Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 30.07.1992) |
SG Itzehoe (Urteil vom 14.05.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 30. Juli 1992 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 14. Mai 1991 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Beklagten, für das den am 31. Dezember 1988 in Vorruhestand getretenen Arbeitnehmern L. … und W. … gewährte Vorruhestandsgeld (Vog) Zuschüsse nach dem Vorruhestandsgesetz (VRG) zu gewähren.
Der am 22. Juni 1930 geborene Kurt L. … war bis 30. Dezember 1988 bei der Klägerin als 1. Operator tätig. Er schied gemäß schriftlicher Vereinbarung vom 8. Dezember 1988 mit Ablauf des 30. Dezember 1988 aus dem Beschäftigungsverhältnis aus und erhielt ab 31. Dezember 1988 Vog aufgrund tariflicher Regelung. Unter den gleichen Bedingungen schied auch der als 1. Operator tätige, am 5. März 1928 geborene Bruno W. … aus.
Die Tätigkeit des Arbeitnehmers L. … führte ab 1. Januar 1989 der zuvor als 3. Operator beschäftigte Peter M. aus; dessen Tätigkeit übernahm nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) „zeitgleich” der Arbeitnehmer Sven M. … (Umsetzungskette: L. …, M., M. …). Dieser war zuvor am 15. September 1988 (befristet bis 31. Dezember 1989) eingestellt worden, nachdem er bis zu diesem Zeitpunkt arbeitslos gemeldet gewesen war. Der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers W. … wurde ab 1. Januar 1989 mit dem zuvor als Techniker und Springer beschäftigten Paul M. besetzt; auf dessen vorgesehenen Arbeitsplatz als 2. Operator beschäftigte die Klägerin nach den Feststellungen des LSG „zeitgleich” den Arbeitnehmer Frank R. …, der am 1. August 1988 (befristet bis 31. Dezember 1989) eingestellt worden und bis dahin arbeitslos gemeldet gewesen war (Umsetzungskette: W. …, M., R. …). Vertraglich fixiert wurde die Umsetzung des Arbeitnehmers M. … am 13. Januar 1989 mit Wirkung zum 16. Januar 1989 und des Arbeitnehmers R. … am 16. Januar 1989 mit Wirkung zum selben Tag.
Der Antrag der Klägerin „auf Anerkennung der Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschüssen zu den Vorruhestandsleistungen der Arbeitnehmer L. … und W. …” wurde von der Beklagten abgelehnt, weil kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Ausscheiden der älteren Arbeitnehmer und der Einstellung arbeitsloser Arbeitnehmer anzuerkennen sei (Bescheide vom 31. Mai 1989; Widerspruchsbescheid vom 29. November 1989 betreffend den Vorruhestand des Arbeitnehmers W. …; Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1989 betreffend den Vorruhestand des Arbeitnehmers L. …).
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Klagen hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 14. Mai 1991). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG die erstinstanzliche Entscheidung sowie die Bescheide der Beklagten idF der Widerspruchsbescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Januar 1989 Zuschüsse zu den Aufwendungen für Vorruhestandsleistungen an deren frühere Arbeitnehmer Kurt L. … und Bruno W. … zu zahlen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 1, 2 Abs 1 Nr 1 bis 4 VRG ständen zwischen den Beteiligten außer Streit; die des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a VRG seien ebenfalls bereits am 31. Dezember 1988 erfüllt gewesen, so daß das VRG weiterhin anwendbar sei (§ 14 VRG). Die Klägerin habe nämlich aus Anlaß der Beendigung der Arbeitsverhältnisse der Ruheständler L. … und W. … auf infolge deren Ausscheidens durch Umsetzung freigewordenen Arbeitsplätzen „nahtlos” die beiden beim Arbeitsamt (ArbA) vor der Einstellung arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer M. … und R. … beschäftigt. Daß die beiden Arbeitnehmer bereits seit August/September beschäftigt worden seien, schade nicht. Die Klägerin habe insgesamt 12 Arbeitnehmer einschließlich der Arbeitnehmer M. … und R. … eingestellt, damit 6 davon Ende 1988 durch Inanspruchnahme von Vorruhestand freiwerdende Stellen besetzen sollten. Diese finale Verknüpfung genüge den Voraussetzungen des VRG (Urteil vom 30. Juli 1992).
