Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei stationärer Behandlung. Sturz beim Einstellen eines Fernsehgerätes
Orientierungssatz
1. Unfallversicherungsschutz während der stationären Heilbehandlung besteht, wenn der Versicherte einer mit dem Krankenhausaufenthalt verbundenen Gefahr erlegen ist (vgl BSG 1980-10-29 2 RU 41/78 = SozR 2200 § 539 Nr 72). Dabei braucht die Unfallgefahr nicht von einer objektiv gefährlichen Betriebseinrichtung auszugehen. Es genügt, daß die Gefahr im konkreten Einzelfall von Umständen ausgeht, welche der Versicherte im Gegensatz zum häuslichen Bereich in dem jeweiligen Krankenhaus vorfindet.
2. Stürzt die Versicherte beim Besteigen eines Hockers, um das im Krankenzimmer aufgestellte Fernsehgerät zu bedienen, so steht sie dabei unter Unfallversicherungsschutz, denn das Aufstellen eines Fernsehgerätes in einer Höhe, in welcher es ohne Hilfsmittel nicht mehr bedient werden kann, ist dem privaten häuslichen Bereich grundsätzlich fremd.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 19.09.1979; Aktenzeichen III UBf 8/78) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 10.01.1978; Aktenzeichen 23 U 431/76) |
Tatbestand
Unter den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin Leistungen ersetzen muß, welche sie für die Folgen eines Unfalles erbracht hat, den die Beigeladene zu 2) während einer stationären Behandlung erlitten hat.
Die Beklagte gewährte der damals 67jährigen Beigeladenen zu 2) vom 23. Februar 1975 an wegen Nasenbluten bei Bluthochdruck stationäre Behandlung im W-A-H in G/N. In dem Krankenzimmer, welches die Beigeladene zu 2) mit zwei anderen Patienten teilte, war ein auf Münzbetrieb eingerichtetes Fernsehgerät erhöht angebracht. Am 27. Februar 1975 wollte sie die Lautstärke des Gerätes, welches von einer Krankenschwester eingeschaltet worden war, verändern. Da sie wegen ihrer geringen Körpergröße den in 2,10 m Höhe befindlichen Lautstärkeregler nicht ohne Hilfsmittel bedienen konnte, benutzte sie einen unter dem Gerät stehenden Hocker. Sie rutschte ab und zog sich Verletzungen am rechten Fuß zu.
Die Klägerin verlangte mit ihrer Klageschrift vom 13. Oktober 1976 Leistungen in Höhe von 3.031,98 DM ersetzt, weil die Beigeladene zu 2) am 27. Februar 1975 keinen Unfall erlitten habe, welcher mit der stationären Behandlung in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang gestanden habe; medizinische Gesichtspunkte hätten für die Aufstellung und Benutzung des Fernsehgerätes keine Rolle gespielt.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage durch Urteil vom 10. Januar 1978 stattgegeben, weil der Unfall sich in der eigenwirtschaftlichen Sphäre der Beigeladenen zu 2) ereignet habe. Der Krankenhausträger habe das Fernsehgerät aufgestellt, um eine Möglichkeit zur Unterhaltung zu bieten. Eine Ersatzpflicht der Beigeladenen zu 1) bestehe nicht, weil die Beigeladene zu 2) nicht im Unternehmen des Krankenhauses tätig geworden sei.
Durch Urteil vom 19. September 1979 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Unfall am 27. Februar 1975 sei ein Arbeitsunfall gewesen. Zwar sei das Ansehen von Fernsehsendungen für die Heilung nicht förderlich gewesen. Der Unfall sei jedoch durch eine gefährliche Betriebseinrichtung wesentlich mitverursacht worden. Bei dem Hocker habe es sich - zumal für ältere Krankenhauspatienten - um ein ungeeignetes Hilfsmittel zum Erreichen des Lautstärkereglers am Fernsehgerät gehandelt, so daß ein Abrutschen - wie hier - von vornherein nahegelegen habe. Hieran ändere nichts, daß eine Krankenschwester zur Hilfe hätte gerufen werden können.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine nach ihrer Meinung zu weite Auslegung des § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) durch das LSG. Eine Gefährlichkeit der Betriebseinrichtung trete gegenüber der Eigenwirtschaftlichkeit der unfallbringenden Betätigung derart in den Hintergrund, daß sie außer Betracht bleiben müsse.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung
gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene zu 1) stellt denselben Antrag wie die Klägerin.
