß die Löschungen im Gewerberegister erst am 14. September 1971 rückwirkend zum 1. Januar 1971 und in der Handwerksrolle erst zum 21. Oktober 1971 durchgeführt worden seien, ändere nichts an dem Fehlen der Bestandssicherung zur Zeit der Bauausführung. Es sei auch ohne Bedeutung, ob der Beklagte gewußt habe, daß U. als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten tätig wurde; es genüge, daß objektiv nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten ausgeführt würden. Ein Bauherr könne von dem Bauunternehmer eine Bescheinigung der zuständigen Berufsgenossenschaft über dessen Mitgliedschaft verlangen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt.

Zur Begründung trägt er vor: Es sei ein allgemeiner, aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteter Grundsatz des öffentlichen Rechts, daß der Bürger nicht mit unvorhersehbaren Hoheitsakten zu rechnen brauche. Auch die Haftung des Bauherrn nach § 729 Abs 2 RVO finde an diesem Prinzip ihre Grenze. Für den Beklagten sei es bei der Auftragserteilung und bei der Durchführung der Bauarbeiten nicht erkennbar gewesen, daß U., dessen Eintragung in der Handwerksrolle und im Gewerberegister noch bestanden habe, kein gewerbsmäßiger Bauunternehmer gewesen sei. Bei vernünftiger Abwägung der Interessen der Berufsgenossenschaft und des Bauherrn sei die Haftung des Bauherrn jedenfalls in den seltenen Ausnahmefällen ungerechtfertigt, in denen der Bauherr aufgrund äußerer Umstände - insbesondere der Eintragung im Gewerberegister und in der Handwerksrolle - darauf vertrauen dürfe, daß der Unternehmer ein gewerbsmäßiges Bauunternehmen betreibe.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Gießen vom 19. Februar 1974 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Nach einem Hinweis des Berichterstatters auf das Urteil des 8. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Oktober 1977 (8 RU 96/76) hat der Beklagte vorsorglich die unterlassene notwendige Beiladung des Bauunternehmers U. gerügt und - ebenso wie die Klägerin - beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, da sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).

Die zulässige Revision des Beklagten hat Erfolg. Das angefochtene Urteil muß aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, weil der von der Klägerin als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten auf Zahlung eines erhöhten Beitrags (§ 728 Abs 3 RVO) in Anspruch genommene U. nicht zu dem Verfahren beigeladen worden ist (§ 75 Abs 2 Alternative 1 SGG).

Bei einer zulässigen Revision ist das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG auch unabhängig von der hier vom Beklagten erhobenen Rüge von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (Beschluß des erkennenden Senats vom 12. März 1974 in SozR 1500 § 75 Nr 1 unter Aufgabe der abweichenden früheren Rechtsprechung). Die Beiladung ist nach der angeführten Vorschrift notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn die in dem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (ständige Rechtsprechung, vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 8 mit Nachweisen; s. auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl, S. 234 w VI mit weiteren Nachweisen). Im anhängigen Rechtsstreit ist auf die vom LSG mit Recht als zulässig erachtete Klage (s. BSGE 30, 230) darüber zu entscheiden, ob der Beklagte als Bauherr für Beiträge haftet, die der Bauunternehmer U. an die Klägerin zu zahlen hat (§§ 728 Abs 3, 729 Abs 2 RVO). Obwohl der Beitragsbescheid der Klägerin gegenüber U., da von diesem nicht angefochten, bindend geworden ist, muß die Berechtigung der Beitragsforderung - als Voraussetzung für die Haftung des Bauherrn - im Rahmen der von der Klägerin erhobenen Klage erneut geprüft und dabei berücksichtigt werden, daß der Bauherr alle Einwendungen aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und U. erheben kann (BSGE 30, 230, 233 f). Der 8. Senat des BSG (Urteil vom 25. Oktober 1977 - 8 RU 96/76 -) hat daraus gefolgert, daß in einem Rechtsstreit der vorliegenden Art das Rechtsverhältnis des Unternehmers zu der Berufsgenossenschaft, die ihn für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten auf Beitragsleistung in Anspruch genommen hat, unmittelbar betroffen ist. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Die Beiladung des Unternehmers U. ist somit im Sinne des § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG notwendig.

Da die Beiladung im Revisionsverfahren nicht zulässig ist (§ 168 SGG), muß das auf dem Verfahrensfehler beruhende Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten - an das LSG zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654998

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