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 14, 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a VRG. Nach § 14 VRG sei für die Zeit ab 1. Januar 1989 das VRG nur noch anzuwenden, wenn alle Voraussetzungen der §§ 1, 2 VRG für die Gewährung eines Zuschusses vor diesem Zeitpunkt vorgelegen hätten. Die des § 2 Abs 1 Nr 5 VRG seien jedoch nicht erfüllt, da eine Besetzung der durch Umsetzung erst am 1. Januar 1989 freigewordenen Arbeitsplätze der Arbeitnehmer M. und M. durch die Arbeitnehmer M. … und R. … erst im Januar 1989 erfolgt sei. Maßgeblich sei nicht der Zeitpunkt der Einstellung, sondern die tatsächliche Neubesetzung des freigemachten Arbeitsplatzes. Zudem sei die Einstellung der Arbeitslosen M. … und R. … im Jahre 1988 nicht aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der ausscheidenden Arbeitnehmer erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Voraussetzungen des § 14 VRG für eine weitere Anwendung des VRG seien erfüllt. Die Arbeitnehmer M. … und R. … hätten am 31. Dezember 1988 die neue Funktion nur deshalb noch nicht ausüben können, weil am 31. Dezember 1988 nicht gearbeitet worden sei. Bis zum 31. Dezember 1988 habe sie (die Klägerin) aber alles Erforderliche und überhaupt Mögliche getan, um die Anspruchsvoraussetzungen für die Zuschüsse zum Vog zu schaffen. Die Arbeitnehmer M. … und R. … seien im September bzw August 1988 zur Einarbeitung eingestellt worden; die von der Beklagten bezweifelte finale Verknüpfung zwischen Ausscheiden der Vorruheständler und Einstellung der Arbeitslosen sei deshalb zu bejahen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
In der Revisionsinstanz fortwirkende Verstöße gegen verfahrensrechtliche Grundsätze, die bei einer zulässigen Revision von Amts wegen zu beachten sind, liegen nicht vor. Insbesondere war die Berufung im Rahmen der in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 1992 gestellten Anträge zulässig. Zwar hat die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 5. Juli 1991 mit der Berufung zunächst nur den Antrag gestellt, „das angefochtene Urteil des SG abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 31. Mai 1989 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 1989 zu verurteilen, Zuschüsse zu den Vorruhestandsleistungen für den Arbeitnehmer Bruno W. … ab 1. Januar 1989 zu zahlen”; diese Formulierung scheint eine auf die Zuschüsse zu den Vorruhestandsleistungen gegenüber dem Arbeitnehmer W. … beschränkte Berufung zu beinhalten, die dann erst im Verlauf des Berufungsverfahrens nach Eintritt der Teilrechtskraft des SG-Urteils erweitert worden wäre. Gemäß § 153 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 123 SGG entscheidet das Gericht aber über die von der Klägerin erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Es fällt bereits auf, daß die Klägerin, obwohl sie lediglich den ausgeschiedenen Arbeitnehmer Bruno W. … in den Antrag aufgenommen hat, einen Widerspruchsbescheid mit falschem Datum (6. Dezember 1989) angegeben hat. Die formale Bezeichnung als Berufung ohne jegliche Beschränkung und der weitere Verfahrensgang verdeutlichen zusätzlich, daß es sich bei dem Antrag im Schriftsatz vom 5. Juli 1991 um ein offensichtliches Versehen gehandelt hat. Die Klägerin hat nämlich in der Berufungsbegründung weiterhin Zuschüsse zu den Vorruhestandsleistungen beider ausgeschiedenen Arbeitnehmer geltend gemacht und in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 30. Juli 1992 den entsprechenden Antrag gestellt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Klägerin ihre Berufung auf Zuschüsse zu einem Vog beschränkt haben sollte. Klageart ist die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG (vgl BSG, Urteil vom 18. April 1991 – 7 RAr 142/90 –, SozR 3-7825 § 14 Nr 1).
In der Sache selbst hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zuschüsse nach § 1 VRG. Nach § 14 VRG ist das VRG nicht mehr anzuwenden, weil die Voraussetzungen für den Anspruch auf Zuschüsse nicht vor dem 1. Januar 1989 vorgelegen haben. Den Gesetzesmaterialien zufolge sollte mit dieser Vorschrift für die Zeit ab 1. Januar 1989 die Zuschußgewährung auf die Fälle beschränkt werden, in denen die Förderungsvoraussetzungen bereits vor diesem Zeitpunkt erfüllt waren (BT-Drucks 10/880 S 18 zu Art 1 § 13).
Die Voraussetzungen, die nach § 14 VRG erstmals vor dem 1. Januar 1989 vorgelegen haben müssen, sind kumulativ alle Erfordernisse, die die §§ 1 und 2 VRG für eine Bezuschussung der Aufwendungen des Arbeitgebers vorsehen (BSG SozR 3-7825 § 14 Nr 1). Hierzu zählt ua die Wiederbesetzung des freigewordenen Arbeitsplatzes nach § 2 Abs 1 Nr 5 VRG, die von § 14 VRG gerade nicht ausgenommen ist (BSG aaO). Gemäß § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a VRG setzt der Anspruch auf Zuschuß voraus, daß der Arbeitgeber aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen beim ArbA arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer auf dem freigemachten oder infolge des Ausscheidens durch Umsetzung freigewordenen Arbeitsplatz beschäftigt. Wiederbesetzungszeitpunkt ist damit weder der Beginn eines schon vorher bestehenden Beschäftigungsverhältnisses auf einem anderen Arbeitsplatz noch der Zeitpunkt der Zuweisung des freigewordenen Arbeitsplatzes an den Arbeitnehmer für einen künftigen Zeitraum. Das VRG hat den Begriff der „Beschäftigung” allerdings selbst nicht erläutert, so daß auf die in § 7 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) enthaltene Definition zurückzugreifen ist (BSG SozR 7825 § 5 Nr 1; SozR 3-7825 § 14 Nr 1). Eine Beschäftigung auf dem freigemachten Arbeitsplatz kann danach frühestens mit dem Beginn des diesen Arbeitsplatz betreffenden Arbeitsverhältnisses angenommen werden.
Die Stellen der Arbeitnehmer M. und M. konnten in diesem Sinne vor dem 1. Januar 1989 nicht besetzt werden und waren es auch nicht. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) wurden die Arbeitsplätze der ausgeschiedenen Arbeitnehmer L. … und W. … am 1. Januar 1989 durch die Arbeitnehmer M. und M. sowie deren tatsächliche bzw vorgesehene Arbeitsplätze „zeitgleich” – in den Entscheidungsgründen heißt es „funktional tatsächlich” am 2. Januar 1989 -durch die Arbeitnehmer M. … und R. … eingenommen. Damit hat das LSG eine faktische Wiederbesetzung vor dem 1. Januar 1989 ausgeschlossen, wie das im übrigen dem Vortrag der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren entsprach. Die schriftliche Fixierung der Umsetzung erfolgte ohnedies erst Mitte Januar 1989 mit Wirkung zum 16. Januar 1989, so daß nach den Feststellungen des LSG nicht einmal von einer rein vertraglichen – ob nun mündlichen oder schriftlichen -Funktionsübernahme vor dem 1. Januar 1989 auszugehen ist. Ob sie genügen würde, bedarf damit keiner Entscheidung.
Es kann offenbleiben, ob, wie das LSG angenommen hat, der Eintritt in den Vorruhestand objektiv nach den konkreten Umständen auf die Neueinstellung von Arbeitslosen ausgerichtet war (vgl hierzu BSGE 67, 63 ff = SozR 3-7825 § 2 Nr 2). Daß die Arbeitnehmer M. … und R. … bei der Klägerin davor bereits an anderen Arbeitsplätzen beschäftigt waren und ob dies zur Einarbeitung in die ab Januar 1989 übernommene Funktion geschah, ist unerheblich. Der Zuschuß zu Vorruhestandsleistungen ist nicht für Zeiten zu zahlen, in denen auf dem freigewordenen Arbeitsplatz noch kein vorher arbeitsloser Arbeitnehmer beschäftigt wird (BSG SozR 7825 § 2 Nr 2; SozR 3-7825 § 2 Nr 1). Eine spätere Besetzung der freigewordenen Stelle führt also nicht rückwirkend zur Entstehung eines Anspruchs auf Zuschuß zum Vog. Auf die Frage der Finalität zwischen Eintritt in den Vorruhestand und vorangehender Neueinstellung der arbeitslosen M. … und R. – käme es demgemäß nur an, wenn die Arbeitnehmer vor dem 1. Januar 1989 die Stelle der Arbeitnehmer M. und M. besetzt hätten.
Über die fehlende Wiederbesetzung kann nicht § 27 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X) hinweghelfen. Zwar ist nach dieser Vorschrift eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch bei Versäumen materieller Fristen möglich (vgl nur BSGE 64, 153 ff = SozR 1300 § 27 Nr 4); abgesehen davon, daß Wiedereinsetzung nur bei unverschuldeter Verhinderung zu gewähren ist, handelt es sich bei § 14 VRG nicht um eine gesetzliche Handlungsfrist, sondern lediglich um die Befristung eines Gesetzes selbst. § 27 SGB X kann insoweit keine Anwendung finden (vgl zu der ähnlichen Konstellation einer Stichtagsregelung BSGE 65, 272, 276 = SozR 4100 § 78 Nr 8).
Bereits früher hat der Senat darauf hingewiesen (BSG SozR 3-7825 § 14 Nr 1), daß § 14 VRG dem Arbeitgeber wegen der erforderlichen Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes vor dem 1. Januar 1989 zwar gewisse Schwierigkeiten auferlegt hat, daß aber die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 5 VRG in § 14 VRG hätten ausgenommen werden müssen, wenn der Gesetzgeber den Arbeitgebern hätte ermöglichen wollen, anspruchwahrend die Wiederbesetzung noch nach dem 31. Dezember 1988 vorzunehmen. Da dies nicht geschehen und der Wortlaut eindeutig ist, besteht keine planwidrige Gesetzeslücke, die durch Rechtsfortbildung zu füllen wäre (vgl BSG SozR 3-7825 § 14 Nr 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen