Leitsatz (redaktionell)

Das Berufungsgericht verletzt SGG § 128,wenn es nach der ersten Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht zwar die ihm auferlegte weitere Sachaufklärung durchführt, in dem angefochtenen Urteil aber lediglich den Sachverhalt hinsichtlich des Ergebnisses der erneuten Ermittlungen würdigt, obwohl es erneut das gesamte Beweisergebnis in seine Würdigung einzubeziehen gehabt hätte.

 

Normenkette

SGG § 128 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 1965 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Zwischen den Parteien ist streitig, ob den Klägern als Rechtsnachfolger ihres am 10. Juni 1954 an einer Nephroangiosklerose bei myogener Herzinsuffizienz und Urämie gestorbenen Ehemannes und Vaters E H (H.) eine Beschädigtenrente zusteht und ob der Klägerin zu 1) Witwenrente nach ihrem Ehemann zu gewähren ist. Der noch von H. selbst gestellte Versorgungsantrag wurde gegenüber den Klägern als gesetzlichen Erben durch Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) D vom 4. Juli 1956 mit der Begründung abgelehnt, H. habe an einem Bluthochdruck gelitten, in dessen Verlauf sekundäre Störungen der Nierenfunktion mit allmählicher Ausbildung einer arteriosklerotischen Schrumpfniere aufgetreten seien. Der Bluthochdruck sei unabhängig von den Einflüssen des Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft entstanden. Im Widerspruchsverfahren legten die Kläger eine Bescheinigung des Dr. J vom 6. Dezember 1956 vor, der H. seit 1949 bis zu seinem Tode behandelt hatte. Danach litt H. seit 1947 an Hypertonie und später an Rheumaschmerzen in der Lumbalgegend, Nephroangiosklerose , myogener Herzinsuffizienz und chronischer Nephritis. Hinsichtlich der Behandlung wegen Hypertonie und Dystrophie in den Jahren 1947 und 1948 bezog sich Dr. J auf eine Bescheinigung des Dr. Georg N vom 18. September 1956. Durch Bescheid vom 2. April 1957 wies das Landesversorgungsamt Westfalen den Widerspruch der Kläger zurück. Diese erhoben dagegen Klage.

Nach dem Tode ihres Ehemannes beantragte die Klägerin zu 1) im August 1954 die Gewährung einer Witwenrente, die durch Bescheid des VersorgA D vom 4. Juli 1956 abgelehnt wurde. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid hatte aus denselben Gründen wie bei der Beschädigtenrente des H. keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid des LVersorgA Westfalen vom 2. April 1957). Auch gegen diesen Bescheid wurde Klage erhoben.

Das Sozialgericht (SG) hat beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Es hat zunächst von Dr. G N einen Befundbericht angefordert; dieser Arzt hat jedoch mit Schreiben vom 6. Dezember 1957 mitgeteilt, daß nicht er, sondern sein Vater Dr. Erich N den H. behandelt habe. Das SG hat ferner von Prof. Dr. St das ausführliche Gutachten vom 21. April 1958 eingeholt. Dieser Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, daß das Bluthochdruckleiden des H. entweder eine juvenile Hypertonie oder eine essentielle Hypertonie oder eine sogenannte Kriegsnephritis gewesen sei. Welche der drei Möglichkeiten im vorliegenden Falle in Betracht komme, könne jetzt nicht mehr entschieden werden. Da aber H. aus russischer Kriegsgefangenschaft in einem schwergeschädigten Zustand mit einem für sein Alter ungewöhnlich schweren Bluthochdruckleiden zurückgekehrt sei, müsse ein ursächlicher Zusammenhang i. S. der Entstehung - wenn man das Bluthochdruckleiden als Folge einer unbemerkt durchgemachten Kriegsnephritis betrachte - oder i. S. der richtunggebenden Verschlimmerung - wenn es sich bei H. um eine juvenile Hypertonie oder um die Frühmanifestation einer essentiellen Hypertonie gehandelt habe - angenommen werden. Auf eine kritische Stellungnahme des Beklagten zu diesem Gutachten hat Prof. Dr. St seine Auffassung in dem Ergänzungsgutachten vom 6. Mai 1959 aufrechterhalten. Durch Urteil vom 2. Oktober 1959 hat das SG Dortmund unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verurteilt, der Klägerin zu 1) ab 1. August 1954 Hinterbliebenenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den Klägern zu 1) bis 3) ab 1. August 1952 bis zum 31. Dezember 1953 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) am 70 v. H. und vom 1. Januar 1954 bis zum 30. Juni 1954 Rente nach einer MdE um 100 v. H. zu zahlen.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) ein weiteres Gutachten von dem Chefarzt des pathologischen Instituts der Stadt W Prof. Dr. L vom 4. April 1961 eingeholt. Dieser Sachverständige ist nach eingehender Erörterung des medizinischen Sachverhalts zu dem Ergebnis gekommen, daß die chronische Nierenerkrankung des H. mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine im Januar 1952 - also zweieinhalb Jahre vor dem Tode - durchgemachte, schleichend verlaufene und deshalb ärztlicherseits nicht erkannte und als "Rheuma" mit lokalen Schmerzen in der Lendengegend gedeutete akute Glomerulonephritis zurückzuführen sei. Diese Nierenerkrankung habe zur renalen Hypertonie geführt, die als führendes Symptom das Krankheitsbild in den folgenden Jahren beherrscht habe. Da ein Bluthochdruck bei H. weder vor der Einberufung zum Wehrdienst noch während des Krieges oder der Kriegsgefangenschaft noch in den Jahren seit seiner Entlassung bis Ende 1951 bestanden habe, bestehe kein ursächlicher Zusammenhang des zum Tode führenden Leidens mit schädigenden Ereignissen während des Wehrdienstes oder der Kriegsgefangenschaft. Auf den Antrag der Kläger nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das LSG noch ein Gutachten des Prof. Dr. A vom 2. November 1961 eingeholt, der ausgeführt hat, daß die Art der Erkrankung, die den Tod des H. herbeigeführt hat, nicht mehr eindeutig geklärt werden könne. Die Beantwortung der Frage, ob die zum Tode führende Erkrankung des H. auf die Verhältnisse seines Wehrdienstes zurückzuführen sei, hänge davon ab, ob bereits 1947/48 bei H. ein hoher Blutdruck bestanden hat oder nicht. Da die hierzu in den Akten enthaltenen Unterlagen nicht eindeutig seien, müsse es der richterlichen Beweiswürdigung überlassen bleiben, wie diese Frage zu beantworten sei. In der mündlichen Verhandlung hat das LSG noch den Oberarzt Dr. S gehört, der sich dem Gutachten des Prof. Dr. A in vollem Umfange angeschlossen hat.

Durch Urteil vom 19. November 1962 hat das LSG Nordrhein-Westfalen auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG Dortmund abgeändert und die Klage abgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, es lasse sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schädigungen des Wehrdienstes und dem seit 1952 in Erscheinung getretenen Leiden nicht wahrscheinlich machen. Als Voraussetzung für einen ursächlichen Zusammenhang hätte im Anschluß an die Kriegsgefangenschaft ein typischer Bluthochdruck bestehen und dann jahrelang anhalten müssen, nicht aber erst in den Jahren 1951 oder 1952 auftreten dürfen. Die Beweisanforderungen, die an derartige Brückensymptome zu stellen sind, seien im vorliegenden Falle nicht erfüllt. Dr. J habe nicht aus eigenen Wahrnehmungen bestätigen können, daß H. seit dem Jahre 1947 ununterbrochen an einem Bluthochdruck gelitten hat, weil die Behandlung bei diesem Arzt erst im Jahre 1949 begonnen habe. Auch nach der Mitteilung der Allgemeinen Ortskrankenkasse habe eine Hypertonie erst im Jahre 1952 zur Arbeitsunfähigkeit geführt, während H. in den Jahren 1947/48 allein wegen Dystrophiefolgen arbeitsunfähig gewesen sei. Die davon abweichende Bescheinigung auf einem Formular des Dr. G N sei nicht unterschrieben und wegen des Zusatzes "bei unserer Kasse" als ärztliches Attest unsinnig. Die Angaben, die H. selbst Anfang 1954 im Krankenhaus gemacht haben soll, seien als Beweismittel nicht hinreichend zuverlässig.

Auf die Revision der Kläger hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 17. Dezember 1963 das Urteil des LSG vom 19. November 1962 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Die nicht zugelassene Revision der Kläger war wegen Verletzung des § 103 SGG statthaft und begründet, weil die Feststellung des LSG, das Vorliegen eines Bluthochdrucks in den Jahren 1947/48 sei nicht hinreichend nachgewiesen, unter Verletzung der Sachaufklärungspflicht zustande gekommen war. Das BSG hat hierzu in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß das LSG aus der Bescheinigung des Dr. J vom 6. Dezember 1956 nicht habe entnehmen können, daß H. seit dem Jahre 1947 ununterbrochen an einem Bluthochdruck gelitten hat, weil die Behandlung durch Dr. J erst im Jahre 1949 begonnen habe. Nach der Ansicht des LSG seien auch die eigenen Angaben des H., die er Anfang 1954 bei der Aufnahme ins Krankenhaus gemacht habe, als Beweismittel für das Vorliegen eines Bluthochdrucks schon seit dem Jahre 1947 nicht hinreichend zuverlässig. Es sei somit nach dem Urteil des LSG entscheidend darauf angekommen, ob bei H. bereits in den Jahren 1947/48 ein Bluthochdruckleiden bestanden hat. In dieser Hinsicht habe allein die nicht unterschriebene Bescheinigung des Dr. N vom 18. September 1956 vorgelegen. Bei diesem Sachverhalt hätte das LSG die letzte vorhandene Möglichkeit einer Aufklärung dieser entscheidenden Frage durch Vernehmung dieses Arztes darüber ausschöpfen müssen, wie die nicht unterschriebene Bescheinigung vom 18. September 1956 zustande gekommen ist.

Das LSG hat nach der Zurückverweisung der Sache Dr. G N durch das Amtsgericht Naila am 12. März und 10. September 1964 als Zeugen vernehmen lassen. Er hat ausgesagt, daß er sein Staatsexamen erst im November 1949 abgelegt und seinen Vater anschließend bis 1952 im Urlaub vertreten habe. Erst ab 1. Januar 1953 habe er die Praxis seines Vaters übernommen. Er könne sich nicht erinnern, H. behandelt zu haben, was im übrigen auch erst ab 1953 der Fall gewesen sein könnte. Die Bescheinigung vom 18. September 1956 trage die Handschrift seiner früheren Sprechstundenhilfe C R Diese Bescheinigung habe er nicht gesehen, denn er habe sie nicht abgezeichnet; er hätte sie in dieser Form auch nicht weggegeben. Es handle sich um ein Rezeptformular, bei dem der Stempel schon vorher routinemäßig angebracht worden sein könne. Er nehme an, daß die Ehefrau des H. seiner Sprechstundenhilfe gegenüber angegeben habe, wie der Text lauten solle bzw. wie die Kasse es benötige; es könne auch so gewesen sein, daß die Sprechstundenhilfe die Bescheinigung mit diesem Inhalt ausgefüllt und der Ehefrau des H. erklärt habe, sie solle sich bei der Krankenkasse eine Bestätigung entsprechend dem Wortlaut des Rezeptformulars geben lassen. Bei der Vordruckzeile "Unterschrift des Arztes" sei ein Tintenstrich gemacht worden, so daß es keine ärztliche Bescheinigung sein sollte. Er glaube nicht, daß die Sprechstundenhilfe die Krankheitsangaben "Hypertonie und Dystrophie" aus eigenem Wissen gemacht habe. Wahrscheinlich habe die Frau des H. diese Bezeichnungen selbst erwähnt. Der vom SG Hamburg vernommene Zeuge Dr. E N der Vater des Dr. G N hat am 6. Januar 1965 angegeben, daß er sich auch nach Vorlage von Lichtbildern nicht an H. erinnern könne und nicht wisse, ob und gegebenenfalls wann und wegen welcher Leiden er den H. behandelt habe.

Das LSG hat ferner durch das Amtsgericht Castrop-Rauxel am 22. April 1965 die Zeugin R vernehmen lassen. Diese Zeugin hat angegeben, sie habe den H. selbst nicht gekannt und könne daher über seinen Krankheitszustand aus eigenem Wissen nichts sagen. Die fragliche Bescheinigung vom 18. September 1956 habe sie geschrieben, aber nicht von sich aus, vielmehr sei ihr der Text entweder von Dr. N oder seinem Vertreter diktiert worden; es könne keinesfalls sein, daß sie die Bescheinigung selbständig - evtl. nach Angaben der Ehefrau des H. - abgefaßt habe, das hätte sie nie getan.

Die Bescheinigung sei ihr bestimmt diktiert worden, so wie das sonst auch üblich gewesen sei. Wie es statt der Unterschrift des Arztes zu einem Schrägstrich auf der Bescheinigung gekommen sei, könne sie nicht angeben.

Durch Urteil vom 23. Juni 1965 hat das LSG Nordrhein-Westfalen auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG Dortmund vom 2. Oktober 1959 abgeändert und die Klage abgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat das LSG ausgeführt, daß die Frage, welchem Sachverständigen zu folgen sei, insofern keine entscheidende Rolle spiele, als alle Sachverständigen zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs für erforderlich gehalten hätten, daß H. bei seiner am 6. Oktober 1947 erfolgten Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft bereits an einem Hochdruck gelitten hat. Diese entscheidende Frage lasse sich auch nach den neuen Ermittlungen nicht bejahen. Auf Grund der Vernehmung des Dr. G N lasse sich nicht feststellen, daß die Bescheinigung vom 18. September 1956 auf Veranlassung dieses Arztes ausgestellt worden sei. Auch sein Vater, Dr. E N habe nicht angeben können, ob und gegebenenfalls wann und wegen welcher Leiden er den H. behandelt habe. Die Zeugin R habe zwar ausgesagt, die fragliche Bescheinigung geschrieben zu haben, ihre Aussage reiche jedoch nicht aus, um die Feststellung treffen zu können, daß die in der Bescheinigung bestätigte Hypertonie auf Grund des Befundes eines Arztes in diese Bescheinigung gelangt sei. Die Formulierung "bei unserer Kasse" wäre als Bescheinigung eines Arztes so laienhaft und falsch, daß sich allein durch die Aussage der Zeugin R nicht feststellen lasse, daß ihr ein Arzt diese Bescheinigung diktiert habe, zumal Dr. G N die Ausstellung einer solchen Bescheinigung mit Entschiedenheit bestritten habe. Gegen die Aussage der Zeugin R spreche auch, daß die Bescheinigung nicht unterschrieben und sogar an der für die Unterschrift vorgesehenen Stelle mit einem Strich versehen sei. Da weitere Unterlagen bei dem Praxisnachfolger des Zeugen Dr. N, der Allgemeinen Ortskrankenkasse C und den Krankenbuchlagern nicht hätten aufgefunden werden können, lasse sich nicht feststellen, daß H. bereits in den Jahren 1947/48 an Bluthochdruck gelitten hat. Damit könne dem Gutachten des Prof. Dr. St, der als einziger Sachverständiger den Zusammenhang zwischen Wehrdienst und Tod bejaht und dabei das Vorliegen eines Bluthochdrucks bei H. als Ausgangspunkt genommen habe, keine entscheidende Bedeutung zukommen. Mangels eines ursächlichen Zusammenhangs seien die Ansprüche der Kläger auf die Gewährung von Beschädigtenrente und Witwenrente unbegründet.

Gegen dieses am 2. August 1965 zugestellte Urteil des LSG haben die Kläger mit Schriftsatz vom 19. August 1965, eingegangen beim BSG am 20. August 1965, Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.

Die Kläger haben die Revision innerhalb der bis zum 2. November 1965 verlängerten Begründungsfrist mit Schriftsatz vom 26. Oktober 1965, auf den Bezug genommen wird, begründet. Sie rügen eine Verletzung des § 128 SGG mit dem Vorbringen, das LSG habe bei der Beweiswürdigung völlig außer acht gelassen, daß Dr. J in der Bescheinigung vom 6. Dezember 1956 eine Behandlung wegen Hypertonie seit 1949 bis zum Tode bestätigt und ferner angegeben habe, daß H. seit 1947 an Hypertonie gelitten habe. Diese offensichtlich dem Dr. J gegenüber bei der Erhebung der Anamnese zu Beginn der Behandlung gemachten Angaben seien damals - im Jahre 1949 - zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem weder ein Versorgungsantrag vorlag noch dem H. selbst auch nur der Gedanke an einen möglichen ursächlichen Zusammenhang gekommen war. Das LSG hätte diese Bescheinigung des Dr. J vom 6. Dezember 1956 würdigen müssen. Auch sei das Berufungsgericht nicht auf den Bericht über die stationäre Behandlung des H. im Evangelischen Krankenhaus C. vom 1. Februar bis 31. März 1954 eingegangen, wonach H. zur Anamnese angegeben habe, daß er seit der Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft an Dystrophie und hohem Blutdruck (ca. 270) gelitten habe. Schon aus diesen beiden Gesichtspunkten habe das LSG seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen. Es habe ferner sich offenkundig keine Gedanken darüber gemacht, wie die Bescheinigung vom 18. September 1956 zustande gekommen sein könnte, wenn sie nicht von Dr. N diktiert sein sollte. Diese Bescheinigung existiere nun einmal und sei unstreitig auf einem Rezeptformular des Dr. N ausgestellt worden. Wenn der Zeuge die Ausstellung der Bescheinigung bestreite, so werde dadurch die Aussage der Zeugin R nicht unglaubwürdig, die angegeben habe, daß ihr der Text entweder von Dr. N selbst oder von seinem Vertreter diktiert worden sei. Daß die Bescheinigung nicht nach den Angaben der Ehefrau des H. verfaßt worden sei, gehe aus der Formulierung "bei unserer Kasse" und den lateinischen Krankheitsbezeichnungen hervor. Zwar habe sich die Herkunft der Bescheinigung vom 18. September 1956 nicht hinreichend klären lassen, das ändere jedoch nichts an ihrer Existenz. Es sei bisher weder der Verdacht aufgetaucht noch habe der Nachweis erbracht werden können, daß es sich bei der Bescheinigung um den Versuch einer Fälschung oder Irreführung handle. Das Berufungsgericht hätte insbesondere seine Entscheidung nicht allein nach dem von ihm der fraglichen Bescheinigung zugemessenen Beweiswert treffen dürfen, ohne das Gesamtergebnis des Verfahrens zu berücksichtigen.

Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Revision als unzulässig; er hält eine Verletzung des § 128 SGG nicht für gegeben. Er ist der Meinung, das LSG habe nach der Zurückverweisung der Sache durch das BSG nach dessen Direktive das Verfahren fortzusetzen gehabt; es habe nicht in eine neue Prüfung eintreten dürfen, ob die Bescheinigung des Dr. J eine Hypertonie seit 1947 beweise und ob den Angaben des H. Beweiswert zukomme. Vielmehr habe das LSG nach dem Urteil des BSG allein noch zu prüfen gehabt, ob die Bescheinigung auf dem Rezeptformular des Dr. N Beweiswert habe.

Die Kläger haben die Revision form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird und vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i. S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

Das LSG hat in seinem erneuten Urteil vom 23. Juni 1965 wiederum die Entscheidung des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen insbesondere ausgeführt, daß als einziger Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Hochdruckleidens bei H. in der maßgebenden Zeit unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft allein die sich auf einem Rezeptformular des Dr. G N befindliche Bescheinigung vom 18. September 1956 in Betracht komme. Auf Grund der Zeugenvernehmungen der Dres. Erich und G N und der früheren Arzthilfe C R lasse sich jedoch nicht feststellen, daß H. bereits in den Jahren 1947/48 an Hochdruck gelitten hat. Diese Feststellung greifen die Kläger mit der Rüge einer Verletzung des § 128 SGG an und tragen vor, daß das LSG in dem angefochtenen Urteil vom 23. Juni 1965 lediglich die Aussagen der angeführten Zeugen in bezug auf die Bescheinigung vom 18. September 1956 gewürdigt habe, ohne zu berücksichtigen, daß außerdem Dr. J in seiner Bescheinigung vom 6. Dezember 1956 eine Behandlung wegen Hypertonie seit 1949 bis zum Tode bestätigt und angegeben habe, daß H. schon seit 1947 an Hypertonie gelitten habe. Auch sei das Berufungsgericht in seinem zweiten Urteil nicht auf die Angaben des H. zur Anamnese im Evangelischen Krankenhaus C. eingegangen, daß er seit der Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft an Dystrophie und hohem Blutdruck gelitten habe. Das LSG habe somit, ohne andere Möglichkeiten zu erörtern, die Aussage des Zeugen Dr. N daß die Bescheinigung vom 18. September 1956 nicht in seiner Praxis ausgestellt und von ihm diktiert worden sein könne, als glaubhaft unterstellt und die Richtigkeit der Aussage der Zeugin R in Zweifel gezogen. Damit habe das Berufungsgericht seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, weil es nicht nur die Zeugenaussagen, sondern in diesem Zusammenhang auch die Bescheinigung des Dr. J vom 6. Dezember 1956 und die Angaben des H. zur Anamnese im Krankenhaus C. hätte würdigen müssen. Diese Rüge greift durch.

Nach § 157 SGG hat das Berufungsgericht den Streitfall im gleichen Umfange wie das SG zu prüfen. Es hat seiner Entscheidung über eine Leistungsklage die Tatsachen zugrunde zu legen, die bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung - also hier der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 23. Juni 1965 - vorgebracht oder von ihm aufgeklärt worden sind (vgl. hierzu auch BSG 6, 297, 299). An dieser Pflicht des Berufungsgerichts, den Streitfall im gleichen Umfange wie das SG zu prüfen und das Vorbringen der Beteiligten sowie das gesamte Beweisergebnis zu würdigen, ändert sich nichts dadurch, daß das erste Urteil des LSG vom 19. November 1962 auf die Revision der Kläger durch Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember 1963 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen worden ist. Das LSG hat verkannt, daß auch bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die Bindung an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit eintritt, als diese der Aufhebung zugrunde liegt. Der Unterschied in der Wortfassung des § 170 Abs. 4 SGG gegenüber der des § 565 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung kann nicht zu einer anderen Beurteilung der Bindung des Vordergerichts an die Entscheidung des Revisionsgerichts führen. Wie im Zivilprozeß ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren der Sinn der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht darin zu sehen, daß dieses die Verfahrensfehler, die zur Aufhebung seines Urteils geführt haben, nicht wiederholen darf, daß es aber im übrigen in seiner Entscheidung frei ist (BGHZ 3, 321, 326). Aus diesem Grunde beschränkt sich im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die Bindung des Berufungsgerichts auf die der Aufhebung seines Urteils zugrunde liegende rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts (BSG 15, 127, 129, SozR SGG § 170 Nr. 4 und 10; vgl. auch Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. SGb, Anm. 5 zu § 170).

Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 17. Dezember 1963 das erste Urteil des LSG vom 19. November 1962 wegen Verletzung der Sachaufklärungspflicht aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das LSG war somit lediglich insoweit nach § 170 Abs. 4 SGG an das Urteil des BSG vom 17. Dezember 1963 gebunden, als es noch eine weitere Sachaufklärung in dem im Urteil des Revisionsgerichts angeführten Sinne durchzuführen hatte. Nach Vornahme der vom Revisionsgericht auferlegten Sachaufklärung hätte das LSG jedoch in seinem zweiten Urteil vom 23. Juni 1965 den gesamten Streitstoff hinsichtlich der Frage würdigen müssen, ob bei H. bereits in den Jahren 1947/48 ein Bluthochdruckleiden bestanden hat. Das LSG durfte daher die Beweiswürdigung in seinem zweiten Urteil vom 23. Juni 1965 nicht auf die Würdigung der Zeugenaussagen der Dres. Erich und Georg N und der früheren Arzthelferin R beschränken; es mußte vielmehr auch die Bescheinigung des Dr. J vom 6. Dezember 1956 und die Angaben des H. zur Anamnese im Evangelischen Krankenhaus C erneut in seine Beweiswürdigung einbeziehen. Offenbar hat das LSG die Entscheidung des erkennenden Senats, durch die das erste Urteil vom 19. November 1962 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen worden ist, mißverstanden, wenn es in dem nunmehr angefochtenen zweiten Urteil vom 23. Juni 1965 ausführt: "Wie bereits in dem Urteil vom 19. November 1962 ausgeführt und wie dies auch vom BSG bestätigt wurde, könnte als einziger Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Hochdruckleidens in der maßgebenden Zeit unmittelbar nach der Entlassung aus der Gefangenschaft allein die mit dem Stempel des praktischen Arztes G N versehene, jedoch nicht unterschriebene Bescheinigung vom 18. September 1956 in Betracht kommen." Das BSG hat in seinem Urteil vom 17. Dezember 1963 schon deswegen selbst keine eigene Beweiswürdigung hinsichtlich der Bescheinigung des Dr. J vom 6. Dezember 1956 und der Angaben des H. zur Anamnese im Evangelischen Krankenhaus C. vorgenommen, weil dem Revisionsgericht eine eigene Beweiswürdigung grundsätzlich verwehrt ist. Die Ausführungen des erkennenden Senats in seinem Urteil vom 17. Dezember 1963 sind vielmehr lediglich dahin zu verstehen, daß es dem LSG entscheidend darauf angekommen ist, ob bei H. bereits in den Jahren 1947/48 ein Bluthochdruckleiden bestanden hat, und daß deshalb die Möglichkeit einer Aufklärung dieser entscheidenden Frage durch Vernehmung des Dr. G N hätte ausgeschöpft werden müssen. Daß das Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember 1963 nur so verstanden werden kann, geht auch aus dem zweitletzten Absatz der Entscheidungsgründe hervor, in dem am Schluß ausgeführt ist: "Zur Aufklärung dieser im vorliegenden Falle entscheidenden Frage hätte das LSG den Arzt Dr. G N hören und ermitteln müssen, auf welchen Aufzeichnungen seine Angabe in der Bescheinigung vom 18. September 1965, daß H. in den Jahren 1947 und 1948 wegen Bluthochdrucks behandelt worden sei, beruhte. Erst nach Aufklärung in dieser Hinsicht konnte das LSG den Sachverhalt insoweit abschließend würdigen und den Beweiswert der Bescheinigung vom 18. September 1956 gegenüber anderen Beweismitteln abwägen." Auch hieraus hätte das LSG entnehmen müssen, daß es nach der Vernehmung der Zeugen verpflichtet war, nunmehr das Vorbringen der Beteiligten und das gesamte Beweisergebnis zu würdigen. Die Kläger haben somit zutreffend gerügt, daß das LSG seine Überzeugung in dem angefochtenen Urteil vom 23. Juni 1965 nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen hat, weil es weder die Bescheinigung des Dr. J vom 6. Dezember 1956 noch die Angaben des H. zur Anamnese im Evangelischen Krankenhaus C. im Zusammenhang mit der den Stempel des Dr. G N tragenden Bescheinigung vom 18. September 1956 erneut gewürdigt hat. Der Umstand, daß es eine solche Würdigung in seinem ersten, vom BSG aufgehobenen Urteil vom 19. November 1962 vorgenommen hat, entband das Berufungsgericht nicht von der Pflicht, nach Zurückverweisung der Sache durch das BSG erneut den gesamten Streitfall gemäß § 157 SGG in gleichem Umfange wie das SG zu würdigen. Die nicht zugelassene Revision der Kläger ist somit wegen Verletzung des § 128 SGG statthaft.

Die Revision ist auch begründet; denn es besteht die Möglichkeit, daß das LSG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung in dem oben angeführten Sinne vorgenommen hätte (vgl. BSG 2, 197). Da es dem Revisionsgericht verwehrt ist, selbst eine Beweiswürdigung vorzunehmen, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2347543

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