Die Beigeladene zu 2) ist nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin keinen Ersatzanspruch gem § 1509a RVO gegen die Beklagte hat, da die Beigeladene zu 2) einen gem § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a, § 548 Abs 1 Satz 1 RVO zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Die Beigeladene zu 2) gehörte im Zeitpunkt des Unfalls zu den nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versicherten Personen, da ihr die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung stationäre Behandlung in einem Krankenhaus gewährte. Versicherungsschutz "gegen Arbeitsunfall" nach dieser Vorschrift setzt voraus, daß zwischen dem Unfall und der Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Das LSG hat deshalb zutreffend zum Ausdruck gebracht, daß ein Versicherungsschutz der Beigeladenen zu 2) nach § 548 RVO somit nicht schlechthin während der gesamten Dauer der stationären Behandlung bestanden hat. Ein nur zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen der stationären Behandlung und dem Unfall genügt nicht. Vielmehr muß ein innerer, ursächlicher Zusammenhang gegeben sein. Ob ein Ursachenzusammenhang zwischen der Heilbehandlung und dem Unfall vorhanden ist, entscheidet sich auch für die nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versicherte Person nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung maßgebenden Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung (vgl BSG SozR 2200 § 539 Nr 48, Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 9. Aufl, S 475g).
Der Senat hat den inneren Zusammenhang zwischen der stationären Behandlung und einem Unfall bisher in zwei Fällen bejaht. Entweder muß die unfallbringende Tätigkeit der Heilbehandlung dienlich sein (BSG aaO und Urteil vom 31. Oktober 1978 - 2 RU 50/78 -). Hierzu hat das LSG bindend festgestellt, daß für die Aufstellung des Fernsehgerätes medizinische Gründe nicht maßgebend gewesen sind und das Einschalten des Gerätes lediglich der allgemeinen Fernsehunterhaltung diente. Der Senat brauchte daher nicht zu entscheiden, ob auch Fernsehen - etwa zum Mitmachen anregende Gymnastik - einer stationären Heilbehandlung dienlich sein kann. Im vorliegenden Falle fehlt es insoweit an dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen der Steuerung des Fernsehgerätes und der stationären Behandlung, weil das Verfolgen der Sendung lediglich privaten Zwecken diente (vgl Urteil des Senats vom 12. Juli 1979 - 2 RU 27/79 -). Im zweiten Fall hat der Senat Unfallversicherungsschutz während der stationären Heilbehandlung bejaht, wenn der Versicherte einer mit dem Krankenhausaufenthalt verbundenen Gefahr erlegen ist (Urteil vom 29. Oktober 1980 - 2 RU 41/78 -). Er hat den Versicherungsschutz dadurch als begründet angesehen, daß der Versicherte sich in eine besondere Einrichtung begeben muß und dort anderen Risiken als zu Hause ausgesetzt ist (BSGE 46, 283, 285). Dabei braucht die Unfallgefahr allerdings nicht, wie das LSG meint, von einer objektiv gefährlichen Betriebseinrichtung auszugehen (Urteil des Senats vom 29. Oktober 1980 - 2 RU 41/78 - Ausrutschen beim Waschen eines Fußes in einem hoch angebrachten Waschbecken). Es genügt, daß die Gefahr im konkreten Einzelfall von Umständen ausgeht, welche der Versicherte im Gegensatz zum häuslichen Bereich in dem jeweiligen Krankenhaus vorfindet. Mit Recht hat das LSG diese Voraussetzungen hier als gegeben angesehen. Das Aufstellen eines Fernsehgerätes in einer Höhe, in welcher es ohne Hilfsmittel nicht mehr bedient werden kann, ist dem privaten häuslichen Bereich grundsätzlich fremd. In seinem zuletzt aufgeführten Urteil hat der Senat bereits zum Ausdruck gebracht, daß gewisse Parallelen zu der Situation von Beschäftigten bestehen, die sich auf eine Dienst- oder Geschäftsreise begeben und am fremden Ort zwangsläufig den damit verbundenen besonderen Gefahren der Übernachtungsstätte ausgesetzt sind. In solchen Fällen wird bei Wirksamwerden besonderer Gefahrenmomente im Bereich der Übernachtungsstätte Unfallversicherungsschutz auch angenommen, wenn die unfallbringende Tätigkeit unmittelbar nur persönlichen Bedürfnissen dient (vgl Brackmann aaO S 481).
Ein Ersatzanspruch der Klägerin ist mithin nicht gegeben, weil die Beigeladene zu 2) einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Revision der Klägerin war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen